22.11.2015, 21:09
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 23.11.2015, 15:27 von icheinfachma.)
Zur Technik: Eine solide Technik zu erlernen ist nicht schwer, wie ich jetzt aus eigener Erfahrung und auch durch Beobachtung diverser anderer sagen kann. Vorausgesetzt ist einige Bewegungsfertigkeit und wie erwähnt die mentale Abgebrühtheit, um bei größter Anstrengung locker zu bleiben. Wer z.B. beim Armdrücken nebenbei erzählen und ganz ungezwungen lachen kann, anstatt das Gesicht zur Faust zu ballen, kann auch 200m lächelnd finishen. Es gibt auch viele Leichtathleten, die das Trainings absolvieren und trotzdem keine Lauftechnik beherrschen, die über die technische Grundschule hinausgeht. Man muss also ganz offenbar gewisse Fähigkeiten mitbringen. Aber es würde sich sicherlich auch vorteilhaft auswirken, wenn man früher beginnen würde, die Lauftechnik zu trainieren. Im von Gertrud verlinkten Artikel wurde dies für Jamaica erwähnt. Man lernt ja die Sprung-, Hürden- und einige Wurftechniken auch schon ganz früh. Im DLV-Buch "Aufbautraining Sprint" wird z.B. das Alter zwischen 11 und 13 als "Goldenes Lernalter" bezeichnet. Und was schlussfolgert das Buch (oder der Chef für Wissenschaft, Ausbildung und Trainerschule des DLV) daraus? Dass man die Techniken des Gewichthebens in diesem Alter lernen sollte, um später technische Fehler zu vermeiden!!! Die Technik des Sprints sollte der Sprinter im Aufbautraining (ab U16) allmählich erlernen. Spinne ich oder läuft da im DLV etwas ganz gewaltig schief? Warum schult man dann im "Goldenen Lernalter" nicht die Sprinttechnik bzw. fängt schon im Kindesalter damit an, so wie mit anderen Techniken? Man hat zwar seit 2009 mehr oder weniger erfolgreich das US-Technik-Know-How (und damit auch das Jamaicas) kopiert (laut DLV "entdeckt"; mein Kommentar: Reichlich zeitig.), aber die Strukturen der Kinder- und Jugendleichtathletik werden sich diesen neuen Erkenntnissen nur sehr langsam anpassen, weil eben viele Verantwortliche keine Leute sind, die nach der Verbesserung suchen, sondern die Tradition bewahren. Man sollte schon die Mischung aus beidem finden.
Was Bolt's Technik angeht (große Amplitude der Beckenrotationen in der Transversal-, Sagittal- und Frontalebene und Schrittlänge): Die Schrittlänge ist ein nicht unabhängig von der Schrittfrequenz zu betrachtendes Ergebnis sehr vieler Faktoren, vornehmlich aber des Bewegungsablaufes, weswegen die Schrittlänge als technisches und nicht als konditionelles Problem zu bewerten ist. Ich habe ein Interview von Glen Mills gelesen, dass ich in meiner Sammlung leider nicht mehr finde, keine Ahnung, wo es abgeblieben ist. Ich habe es aber online gefunden, ich glaube, auf speedendurance.com. Dort hat Mills über das Techniktraining geplaudert: Wie schon erwähnt, ist es nicht schwer, ein Techniktraining zu veranstalten, wenn man weiß, welche Übungen "einschlagen" und welche man verwerfen kann. Übungen gibt es viele, wirklich angewandt werden nur ein paar effektive, aber das sind auf der ganzen Welt dieselben. Interindividuelle Variationen inbegriffen. Der einzige Drill, den sich Mills wirklich selbst ausgedacht hat, waren "sticks", die er als Abstandsvorgeber auf die Bahn legte, Bolt musste durch sie laufen. Bolt hatte eine starke posteriore Beckenkippung und Oberkörerrücklage beim Laufen, was seine Hüftstreckung beeinträchtigte. Indem jeden Tag oder alle paar Tage, das habe ich vergessen, die Stäbe einen inch weiter auseinandergerückt wurden, mussten Bolts Schritt immer größer werden, das ging nur, indem er sich kräftiger vom Boden abstieß. Infolgedessen ging seine posteriore Beckenstellung verloren, korrigierte sich.
Man sieht die Spuren dieses Trainings deutlich in seiner Technik: Wie im Vergleich des Sprints mit dem Sprunglauf, wird in letzterem, um größere Flugweiten zu erreichen (was durch längere Flugzeiten und das wiederum durch größere Flughöhen), mehr Energie übertragen. Der Athlet hat in dem Moment nur soviel Kraft, wie er eben hat. Darum kann er mehr Energie nur durch längere Kontakzeiten erreichen. Die Spitzenkräfte sind nicht höher, aber durch die längere Einwirkzeit der Kräfte wird der Impuls (das Integral der Kraft in Abhängigkeit von der Zeit), die auf den Boden übertragen wird, größer. Längere Kontaktzeiten erfordern eine stärkere Knieamortisation, weil dann der Weg vom Initialbodenkontakt bis zum Verlassen des Bodens durch den Fuß auf dem Laufband oder auf der Bahn der Weg, den der Körperschwerpunkt während des Bodenkontaktes nimmt, länger ist. Die Frequenz wird durch die langen Bodenkontakzeiten stark herabgesetzt und die Horizontalgeschwindigkeit nimmt ab. Das ist im Dreisprung nicht schlimm, da es hier nur auf die Weite ankommt. Limitiert wird die Knieamortisation dadurch, dass, wenn der Kniewinkel zu klein ist, schon wieder die Kraft der Kniestrecker abnimmt. Es geht also darum, die Balance zu finden aus langen Stützzeiten vs. nicht zu kleine Kniewinkel. Im Sprint hingegen ist die Geschwindigkeit Maß der Dinge und darum muss das Verhältnis sehr stark verschobenwerden. Der Modellathlet muss deswegen, um jetzt schnell zu sprinten, sein Gleichgewicht aus Schrittlänge- und Frequenz so verschieben, dass er die für sich maximal kurzen Bodenkontakzeiten erreicht. Es geht also nciht darum, die Frequenz zu verkürzen wie ein Fußballer, in dem man seiner Beine nicht mehr hebt, sondern die komplette Bewegungsamplitude wird nun mit stärkerer vertikaler Kraftkomponente durchgeführt, sodass die Bodenkontaktzeiten so sehr es geht verkürzt werden. Dies wird nicht etwa durch maximal schnelles Nach-hinten-Schlagen des Beines erreicht, denn das macht man auch im Sprunglauf. Sondern man versucht nicht mehr, weniger horizontal mechanics und mehr vertical mechanics anzuwenden. Die Flugkurve wird erhöhte, die Knieamortisation verringert, die Stützzeiten verkürzt. Sprunglauf und Sprint sind zwei Enden einer biomechanischen Skala, wie man sich fortbewegen kann. Da kann ein MZPTLK auf- und niederspringen, gewisse Dinge (z.B. dass Top-Sprinter sich in der Schrittfrequenz viel deutlicher vom langsamen Sprinter abheben als in der Schrittlänge) sind einfach empirsch abgesichtert und biomechanisch erklärbar. Darum gilt für keinen Menschen, egal, welche Statur er besitzt, dass er mit mehr horizontal mechanics / einem Nach-hinten-Abdrücken-wollen schneller sprinten kann, als mit maximal verkürzten Bodenkontaktzeiten. Es ist ein absolutes, kein individuelles Gütekriterium, sein Hüftgelenk weniger strecken zu müssen während der Stützphase. Bolt hat durch seine schiere Körpergröße und damit Beinlänge die Möglichkeit, seine geringe Kraft, und sein Unvermögen, sein Knie gestreckt zu halten (geringe Knie- und Anklestiffness, um es zusammenzufassen), die für große Menschen aus einem mathematischen Grund* typisch ist, kompensieren durch die mit der größeren Beinlänge verbundenen längeren Beschleunigungswege. Er muss einen größeren Hinterstütz aufweisen, weil er zu schwach ist, diesen zu verkürzen. Er tut es nicht absichtlich, lieber MZPTLK, sondern er muss es tun. Bolt hat neben Blessing Okagbare die mit Abstand schlechteste Schrittfrequenz im gesamten Weltklassesprint und macht dies durch eine gigantische Schrittlänge wett, die einerseits von seiner Beinlänge stammt (längere Beschleunigungswege für schwächere Muskeln und Sehnen gleichen ich z.T. also aus). Aber das reicht nicht. Kein Mensch (auch Bolt) ist so groß, dass er eine derart schlechte Schrittfrequenz kompensieren kann, nur weil er 1.95m groß ist. Asafa Powell ist z.B. nur 5cm kleiner, ist viel stärker bzw. Knie-stiffer, hat eine höhere Frequenz, startet schneller, aber die Schrittlänge ist im Verhältnis zu seiner Kraft, Stiffness und Beinlänge immer noch schlechter als die von Bolt.
Und da kommt etwas ins Spiel, seine zweite Besonderheit, das Bolt besser kann, und das nichts mit seiner Beinlänge (ich spreche bewusst nicht von Körpergröße - es gibt in dieser Hinsicht im Sprint keine Körpergröße, sondern nur Beinlänge, Abstand der Hüftgelenke und Körpergewicht) zu tun hat: Er hat eine immense Beckenrotation in der Transversal- und in der Frontalebene. Und das ist der Key, warum man sich durchaus mit seinem Training beschäftigen darf. Ich denke (und auch diese Methode habe ich ausprobiert und an meinem eigenen Fall meine Hypothese bestätigt bekommen), dass solche Läufe, die über immer größer werdene Abstände von Sticks gelaufen werden zwangsläufig zu einer stärkeren Beckenbewegung führen. Die Kunst und Gefahr bei dieser Trainingsmethode besteht darin, nicht allmählich aus der Sprinttechnik eine Sprunglauftechnik zu machen, die zwar größere Schrittlängen, aber ein geringers Produkt aus Schrittlänge und Schrittfrequenz hervorbringt, sondern die Schrittlängenvergrößerung nur durch größere Hüftamplituden zu erreichen. Ich habe selbst gemerkt, wie schwer das ist und es ist eine koordinative Meisterleistung von Bolt, diese Übungsform erfolgreich umgesetzt zu haben. Nachdem also die Übung ursprünglich von Mills nur zum Erzwingen einer gesunden Beckenlage ersonnen war, hat Bolt diese Übung ungeplanterweise zu einer Schulung der Beckenamplitude gemacht. Ich glaube nicht wirklich, dass Bolt aufgrund spezieller Kräftigungsübungen zu dieser Technik gekommen ist. Es sind ungeheure Gewohheitsbarrieren zu überwinden, das geht nur durch Techniktraining, eine Kräftigung entsprechender Muskelgruppen (Abduktoren, lumbale Muskulatur, schräge Bauchmuskulatur) kann hier meines Eindruckes nach nur unterstützend wirken.
Er nutzt übrigens auch seinen gesamten Oberkörper, den er krümmt und dann wieder streckt, so wie man im Standweitsprung die Arme einsetzt. Sein Krümmen und anschließendes Strecken ist vergleichbar mit dem Absenken des KSP beim Weitsprung oder vor dem Jump and Reach und ist nur anwendbar bei Sprintern mit langen Bodenkontaktzeiten durch schwache Stiffness, sonst fehlt die Zeit dafür. Michael Johnson, der Bolts Oberkörperbewegungen als schlecht bezeichnet, hat Marketing studiert, er hat in Wahrheit keine Ahnung von Biomechanik. Wie er treffend sagte: Er tut, was er am besten kann und leitet sein privates Trainingszentrum nur, in das Athleten aus Spielsportarten und Leichtathleten kommen, um ihre Schnelligkeit zu verbessern, während Sportwissenschaftler das Training an sich übernehmen. Aber Johnson besitzt nur Grundkenntnisse, soviel, wie man als Sportler eben wissen kann. In der Lage, die Technik verschiedener Sprinter differenziert und fundiert zu beurteilen, ist er nicht.
Noch eine Hypothese von mir, ich würde mich freuen, wenn ihr sie auseinander- und wieder zusammendiskutieren könnt, um die Aussagen kritisch zu prüfen:
Es ist nicht zu übersehen, dass mit Einführen des Anabolika-Dopings im großen Stil in den 70ern und 80ern vor allem die Starts der Sprinter sehr schnell wurden, während in den 90ern und danach, als in Sachen Anabolika nichts neues mehr passierte und stattdessen Dopingsubstanzen, die die Calcium-Kanäle des sarkoplasmatischen Reticulums permanent offenhalten und so die Ermüdung eindämmen, die Sprinter sich nicht mehr schneller im Beschleunigungsabschnitt wurden, sondern eine höhere Endgeschwindigkeit erreichten (dies ist bereits teilweise durch die vom ersten Schritt an einsetzende Ermüdung determiniert) und vor allem weniger stark ermüdeten. Jamaica und die USA allen voran. (Mal schauen, welche neue Ära dann mit der Einführung des Gendopings beginnt)
Was Bolt's Technik angeht (große Amplitude der Beckenrotationen in der Transversal-, Sagittal- und Frontalebene und Schrittlänge): Die Schrittlänge ist ein nicht unabhängig von der Schrittfrequenz zu betrachtendes Ergebnis sehr vieler Faktoren, vornehmlich aber des Bewegungsablaufes, weswegen die Schrittlänge als technisches und nicht als konditionelles Problem zu bewerten ist. Ich habe ein Interview von Glen Mills gelesen, dass ich in meiner Sammlung leider nicht mehr finde, keine Ahnung, wo es abgeblieben ist. Ich habe es aber online gefunden, ich glaube, auf speedendurance.com. Dort hat Mills über das Techniktraining geplaudert: Wie schon erwähnt, ist es nicht schwer, ein Techniktraining zu veranstalten, wenn man weiß, welche Übungen "einschlagen" und welche man verwerfen kann. Übungen gibt es viele, wirklich angewandt werden nur ein paar effektive, aber das sind auf der ganzen Welt dieselben. Interindividuelle Variationen inbegriffen. Der einzige Drill, den sich Mills wirklich selbst ausgedacht hat, waren "sticks", die er als Abstandsvorgeber auf die Bahn legte, Bolt musste durch sie laufen. Bolt hatte eine starke posteriore Beckenkippung und Oberkörerrücklage beim Laufen, was seine Hüftstreckung beeinträchtigte. Indem jeden Tag oder alle paar Tage, das habe ich vergessen, die Stäbe einen inch weiter auseinandergerückt wurden, mussten Bolts Schritt immer größer werden, das ging nur, indem er sich kräftiger vom Boden abstieß. Infolgedessen ging seine posteriore Beckenstellung verloren, korrigierte sich.
Man sieht die Spuren dieses Trainings deutlich in seiner Technik: Wie im Vergleich des Sprints mit dem Sprunglauf, wird in letzterem, um größere Flugweiten zu erreichen (was durch längere Flugzeiten und das wiederum durch größere Flughöhen), mehr Energie übertragen. Der Athlet hat in dem Moment nur soviel Kraft, wie er eben hat. Darum kann er mehr Energie nur durch längere Kontakzeiten erreichen. Die Spitzenkräfte sind nicht höher, aber durch die längere Einwirkzeit der Kräfte wird der Impuls (das Integral der Kraft in Abhängigkeit von der Zeit), die auf den Boden übertragen wird, größer. Längere Kontaktzeiten erfordern eine stärkere Knieamortisation, weil dann der Weg vom Initialbodenkontakt bis zum Verlassen des Bodens durch den Fuß auf dem Laufband oder auf der Bahn der Weg, den der Körperschwerpunkt während des Bodenkontaktes nimmt, länger ist. Die Frequenz wird durch die langen Bodenkontakzeiten stark herabgesetzt und die Horizontalgeschwindigkeit nimmt ab. Das ist im Dreisprung nicht schlimm, da es hier nur auf die Weite ankommt. Limitiert wird die Knieamortisation dadurch, dass, wenn der Kniewinkel zu klein ist, schon wieder die Kraft der Kniestrecker abnimmt. Es geht also darum, die Balance zu finden aus langen Stützzeiten vs. nicht zu kleine Kniewinkel. Im Sprint hingegen ist die Geschwindigkeit Maß der Dinge und darum muss das Verhältnis sehr stark verschobenwerden. Der Modellathlet muss deswegen, um jetzt schnell zu sprinten, sein Gleichgewicht aus Schrittlänge- und Frequenz so verschieben, dass er die für sich maximal kurzen Bodenkontakzeiten erreicht. Es geht also nciht darum, die Frequenz zu verkürzen wie ein Fußballer, in dem man seiner Beine nicht mehr hebt, sondern die komplette Bewegungsamplitude wird nun mit stärkerer vertikaler Kraftkomponente durchgeführt, sodass die Bodenkontaktzeiten so sehr es geht verkürzt werden. Dies wird nicht etwa durch maximal schnelles Nach-hinten-Schlagen des Beines erreicht, denn das macht man auch im Sprunglauf. Sondern man versucht nicht mehr, weniger horizontal mechanics und mehr vertical mechanics anzuwenden. Die Flugkurve wird erhöhte, die Knieamortisation verringert, die Stützzeiten verkürzt. Sprunglauf und Sprint sind zwei Enden einer biomechanischen Skala, wie man sich fortbewegen kann. Da kann ein MZPTLK auf- und niederspringen, gewisse Dinge (z.B. dass Top-Sprinter sich in der Schrittfrequenz viel deutlicher vom langsamen Sprinter abheben als in der Schrittlänge) sind einfach empirsch abgesichtert und biomechanisch erklärbar. Darum gilt für keinen Menschen, egal, welche Statur er besitzt, dass er mit mehr horizontal mechanics / einem Nach-hinten-Abdrücken-wollen schneller sprinten kann, als mit maximal verkürzten Bodenkontaktzeiten. Es ist ein absolutes, kein individuelles Gütekriterium, sein Hüftgelenk weniger strecken zu müssen während der Stützphase. Bolt hat durch seine schiere Körpergröße und damit Beinlänge die Möglichkeit, seine geringe Kraft, und sein Unvermögen, sein Knie gestreckt zu halten (geringe Knie- und Anklestiffness, um es zusammenzufassen), die für große Menschen aus einem mathematischen Grund* typisch ist, kompensieren durch die mit der größeren Beinlänge verbundenen längeren Beschleunigungswege. Er muss einen größeren Hinterstütz aufweisen, weil er zu schwach ist, diesen zu verkürzen. Er tut es nicht absichtlich, lieber MZPTLK, sondern er muss es tun. Bolt hat neben Blessing Okagbare die mit Abstand schlechteste Schrittfrequenz im gesamten Weltklassesprint und macht dies durch eine gigantische Schrittlänge wett, die einerseits von seiner Beinlänge stammt (längere Beschleunigungswege für schwächere Muskeln und Sehnen gleichen ich z.T. also aus). Aber das reicht nicht. Kein Mensch (auch Bolt) ist so groß, dass er eine derart schlechte Schrittfrequenz kompensieren kann, nur weil er 1.95m groß ist. Asafa Powell ist z.B. nur 5cm kleiner, ist viel stärker bzw. Knie-stiffer, hat eine höhere Frequenz, startet schneller, aber die Schrittlänge ist im Verhältnis zu seiner Kraft, Stiffness und Beinlänge immer noch schlechter als die von Bolt.
Und da kommt etwas ins Spiel, seine zweite Besonderheit, das Bolt besser kann, und das nichts mit seiner Beinlänge (ich spreche bewusst nicht von Körpergröße - es gibt in dieser Hinsicht im Sprint keine Körpergröße, sondern nur Beinlänge, Abstand der Hüftgelenke und Körpergewicht) zu tun hat: Er hat eine immense Beckenrotation in der Transversal- und in der Frontalebene. Und das ist der Key, warum man sich durchaus mit seinem Training beschäftigen darf. Ich denke (und auch diese Methode habe ich ausprobiert und an meinem eigenen Fall meine Hypothese bestätigt bekommen), dass solche Läufe, die über immer größer werdene Abstände von Sticks gelaufen werden zwangsläufig zu einer stärkeren Beckenbewegung führen. Die Kunst und Gefahr bei dieser Trainingsmethode besteht darin, nicht allmählich aus der Sprinttechnik eine Sprunglauftechnik zu machen, die zwar größere Schrittlängen, aber ein geringers Produkt aus Schrittlänge und Schrittfrequenz hervorbringt, sondern die Schrittlängenvergrößerung nur durch größere Hüftamplituden zu erreichen. Ich habe selbst gemerkt, wie schwer das ist und es ist eine koordinative Meisterleistung von Bolt, diese Übungsform erfolgreich umgesetzt zu haben. Nachdem also die Übung ursprünglich von Mills nur zum Erzwingen einer gesunden Beckenlage ersonnen war, hat Bolt diese Übung ungeplanterweise zu einer Schulung der Beckenamplitude gemacht. Ich glaube nicht wirklich, dass Bolt aufgrund spezieller Kräftigungsübungen zu dieser Technik gekommen ist. Es sind ungeheure Gewohheitsbarrieren zu überwinden, das geht nur durch Techniktraining, eine Kräftigung entsprechender Muskelgruppen (Abduktoren, lumbale Muskulatur, schräge Bauchmuskulatur) kann hier meines Eindruckes nach nur unterstützend wirken.
Er nutzt übrigens auch seinen gesamten Oberkörper, den er krümmt und dann wieder streckt, so wie man im Standweitsprung die Arme einsetzt. Sein Krümmen und anschließendes Strecken ist vergleichbar mit dem Absenken des KSP beim Weitsprung oder vor dem Jump and Reach und ist nur anwendbar bei Sprintern mit langen Bodenkontaktzeiten durch schwache Stiffness, sonst fehlt die Zeit dafür. Michael Johnson, der Bolts Oberkörperbewegungen als schlecht bezeichnet, hat Marketing studiert, er hat in Wahrheit keine Ahnung von Biomechanik. Wie er treffend sagte: Er tut, was er am besten kann und leitet sein privates Trainingszentrum nur, in das Athleten aus Spielsportarten und Leichtathleten kommen, um ihre Schnelligkeit zu verbessern, während Sportwissenschaftler das Training an sich übernehmen. Aber Johnson besitzt nur Grundkenntnisse, soviel, wie man als Sportler eben wissen kann. In der Lage, die Technik verschiedener Sprinter differenziert und fundiert zu beurteilen, ist er nicht.
Noch eine Hypothese von mir, ich würde mich freuen, wenn ihr sie auseinander- und wieder zusammendiskutieren könnt, um die Aussagen kritisch zu prüfen:
Es ist nicht zu übersehen, dass mit Einführen des Anabolika-Dopings im großen Stil in den 70ern und 80ern vor allem die Starts der Sprinter sehr schnell wurden, während in den 90ern und danach, als in Sachen Anabolika nichts neues mehr passierte und stattdessen Dopingsubstanzen, die die Calcium-Kanäle des sarkoplasmatischen Reticulums permanent offenhalten und so die Ermüdung eindämmen, die Sprinter sich nicht mehr schneller im Beschleunigungsabschnitt wurden, sondern eine höhere Endgeschwindigkeit erreichten (dies ist bereits teilweise durch die vom ersten Schritt an einsetzende Ermüdung determiniert) und vor allem weniger stark ermüdeten. Jamaica und die USA allen voran. (Mal schauen, welche neue Ära dann mit der Einführung des Gendopings beginnt)