15.09.2024, 23:54
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 15.09.2024, 23:57 von trackwatchnds.)
Ein Grund für die hohe wissenschaftliche Relevanz ist vor allem auch, weil die FIFA ein komplettes Aufwärm- und Prophylaxeprogramm veröffentlich hat - FIFA 11+ - in der die NHE (S. 42) aufgegriffen wird.
Das ist allerdings in Bezug auf die Übung ein klassischer Fall von "gut gedacht, schlecht gemacht". Toll ist der Gedanke, Regressionen anzubieten, da die NHE hochintensiv ist und den absoluten Großteil der Topathlet:innen massiv überfordert.
Kritisch anzumerken sind mehrere Punkte:
1. Partnerassistenz: Eine Fixierung durch einen Partner kann bei adäquater Übungsausführung und der daraus resultierenden Hebelwirkung nur schwerlich ausreichend sein. Das sollte keine neue Erkenntnis darstellen, für jeden, der sich schon ernsthaft an der Übung versucht hat. Es ist auch völlig egal, wie stark der fixierende Partner ist, denn er wird einfach ausgehebelt werden, sofern er nicht etwa das Doppelte an Körpereigengewicht mitbringt.
2. Abfangen mit den Händen: Genau hier liegt die Krux. In 99% der Fälle sieht man eine Übungsausführung, bei der die Athleten initial in der Lage sind die Form (neutrale Beckenposition, gestreckte Hüfte) zu halten und ab etwa einem Winkel von 135° Ende Gelände erreicht ist. Die Folge gleicht eher einer Art reaktiver Liegestütze ohne jegliche Kontrolle der relevanten Winkelpositionen. Wo die NHE beginnt, interessant zu werden, steigen die Athleten aus. Dr. Tobias Alt hat diese Übungsausführung treffend als "Nordic Flopping" bezeichnet. Resultat ist eine enorme Tonisierung der Hamstring-Muskulatur mit hoher Ermüdung und bestenfalls Teilkräftigung in völlig irrelevanten Winkeln. Also der denkbar schlechteste Outcome.
3. Der empfohlene Wdh.-Bereich: 9-12 Wdh. sind absolut lachhaft. Bei adäquater Intensität und exzentrischer/isometrischer Kontrolle in Kniewinkeln >160° ist absolut niemand in der Lage, in die Nähe solcher Zahlen zu kommen. Tatsächlich geht das nur mit der minderwertigen Übungsausführung, die in Punkt 2 beschrieben ist.
Interessant ist auch, dass die sehr löblichen Studienresultate, vornehmlich Erhöhung der Faszikellänge und Reduktion der Verletzungsinzidenzen (vgl. Quadrant of Doom der Aspetar-Forschungsgruppe), trotz der mangelhaften Durchführungen erzielt wurden. Eine generelle Verbesserung bei der Übungsausführung und -dosis sollte diese Effekte noch verstärken.
Tipps zur qualitativen Übungsausführung:
Der Gamechanger, diese sehr potente Übung "trainierbar" zu machen, liegt im Einsatz der Hände. Eine manuelle Assistenz ermöglicht es, den Torso bei maximaler Hamstring-Rekrutierung in offenen Kniewinkeln teilzuentladen. Dabei kann die Optimalform länger aufrechterhalten (time under tension) und die supramaximalen Anforderungen auf das individuelle Fähigkeitsniveau angepasst werden.
Diese Regression öffnet also das Tor zur reizadäquatem Training und kann dann über die graduelle Reduktion oder Hebelveränderungen handhabbar gemacht werden.
Aus meiner Erfahrung empfiehlt sich zum Einstieg:
1. Nordic Hamstring Plank (NHP) - Offene Kniewinkel von >160°, bei gleichzeitig hoher Entlastung des Torsogewichts (Hebel), um ein Gefühl für die Position zu bekommen und wertvolle spezifische Strukturkräftigung zunächst isometrisch anzutriggern.
2. Nordic Hamstring Push-Up (NHPU) - Ähnliche Ausgangsposition wie beim NHP, mit Teilentlastung über eine exzentrische Liegestützbewegung. Graduell kann das Gewicht auf den Händen reduziert werden, indem z. B. von der flachen Hand auf die Fingerspitzen gesteigert und dann die Anzahl an "Stützfingern" reduziert wird.
3. Nordic Hamstrig Slide-Out (NHSO) - Die Hände auf einen Gymnastikball platzieren und diesen dann ähnlich einer Roll-Out-Bewegung nach vorne führen. Zur Progression können die Ballgröße verringert oder Slider (Möbelgleiter oder je nach Bodenbeschaffenheit auch ein Handtuch) verwendet werden.
und/oder
4. Razor Curl Slide-Out (RCSO) - In der Startposition mit vertikalen Oberschenkeln (Kniewinkel ca. 90°) und stark flektierter Hüfte bei gekipptem Becken die Hände wie beim NHSO nach vorne führen und graduell Knie-/Hüftwinkel öffnen. Die Endposition ist identisch wie bei Nr. 3.
Jeder Teilschritt sollte in der Regel für mehrere Wochen durchgeführt werden, bis ein Höchstmaß an qualitativem Anspruch entsprochen werden kann. Die Kontraktionszeiten sollten 3-7s bei >80% maximaler Kontraktion betragen, 2-4 Wdh. bei 2-5 Serien sind in der Regel angemessen. Umfang und Intensität sollten an den Verwendungszweck angepasst werden. Bei niedrigem Umfang (1-3x 2 Wdh.) kann die Übung sowohl als Teil eines Erwärmens oder als Prä-Aktivierung durchgeführt werden, bei mittleren Umfängen (2-4 x 2-3 Wdh.) als Potenzierung oder Teil eines Krafttraining (3-5x 2-4 Wdh.), dann allerdings nach (!) dem Sprinten oder mit ausreichend Erholungszeit vor der nächsten Sprinteinheit. Insgesamt lieber konservativ anfangen, Sehnen brauchen länger...
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Mich würde interessieren, ob und wie ihr die Übung einsetzt und welche Erfahrungen ihr damit gemacht habt!
Das ist allerdings in Bezug auf die Übung ein klassischer Fall von "gut gedacht, schlecht gemacht". Toll ist der Gedanke, Regressionen anzubieten, da die NHE hochintensiv ist und den absoluten Großteil der Topathlet:innen massiv überfordert.
Kritisch anzumerken sind mehrere Punkte:
1. Partnerassistenz: Eine Fixierung durch einen Partner kann bei adäquater Übungsausführung und der daraus resultierenden Hebelwirkung nur schwerlich ausreichend sein. Das sollte keine neue Erkenntnis darstellen, für jeden, der sich schon ernsthaft an der Übung versucht hat. Es ist auch völlig egal, wie stark der fixierende Partner ist, denn er wird einfach ausgehebelt werden, sofern er nicht etwa das Doppelte an Körpereigengewicht mitbringt.
2. Abfangen mit den Händen: Genau hier liegt die Krux. In 99% der Fälle sieht man eine Übungsausführung, bei der die Athleten initial in der Lage sind die Form (neutrale Beckenposition, gestreckte Hüfte) zu halten und ab etwa einem Winkel von 135° Ende Gelände erreicht ist. Die Folge gleicht eher einer Art reaktiver Liegestütze ohne jegliche Kontrolle der relevanten Winkelpositionen. Wo die NHE beginnt, interessant zu werden, steigen die Athleten aus. Dr. Tobias Alt hat diese Übungsausführung treffend als "Nordic Flopping" bezeichnet. Resultat ist eine enorme Tonisierung der Hamstring-Muskulatur mit hoher Ermüdung und bestenfalls Teilkräftigung in völlig irrelevanten Winkeln. Also der denkbar schlechteste Outcome.
3. Der empfohlene Wdh.-Bereich: 9-12 Wdh. sind absolut lachhaft. Bei adäquater Intensität und exzentrischer/isometrischer Kontrolle in Kniewinkeln >160° ist absolut niemand in der Lage, in die Nähe solcher Zahlen zu kommen. Tatsächlich geht das nur mit der minderwertigen Übungsausführung, die in Punkt 2 beschrieben ist.
Interessant ist auch, dass die sehr löblichen Studienresultate, vornehmlich Erhöhung der Faszikellänge und Reduktion der Verletzungsinzidenzen (vgl. Quadrant of Doom der Aspetar-Forschungsgruppe), trotz der mangelhaften Durchführungen erzielt wurden. Eine generelle Verbesserung bei der Übungsausführung und -dosis sollte diese Effekte noch verstärken.
Tipps zur qualitativen Übungsausführung:
Der Gamechanger, diese sehr potente Übung "trainierbar" zu machen, liegt im Einsatz der Hände. Eine manuelle Assistenz ermöglicht es, den Torso bei maximaler Hamstring-Rekrutierung in offenen Kniewinkeln teilzuentladen. Dabei kann die Optimalform länger aufrechterhalten (time under tension) und die supramaximalen Anforderungen auf das individuelle Fähigkeitsniveau angepasst werden.
Diese Regression öffnet also das Tor zur reizadäquatem Training und kann dann über die graduelle Reduktion oder Hebelveränderungen handhabbar gemacht werden.
Aus meiner Erfahrung empfiehlt sich zum Einstieg:
1. Nordic Hamstring Plank (NHP) - Offene Kniewinkel von >160°, bei gleichzeitig hoher Entlastung des Torsogewichts (Hebel), um ein Gefühl für die Position zu bekommen und wertvolle spezifische Strukturkräftigung zunächst isometrisch anzutriggern.
2. Nordic Hamstring Push-Up (NHPU) - Ähnliche Ausgangsposition wie beim NHP, mit Teilentlastung über eine exzentrische Liegestützbewegung. Graduell kann das Gewicht auf den Händen reduziert werden, indem z. B. von der flachen Hand auf die Fingerspitzen gesteigert und dann die Anzahl an "Stützfingern" reduziert wird.
3. Nordic Hamstrig Slide-Out (NHSO) - Die Hände auf einen Gymnastikball platzieren und diesen dann ähnlich einer Roll-Out-Bewegung nach vorne führen. Zur Progression können die Ballgröße verringert oder Slider (Möbelgleiter oder je nach Bodenbeschaffenheit auch ein Handtuch) verwendet werden.
und/oder
4. Razor Curl Slide-Out (RCSO) - In der Startposition mit vertikalen Oberschenkeln (Kniewinkel ca. 90°) und stark flektierter Hüfte bei gekipptem Becken die Hände wie beim NHSO nach vorne führen und graduell Knie-/Hüftwinkel öffnen. Die Endposition ist identisch wie bei Nr. 3.
Jeder Teilschritt sollte in der Regel für mehrere Wochen durchgeführt werden, bis ein Höchstmaß an qualitativem Anspruch entsprochen werden kann. Die Kontraktionszeiten sollten 3-7s bei >80% maximaler Kontraktion betragen, 2-4 Wdh. bei 2-5 Serien sind in der Regel angemessen. Umfang und Intensität sollten an den Verwendungszweck angepasst werden. Bei niedrigem Umfang (1-3x 2 Wdh.) kann die Übung sowohl als Teil eines Erwärmens oder als Prä-Aktivierung durchgeführt werden, bei mittleren Umfängen (2-4 x 2-3 Wdh.) als Potenzierung oder Teil eines Krafttraining (3-5x 2-4 Wdh.), dann allerdings nach (!) dem Sprinten oder mit ausreichend Erholungszeit vor der nächsten Sprinteinheit. Insgesamt lieber konservativ anfangen, Sehnen brauchen länger...
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Mich würde interessieren, ob und wie ihr die Übung einsetzt und welche Erfahrungen ihr damit gemacht habt!
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