20.03.2017, 11:41
(17.03.2017, 15:48)MZPTLK schrieb: Eine aktuelle Studie des Allensbach-Instituts im Auftrag des Hochschulverbandes befragte 1000 Professoren.
Antworten zum Bologna-Prozess:
79 % hat zu mehr Bürokratie an der Hochschule geführt
72 % hat die Lehre unflexibler gemacht
71 % hat zu einer höheren Prüfungsbelastung für die Studierende geführt
71 % hat zu einer höheren Prüfungsbelastung für Professoren und Lehrstuhlinhaber geführt
61 % führt dazu, dass sich unter den Studierenden keine Selbständigkeit und kein selbständiges Denken ausbilden können
Ja, das Bologna-System hat in vielen Bereichen wirklich katastrophale Folgen. Von dem was ich an der Uni mitbekommen und von Lehrenden höre trifft diese Einschätzung der Profs wirklich zu. Auch kenne ich persönlich einige Menschen aus Uni-Verwaltungen, die ein Lied davon singen können, wie viel Mehrarbeit direkt durch diese Reformen versucht worden ist … und der Prozess ist noch nicht zu Ende.
Dazu kommt, dass die durch die Modularisierung und die ECTS Punkte angestrebten nützlichen Effekte häufig eher nicht erreicht werden. Man kann selbst beim Wechsel von einer Uni zur anderen innerhalb von D. massiv Punkte verlieren, obwohl man die zu den Modulbeschreibungen passenden Inhalte durchgenommen hat. Ich kenne sogar Berichte von Problemen mit Anerkennungen von Leistungen beim Wechsel im selben Studiengang im selben Bundesland bzw. beim Wechsel vom Bachelor zum Master-Teil. So etwas hängt teilweise natürlich an konkreten Menschen (und ihren Ego-Problemen), teilweise auch an Problemen von ganzen Unis und deren Konkurrenz zueinander. (Sind am ende dann teilweise quasi Ego-Probleme von Unis).
Zugegeben, es gibt auch einige nützliche Effekte des Prozesses. Es ist für die Studierenden leichter geworden, sich zu orientieren. Es ist etwas leichter, nur Kurse zu belegen, die auch gut in den Studiengang passen. Möglicherweise war die Lehre manchmal etwas zu flexibel.
Allerdings sollte man das im Zusammenhang mit der modernen Massen-Universität betrachten. Lehrveranstaltungen mit eher exotischen Themen am Rande der Disziplin sind eigentlich sogar zu begrüßen als Horizonterweiterung – solange es genügend Alternativen gibt. Leider sind die Wahlmöglichkeiten heute oft einerseits durch die Überbelegung der Unis, andererseits durch die Modularisierung stark eingeschränkt.
Dabei kommt es nicht selten zu idiotischen Situationen, es wird das Bestehen von Veranstaltungen vorausgesetzt, um andere besuchen zu dürfen, obwohl das inhaltlich nicht notwendig wäre. Es geht in erster Linie eben daran, die Studierenden schnell auf einem klar vorgegeben Weg durch die Unis zu schleusen. Dass Selbständigkeit und selbständiges Denken oft auf der Strecke bleiben, ist logisch.
Ein Professor hat mal in etwa zu mir gesagt: „Eigentlich müssten wir ja mehr darauf schauen, was sie können, und weniger auf die Punkte und Noten.“ Wahre Worte, aber das war noch einer von der „alten Schule“. Wenn diese Generation aufhört und durch Menschen ersetzt wird, die schon im neuen System groß geworden sind und das daher kaum hinterfragen, wird es erst richtig problematisch werden.
Der Bologna-Prozess darf imo zur Zeit mit gutem Gewissen als gescheitert bezeichnet werden. Es war auch der Versuch, eine effizienzorientierte, bürokratisch-technokratisch orientierte Antwort auf die Probleme der überlasteten Unis zu geben. Leider ist eben mehr Bürokratie und weniger Effizienz die Folge. Das wäre übrigens noch viel krasser, wenn man nicht gleichzeitig einige Einsparungen durch Umstellung auf mehr IT-basierte Verwaltung von Lehre und Prüfungen gehabt hätte. Da gibt es einige Erfolge, die die Misserfolge von Bologna kaschieren können, auf der anderen Seite eben eine so große Überregulierung und natürlich oft immer noch Ausnahmen, Scheine … dass die Bürokratie eben insgesamt zunimmt. Es ist auch an einigen Unis zu einer Machtverschiebung gekommen: Weg von den Lehrenden, hin zur Verwaltung.
Eine Antwort auf eine Folge der Bildungsinflation, die zu mehr Bildungsinflation führt, kann kaum erfolgreich sein.
Man fragt sich, wie man das überhaupt durchsetzen konnte. Neben einem Mangel an echter Demokratie im Bildungssystem lag es imo an der fehlenden Einigkeit: An den dt. Hochschulen war eine Mehrheit quer durch das gesamte politische Spektrum gegen das neue System. Aber man hat sich nicht gemeinsam ausreichend dagegen gewehrt.
Es bräuchte jetzt eine kraftvolle internationale Bewegung, um das zurückzudrehen bzw zumindest die schlimmsten Neuerungen wieder zu ändern. Davon sehe ich aber wenig, ich sehe eher eine Tendenz zu einer häufig kontraproduktiven „Reformitis“ in einem System, das noch „falscher“ ist als es mal war.
Gruß
C