28.07.2023, 07:05
(27.07.2023, 23:05)Tom1966 schrieb: Moin in die Runde,Sehr guter Post, der sich in den Erkenntnissen/Vermutungen mit meinen deckt.
schön, dass der Diskurs wieder im Gang ist, er hatte etwas die Richtung verloren...
Die ursprüngliche Problemstellung von siebenschläfer war ja,
-dass De in der absoluten Spitze hinterherläuft
-und in der Breite der Spitze Probleme hat
Erklärungsversuche, dass den Athleten der Biss fehle oder sie sich mehr mit ihrem medialen Auftritt als dem Training beschäftigen, führen wohl kaum weiter. Wer heute als junger Mensch täglich trainiert und sich gerade in der Leichtathletik dem Wettbewerb stellt, ist genauso ernsthaft bei der Sache und motiviert wie die Athleten vor 20 oder 40 Jahren - Generation Z hin oder her.
Ich habe mich mal der Mühe unterzogen, zumindest innerhalb De etwas Empirik zu betreiben, denn man könnte die Fragestellung ja erweitern auf die chronologische Entwicklung der Zeiten innert De einerseits und den Abstand der De Spitze zur internationalen Spitze andererseits. Letzteres wäre aber ein deutlich höherer Aufwand, zu vergleichbaren Zahlen zu kommen (kann ja jemand anderes machen). Ich führe die Datenpakete für De im folgenden auch nur ausschnitthaft an (bin zu faul zum Abschreiben). Ich bin mir auch bewusst, dass das eine ganz grobe Näherung ist, sie ist dennoch aufschlußreich.
1. Meine Datengrundlagen sind stichpunktartig die Jahre 2001 und 2022 (leider fehlten mir die Bestenlisten aus den 1980er Jahren), in der
U18
U20
U23
jeweils M und W
jeweils 800 m - 3000 m bzw. 5000 m und jeweils die 10 besten Leistungen des Jahres
Als weitere Bezugsebene habe ich die ewige bundesdeutsche Bestenliste vergleichend betrachtet.
In der ewigen Bestenliste habe ich unter den jeweils 10 Besten zusätzlich die Anzahl der Leistungen vor 2000 und nach 2000 betrachtet und ausgezählt.
Die U23 ist natürlich für die internationale Fragestellung irrelevant, da die Spitze auf den Mittelstrecken bereits aber der U20 mächtig nach vorn geht. Der Vergleich bringt im Grunde nichts.
2. Ergebnisse
-das Niveau der Leistungen in den jeweiligen Altersstufen ist in der Breite erstaunlich oft vergleichbar, sowohl bei M wie W
-zu den Ausreißern gehören die Männer in der U18, die 2022 deutlich schlechter abschneiden als 2001
-bei den Frauen sind die U20 im Jahr 2022 tendentiell besser als 2001
-ich vermute aus der Erinnerung heraus, dass sich die Werte der 1980er Jahre auch nicht sonderlich unterscheiden
-die ewige Bestenliste zeigt sowohl bei M wie W deutlich auf, dass die absolute Spitze vor 2000 deutlich besser war als nach 2000 (Ausnahme K. Klosterhalfen):
Männer
800 m 1:43,65 - 1:44,72 1978-2000 (7) 2001-2023 (3)
1500 m 3:31,58 - 3:33,74 1980-2000 (7) 2001-2023 (3)
3000 m 7:30,50 - 7:45,05 1977-2000 (6) 2001-2023 (4)
5000 m 12:54,70 - 13:13,88 1976-2000 (7) 2021-2023 (3)
Frauen
800 m 1:55,26 - 1:57,57 1976-2000 (10) 2001-2023 (0)
1500 m 3:57,71 - 4:01,4 1976-2000 (9) 2001-2023 (1)
3000 m 8:20,07 - 8:44,65 1982-2000 (7) 2001-2023 (3)
5000 m 14:26,76 - 15:07,62 1991-2000 (5) 2001-2023 (5)
Das bedeutet natürlich auch, dass sich bei M und W der Abstand zur internationalen Spitze bis heute noch einmal eklatant vergrößert hat.
3. Fazit
Wenn man unterstellt, dass die Rahmenbedingungen (Sportstätten, Vereine, Physio, medizinische Btereuung, Leistungsdiagnostik) und Lebensumstände, die Ernährung und das Material vor und nach 2000 vergleichbar waren bzw. sich eher im Laufe der Zeit verbessert haben, geht der Blick natürlich in Richtung Trainingskonzepte.
Die Auswertung hinterlegt ja nur das, was ohnehin auf der Hand liegt - und bedeutet, dass die Trainingskonzepte sich jedenfalls nicht zum Positiven entwickelt haben können.
Wenn ich an meine Aktivenzeit in den 1980ern zurückdenke, erstaunt mich das doch sehr. Umso mehr, als es ja Länderunterschiede gibt. Man denkt direkt an ein systemisches Problem, aber dazu fehlen mir jedwede Einblicke, um das beurteilen zu können.
Unsere damaligen Probleme der Trainingskonzepte (die die meisten meiner Mitstreiter und mich selbst nach der U20 abgeschossen haben) waren aus der Erinnerung:
-keine vernünftige Periodisierung
-kein systematischer Saisonaufbau
-Gruppentraining nach Rahmentrainingsplan (selbst für Platzierte bei DM Jugend), dh keine ausreichende Individualisierung
-TL nicht nach Zielzeiten, sondern nach den Gruppenschnellsten oder nach Gefühl (oftmals "all in")
-damit war das Training der Wettkampf
-keine ausreichende Modulierung der Belastung: nach harten Bahnprogrammen am nächsten Tag DL-Programme in 3:40er-4:00-Schnitt über 2 x 10 oder 15 Km bzw. das gesamte Pensum Ausdauergrundlage einheitlich zu schnell
Der letzte Punkt erscheint mir heute der eklatanteste zu sein.
Nach diesem etwas unsortierten, aber hoffentlich verständlichen Erguß wünsche ich allseits guats Nächtle,
Tom
Wie du bereits sagst, kann es nicht am Talent oder Willen liegen. Es gibt keinerlei Grundlage anzunehmen, dass die Athleten von heute weniger talentiert sind. Vermutlich haben wir weniger Talente durch die bekannte Breiten-Spitzen-Thematik. Dennoch sind Toptalente zur Genüge vorhanden.
Hinzu kommt, und hiermit lehne ich mich weit aus dem Fenster, dass man nicht zwingend bis in die Haarspitzen talentiert sein muss, um 1:46/45/44 zu laufen. Meiner Meinung nach ist der Weg nur ein anderer als jener für ein Talent.
Dazu ist die Talentfrage auch immer eine müßige. Wer hat mehr Talent? Der Athlet, der wenig trainiert und sehr gute Ergebnisse liefert, bei höherer Intensität aber verletzt ist oder der Athlet, der viel trainieren muss, gleiche Ergebnisse (vielleicht sogar bessere liefert) aber sehr belastbar zu sein scheint?
Ich sehe in GER diesen Begriff leider zumeist über Ersteres definiert.
Das Thema "Wille" möchte ich gar nicht aufgreifen. Wer sich in der heutigen Zeit entscheidet den Weg des Trainings dieser harten Strecken zu gehen wird Willen mitbringen.
Drei Dinge bleiben für mich übrig, die ich für mich einfach mal ganz unprofessionel aus dem Bauch heraus Gewichten wollen würde:
- Trainingsmethodik (50%)
- Gesellschaft (30%)
- Ernährung (20%)
Ich würde hierauf gerne näher eingehen, habe aber aktuell gerade etwas wenig Zeit und tippe mir die Finger am Handy wund.
Ein anderes Mal.

). Ich bin mir auch bewusst, dass das eine ganz grobe Näherung ist, sie ist dennoch aufschlußreich.