16.09.2024, 21:58
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 16.09.2024, 22:05 von trackwatchnds.)
Ich antworte einfach mal allgemein, weil ich nicht weiß, wie man mehrere Personen in einem Beitrag zitiert.
Zunächst mal vielen Dank für eure Antworten! Das Thema interessiert mich wirklich und mich beschleicht das Gefühl, dass in der Angelegenheit ein bisschen was liegen gelassen wird, auch weil die Wirkweise vielleicht nicht von allen 100% verstanden wird.
Damit will ich nicht behaupten, dass ich alles komplett durchsteige und den heiligen Gral gefunden habe, aber der Eindruck nährt sich aus dem Austausch mit Fachpersonal, wissenschaftlicher Studienlage, eigenen Bewegungserfahrungen bei mehreren Athlet:innen und mir selbst (!), sowie der Beobachtung des Trainingsalltages von etlichen Kaderathlet:innen.
Fest steht, dass keine einzige Übung zwingend notwendig ist, alle sind nur Mittel zum Zweck, die dem Ziel der erhöhten Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig gelebtem Präventivgedanken dienen. Daher würde ich auch niemandem seine Meinung und ggf. negativen Erfahrungen mit der "Nordic Family" absprechen wollen. Allerdings denke ich, dass sie gewisse Vorteile bieten, die in der Art und Weise keine anderen Übungen erzielen können.
-----------------------------
@Diak: Mir gefallen alle deine genannten Übungen und auch der Ansatz von großer Varianz. Außerdem klingt das, als ob dadurch ggf. sogar der weiche Faktor "Spaß" (soll beim Training ja auch wichtig sein
) mit an Bord ist. Tatsächlich würde mich aber der weitestgehende Verzicht auf exzentrische Belastungen interessieren. Es wirkt, als läge euer Fokus auf der Steigerung der antriebsrelevanten Wirkweise? Dazu unten bei "Übungsauswahl und -hintergründe" mehr.
@TranceNation 2k14: Die Reihenfolge war im Sinne einer Progressionskette für "Einsteiger" formuliert. An Variante Nr. 1 arbeiten, bis diese mit höchstem qualitativen Anspruch beherrscht wird und dann zu Nr. 2, usw. Einige Athlet:innen könnten unter Umständen weiter vorne in der Progression starten, allerdings empfinde ich häufig die Regressionen als besonders wertvoll, damit ein stabiles Fundament und Bewegungsverständnis/-gefühl aufgebaut werden kann. Ich denke, Razor Curls entfalten ihre volle Reizwirkung erst dann, wenn die Schritte 1-3 beherrscht werden.
@Muffman: Weswegen empfindest du Razor Curls als einzig sinnvolle Variante? Ich finde sie auch super und für viele angemessener, aber sie sind - wie jede Übung - auch limitiert. Deinen Ausführung zur mangelhaften Bewegungsvorstellung beim Sprinten tendiere ich, zuzustimmen. Aber dafür kann das Übungsgut in dem Falle ja nichts, oder?
@aj_runner: Genau deine Beschreibung ("anstatt zu stärken gezerrt") bildet wohl leider das generelle Stimmungsbild gegenüber der Nordic Family. Der Grad zwischen Unter- und Überforderung ist hier enorm schmal, gerade für Athlet:innen über 180cm. Ich denke, über eine sukzessive Heranführung an die Übung, z.B. über die Progressionskette, hättest du einen anderen Eindruck gewonnen. Häufig ist nicht die Übung das Problem, sondern die Art und Weise, wie diese ausgeführt bzw. gelehrt wird.
-----------------------------
Übungsauswahl und -hintergründe
Auffällig ist die häufige Verwendung von konzentrisch limitierenden Übungen, die primär die Hamstrings in mittlerer Muskellänge fordern und tendenziell eine parallele Sarkomeraddition (parallel hypertrophy) auslöst. Ein größerer Muskel ist ein potenziell stärkerer und leistungsfähigerer Muskel, schon klar, aber das bringt mich im verletzungspräventiven Sinne nur bedingt weiter. Denn das beinhaltet quasi alle zweigelenkigen Übungen und selbst bei Varianten, in denen der muskel-mechanisch ungünstigste Bewegungsanteil limitierend wirkt (z. B. Romanian Deadlifts, Good Mornings --> große Muskellänge), wird der kurzzeitige Längengewinn durch die folgende konzentrische Aktion direkt wieder überschrieben. Das sollte man dabei nie außer Acht lassen.
Curls sind daher denkbar ungünstig, da diese konzentrisch limitierend bei mittlerer bis kurzer Muskellänge arbeiten und so einen "dicken" (parallele Hypertrophie), hochtonisierten und sprintwinkelaversen Muskel bewirken. Der "Beuger" muss aus dem Übungsgut verschwinden!
Ausgenommen sind die Curls der Kategorie "Zugbrücke" - am Gymnastikball, Schlingentrainer, Skateboard oder Slider, da diese wie bei Diak beschrieben zweigelenkig arbeiten. Dagegen ist nichts einzuwenden und die Hamstrings können dabei stark werden, nur eben nicht stark bei langer Muskellänge.
Die klassische NHE ist von der Wirkweise übrigens auch eher zweigelenkig, über das Kniegelenk dynamisch und das Hüftgelenk isometrisch, quasi eine umgekehrte Zugbrücke mit umgekehrtem punctum fixum und mobile.
Vielleicht kennt der ein oder andere das KiD Konzept von Kurt Mosetter, Kraft in der Dehnung? Hierbei geht es ganz grob darum, dass zunächst eine Dehnposition (lange Muskellänge) eingenommen wird und dort spezifisch, bei ihm isometrisch, gekräftigt wird. Die Nordic Family verfolgt einen ähnlichen Ansatz und forciert vor allem eine serielle Sarkomergenese (in-series hypertrophy) mit hohem Anspruch auf die myo-tendinösen Strukturen. Diese Anpassungen sind wichtig und für den Sprint "spezifisch", weil die hohen Kräfte in der verletzungsträchtigsten Teilbewegung (late swing phase) in das Bindegewebe überführt werden können (vgl. absteigender Ast der Kraft-Längen-Relation).
Dadurch entsteht im Muskelprofil ein hohes Maß an Kraft und Beweglichkeit ohne große Dickenzunahme.
In kurz: NHE bewirken eine Längenspannung-Verträglichkeit ähnlich dem Anforderungen im freien Sprint und entfalten im Verbund mit Sprinten ihre bestmögliche präventive Wirkung. Diese Kombination ist notwendig, da die Hamstrings von beiden Enden des Kraft-Geschwindigkeit-Kontinuums bearbeitet werden.
Ich würde gerne mehr schreiben, fürchte aber, dass es zu unübersichtlich wird. Daher nur noch zwei Dinge:
- Bei der Progressionskette habe ich eine wesentliche Sache nicht explizit benannt, hätte das aber wahrscheinlich tun sollen: Nordics machen dementsprechend nur exzentrisch und isometrisch Sinn, auf eine konzentrische Bewegungsform sollte komplett verzichtet werden (s. Überschreiben der seriellen Sarkomergenese). Nicht, dass die Konzentrik da eh schon überfordernd wäre und die Frage sich eigentlich gar nicht stellt...
- Die Progressionen hören mit Nr. 3/4 natürlich nicht auf und sind nur als Einstieg zu verstehen. Der Einstieg kann wohlgemerkt mehrere Monate und nicht Wochen bedeuten. Einer meiner persönlichen Favoriten ist die NHE mit anfangs gebeugtem Kniegelenk und permanent gebeugter Hüfte. Also in der Startposition wie ein Razor Curl, dann langsam das Kniegelenk öffnen und bei gekipptem Becken "absinken" bis Kopf und Torso senkrecht nach unten zeigen. Das Set-Up ist ein bisschen tricky, weil man von einer Erhöhung bei gleichzeitiger Fersenfixierung arbeiten muss, aber die Variante ist sowas wie die Endstufe für "lang und stark"
Zunächst mal vielen Dank für eure Antworten! Das Thema interessiert mich wirklich und mich beschleicht das Gefühl, dass in der Angelegenheit ein bisschen was liegen gelassen wird, auch weil die Wirkweise vielleicht nicht von allen 100% verstanden wird.
Damit will ich nicht behaupten, dass ich alles komplett durchsteige und den heiligen Gral gefunden habe, aber der Eindruck nährt sich aus dem Austausch mit Fachpersonal, wissenschaftlicher Studienlage, eigenen Bewegungserfahrungen bei mehreren Athlet:innen und mir selbst (!), sowie der Beobachtung des Trainingsalltages von etlichen Kaderathlet:innen.
Fest steht, dass keine einzige Übung zwingend notwendig ist, alle sind nur Mittel zum Zweck, die dem Ziel der erhöhten Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig gelebtem Präventivgedanken dienen. Daher würde ich auch niemandem seine Meinung und ggf. negativen Erfahrungen mit der "Nordic Family" absprechen wollen. Allerdings denke ich, dass sie gewisse Vorteile bieten, die in der Art und Weise keine anderen Übungen erzielen können.
-----------------------------
@Diak: Mir gefallen alle deine genannten Übungen und auch der Ansatz von großer Varianz. Außerdem klingt das, als ob dadurch ggf. sogar der weiche Faktor "Spaß" (soll beim Training ja auch wichtig sein

@TranceNation 2k14: Die Reihenfolge war im Sinne einer Progressionskette für "Einsteiger" formuliert. An Variante Nr. 1 arbeiten, bis diese mit höchstem qualitativen Anspruch beherrscht wird und dann zu Nr. 2, usw. Einige Athlet:innen könnten unter Umständen weiter vorne in der Progression starten, allerdings empfinde ich häufig die Regressionen als besonders wertvoll, damit ein stabiles Fundament und Bewegungsverständnis/-gefühl aufgebaut werden kann. Ich denke, Razor Curls entfalten ihre volle Reizwirkung erst dann, wenn die Schritte 1-3 beherrscht werden.
@Muffman: Weswegen empfindest du Razor Curls als einzig sinnvolle Variante? Ich finde sie auch super und für viele angemessener, aber sie sind - wie jede Übung - auch limitiert. Deinen Ausführung zur mangelhaften Bewegungsvorstellung beim Sprinten tendiere ich, zuzustimmen. Aber dafür kann das Übungsgut in dem Falle ja nichts, oder?
@aj_runner: Genau deine Beschreibung ("anstatt zu stärken gezerrt") bildet wohl leider das generelle Stimmungsbild gegenüber der Nordic Family. Der Grad zwischen Unter- und Überforderung ist hier enorm schmal, gerade für Athlet:innen über 180cm. Ich denke, über eine sukzessive Heranführung an die Übung, z.B. über die Progressionskette, hättest du einen anderen Eindruck gewonnen. Häufig ist nicht die Übung das Problem, sondern die Art und Weise, wie diese ausgeführt bzw. gelehrt wird.
-----------------------------
Übungsauswahl und -hintergründe
Auffällig ist die häufige Verwendung von konzentrisch limitierenden Übungen, die primär die Hamstrings in mittlerer Muskellänge fordern und tendenziell eine parallele Sarkomeraddition (parallel hypertrophy) auslöst. Ein größerer Muskel ist ein potenziell stärkerer und leistungsfähigerer Muskel, schon klar, aber das bringt mich im verletzungspräventiven Sinne nur bedingt weiter. Denn das beinhaltet quasi alle zweigelenkigen Übungen und selbst bei Varianten, in denen der muskel-mechanisch ungünstigste Bewegungsanteil limitierend wirkt (z. B. Romanian Deadlifts, Good Mornings --> große Muskellänge), wird der kurzzeitige Längengewinn durch die folgende konzentrische Aktion direkt wieder überschrieben. Das sollte man dabei nie außer Acht lassen.
Curls sind daher denkbar ungünstig, da diese konzentrisch limitierend bei mittlerer bis kurzer Muskellänge arbeiten und so einen "dicken" (parallele Hypertrophie), hochtonisierten und sprintwinkelaversen Muskel bewirken. Der "Beuger" muss aus dem Übungsgut verschwinden!
Ausgenommen sind die Curls der Kategorie "Zugbrücke" - am Gymnastikball, Schlingentrainer, Skateboard oder Slider, da diese wie bei Diak beschrieben zweigelenkig arbeiten. Dagegen ist nichts einzuwenden und die Hamstrings können dabei stark werden, nur eben nicht stark bei langer Muskellänge.
Die klassische NHE ist von der Wirkweise übrigens auch eher zweigelenkig, über das Kniegelenk dynamisch und das Hüftgelenk isometrisch, quasi eine umgekehrte Zugbrücke mit umgekehrtem punctum fixum und mobile.
Vielleicht kennt der ein oder andere das KiD Konzept von Kurt Mosetter, Kraft in der Dehnung? Hierbei geht es ganz grob darum, dass zunächst eine Dehnposition (lange Muskellänge) eingenommen wird und dort spezifisch, bei ihm isometrisch, gekräftigt wird. Die Nordic Family verfolgt einen ähnlichen Ansatz und forciert vor allem eine serielle Sarkomergenese (in-series hypertrophy) mit hohem Anspruch auf die myo-tendinösen Strukturen. Diese Anpassungen sind wichtig und für den Sprint "spezifisch", weil die hohen Kräfte in der verletzungsträchtigsten Teilbewegung (late swing phase) in das Bindegewebe überführt werden können (vgl. absteigender Ast der Kraft-Längen-Relation).
Dadurch entsteht im Muskelprofil ein hohes Maß an Kraft und Beweglichkeit ohne große Dickenzunahme.
In kurz: NHE bewirken eine Längenspannung-Verträglichkeit ähnlich dem Anforderungen im freien Sprint und entfalten im Verbund mit Sprinten ihre bestmögliche präventive Wirkung. Diese Kombination ist notwendig, da die Hamstrings von beiden Enden des Kraft-Geschwindigkeit-Kontinuums bearbeitet werden.
Ich würde gerne mehr schreiben, fürchte aber, dass es zu unübersichtlich wird. Daher nur noch zwei Dinge:
- Bei der Progressionskette habe ich eine wesentliche Sache nicht explizit benannt, hätte das aber wahrscheinlich tun sollen: Nordics machen dementsprechend nur exzentrisch und isometrisch Sinn, auf eine konzentrische Bewegungsform sollte komplett verzichtet werden (s. Überschreiben der seriellen Sarkomergenese). Nicht, dass die Konzentrik da eh schon überfordernd wäre und die Frage sich eigentlich gar nicht stellt...
- Die Progressionen hören mit Nr. 3/4 natürlich nicht auf und sind nur als Einstieg zu verstehen. Der Einstieg kann wohlgemerkt mehrere Monate und nicht Wochen bedeuten. Einer meiner persönlichen Favoriten ist die NHE mit anfangs gebeugtem Kniegelenk und permanent gebeugter Hüfte. Also in der Startposition wie ein Razor Curl, dann langsam das Kniegelenk öffnen und bei gekipptem Becken "absinken" bis Kopf und Torso senkrecht nach unten zeigen. Das Set-Up ist ein bisschen tricky, weil man von einer Erhöhung bei gleichzeitiger Fersenfixierung arbeiten muss, aber die Variante ist sowas wie die Endstufe für "lang und stark"
