15.02.2024, 17:58
Und auf jeden Fall noch diese schöne Geschichte aus dem Wiener Prater!
Vollständig unter: https://boerse-social.com/2019/09/17/die...marathon_1
Am 11. Juni 1978 vermeldete die Nachrichtenagentur Agence France Press um 16.20 Uhr über Fernschreiben in aller Welt mit einer Eilmeldung einen neuen Weltrekord im 10.000-m-Lauf. Dieses AFP-„Bulletin“ war mit dem Hinweis auf „athletisme“ und gleich vier Klingelzeichen versehen. Eine Art Alarm, womit in den Redaktionen auf eine Sensation aufmerksam gemacht wurde. Die es wahrhaft war. Der Nachrichten-Flash, den ich in den Bergen von Rono-Unterlagen in meinem Archiv gut hüte, lautete: „Der Kenianer Henry Rono hat Sonntag in Wien über 10.000 m in 27:22,47 einen neuen Weltrekord aufgestellt.
So wurde die ganze Welt blitzschnell über die unfassbare Laufsensation auf dem Cricketer Platz im Prater informiert. Eine Sternstunde in der Leichtathletik-Geschichte auf österreichischem Boden. Ein Weltrekord mit einer heißen, interessanten Vorgeschichte und einer zähen, fast bitteren Nachgeschichte bis zur endgültigen Anerkennung durch den Leichtathletik-Weltverband. 1978 war das Jahr des Henry Rono, in welchem er binnen 81 Tagen vier Weltrekorde aufstellen sollte. Am 8. April hatte er in Berkeley über 5000 m in 13:08,4 einen 5000-m-Weltrekord erzielt, am 13. Mai folgte in Seattle der Hindernis-Rekord in 8:05,4.
Danach kam Wien ins Spiel. Mein Kollege Robert Hartmann, damals der mit Abstand beste Kenner der Leichtathletik Kenias, Freund der afrikanischen Weltklasseläufer, erzählte Kurt Schmid, dass Rono dringend ein 10.000-m-Rennen suche. Der leider so früh verstorbene Schmid, selbst Leichtathletik-Trainer und beim ORF-Sport tätig, reagierte blitzschnell. Er organisierte mit Leopold Kascha ein Meeting für den 11. Juni auf dem Cricketer Platz. Schmid stellte auf eigenes Risiko ein Weltklassefeld von 14 Läufern zusammen. Dann meldete sich, wie sich Kascha erinnert, „die Neidgenossenschaft zu Wort“: „Jene Veranstalter von großen Meetings wie London oder Stockholm, die es verabsäumt hatten, bei ihren Veranstaltungen Rono Gelegenheit zu geben, den fehlenden 10.000 m-Weltrekord zu laufen, streuten Gerüchte aus, in Wien fände ein Straßenlauf statt, die Anlage wäre nicht rekordreif und ähnliche Sachen.“ Die Rede war von einem „Wald- und Wiesensportfest“. Einer nach dem anderen Teilnehmer sprang ab, Markus Ryffel aber verletzungsbedingt. Am Ende blieben vier Läufer übrig: neben Henry Rono der als Tempomacher engagierte Stundenweltrekordler Jos Hermens, jetzt als Chef von Global Sports Communication für das Management von Eliud Kipchoge verantwortlich, der Kolumbianer Domingo Tibaduiza sowie Ronos Freund und Landsmann Joel Cheruyiot.
Kurt Schmid hatte einen idealen Termin für das 10.000-m-Rennen auf dem Cricketer Platz ausgehandelt – und zwar in der Pause des Vorrundenspiels der Fußball-WM 1978 zwischen Brasilien und Österreich in Mar del Plata (das Brasilien 1:0 für Brasilien gewann). Alles war angerichtet. Aber großes Bangen, bis Rono, aus den USA über London kommend, mit einem Tag Verspätung wirklich in Wien war. Norbert Wallauch schrieb damals über Ronos Ankunft in Schwechat in der Kronen Zeitung: „Minutenlang Herzklopfen, denn unter den Passagieren, die gestern um 13.45 Uhr die Maschine aus London verließen und auf ihr Gepäck warteten, fehlten Rono und Cheruiyot.“ Die beiden Afrikaner saßen „verschüchtert“ im Zollraum, wurden nicht durchgelassen, „weil sie weder Geld noch Visum besaßen. Dann freilich ging alles völlig unbürokratisch.“ Eine knappe Stunde später konnten die beiden schon erste Runden auf dem Cricketer Platz drehen. Alles war gerichtet. „Das Wetter war beinahe ideal mit 22 Grad und 51 Prozent Luftfeuchtigkeit. Der Cricketer Platz ist von Bäumen umstanden, deswegen störte der Wind nicht übermäßig. Rono begann, sich 50 Minuten vor dem Start aufzuwärmen. Weiß Gott nichts Besonderes im Programm. Zehn Minuten vor dem Start legte er sich an die Stabhochsprungmatte, legte die Beine nach oben und die Hände auf die Augen, und in dieser Konzentration verharrte er einige Minuten lang“, schilderte Robert Hartmann im „Kaleidoskop“ der deutschen Leichtathletik die Minuten vor dem Rennen auf der neuen Kunststoffbahn.
Hartmann, der an der 200-m-Marke stand und dort die Zwischenzeiten nahm, über den Verlauf des Rennens: „Während der ersten Runden hing Rono oft fünf und mehr Meter hinter dem kleinen Feld zurück.“ Dazu Rono: „Du mußt am Anfang entspannen. Du kannst nicht 25 Runden führen.“ Hermens stieg laut Hartmann überraschend schon nach 3400 m aus (laut offiziellem Wettkampfprotokoll nach 3000 m). „Dadurch schien er die anderen dermaßen verwirrt zu haben, daß sie auf die zweitlangsamste Runde überhaupt zurückfielen, auf 69,4.“ Rono nahm bei 5000 m die Spitze. Die immer wieder erzählte Story: Rono verstand die Zwischenzeit von 13:48,2 als 13:38, dachte er sei zu schnell und, so Hartmann, „zögerte er noch ein bißchen beim forschen Ausgreifen seiner Schritte“. Gegen Ende des Laufes war klar, dass Rono die Sensation schaffen würde. Leopold Kascha: „In der letzten Runde wurden wir alle narrisch, als wir sahen, dass der Weltrekord klappt.“ Laut „Wettkampfbericht“ aus dem Archiv Reinhard Uhlich waren ca. 600 Zuschauer zugegen, war es bei 25 Grad Celsius bewölkt und „leicht windig“, lautete die offizielle Siegerzeit 27:22,47min Nobby Wallauch zu der Stimmung nach dem Weltrekord: „Wenig später war die Laufbahn überschwemmt von Zuschauern, man klopfte ihm auf die Schultern, man drückte ihm die Hände, dass dem unscheinbaren und doch so großen Läufer angst und bange wurde. Die Begeisterung hatte jeden gepackt. Weltrekord in seinem erst dritten 10.000-m-Rennen!“ Rono: „Eigentlich laufe ich die Strecke gar nicht so gerne, viel lieber nur die 5000 Meter.“ Schmid erinnerte sich immer gerne an die improvisierte Rekordfeier in einem Restaurant am Gürtel: „Rono hatte nur einen Wunsch – ein Glas warme Ziegenmilch. Der Hotelmanager habe damals irgendwo diese Milch aufgetrieben…“
Weltweit sorgte Wien und damit Ronos unglaubliche Rekordjagd natürlich für Aufsehen, da war die Rede von „Rono, dem Naturereignis“ (sport-informations-dienst, Düsseldorf), überall gab es Vergleiche zu Paavo Nurmi, Leichtathletik-Chefredakteur Heinz Vogel schrieb, „nach Wien gehen wir unweigerlich auf die Traumgrenze von 27 Minuten zu“, Robert Parienté, damals mit Heinz Vogel einer der führenden Leichtathletik-Experten der Welt, überschlug sich in der L´Equipe ungewohnt mit Superlativen, Robert Hartmann schwärmte vom „grenzenlosen Rono“, Rolf Kunkel schrieb in der FAZ über Ronos Aufstieg („Seinem Milieu mit Riesenschritten entlaufen“), Lutz Maurer begeisterte sich im Sport Zürich („Der Mann, der nicht langsam laufen kann!“), als „Thema des Tages“ schrieb ich im sport-informations-dienst (sid) über „Herrn Kipwanbok“ und die Tatsache, dass - ähnlich wie bei Pelé (Edson Arantes do Nascimento) - der könnte volle Name des neuen Wunderläufers kein Begriff war, nämlich Henry Rono Kipwanbok. Und schrieb, was „Rono“ bedeutet. Nämlich eine Tageszeit. „Wenn die Ziegen nach Hause getrieben werden.“ Wie Hartmann präzisierte: „Gegen 18 Uhr ungefähr, denn kurz vor 19 Uhr wird es schnell dunkel.“ Ronos vierter Rekordstreich 1978 folgte am 27. Juni in Oslo über 3000 m in 7:32,1. Damit hatte er binnen 81 Tagen die Weltrekorde über 5000 m (8. April), 3000 m Hindernis (13. Mai), 10.000 m (11. Juni) und 3000 m gebrochen – eine Rekordserie, die bis heute unerreicht ist.
Zu diesem Zeitpunkt bahnte sich schon ein großes Theater um die Anerkennung von Henry Ronos Wiener 10.000-m-Zeit als Weltrekord an. Was war geschehen? Tatsache ist, dass es von dem Rennen kein Zielfoto gibt. Die Zielfotografie war ausgefallen, was ein monatelanges Nachspiel verursachte. Die Formulare zur Anerkennung des Weltrekordes, die die IAAF nach Wien geschickt hatte, seien, wie Kurt Schmid immer wieder erzählt hatte und Robert Hartmann auch in einem Artikel über „Querelen um Ronos Rekord“ schrieb, erst einmal „auf der Geschäftsstelle des ÖLV liegen gelassen“. Da „schlummerten“ sie angeblich vor sich hin. In dieses Bild passt auch, dass in der Österreichischen Leichtathletik (7/78) nur eine lächerlich kleine Notiz über den Weltrekord erschien. Schließlich aber wurde das Protokoll bei der IAAF gemäß des Ergebnisberichtes von der „Sektion Leichtathletik des Vienna Cricket and Football-Clubs“ vom 11. Juni 1978 auf dem „Cricketer Platz in Wien“ eingereicht. Und zwar mit der Weltrekordzeit von 27:22,47 – ausdrücklich mit dem Hinweis: „Die Zeitnehmung erfolgte vollelektrisch.“ Bei einer vollelektronischen Zeitmessung, so beharrte die IAAF aber in den folgenden Monaten immer wieder, müsse auch ein Zielfoto vorgelegt werden. Dieses lag aber, wie gesagt, nicht vor. IAAF-Funktionäre hätten laut Hartmann deshalb weiterhin von einem „Kirmesrennen“ gesprochen und forderten weitere Beweise zur Weltrekordanerkennung an. Dank Kurt Schmid wurde die komplette ORF-Aufzeichnung des Rennens an die IAAF geschickt. Daraus konnte man, wie Schmid schon am Tag des Laufes wusste, jene 27:22,47 ermitteln, die auch schon als Weltrekordzeit um die Welt gegangen waren. Die IAAF beharrte noch Anfang Februar 1979 auf ein Zielfoto.
RIP!
Vollständig unter: https://boerse-social.com/2019/09/17/die...marathon_1
Am 11. Juni 1978 vermeldete die Nachrichtenagentur Agence France Press um 16.20 Uhr über Fernschreiben in aller Welt mit einer Eilmeldung einen neuen Weltrekord im 10.000-m-Lauf. Dieses AFP-„Bulletin“ war mit dem Hinweis auf „athletisme“ und gleich vier Klingelzeichen versehen. Eine Art Alarm, womit in den Redaktionen auf eine Sensation aufmerksam gemacht wurde. Die es wahrhaft war. Der Nachrichten-Flash, den ich in den Bergen von Rono-Unterlagen in meinem Archiv gut hüte, lautete: „Der Kenianer Henry Rono hat Sonntag in Wien über 10.000 m in 27:22,47 einen neuen Weltrekord aufgestellt.
So wurde die ganze Welt blitzschnell über die unfassbare Laufsensation auf dem Cricketer Platz im Prater informiert. Eine Sternstunde in der Leichtathletik-Geschichte auf österreichischem Boden. Ein Weltrekord mit einer heißen, interessanten Vorgeschichte und einer zähen, fast bitteren Nachgeschichte bis zur endgültigen Anerkennung durch den Leichtathletik-Weltverband. 1978 war das Jahr des Henry Rono, in welchem er binnen 81 Tagen vier Weltrekorde aufstellen sollte. Am 8. April hatte er in Berkeley über 5000 m in 13:08,4 einen 5000-m-Weltrekord erzielt, am 13. Mai folgte in Seattle der Hindernis-Rekord in 8:05,4.
Danach kam Wien ins Spiel. Mein Kollege Robert Hartmann, damals der mit Abstand beste Kenner der Leichtathletik Kenias, Freund der afrikanischen Weltklasseläufer, erzählte Kurt Schmid, dass Rono dringend ein 10.000-m-Rennen suche. Der leider so früh verstorbene Schmid, selbst Leichtathletik-Trainer und beim ORF-Sport tätig, reagierte blitzschnell. Er organisierte mit Leopold Kascha ein Meeting für den 11. Juni auf dem Cricketer Platz. Schmid stellte auf eigenes Risiko ein Weltklassefeld von 14 Läufern zusammen. Dann meldete sich, wie sich Kascha erinnert, „die Neidgenossenschaft zu Wort“: „Jene Veranstalter von großen Meetings wie London oder Stockholm, die es verabsäumt hatten, bei ihren Veranstaltungen Rono Gelegenheit zu geben, den fehlenden 10.000 m-Weltrekord zu laufen, streuten Gerüchte aus, in Wien fände ein Straßenlauf statt, die Anlage wäre nicht rekordreif und ähnliche Sachen.“ Die Rede war von einem „Wald- und Wiesensportfest“. Einer nach dem anderen Teilnehmer sprang ab, Markus Ryffel aber verletzungsbedingt. Am Ende blieben vier Läufer übrig: neben Henry Rono der als Tempomacher engagierte Stundenweltrekordler Jos Hermens, jetzt als Chef von Global Sports Communication für das Management von Eliud Kipchoge verantwortlich, der Kolumbianer Domingo Tibaduiza sowie Ronos Freund und Landsmann Joel Cheruyiot.
Kurt Schmid hatte einen idealen Termin für das 10.000-m-Rennen auf dem Cricketer Platz ausgehandelt – und zwar in der Pause des Vorrundenspiels der Fußball-WM 1978 zwischen Brasilien und Österreich in Mar del Plata (das Brasilien 1:0 für Brasilien gewann). Alles war angerichtet. Aber großes Bangen, bis Rono, aus den USA über London kommend, mit einem Tag Verspätung wirklich in Wien war. Norbert Wallauch schrieb damals über Ronos Ankunft in Schwechat in der Kronen Zeitung: „Minutenlang Herzklopfen, denn unter den Passagieren, die gestern um 13.45 Uhr die Maschine aus London verließen und auf ihr Gepäck warteten, fehlten Rono und Cheruiyot.“ Die beiden Afrikaner saßen „verschüchtert“ im Zollraum, wurden nicht durchgelassen, „weil sie weder Geld noch Visum besaßen. Dann freilich ging alles völlig unbürokratisch.“ Eine knappe Stunde später konnten die beiden schon erste Runden auf dem Cricketer Platz drehen. Alles war gerichtet. „Das Wetter war beinahe ideal mit 22 Grad und 51 Prozent Luftfeuchtigkeit. Der Cricketer Platz ist von Bäumen umstanden, deswegen störte der Wind nicht übermäßig. Rono begann, sich 50 Minuten vor dem Start aufzuwärmen. Weiß Gott nichts Besonderes im Programm. Zehn Minuten vor dem Start legte er sich an die Stabhochsprungmatte, legte die Beine nach oben und die Hände auf die Augen, und in dieser Konzentration verharrte er einige Minuten lang“, schilderte Robert Hartmann im „Kaleidoskop“ der deutschen Leichtathletik die Minuten vor dem Rennen auf der neuen Kunststoffbahn.
Hartmann, der an der 200-m-Marke stand und dort die Zwischenzeiten nahm, über den Verlauf des Rennens: „Während der ersten Runden hing Rono oft fünf und mehr Meter hinter dem kleinen Feld zurück.“ Dazu Rono: „Du mußt am Anfang entspannen. Du kannst nicht 25 Runden führen.“ Hermens stieg laut Hartmann überraschend schon nach 3400 m aus (laut offiziellem Wettkampfprotokoll nach 3000 m). „Dadurch schien er die anderen dermaßen verwirrt zu haben, daß sie auf die zweitlangsamste Runde überhaupt zurückfielen, auf 69,4.“ Rono nahm bei 5000 m die Spitze. Die immer wieder erzählte Story: Rono verstand die Zwischenzeit von 13:48,2 als 13:38, dachte er sei zu schnell und, so Hartmann, „zögerte er noch ein bißchen beim forschen Ausgreifen seiner Schritte“. Gegen Ende des Laufes war klar, dass Rono die Sensation schaffen würde. Leopold Kascha: „In der letzten Runde wurden wir alle narrisch, als wir sahen, dass der Weltrekord klappt.“ Laut „Wettkampfbericht“ aus dem Archiv Reinhard Uhlich waren ca. 600 Zuschauer zugegen, war es bei 25 Grad Celsius bewölkt und „leicht windig“, lautete die offizielle Siegerzeit 27:22,47min Nobby Wallauch zu der Stimmung nach dem Weltrekord: „Wenig später war die Laufbahn überschwemmt von Zuschauern, man klopfte ihm auf die Schultern, man drückte ihm die Hände, dass dem unscheinbaren und doch so großen Läufer angst und bange wurde. Die Begeisterung hatte jeden gepackt. Weltrekord in seinem erst dritten 10.000-m-Rennen!“ Rono: „Eigentlich laufe ich die Strecke gar nicht so gerne, viel lieber nur die 5000 Meter.“ Schmid erinnerte sich immer gerne an die improvisierte Rekordfeier in einem Restaurant am Gürtel: „Rono hatte nur einen Wunsch – ein Glas warme Ziegenmilch. Der Hotelmanager habe damals irgendwo diese Milch aufgetrieben…“
Weltweit sorgte Wien und damit Ronos unglaubliche Rekordjagd natürlich für Aufsehen, da war die Rede von „Rono, dem Naturereignis“ (sport-informations-dienst, Düsseldorf), überall gab es Vergleiche zu Paavo Nurmi, Leichtathletik-Chefredakteur Heinz Vogel schrieb, „nach Wien gehen wir unweigerlich auf die Traumgrenze von 27 Minuten zu“, Robert Parienté, damals mit Heinz Vogel einer der führenden Leichtathletik-Experten der Welt, überschlug sich in der L´Equipe ungewohnt mit Superlativen, Robert Hartmann schwärmte vom „grenzenlosen Rono“, Rolf Kunkel schrieb in der FAZ über Ronos Aufstieg („Seinem Milieu mit Riesenschritten entlaufen“), Lutz Maurer begeisterte sich im Sport Zürich („Der Mann, der nicht langsam laufen kann!“), als „Thema des Tages“ schrieb ich im sport-informations-dienst (sid) über „Herrn Kipwanbok“ und die Tatsache, dass - ähnlich wie bei Pelé (Edson Arantes do Nascimento) - der könnte volle Name des neuen Wunderläufers kein Begriff war, nämlich Henry Rono Kipwanbok. Und schrieb, was „Rono“ bedeutet. Nämlich eine Tageszeit. „Wenn die Ziegen nach Hause getrieben werden.“ Wie Hartmann präzisierte: „Gegen 18 Uhr ungefähr, denn kurz vor 19 Uhr wird es schnell dunkel.“ Ronos vierter Rekordstreich 1978 folgte am 27. Juni in Oslo über 3000 m in 7:32,1. Damit hatte er binnen 81 Tagen die Weltrekorde über 5000 m (8. April), 3000 m Hindernis (13. Mai), 10.000 m (11. Juni) und 3000 m gebrochen – eine Rekordserie, die bis heute unerreicht ist.
Zu diesem Zeitpunkt bahnte sich schon ein großes Theater um die Anerkennung von Henry Ronos Wiener 10.000-m-Zeit als Weltrekord an. Was war geschehen? Tatsache ist, dass es von dem Rennen kein Zielfoto gibt. Die Zielfotografie war ausgefallen, was ein monatelanges Nachspiel verursachte. Die Formulare zur Anerkennung des Weltrekordes, die die IAAF nach Wien geschickt hatte, seien, wie Kurt Schmid immer wieder erzählt hatte und Robert Hartmann auch in einem Artikel über „Querelen um Ronos Rekord“ schrieb, erst einmal „auf der Geschäftsstelle des ÖLV liegen gelassen“. Da „schlummerten“ sie angeblich vor sich hin. In dieses Bild passt auch, dass in der Österreichischen Leichtathletik (7/78) nur eine lächerlich kleine Notiz über den Weltrekord erschien. Schließlich aber wurde das Protokoll bei der IAAF gemäß des Ergebnisberichtes von der „Sektion Leichtathletik des Vienna Cricket and Football-Clubs“ vom 11. Juni 1978 auf dem „Cricketer Platz in Wien“ eingereicht. Und zwar mit der Weltrekordzeit von 27:22,47 – ausdrücklich mit dem Hinweis: „Die Zeitnehmung erfolgte vollelektrisch.“ Bei einer vollelektronischen Zeitmessung, so beharrte die IAAF aber in den folgenden Monaten immer wieder, müsse auch ein Zielfoto vorgelegt werden. Dieses lag aber, wie gesagt, nicht vor. IAAF-Funktionäre hätten laut Hartmann deshalb weiterhin von einem „Kirmesrennen“ gesprochen und forderten weitere Beweise zur Weltrekordanerkennung an. Dank Kurt Schmid wurde die komplette ORF-Aufzeichnung des Rennens an die IAAF geschickt. Daraus konnte man, wie Schmid schon am Tag des Laufes wusste, jene 27:22,47 ermitteln, die auch schon als Weltrekordzeit um die Welt gegangen waren. Die IAAF beharrte noch Anfang Februar 1979 auf ein Zielfoto.
RIP!
Alle Beteiligten, die Zuschauer nicht weniger als die Aktiven, nehmen Teil an der Zelebration des Ungewissen ...
(Martin Seel)