11.12.2024, 15:05
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 11.12.2024, 15:07 von Kyascaily95.)
(11.12.2024, 14:06)Reichtathletik schrieb: Wobei ich zu Experitise auch dazu zählen würde, dass ein Trainer sein Trainings auf die Athleten abstimmt und nicht alle das gleiche machen lässt. Das allerdings findet zugegeben viel zu selten statt.
Insgesamt scheint mit mittlerweile in der Gesellschaft aber eine Wissenschafts/Fachwissen-Feindlichkeit Einzug zu nehmen, wo sich viele Leute freuen, wenn Leute "die weniger verkopft/wissenschaftlich sind", es den "Experten zeigen". Will nicht sagen, dass ein Blick von Außen nicht wertvoll ist, oder Fachleute wirklich manchmal zu verkopft sind. Aber es ist schon auffällig, wie viele Leute es gibt, die stolz darauf sind, keine Traineraus- und -fortbildungen zu besuchen. Das find ich bedenklich.
Im Forum sehe ich mehrheitlich genau das gegenteilige Phänomen. Ganz viel Spekulatius aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen, ohne den genauen Bedarf und die genauen Defizite des Athleten zu kennen, kaum differenzierter Blick (Alter, Verletzungsanfälligkeit, Trainingsjahre, Nebenbeschäftigung etc.), sondern das Blanko-Lehrbuch wissen ---> Das ist absolut nicht böse gemeint. Ich schätze es sehr, daß wir im Sport mittlerweile so weit sind, wichtige Entscheidungen in der Trainings- und Wettkampfplanung nicht mehr rein intuitiv entscheiden zu müssen. Manchmal ist es jedoch nicht ganz verkehrt, hin und wieder auch mal zumindest einen Hauch von Intuition zuzulassen - besonders, wenn diese vom Athleten selbst kommt. Die wichtigsten Signale kommen vom Athleten selbst, was aber voraussetzt, daß dieser offen und ehrlich und zwar im vollem Umfang dem Trainer gegenübertritt. Dort darf es auch keine Tabuthemen geben, was erstaunlicherweise ja immer noch in vielen Umfeldern ein massives Problem zu sein scheint.
Ich gebe dir Recht, daß man sich dafür nicht loben sollte, keine Trainerfortbildung zu besuchen. Vor allem für den Nachwuchs finde ich es wichtig, daß ein Trainer eine Schulung macht und die Lizenz erhält, das theoretische Wissen dazu im Kopf noch ganz frisch ist. Um die Basis eines Athleten auszubilden, ist das biologische Feedback aufgrund des noch nicht so hohen Trainingsumfangs nicht so relevant wie eine Struktur auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die auch altersrelevante Faktoren berücksichtigt. Bei Athleten mit wenigen bis gar keinen Erfahrungen in einer Sportart passieren auch die meisten Fehler, weil sich noch keine Routine etablieren konnten.
Allerdings reden wir hier von einer 27-jährigen Läuferin mit sehr vielen Trainingsjahren an Erfahrung. Bis zur Jugend war Koko doch in Leverkusen bei genau so einem Trainer mit einer bilderbuchartigen Ausbildung in seinem Bereich. Ich verstehe die Kritik dennoch weiterhin nicht, warum man bei Dan Lorang "ein gutes Gefühl hatte" und sich bei Oliver Mintzlaff nur einen Tag später über knapp eine DIN-A4-Seite darüber echauffiert und ihre weitere Entwicklung in Frage stellt. Viele engagierte Trainer bilden sich über den offiziellen Weg fort und/oder über eigenständige Lektüre. Man findet im WWW heutzutage über etliche TOP-Athleten viele gute und transparent dargestellte Ansätze, andere wiederum teilen sogar vieles frei zugänglich auf diversen Plattformen. Das Streben nach ständiger persönlicher Weiterbildung in seiner eigenen Rolle, gepaart mit einem guten Verhältnis zum Athleten könnte ein richtiger Ansatz sein. Ich sehe dort aber nicht die Notwendigkeit, daß man dafür Sportwissenschaftler sein und daß jede Vorgabe im Training wissenschaftlich geprägt sein muss. Da in Deutschland mehrheitlich nach Tarifvereinbarungen vergütet wird, bekommt der Diplom-Trainer i.d.R. das attraktivere Gehalt, was auch völlig legitim ist, weil er in seiner Ausbildungsvita die "Extrameile" gegangen ist. Mitunter gehen dann auch Trainer mit weniger Erfolgen (und z.T. auch weniger Arbeit) mit dem besseren Gehaltsscheck nach Hause. Auch das ist völlig richtig so, weil jeder die Möglichkeit hat, genau denselben Werdegang in seiner Ausbildung zum Trainer einzuschlagen. Trotzdem ist es keine Rechtfertigung dafür, einen auf dem Papier schlechter ausgebildeten Trainer zu degradieren zu versuchen, wenn dieser bewiesen hat, daß sein System funktioniert. Meine Meinung.
„Der Zufall ist Gottes Art, anonym zu bleiben.“ — A. Einstein