08.07.2016, 09:24
(04.07.2016, 23:24)icheinfachma schrieb: Wahre Worte... Das Abitur inflatiert.
Bildungsexpansion führt nahezu zwangsläufig zur Bildungsinflation. Und in dem Maße, wie die Bildungsexpansion in D. vorangetrieben wurde, war die Inflation der Bildungstitel unvermeidlich, weil die Nachfrage der Wirtschaft nach höher qualifizierten nicht so schnell steigen konnte.
Und die Bildungsexpansion zu betreiben war natürlich in einem gewissen Maß absolut notwendig, da war der Warnruf von Georg Picht 1964 durchaus berechtigt.
Das man heute bei der Akademisierung unser Gesellschaft in vielen Bereichen über das Ziel hinausschießt, ist relativ offensichtlich. Aber die selbstzerstörerischen Tendenzen des Kapitalismus sind eben schwer aufzuhalten ...
(04.07.2016, 23:24)icheinfachma schrieb: Aktuell gibt es solche Lehrer noch nicht bzw. kaum, weil früher das Abitur und das Studium viel schwerer waren und nur von ganz wenigen zu schaffen war.
Wann ist „früher?“ Das Abitur war mal schwerer als man philosophische Texte auf Latein und altgriechisch lesen (nicht bloß mühevoll übersetzen) können musste. Das ist lange her und das braucht man wohl seit über 50 Jahren nicht mehr. altgriechisch wird kaum noch unterrichtet und schon vor 25 Jahren haben Menschen das Latinum bekommen, die gerade so „De bello gallico“ entziffern konnten.
1972 wurden in der BRD die gymnasiale Oberstufe reformiert und die Möglichkeit geschaffen, Schwerpunkte durch Leistungskurse zu setzten, es gab insgesamt mehr (Ab-)wahlmöglichkeiten.
Es gab dann durch diese Reform die Möglichkeit, ein richtig dünnes Brett zu bohren …. gerade auch für gute Sportler*innen durch einen dreifach bewerteten Sportleistungskurs.
Nach und nach hat man wieder mehr Verpflichtungen eingeführt und Wahlmöglichkeiten abgeschafft. Leistungskurse nur noch zweifach bewertet etc.
Heute haben wir nationale Bildungsstandards in den meisten Fächern und in allen Bundesländern außer Rheinland-Pfalz Zentralabitur. Schüler*innen müssen sich bis zum bitteren Ende durch Analysis, Matrizenrechnung und Stochastik quälen, obwohl sie Hebamme, Krankenpfleger oder Deutschlehrer*innen werden wollen.
Also das Abitur ist in den letzten 20 Jahren nicht signifikant leichter geworden. Es ist etwas berechenbarer geworden durch das Zentralabitur → die Aufgabentypen ähneln denen der vorigen Jahre sehr. Dadurch kann man mit „teaching to the test“ relativ erfolgreich sein – mit nachhaltigen Bildungsprozessen hat das u. U. aber recht wenig zu tun.
Dass heute mehr Menschen Abitur machen, liegt also wirklich zu einem nicht geringen Teil an Fortschritten bei der Mobilisierung von Schüler*innen aus Schichten, in denen früher ein sehr viel geringere Teil Abitur machen konnte, da hat MZPTLK recht.
Allerdings stagniert der Abbau der Bildungsungleichheit im wesentlichen seit Jahren, und die Bolognareform hat das auch nicht wesentlich verbessert, sondern vieles verschlechtert.
Sowohl die Standardisierung im Schulbereich als auch die Bologna-Reform sind der Versuch, das Bildungssystem nach technokratischen und ökonomistischen Prinzipien umzubauen: Ziel ist, in möglichst kurzer Zeit gut verwertbare (und möglichst unkritische) Fachmenschen zu schaffen und nebenbei die weitere Reproduktion und Distinktion der Eliten und deren Legitimation durch das Bildungssystem zu sichern.
Gruß
C