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Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - Druckversion

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Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - Atanvarno - 20.12.2015

https://mpra.ub.uni-muenchen.de/44627/1/MPRA_paper_44627.pdf

Spieltheoretische Betrachtung  des Doping-Dilemmas unter Berücksichtigung der Interaktion von Athleten, Sportorganisationen und (neu in dieser Betrachtung) Zuschauern/Medien/Sponsoren durch eine Forschergruppe um Prof. Eike Emrich.

Gemäß der Betrachtung gibt es ein Nash-Gleichgewicht in dem das Verhalten der Zuschauer/Medien/Sponsoren, sich nur im Falle eines Dopingskandals von der Sportart abzuwenden, die Sportorganisationen veranlasst, nicht konsequent gegen dopende Athleten vorzugehen. Wir sind also Schuld an Lamine Diack Wink
Die Untersuchung wurde 2013 veröffentlicht. Die Erkenntnisse dieses Jahres machen erschreckend deutlich, dass die angenommene Strategie der Sportorganisationen (nicht gegen Doping vorgehen) voll zutraf.

Um ein dopingfreies Nash-Gleichgewicht herzustellen, müssten laut dem Artikel folgende Änderungen passieren.
- Es muss vollständige Transparenz bezüglich Dopingtests herrschen. D.h. Zuschauer/Medien/Sponsoren müssen nicht nur erfahren, wenn es einen positiven Test gab, sondern sie müssen wissen, wie viele Tests es gab und wieviele negativ waren und wie die Anti-Doping-Bemühungen im Detail aussehen
- Zuschauer/Medien/Sponsoren müssen aus dem Fehlen überzeugender Anti-Doping-Bemühungen die Konsequenz ziehen, sich vom Sport abzuwenden, auch wenn keine positiven Tests vorliegen.

Daraus werden folgende Konsequenzen für Anti-Doping-Maßnahmen abgeleitet
- die Anti-Doping-Maßnahmen müssen aus den Händen eines Mitspielers (Sportorganisaton) in die Hände unbeteiligter Dritter gehen (auch wenn das im Artikel angedeutet wird, reicht dazu aber aus meiner Sicht kein Anti-Dopinggesetz, das sich nur um die Bestrafung kümmert, sondern dann muss auch der ganze Kontrollapparat in staatliche Hände oder zu einer vollständig unabhängigen Organisation)
- um den Zuschauern/Medien/Sponsoren eine informierte Entscheidung zu ermöglichen, ob sie einer Sportart die Unterstützung entziehen, müssen alle Dopingtests offengelegt werden, beispielsweise durch Veröffentlichung der ADAMS-Daten

Eine Alternative zur unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Persönlichkeitsrechte zweifelhaften Veröffentlichung der ADAMS-Daten wäre, dass die WADA ein Ratingsystem entwickelt, in dem die Anti-Doping-Bemühungen der Sportarten klassifiziert werden (wobei man darüber streiten kann, ob die WADA unabhängig oder ein Mitspieler ist).

Wenn es dieses Ratingsystem gäbe, läge es in der Hand der Zuschauer/Medien/Sponsoren, ob sie wirklich einen dopingfreien Sport wollen, indem sie aus schlechten Ratings die Konsequenzen ziehen und die Sportart nicht mehr unterstützen.

In der aktuellen Situation hieße das wohl, dass wir die Leichtathletik nicht mehr unterstützen dürfen - sind wir dazu bereit?


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - RalfM - 21.12.2015

Game theory is gaming. We do not want to have athletes being robbed of their personal life and fundamental rights only to renew their national starting license. Such scenarios can be theoretically modeled, but in practice they have to stay outside of the lives of existing athletes. This is most probably consensus between most of all.

I suggest adding the role of customers of 2nd order into the model. It has been said before that the actors are of minor relevance in the great sports game, it's more about the spectators. The closest spectators, thus, must be part of the model.
 
Customers of 2nd order are professors and their groups in sport science who feed on real sports.

What is their role in driving doping to 3rd order? Where is DFG-funding?


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - Atanvarno - 21.12.2015

Ist die Botschaft, dass unkritische Zuschauer Teil des Doping-Problems sind, so abwegig, dass man die Überbringer dieser Botschaft angreifen muss?

Der Gedanke, die ADAMS-Daten offen zu legen, wurde ja von Emrich et. al. selbst als unpraktikabel eingeschätzt und ein gangbarer Alternativvorschlag zur Lösung des Informationsproblems gemacht.

Wenn du Spieltheorie ohne Begründung als Spielerei abtust, machst du es dir ein wenig zu einfach.


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - RalfM - 22.12.2015

(21.12.2015, 23:33)Atanvarno schrieb: Ist die Botschaft, dass unkritische Zuschauer Teil des Doping-Problems sind, so abwegig, dass man die Überbringer dieser Botschaft angreifen muss?
JA. Ich halte dies für eine abwegige Idee.

Zuschauer sind Zuschauer, sie haben vielleicht eine enge Verbindung zu dem zugeschauten Sport, vielleicht eine lose, oder gar keine... Wie können sie verantwortlich gemacht werden für ein Doping-Problem in einem Sport, an dem sie gar nicht teilnehmen?

Die Verantwortung liegt bei den Handelnden, nicht den Zuschauenden.


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - Atanvarno - 22.12.2015

Auch die Zuschauer/Medien/Sponsoren sind Handelnde in diesem Spiel. Nur durch die durch unser Interesse generierte finanzielle Unterstützung wird das Spiel überhaupt gespielt.
Entziehen Z/M/S wegen fehlender Anti-Doping-Bemühungen einem Sport ihre Unterstützung (eine aktive Handlung), ist die Sportorganisation gezwungen, ihre Strategie zu ändern und vernünftig zu testen.
Unterstützen sie den Sport weiterhin tragen sie dazu bei, dass auch Sportler und Sportorganisation ihre Strategien (dopen und nicht testen) beibehalten.

Natürlich wäre es wünschenswerte, wenn es die Strategie vieler Sportler wäre, nicht zu dopen, dann sind wir aber wieder bei dem hier ausführlich diskutierten Thema. Moralisches Verhalten ist keine Selbstverständlichkeit, sondern müsste aktiv gefördert werden.
Hinzu kommt, dass "nicht dopen" keine gewinnbringende Strategie ist, wenn die Sportorganisationen bei "nicht testen" und die Zuschauer bei "weiter zuschauen" bleiben.

---edit
Im Prinzip ist es doch sogar für die Zuschauer am einfachsten, ihre Strategie zu ändern (nicht zuschauen, statt zuschauen). Bei Sportlern und Sportorganisationen geht es um den Beruf, bei den Zuschauern nur um ein Freizeitvergnügen, das sie dann eben nicht mehr haben (die Medien/Sponsoren finde sicher auch eine andere Sportart oder etwas völlig anderes, das/die sie unterstützen können).
Man kann sich auch fragen, ob man nur den Sportlern moralisches Verhalten abverlangen darf (dopen ist falsch) oder ob das nicht auch für den Zuschauer gilt (einen eindeutig dopingverseuchten Sport anzuschauen ist falsch)?


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - RalfM - 22.12.2015

(22.12.2015, 21:29)Atanvarno schrieb: Auch die Zuschauer/Medien/Sponsoren sind Handelnde in diesem Spiel. Nur durch die durch unser Interesse generierte finanzielle Unterstützung wird das Spiel überhaupt gespielt.
Na gut. Dann lass uns bei Dir anfangen. Wenn Du nicht ständig das erlahmende Interesse für die Doping-Leichtathletik neubeleben würdest, hätte sie sich schon längst erledigt.

Richtig? Falsch?

Du bist schiuldig, Atanvarno, Du Sepp Blatter der Leichtathletik der vierten Generation.

Schöne Feiertage! Ralf


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - Atanvarno - 22.12.2015

Richtig und durchaus etwas über das ich in letzter Zeit intensiv nachdenke.

--edit
Richtig im Sinne von Mitschuld, die Alleinverantwortung übernehme ich nicht Wink


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - MZPTLK - 23.12.2015

Darüber wurde und wird zuwenig nachgedacht.
Viele sind sich ihrer (Mit-)Wirkung im Spiel gar nicht bewusst.
Verantwortung schiebt man immer gern auf Andere, auf die zuständigen Institutionen.
Strukturelle Wirkungen und Verantwortlichkeiten erscheinen zu kompliziert und kaum zurechenbar.

Es spitzt sich auf die Frage zu: was für einen (Spitzen-)Sport wir wollen.
Da ist Jeder gefragt.
Solange die Meisten in Bewusstlosigkeit, Heuchelei und Verdrängung verbleiben, kann sich nicht viel ändern.


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - RalfM - 23.12.2015

Andere Antwort. Ich bekomme regelmäßig Anrufe über Telefon-Festnetz aus irgendwelchen Callcentern, die ich dann höflich beende, manchmal ruft auch eine Maschine an und spielt mir etwas vom Band ab. Die denken wohl, ich hätte Geld.

Meine Reaktion könnte jetzt sein, überhaupt nicht mehr ans Telefon zu gehen. Am besten den Anschluss abmelden. Weil ich ja als Konsument nicht mehr weiter die Triebfeder für diesen Scheiss sein will. Ich, ich schuldiger.

Richtig? Falsch?


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - Pollux - 23.12.2015

Thumb_up
Die Rede von Schuldbewusstsein würde ich (im Kontext der Verantwortung) nur einem Kierkegaard abnehmen! Niemals aber einem Spieltheoretiker! Schließlich war Diack auch einer! 

Ich denke, Sport ist ein Glaubens- und Erwartungssystem. Wir glauben, dass es auf dem Platz authentisch zugeht. Und wir erwarten dasselbe. In diesen Fällen sind wir aber schon Freunde der Verantwortung. Denn wir haben das Gefühl, dass es auch ganz anders zugeht. Aber wir können es nur selten genau (und hinreichend) wissen. Folglich gibt es für den Zuseher  ein Verantwortungsbewusstsein für diejenigen, die das Authentische (und daher das manipulationsfreie Handeln) pflegen. In diesem Sinn geht man auch im Bewusstsein des Nichtwissens und der Verantwortung ans Telefon. 

Oder aber man identifiziert Verantwortung mit Skepsis. Als einer Pflicht zur Skepsis. Aber das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Denn wenn z.B. die Schippers in Karlsruhe die absolute Höchstleistung bringt und dem Zuseher noch vor dem ersten Jubel der Verdacht in den Nacken kriecht, kann dies nur als Zeichen gedeutet werden, dass die Praxis schon im Siechtum begriffen ist. Aber die Generali-Versicherung kann nicht den Verdacht monopolisieren. Und schließlich muss sich der "Verbraucher" (welch grausliger Begriff) auch (ganz schuldunbewusst) auf Institutionen verlasssen können. Sonst wird er tendenziell mit Verantwortung überlastet. 

PS. Glücklicherweise kommt dann ein Eisverkäufer und hat das neueste Ranking dabei. Der Leichtathletikverband kann derzeit als integer klassifiziert – und damit als kreditwürdig angesehen werden. Uiiiii, da lacht der schuldbewusste Pferd!