30.03.2021, 12:46
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 30.03.2021, 12:49 von Wolfgang Knüll.)
- I. P. Ferdinand Schladen Rösrath 29.3.2021
Eigentlich hatte Ferdi oder Fred Betonbauer werden sollen, aber die gebückte Arbeit war Gift für seine Körpergröße. Lang und dünn wie er war, ging er nach einem Jahr ganz krumm, so dass der Amtsarzt ihm zur Verbesserung der Haltung Turnübungen empfahl, am besten im Verein. Der Heimatverein – Kessenicher Turnverein- klang ja nach Turnen, also nichts wie hin. Allerdings trainierten die „Turner“ draußen in Bonn in der Gronau, rannten auf der Laufbahn, stießen mit Kugeln, warfen Diskus oder Speer. Ferdi fragte, ob er mal die Kugel versuchen dürfte und stieß sofort über 11 Meter. Damit war er auf Anhieb Vereinsbester. Das bescherte ihm umgehend die Teilnahme an einem Leichtathletikvergleichskampf des KTV Südstern Bonn mit Dynamo Berlin – Ost, wo er in Straßenschuhen und mit geliehenem Trikot antrat. Weil man nur einen Diskuswerfer hatte, musst Ferdi auch hier ran, aus dem Stand 27,55 m. Ein Jahr später warf er westdeutschen Rekord mit 51,78 m und war fortan Mitglied im DLV-Kader. Es folgten Teilnahmen an olympischen Ausscheidungskämpfen mit der ehemaligen DDR, etliche Länderkämpfe und eine deutsche Vizemeisterschaft mit derselben Weite wie der Sieger Josef Klik, 53,96 m.
Ab 1966 verlegte er sich mehr auf das Kugelstoßen. Die Möglichkeit dazu bot sich mit der Eröffnung des Sportpark Nord in Bonn samt exklusiver Kugelstoßanlage, wo Ferdi zudem als Platzwart eine neue Aufgabe fand. Das Tollste aber war ein für damalige Zeiten perfekt ausgestatteter großer Kraftraum mit Olympiahanteln und diversen Geräten zur Kraftsteigerung. Zudem gründete sich ein neuer Leichtathletikverein, der LC Bonn, in dem sich alle Talente der Stadt sammelten, darunter auch etliche gute Kugelstoßer jenseits der 17 m, ein Speerwerfer und sogar ein Judomeister. In dieser Gruppe entwickelte Fred sein eigenes Trainingsprogramm, das später alle mitmachten. Seine Leistungen im Kugelstoßen entwickelten sich bis zum Sommer 1972 auf 19,60 m. Man ahnte, dass dies noch nicht das Ende sein würde. Während der Deutschen Leichtathletikmeisterschaften 1972 im nagelneuen Münchner Olympiastadion, die gleichzeitig ein Test für Olympia sein sollten, herrschte eine große Hitze. Statt sich für den Wettkampf zu schonen, stieß sich Ferdinand viel zu lange ein, obwohl die Kugel gleich bei fast 20 m landete. Als es dann losging, war die Spannung weg, und er wurde mit 19,37 m Vierter. Nur ein Konkurrent schaffte die geforderte Olympianorm von 20 m. Dennoch wurden umgehend die ersten Drei für Olympia nominiert. Ferdinand wurde ausgebootet.
Eine Woche nach den Meisterschaften stieß er19,97 m, ähnlich dem einstoßen in München. Am 8. August 1972 erzielte er dann seine persönliche Bestleistung im Kugelstoßen mit 20,40 m in Aachen im Rahmen eines offiziellen vorolympischen Vergleichskampfes mit asiatischen Sportlern. Dies war damals ein neuer Rekord für die Bundesrepublik Deutschland. An der Einstellung des Verbandes änderte sich freilich nichts, auch als Ferdi beim Hanns-Braun-Sportfest in München die für Olympia nominierten Konkurrenten mit 20,23 Metern bei weitem übertraf. Er wurde im Stadion bei der Siegerehrung als Star gefeiert, obwohl dort ein späterer Doppel-Olympiasieger am Start war. Das Publikum hatte ein Gespür für die Ungerechtigkeit, die Ferdi widerfahren war.
Dem Verband hat vermutlich nicht geschmeckt, dass er in Bonn ohne Trainer sein eigenes Süppchen kochte und nicht einmal Sporthilfe bekam. Sogar deutsche Rekord wurde vom DLV zunächst angezweifelt, obwohl ein Experte der Technischen Hochschule Aachen das Gewicht der Kugel und die Neigung der Anlage nachgemessen hatte. Das gesamte Procedere darf bis heute als Tiefpunkt deutscher Funktionärsherrlichkeit angesehen werden.
Immerhin war Ferdinand dann auf Geheiß des unvergessenen Josef Neckermann Ehrengast für die ganzen Olympischen Spiele. Es spricht Bände, dass der Chef de Mission und Bürgermeister des Olympischen Dorfes, Walter Tröger, ihm an Ende der Spiele die offizielle Fahne des Dorfes überreichte.
Im Jahr darauf stoppte ihn eine hartnäckige Fingersehnenverletzung. Immerhin erreichte er noch 19,70 m und im Jahr darauf 19,54. Da war er schon 35 Jahre alt. Die Zeit hatte ihn eingeholt. 1982 mit 42 Jahren beendete er seine Kugelstoßkarriere mit dem dritten Platz bei den Deutschen Meisterschaften. Ferdinand hat bis zuletzt bei vielen Gelegenheiten immer wieder öffentlich darauf hingewiesen, dass er im Gegensatz zu fast allen anderen Konkurrenten – die das auch zugaben – niemals verbotene Mittel wie etwa Anabolika eingenommen hat. Von den westdeutschen Spitzenleuten wurde er als Einziger auch bei Trainingskontrollen immer negativ getestet. Die positiven Ergebnisse wurden natürlich verschwiegen. Unter diesem Aspekt sind Ferdinands Leistungen auch international bedeutend höher zu bewerten. Dem Sport blieb Ferdi sein Leben lang verbunden, nicht zuletzt durch viele Treffen sowie Reisen mit der alten Leichtathletik- Trainingsgruppe aus dem Kraftraum in Bonn, dem sog. Club 300. Mitgliedschaft erhielt nur wer mindestens 150 kg (= 300 Pfd.) auf der Bank gedrückt hatte, alles ohne Doping versteht sich.
Legendär sind die Treffen im Keller des Hauses Wiesenweg 4 in Rösrath wo bei der alljährlichen Weihnachtsfeier auch ein weihnachtliches Bankdrücken veranstaltet wurde und sich die Tische unter den Speisen bogen, bis alles aufgegessen und ausgetrunken war. Dort tauchte Ferdinand einmal im Schottenrock auf, weil er in dem Jahr an deutschen Highland Games teilgenommen hatte. Ein andermal kam er mit Unterarmgips, den er für das Bankdrücken kurzerhand abnahm. Der Mann war einfach gewaltig. Gern lud er auch selbst ein, wie zum Spargelessen in Alfter und in jüngerer Zeit in den Garten oder in den Partykeller des Hauses am Tönnessenkreuz.
Eine kleine Geschichte sei erzählt, die ein Licht auf den Menschen wirft. Eines Tages kamen zwei junge Leute Sportpark -Nord, die gern im Verein Fußballspielen wollten, aber kein Geld für Fußballschuhe und Trikots hatten. Ferdinand hatte gerade Dienst. Kurzerhand betrat er das Büro des Bonner SC, wo er dem dort anwesenden Vorsitzenden zwei Trikotsätze abschwatzte. Die dazugehörigen Fußballschuhe besorgte er im Restaurant des Sportparks, wo Rudi Eder noch gute Paare Fußballschuhe hortete. Dann konnten die Jungs spielen. Besagtem Rudi Eder hat er vermutlich sogar einmal das Leben gerettet. Aber das ist eine andere Geschichte. Wieviel könnte man nicht noch über ihn erzählen? Auf die alten Tage 2004 bis 2008 hatten Ferdi und ich dann noch viel Spaß an der Teilnahme bei Altersklassewettkämpfen. Dann nach dem zu frühen Tod seiner Frau entwickelte sich zwischen uns eine Freundschaft über den Sport hinaus.
Das Glück wollte es, dass er für die letzten Jahre noch eine Lebensgefährtin fand.Erstaunlich bleibt für mich seine analytische Fähigkeit, die ich von Anfang an beim Techniktraining bewundert hatte. Er konnte komplizierteste Bewegungs- und wissenschaftliche Zusammenhänge verstehen, die auch vor Quantenphysik nicht haltmachten.Ein absoluter Höhepunkt in seinem Leben war sicherlich sein 80. Geburtstag, zudem Ferdi die ganzen alten Weggefährten einlud und alle kamen.
Vor fünf Monaten saßen wir noch zusammen beim Geburtstag meiner Frau. Dann ereilte ihn eine extrem seltene Autoimmunerkrankung gegen die kein Medizin ankam. Gestern ist Ferdinand Schladen für immer von uns gegangen. Ein großer Sportler im doppelten Sinne, ein großartiger Mensch und ich darf sagen, er war mein Freund. Der Rest ist Legende. In dankbarer Erinnerung Wolfgang Knüll Kugelstoßen 17,14 m