Nach dem faktischen Ende der Saison ist die Zeit für eine Gesamtbilanz gekommen. Die Weltrangliste bietet dafür die ideale Grundlage, weil sie einen Langzeitüberblick über die gesamte deutsche Leichtathletik und alle Einzelbilanzen bietet. Ausgewertet habe ich die Weltranglistenposition der DLV-Athleten unter den ersten 100 mit Stand vom 19. September 2023 im Vergleich mit der Entwicklung seit dem 13. September 2022 (Entwicklung nachfolgend in Klammern). Quelle ist https://www.worldathletics.org/world-rankings. Top-10-Platzierungen werden ebenso farbig hervorgehoben wie Veränderungen um mindestens fünf Positionen (Verbesserungen um mindestens 10 Positionen zusätzlich fett). Zusätzlich führe ich auf, wer aus den Top 100 herausgefallen ist, wobei es in vielen Fällen keine leistungsbedingten Gründe gibt (Karriereende, gesundheitliche Probleme, Umorientierung auf andere Strecken, …). Zum Vergleich die Bilanz von 2022.
20.04. Xiamen
27.04. Shanghai
10.05. Doha
19.05. Rabat
25.05. Eugene
30.05. Oslo
07.-12.06. EM Rom
02.07. Stockholm
07.07. Paris
12.07. Monaco
20.07. London
01.-11.08. OS Paris
22.08. Lausanne
25.08. Chorzów
29.08. Rom
05.09. Zürich
13./14.09. Brüssel
(13.09.2023, 19:26)c.n.d schrieb: "Ex-Sportdirektor: DLV-Führung für Krise verantwortlich
Für den früheren Chefbundestrainer und Sportdirektor Jürgen Mallow sind die Verantwortlichen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes mit Schuld am medaillenlosen Abschneiden bei der WM in Budapest.
"Die Ursachen dafür liegen im Verband, bei denen, die für den Leistungssport verantwortlich sind", sagte er im Interview der "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten". Immer wieder gelte die Maxime: "Alles muss auf den Prüfstand, auch im Vorjahr nach der WM in Eugene. Jetzt wieder? Wo sehen sie Gründe und Lösungsansätze?" (...)
Das ist genau das, was ich seit Jahren anprangere: mehr Individualismus statt Zentralisierung, bessere Trainerqualitäten. Es führt kein Weg an diesen Bereichen vorbei.
Als ich die DLV-Hürden-Fortbildung in Kaiserau besucht habe, wollten mich fünf Trainer danach kontaktieren. Ich war aber u.a. durch Corona sehr angeschlagen.
Wir haben wissbegierige TuT. Man muss das nur sehr konsequent erkennen und fördern. Es geht einfach nicht, dass TuT mit erheblichen Kenntnisdefiziten z.B. auf die recht gute Jugend losgelassen werden und Hüftfehlstellungen z.B. wie in Kaiserau nicht erkennen und auch nicht mit sehr guten Übungen begleitend verbessern können. Hier stimmt anscheinend der Transfer vom BT Olympia-Topbereich zu den BT und TuT der Jugend nicht oder ist fachlich nicht präsent, was ich weitab von den verantwortlichen Personen nicht beurteilen kann. Es fehlt folglich auch die Kontrolle!!! Das sehe ich auch vorrangig als Aufgabe der Cheftraineretagen an!!!
Ich lege sehr großen Wert auf eine sehr sachkundige Fortbildung. Direkt nach der Hürden-Fortbildung habe ich moniert, dass Camacho-Quinns Trainer mehr den Sprint statt das Hürdentraining mit sehr speziellen Übungen in den Vordergrund gerückt hat und vorgeschlagen, ihn noch einmal mit speziellen Hürdenübungen im Gepäck einzuladen. Der Unterschied zwischen der Hürden-Weltklasse Frauen international und Deutschland besteht vor allem in den Hürdenzeiten. Eine L. Grauvogel hatte ein adäquate, schnelle 100m-Zeit, war aber sehr weit von der Weltklasse Hürden entfernt.
Diese Wissenserweiterung in ganz speziellen Formen der Technik und funktionellen Anatomie hat zunächst nichts mit den finanziellen Ressourcen zu tun. Die BT müssten nur auf dem allerneuesten Stand sein!
Gertrud
Interessante Aufstellung! Klar wird aus meiner Sicht daraus aber auch, dass sich die Weltspitze über 100m Hürden eben auch durch ein enstprechendes Schnelligkeitslevel mit 100m-Zeiten im Bereich der erweiterten Spitze bewegt. Zeiten die in D. nur eine Hand voll 100m-Sprinterinnen erreicht. Zumal man davon ausgehen muss, dass die 100m-Zeiten der Hürdensprinterinnen unter dem Umstand seltener Läufe zustande kommen. Das macht das In-Beziehung-Setzen ohnehin immer schwer. Für die aktuelle dt. Spitze wie z.B. Franziska Schuster und Marlene Meier findet man wenig 100m-Zeiten die aktuell bzw. belastbar sind. Da gab es offensichtlich 2022 einen Lauf, 2023 gar keinen - und sonst nur deutlich ältere Zeiten. Nimmt man die als Maßstab, käme man bei M.M. z.B. auf eine Differenz von 1,03s - (11,97 zu 13,00) was im Maßstab nicht schlecht wäre.
angeblich sind folgende deutsche Starter für die Strassenlauf WM in Riga gemeldet:
Aaron Bienenfeld , Konstanze Klosterhalfen , Alina Reh , Richard Ringer , Filimon Teklebrhan-Berhe - alle im Halbmarathon.
Bei Koko und Alina fände ich das eher überraschend. Ist erstere überhaupt schon wieder im Training ? Bereitet sich Alina Reh nicht eher auf den Halbmarathon in Valencia vor ?
Meines Erachtens verengt sich die Diskussion zu Problemen der deutschen Leichtathletik bereits zu stark in Richtung Trainingskonzepte, Trainerqualität etc.
Solche fachlichen Diskussionen sind zweifellos berechtigt und werden zu Recht geführt.
Ich meine aber im ersten Stadium einer Analyse sollte man einmal zusammentragen, welche einschneidenden Veränderungen hat man in unserer LA durch eigene strukturellen Maßnahmen in der Vergangenheit vorgenommen und was haben sie gebracht? Die schon oft thematisierte KiLA klammere ich an dieser Stelle einmal aus.
Um andere Rückschlüsse zu ziehen sollte man ruhig auch etwas in die tiefere Vergangenheit gehen. Es geht dabei nicht darum, hier zu einer Aussage, wie "früher war alles besser" zu kommen. Das war sicherlich nicht so und hilft nicht weiter. Die Frage muss aber erlaubt sein: "Hat nicht manche Veränderung eher dazu beigetragen, die Lage zu verschärfen?" Handelte es sich bei manchen Dingen nicht eher um eine "Verschlimmbesserung" als eine Maßnahme zur Verbesserung?
Ich steige einmal mit den Deutschen-Schülermeisterschaften ein, die in den Jahren 1971 bis 1979 auch in allen Einzeldisziplinen ausgetragen wurden. Der damaligen Klasse der Schüler/innen A gehörten die 13- und 14-jährigen an. Die Einführung war schon aus dem Grund nicht nachvollziehbar, da B-Jugendmeisterschaften erst 1988, also wesentlich später, für die dann 16- und 17-jährigen eingeführt wurden.
Welchen Sinn hatte die Einführung der Schülermeisterschaften 1971 schon 17 Jahre bevor Meisterschaften für die dann bis zu 4 Jahre älteren Aktiven eingeführt wurden?
Bis einschließlich 1987 hatte man im DLV im Nachwuchsbereich eine Altersklassenstruktur mit Doppeljahrgängen (17/18 Jahre Jugend A, 15/16 Jahre Jugend B, 13/14 Jahre Schüler A, 11/12 Jahre Schüler etc.). Dieses System passte man 1988 an das internationale System an, indem man die Struktur an die internationale Klasseneinteilung um ein Jahr nach oben verschob. Diese Anpassung machte durchaus Sinn.
Eher fragwürdig war aber, dass ab der U 16 an abwärts in den Einzeldisziplinen Jahrgangsklassen eingeführt wurden. Diese Entscheidung muss man zumindest in der Rückschau wohl eher als Rückschritt als Fortschritt ansehen. Die Teilnehmerfelder in Wettbewerben wurden damit halbiert. Die Kinder/Jugendlichen trafen bei Wettkämpfen Jahr für Jahr immer nur auf die gleichen Gegner, was eine gewisse Eintönigkeit zur Folge hatte. Sieg und Niederlage wurden dadurch weitgehend zementiert. Die Guten (oft natürlich die Akzelerierten) gewannen immer, die anderen nie. Sieg und Niederlage, deren Erleben m. E. im Sport von essentieller Bedeutung ist, ging gewissermaßen verloren und damit auch ein Stück dessen, was die "Würze" im Sport auch ausmacht.
Der genannte Halbierungseffekt wurde noch dadurch gestärkt, dass die Zeit der geburtenstarken "Babyboomer"-Jahre vorbei war und sich die Zahl der Sportler/innen ohnehin verringerte. Dazu kam natürlich die zunehmende Konkurrenz anderer Sportarten, anderer Freizeitaktivitäten (oft mit einem allgemeinen Bewegungsrückgang verbunden) und die rückläufige Bedeutung der Leichtathletik im Schulsport.
Einige dieser Faktoren sind für die Leichtathletik kaum beeinflussbar, in einigen Punkten lohnt aber eine Prüfung, ob die Leichtathleten nicht manches ihrer heutigen Probleme durch nicht notwendige, kontraproduktive Weichenstellungen selbst mit verursacht haben.
Ähnliche unlogische strukturelle Veränderungen kann man feststellen, wenn man die Veränderungen am System der Mehrkämpfe betrachtet. Die etwas Älteren in diesem Forum, werden sicherlich durchaus positiv daran zurückdenken, dass es für die meisten Vereine völlig unproblematisch war, im Schüler- und Jugendbereich Vier- oder Fünfkampf-Mannschaften mit 5 Teilnehmer/innen zu stellen. Beispiel in der männlichen Jugend: Die Fünfkampfdisziplinen 100 m, Weitsprung, Kugelstoßen, Hochsprung und 1000 m/später 400 m konnten auch weniger Mehrkampfbegabte recht problemlos schaffen und waren somit auch für ihre Mannschaften wichtig.
Bei Deutschen Jugendmeisterschaften wurde der zu diesem Zeitpunkt nach wie vor sehr beliebte Fünfkampf bei der männlichen Jugend ohne Not ab 1991 aus dem Meisterschaftsprogramm der A-Jugend (U 20) gestrichen. Für die B-Jugend gab es ihn nur noch bis 1993. Seitdem sind die Jugendlichen der U 20 und U 18 im Mehrkampf nur noch im Zehnkampf aktiv, d. h. das alle, die keine ausgesprochenen Mehrkampfspezialisten sind, ab dem Alter von 16 Jahren von Mehrkämpfen ausgeschlossen sind.
In den jüngeren Altersklassen (Beispiel U 16) gab es bis 1993 DM den Vierkampf inkl. Mannschaftswertung. Ab 1994 gab es nur noch den Achtkampf/später Neunkampf, der auch nur eine Sache der Mehrkampfspezialisten ist.
Im weiblichen Bereich gab es die gleichen bzw. ähnliche strukturelle Veränderungen.
Zur Kompensation gibt es seit 1988 das Konstrukt der Blockmehrkämpfe in 3 Disziplinblöcken, zu denen in allen 3 Fällen der Sprint, Hürdensprint und Weitsprung gehört. Die Grundidee, die man sich dabei gedacht hat, war die, dass man der Schnelligkeit und dem Koordinationsvermögen, trainingsmethodisch eine überragende Transferbedeutung für andere Disziplinen beigemessen hat. Daran ist vom Grundsatz her nichts falsch.
Erreicht man aber mit diesem Ansatz in der Praxis denn wirklich das eigentliche Ziel?
Ist es nicht so, dass gerade der Hürdenlauf für viele Athletinnen und Athleteten eher ein Ausschlusskriterium für den Mehrkampf darstellen, weil viele ihre "Angst" vor der Hürdenüberquerung leider nie ganz verlieren oder allenfalls in einer Technik, die man bestenfalls als Hürdensprünge umschreiben kann, an die Sache herangehen.
Für solche Aktive ist der BM also eine wesentlich anspruchsvollere (und damit eher abschreckendere Variante) als der frühere Fünfkampf.
Wenn der Ansatz der BM stimmen würde, müssten wir doch besonders in den 3 Grunddisziplinen (Sprint, Hürdensprint, Weitsprung) ganz anders dastehen. Tatsache ist: Der Hürdensprint gehört männlich und weiblich seit vielen Jahren zu den größten Sorgendisziplinen der deutschen Leichtathletik. Viele Weitspringer/innen verfügen nicht einmal über einen stabilen Anlauf und produzieren fast mehr ungültige als gültige Sprünge. Das ist doch die wichtigste Basis für gute Ergebnisse in dieser Disziplin! Wenn nicht einmal das funktioniert, muss man doch die Sinnhaftigkeit der BM hinterfragen.
An dieser Stelle, muss auch die Frage gestellt werden: Ist das Beherrschen des Hürdenlaufs für spätere Mittel- und Langstreckenläufer oder Werfer später wirklich von essentieller Bedeutung für ihre Leistungsentwicklung?
Ich sehe die weitgehende Abschaffung des Fünfkampfes und die Einführung der Blockwettkämpfe in der Praxis bei Weitem nicht so positiv wie vermutlich viele Andere hier im Forum, die die theoretischen trainingsdidaktischen Vorteile isoliert in den Vordergrund stellen.
Meines Erachtens gibt es also "hausgemachte" Probleme in der Leichtathletik, die an anderer Stelle auch mit anderen Beispielen zu strukturelle Ansatzpunkten verdeutlicht wurden. Beispiele: falsches Kadersystem mit Nadelöhr vom Jugend- in den Männer/Frauenbereich, finanzielle Unterstützung zum falschen Zeitpunkt, Qualifikationsmodus zu DM, weitgehende Wegrationalisierung/fehlende Anerkennung für Athleten, die nicht der absoluten Spitze angehören, und Einiges mehr.
Ein guter Weg Erkenntnisse zu gewinnen, wäre es m. E. nach wie vor, die Aktiven selbst zu hören. Wo sehen sie die Hauptprobleme der Leichtathletik? Was hat bei "Ehemaligen" zum Karriereende geführt?