(08.07.2016, 09:50)icheinfachma schrieb: Ja, wie schon erwähnt - ich gehe da von den neuen Bundesländern aus. Dort gab es zu DDR-Zeiten keine abwählbaren Kurse, um die Gesamtnote zu schönen, wie es heute der Fall ist. Und allein die Tatsache, dass in der DDR ein viel geringerer Prozentsatz zum Abi kam als die heutigen weit über 40%, obwohl die soziale Herkunft keine Rolle gespielt hat, spricht auch für sich. Den Anforderungsgrad des Abitur daran zu messen, ob man Altgriechisch oder Latein lernen musste, ist auch nicht ganz nachvollziehbar...
Du hast mich nicht richtig verstanden. Macht nichts, das Missverständnis ist der Normalfall. Nein, der Prozentsatz spricht eben nicht für sich. Eine monokausale Erklärung, wie: „Es machen genau deshalb mehr Menschen Abitur, weil es leichter geworden ist.“ ist viel zu simpel und spricht nicht dafür, dass du eine Berechtigung hast, hier über den Bildungsstand deiner Kommiliton*innen herzuziehen. Wenn du dich mit auch nur annähernd ähnlichem Eifer mit unserem Bildungssystem und seinen gesellschaftlichen Bedingungen befasst hättest wie mit der Sportwissenschaft, würdest du womöglich nicht auf solche Kurzschlüsse kommen. Aber vielleicht lässt in deinem Studiengang auch die Lehre in diesem Bereich zu wünschen übrig, dann kannst du diesen Vorwurf direkt an deine Dozenten weiterreichen. Vielleicht machst du auch kein Lehramt und hast nur Kurse zusammen mit den Lehrämtlern, dann hast du in diesem Bereich vermutlich keine Pflichtkruse. Dennoch sollte, wer mitreden will, auch bereit sein sich ernsthaft nachzudenken und sich zu informieren - kann dir gerne Literaturtipps geben.
Die meisten Gymnasien in D waren humanistisch geprägt und das hieß: Latein und altgriechisch für alle. Bedeutet, dass man nach Volks- oder Mittelschule kaum einsteigen konnte, weil dort kein Latein unterrichtet wurde. Das hat viele ausgeschlossen. Und dann ist das auf einem hohen Niveau einfach deutlich schwerer als z. B. Englisch, die Grammatik ist komplexer, die typischen Inhalte der Texte auch.
Aber das ist natürlich nicht der einzige Grund, warum mittlerweile mehr Menschen Abitur machen. Es machen auch mehr Menschen Abitur, weil es mehr Menschen für ihre geplanten weiteren Bildungsweg brauchen bzw. meinen, dass sie es benötigten. Es gibt immer mehr Ausbildungsberufe, die eine Hochschulreife voraussetzen. Banklehre war lange mit Realschulabschluss kein Problem, da wird mensch heute in den meisten Fällen nicht mehr ohne Hochschulreife genommen. Nur ein Beispiel von vielen.
Abwählbare Kurse haben per se erst einmal nichts mit „Schönung der Note“ zu tun. Es wird nur leichter, wenn die Leistungsanforderungen in den Fächern stark differieren, und man leichtere Fächer wählt. Und da gibt es eben leider eine alte Tradition, dass die vor allem in zwischen Neben- und Hauptfächern stark abweichen und es auch in den Fächergruppen eine Hierarchie gibt. Allerdings gibt es natürlich auch eine Menge Klischees und zumindest vor dem Zentralabitur gab es eine größeren Einfluss der Lehrer*innen auf die nötigen Leistungen.
Und muss man heute noch erwähnen, dass der mögliche Bildungsweg in der damaligen DDR auch von der politischen Linientreue abhängen konnte? Dazu war es in einem autoritären System natürlich grundsätzlich leichter, die Quoten für bestimmte Bildungsgänge durchzusetzen.
(08.07.2016, 09:50)icheinfachma schrieb: Und was die "nationalen Bildungsstandards" angeht: Bildung ist immernoch Ländersache. Außerdem wird ein Abitur nicht automatisch besser, wenn man es gleich macht. Vielleicht ist es dann nur überall gleich schlecht.
Wo habe ich behauptet, dass das Abitur besser geworden wäre? Ich habe nur behauptet, dass es in den letzten 20 Jahren nicht erheblich leichter geworden ist.
Und komm mir bitte nicht mit solchen trivialen Argumenten „Ländersache“, sondern beschäftige dich mit der realen Geschichte unseres Bildungssystem und den politischen Beschlüssen. Es gibt Beschlüsse der Kultusministerkonferenz zu nationalen Bildungsstandards, und wenn Bundesländer verpflichten sich diese zu übernehmen, dann kommt es auch zu einer nationalen Durchsetzung. Natürlich gibt es noch große Unterschiede zwischen den Bundelsländern, aber das föderale System verhindert nicht grundsätzlich die Durchsetzung und Akzeptanz nationaler Bildungsstandards. Es verhindert nur, dass eine Bundesregierung solche Standards beschließen und durchsetzen kann.
(08.07.2016, 09:50)icheinfachma schrieb: Es bleibt dabei - Solche Leute, wie ich unter meinen Lehramtskommilitonen habe, gab es in meiner Schulzeit unter den Lehrern nicht: Rechtschreibmängel, deutliche Wissenslücken im Fach, das Semester über nichts machen und kurz vor den Prüfungen lernen, sodass man sich langfristig nichts merkt oder auch einfach nur beim Lösen beliebiger Aufgaben oder Zwischenfragen in der Vorlesung zur Schau gestellten Dämlichkeit.
Es gab sie in deiner Schulzeit unter deinen Lehrern womöglich nicht. Von dieser geringen Stichprobe auf pauschale Aussagen kommen zu wollen, verbreitet auch nicht gerade akademischen Glanz. Möglicherweise glänzen einige bei dir im Studium noch weniger, deswegen muss der Einäugige nicht auf die Blinden herabsehen.
Und möglicherweise fördert der von mir kritisierte letzte Umbau unseres Hochschulsystems gerade das von dir beschriebene „Bulimie-Lernen“ und deine Kommiliton*innen folgen der Eigenlogik des Systems und ihrem Habitus, der weit mehr von ihrer sozialen Herkunft als durch ihre institutionell bescheinigte Hochschulreife bestimmt wird.
Gruß
C