11.01.2025, 23:08
(11.01.2025, 20:38)MikeStar schrieb:(11.01.2025, 19:41)Reichtathletik schrieb: Ich würde mir wünschen, dass was für physische Verletzung gilt genauso akribisch mit Blick auf Kindeswohl, psychische Entwicklung von Jugendlichen und im besten Fall oben drein noch demokratisch-tollerante in der Leichtathletik gelebt würde.
Nicht nur Turner und Handballer haben große Probleme in ihrem Sport
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Psyche ein enorm komplexes Ding ist und im Jugendalter in Kombination mit Leistungssport es sehr schwierig sein kann sowohl für Trainer als auch für Sportler den richtigen Weg zu finden.
Ich habe in meiner Jugend höchstklassig Fußball gespielt und hatte u.a. einen Trainer, dessen Methoden grenzwertig waren. Aber was mir z.B. psychisch massiv zugesetzt hat, war für andere in meiner Mannschaft vollkommen normal und motivierend.
Umgekehrt gab es Methoden und Umgangsformen bei anderen Trainern, die andere Spieler fertiggemacht haben, während das Umfeld dies für normal gehalten hat.
Viele Trainings-Methoden aber auch Umgangsformen, die für uns normal waren würden in der heutigen Zeit bei vielen Leuten für Aufschreie sorgen, während andere dies für den Leistungssport notwendig halten.
Ich stelle mal die These auf, dass viele Trainer (im leistungsorientierten Amateursport vermutlich sogar die meisten) psychologisch nicht oder nur unzureichend geschult sind. Auf der anderen Seite kann glaube ich es auch, dass es auch nicht möglich ist es allen recht zu machen.
Ich habe z.B. eine Trainerkarriere abgelehnt, weil ich - obwohl psychologisch geschult - mich nicht in der Lage sähe, menschlich angemessen mit Sportlern umzugehen, bzw. im Zweifel den Erfolg vor die Menschlichkeit stellen würde, also genau das machen würde, was ich an manchen meiner Trainern gehasst habe.
Das ist aus meiner Sicht ein sehr guter und berechtigter Einwand.
Ich habe größten Respekt vor Gertruds nicht zu bremsender Motivation und ihrer Bereitschaft trotz ihres Alters akribisch bis aufs letzte Quantum in jede medizinische Thematik einzusteigen und zu forschen. Und ich bin auch überzeugt, dass sie absolut Recht damit hat, das sowohl im Spitzenbereich als auch schon beim Nachwuchs leider große Defizite im Bereich Verletzungsprophylaxe herrschen und wir hier ganz viel Verbesserungpotenzial bislang nicht nutzen.
Gleiches gilt mE aber auch für die psychologische Situation, sowohl wieder in der Spitze als auch im Nachwuchsbereich.
Sowohl bei der Erschliessung von Leistungsreserven als auch bei der Vermeidung von vielen frühen Drop-outs könnte viel erreicht werden, wenn große Teile der aktiven Betreuer-Szene wenigstens ein gewisses Grundverständnis von Psychologie und Psychotherapie aufweisen würden.
Empirisch abgeschätzt würde ich sagen, dass ca. 30-50% der AthletInnen mit neurotischen Störungen in mehr oder weniger ausgeprägter Form zu tun haben, die sie in irgendeiner Weise einschränken, entweder direkt in der Leistungsentwicklung oder aber im Trainer/Athleten-Verhältnis.
Für die Betroffenen (sowohl Trainer als auch Sportler) ist das idR gar nicht wahrnehmbar und schon gar nicht veränderbar. Man erkennt es eben leider oft nur als gut ausgebildeter Experte auf diesem Gebiet.
Meist sind die zugrundeliegenden Ursachen ja auch gar nicht im Sport selbst zu suchen, sondern liegen vielmehr in frühkindlichen traumatisierenden Erlebnissen. Der Trainer kann daran auch nichts mehr ändern. Aber er kann damit mehr oder weniger gut umgehen.
Standard ist leider heute noch, dass die TrainerInnen (selbst die meisten ausgebildeten Pädagogen zeigen mE hier starke Defizite) nur wenig Bereitschaft zu zeigen, individuelle Zugänge zu ihren AthletiInnen und ihren Themen zu suchen. Wer nicht ins Muster passt oder sich anpassen will, soll sich doch besser einen anderen Trainer suchen. Es kann aber nicht funktionieren, wenn der Trainer die individuellen psychischen Bedürfnisse seiner SportlerInnen nicht bedient. Da kann er fachlich noch so gut sein. Maximal wird bei offensichtlichen Problemen ein Sportpsychologe hinzugezogen. Oft ist das aber auch nicht erfolgreich, vielmehr wäre tiefgreifende Körperpsychotherapie angesagt.
Ich kenne viele Beispiele, wo hochtalentierte SportlerInnen in ihrer Entwicklung massiv beinträchtigt wurden, oft auch trotz mehrerer Trainerwechsel. Leider ist, von außen betrachtet, auch das subjektive Empfinden der SportlerInnen hier nicht immer valide. Oft wird ein Trainerwechsel zuerst als sehr positiv empfunden, wenn der neue Trainer ein vertrautes Vermeidungsschema des neurotisch gestörten Sportlers passend bedient. Dann beginnt die Geschichte aber nur wieder von vorn.
Ich weiß, dass man dies von einem oft ehrenamtlich arbeitendem Trainer nicht erwarten kann, dass er hier therapeutische Fähigkeiten mitbringt, für die Fachleute viele Jahre Ausbildung und Erfahrung benötigen. Gleiches gilt auch bezüglich der von Gertrud angeführten tiefgehenden anatomischen Kenntnisse.
Auch wenn es einer Herkulesaufgabe für uns alle bedeutet, bin ich aber davon überzeugt, dass die deutsche Leichtathletik mittelfristig einen exorbitanten Aufschwung nehmen könnte, wenn man beides, sowohl die von Gertrud gepushte, höchst akribische "körperliche Prophylaxe" als auch die psychotherapeutische Begleitung unserer Sportler auf ein neues Niveau bringen könnte. Da liegt meines Erachtens mehr Potential als im exzessiven Suchen nach der letzten Promille an Reserve im Krafttraining oder real kaum umsetzbaren biomechanischen Impacts auf die Technikbilder.
Dies alles bei TrainerInnen zu verorten halte ich (vll. im Gegensatz zu Gertrud) für nicht erwartbar und darstellbar. Daher sollte auf dieser Ebene vielmehr eine Sensitivität und ein Bewusstsein für beide kritischen Felder geschaffen werden und gleichzeitig im Hintergrund sozusagen ein "Backoffice", eine Unterstützungsebene von Fachleuten, die nicht nur an OSPs, sondern in der Breite zur Verfügung stehen, etabliert. Das kostet Geld, nicht wenig.
Aber wir haben ja gerade damit begonnen, uns Gedanken zu machen, wo an anderer Stelle gespart werden kann. Ich bin z.B. von Haus aus auch begeisterter Biomechaniker. Dennoch bin ich der Meinung, dass man kritisch hinterfragen muss, ob all die Investitionen auf diesem Gebiet in den letzten 2 Jahrzehnten wirklich viel Mehrwert generiert haben. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, den ein oder anderen Euro eher in die Psychologische Aufklärung zu stecken.
Abschliessend nach dieser ewig langen Meinungsäußerung noch ein Beispiel:
Ich schaue subjektiv aus meiner Sicht auf Louisa Grauvogel. Ich kenne sie persönlich nicht.
Ich bin überzeugt, dass sie von Gertrud auf der trainingsmethodischen und verletzungsprophylaktischen Seite so gut bedient worden ist, wie es niemand sonst in Deutschland aktuell hätte leisten können. Aber es hat letztlich nicht zum Erfolg geführt, auch weil mE der offenbar schwierige psychologische Aspekt in dieser Zusammenarbeit nicht optimal gestaltet war. Ich betreibe dazu keine Ursachenforschung oder Schuldzuweisung, da ich auch die Hintergründe über das was in de Presse zu lesen war hinaus nicht kenne. Aber möglicherweise hätte dieses Defizit durch Unterstützung und Vermittlung von entsprechend ausgebildeten Fachleuten (und ich meine hier keine Sportpsychologen) beseitigt werden können und Louisa hätte ihr volles Potential entfalten können.
Jetzt reicht es aber... noch einen guten Abend.
