Deine nachdenkliche Story hat mich zu folgendem Aufsatz inspiriert, auch wenn die Begegnung von David und Goliath eine ganz andere ist. Es geht um alt und jung und Technik. Nur anders. Verzeih, wenn es nicht hierher passen sollte.
Als ich mit 13 nach Italien kam, in ein nobles Internat hoch über der ligurischen Küste, eine Stundenwanderung entfernt von Portofino und Rapallo, war ich glücklich, dem deutschen Schulsystem entkommen zu sein. Anstatt der üblichen Tadel wegen meiner miserablen Rechtschreibung erntete ich Lob, ja Bewunderung dafür, wie schnell ich mich des Italienischen bemächtigt hatte. Auch der elterlichen und noch schlimmer der großmütterlichen Aufsicht war ich entkommen und fühlte mich in der großen Gemeinschaft der gleichaltrigen und älteren Schüler so frei wie bis dahin nur in den Ferien.
Es gab nur vier Unterrichtsstunden täglich, nachmittags nur Studierzeiten, also betreutes Aufgabenmachen, und sportliche Vergnügungen (vornehmlich Fußball, Tischfußball und Tischtennis). Doch im späteren berühmten Nachhinein musste ich feststellen, dass ich in keinem Schuljahr jemals mehr gelernt hatte, als in jenem. Noch heute muss ich an die heiteren, spannenden Stunden denken, die ich mit drei Freunden beim Studium der Geographie und Arithmetik in einer verfallenen Hütte verbrachte, die wir im Wald der an den Fußballplatz grenzte, entdeckt hatten. Wir waren verwegene Räuber, aßen Weißbrot und Schokolade, die wir uns bei der offiziellen Merenda heimlich in die Taschen getopft hatten, und pafften dazu gemeinsam eine Kräuterzigarette. Unsere Prüfungsresultate waren sensationell und wir lachten uns ins Fäustchen, warfen uns verstohlen grinsende Blicke zu. Triumphal.
Im Italienischunterricht lasen wir in einer dicken Anthologie, Texte von denen einer mir Jahr für Jahr wieder aus der Erinnerung entgegensteigt, ja mich als Thema durchs Leben begleitet:
Ein in die Jahre gekommener Fahrrad-Profi radelt durch die gelb und grün leuchtenden Hügel der Toskana, vorbei an Weinbergen, Orangengärten, durch Alleen aus bizarren, über die Straße ragenden Pinien oder schlanken hohen Zypresse, erfreut sich seiner Kraft, seiner Ausdauer und genießt den kühlenden Fahrtwind, als er plötzlich von einem Kollegen überholt wird. Er versucht kurz, sich ihm anzuschließen, muss aber aufgeben und sieht dem weitaus jüngeren und entsprechend vor Kraft strotzenden Fahrer wehmütig hinterher. Er taxiert dessen Technik und bemerkt Fehler, die er selber seinerzeit auch gemacht hatte und beheben musste, um erfolgreich zu sein. Und nun sieht er sich trotz seines ausgefeilten Könnens von der rohen Gewalt dieses Jünglings überrollt.
Ich hatte mich damals im Internat schon als bester Weit- und Hochspringer meiner Klasse hervorgetan, Ausgleich für meine miserablen Fähigkeiten beim Fußballspiel, die mich wiederum zum begehrten Torwart machten. Aber wie hätte ich ahnen können, dass ich eines Tages dastehen würde wie ich seit Jahrzehnten dastehe, der jugendlichen Sprungkraft verlustig und die Techniken der neunen Hochspringer-Generationen kritisierend? Wie damals der Seniorenradler in der Blütenlese. Warum hat mich das so angesprochen und beeindruckt, dass es mich bis heute verfolgt? Meine Antwort darauf behalte ich für mich, wie ich seit langem meine Ansichten zum Golfunterricht für mich behalte und wie ich auch bald meine Kritiken an der deutschen Hochsprunglehre für mich behalten werde. Der Kollege auf seinem Fahrrad in der Toskana ist ja – so weit ich erinnre –auch einfach nur weitergefahren. Und war glücklich. Ich liebe ihn.
Dem nach höherem Strebenden ist nichts zu hoch sondern alles zu nieder. (vonmia)
04.05.2014, 16:03 (Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 04.05.2014, 16:05 von MZPTLK.)
(04.05.2014, 14:20)ThomZach schrieb: Deine nachdenkliche Story hat mich zu folgendem Aufsatz inspiriert, auch wenn die Begegnung von David und Goliath eine ganz andere ist. Es geht um alt und jung und Technik. Nur anders. Verzeih, wenn es nicht hierher passen sollte.
Es geht hier weniger um alt und jung, sondern um 2 'Konzepte':
Hammer als Objekt missverstehen versus als Subjekt verstehen
Hammer misshandeln versus Hammer fühlen
Hammerk®ämpfen versus Hammerwerfen
Goliath geht sehr autistisch zu Werke, er nimmt die Sprache, die Signale, die Rückmeldung des Hammers nicht oder nur unzureichend wahr, will sie jedenfalls nicht wirklich wahr-haben.
Der Hammer spricht zu ihm: 'was machst du mit mir in der Einbeinstützphase, warum bremst du mich, warum kämpfst du gegen mich?'
'Warum beschleunigst du mich nicht in Wurfrichtung, sondern in Netzrichtung?'
'Warum lässt du mich nicht harmonisch in einem grossen Orbit kreisen, damit ich mich wohlfühle und weit fliegen kann?
Usw..
Goliath hört es nicht.
Er entwickelt keine Sensibilität zum Hammer.
Der Hammer schickt ihm die Rechnung: 15 m Abzug von der möglichen Weite.
04.05.2014, 16:22 (Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 04.05.2014, 16:23 von ThomZach.)
(04.05.2014, 16:03)MZPTLK schrieb: Es geht hier weniger um alt und jung, sondern um 2 'Konzepte':
Hammer als Objekt missverstehen versus als Subjekt verstehen
Hammer misshandeln versus Hammer fühlen Hammerk®ämpfen versus Hammerwerfen Goliath geht sehr autistisch zu Werke, er nimmt die Sprache, die Signale, die Rückmeldung des Hammers nicht oder nur unzureichend wahr, will sie jedenfalls nicht wirklich wahr-haben.Der Hammer spricht zu ihm: 'was machst du mit mir in der Einbeinstützphase, warum bremst du mich, warum kämpfst du gegen mich?' 'Warum beschleunigst du mich nicht in Wurfrichtung, sondern in Netzrichtung?' 'Warum lässt du mich nicht harmonisch in einem grossen Orbit kreisen, damit ich mich wohlfühle und weit fliegen kann? Usw.. Goliath hört es nicht. Er entwickelt keine Sensibilität zum Hammer. Der Hammer schickt ihm die Rechnung: 15 m Abzug von der möglichen Weite.
Achso. Gut dass Du 's sagst.
Dem nach höherem Strebenden ist nichts zu hoch sondern alles zu nieder. (vonmia)
04.05.2014, 16:26 (Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 04.05.2014, 16:29 von MZPTLK.)
(04.05.2014, 16:22)ThomZach schrieb:
(04.05.2014, 16:03)MZPTLK schrieb: Es geht hier weniger um alt und jung, sondern um 2 'Konzepte':
Hammer als Objekt missverstehen versus als Subjekt verstehen
Hammer misshandeln versus Hammer fühlen Hammerk®ämpfen versus Hammerwerfen Goliath geht sehr autistisch zu Werke, Goliath hört es nicht. Er entwickelt keine Sensibilität zum Hammer. Der Hammer schickt ihm die Rechnung: 15 m Abzug von der möglichen Weite.
Achso. Gut dass Du 's sagst.
Das hatte ich im vorigen Kapitel 'der Determinator' schon vorbereitet und dachte, dass es durch die Gegenüberstellung der 'Konzepte' im Wettkampf deutlich wird.
Goliath und sein Trainer doktern an Wirkungen, nicht an Ursachen herum.
Es gibt dadurch keinen -nachhaltigen- Fortschritt.
Auch das hatte ich vorbereitet
04.05.2014, 17:55 (Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 04.05.2014, 17:56 von ThomZach.)
(04.05.2014, 16:26)MZPTLK schrieb: Das hatte ich im vorigen Kapitel 'der Determinator' schon vorbereitet und dachte, dass es durch die Gegenüberstellung der 'Konzepte' im Wettkampf deutlich wird. Goliath und sein Trainer doktern an Wirkungen, nicht an Ursachen herum. Es gibt dadurch keinen -nachhaltigen- Fortschritt. Auch das hatte ich vorbereitet
Ich hab mich durch die Form vom Inhalt ablenken lassen...
Dem nach höherem Strebenden ist nichts zu hoch sondern alles zu nieder. (vonmia)
10.05.2014, 19:16 (Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 10.05.2014, 20:24 von MZPTLK.)
Du drehst wie ein liebestoller LSD-Hippie!
Brummt der Bass.
- Falsch, Trainer, wie ein torkelnder Trollipolli!
Auch nicht schlecht, notiere ich mir sofort - für später...
Willkommen bei den Bullen, den 70 m Werfern!
Christian, im Ernst: in die Erste etwas weiter rum!
- Logo!
Karlheinz dreht 6mal auf der Platte.
Hat er's verlernt?
- Das nicht, aber er hat in letzer Zeit eine kleine Geschwindigkeitsbarriere.
Die knacken wir mit:
1. 5-6 Drehungen
2. kürzeren Drähten
3. leichteren Hämmern
Hans macht Fussarbeit ausserhalb der Anlage.
- Er hat viel an Kraft zugelegt und kann den Druck nicht richtig aus den Füssen übertragen.
Was nützt die Kraft, wenn sie verpufft, wenn sie leerläuft?
Wenn der Hammer fragt: wo bleibst Du, ich warte!
Christian konzentriert sich,
erwischt den Tiefpunkt vor dem rechten Fuss,
geht flüssig in die Erste,
trifft die Achse optimal.
Das sieht alles harmonisch, leicht und schnell aus
Der Abwurf kommt lang und hoch, zisch!
Der Hammer schiesst in den Abendhimmel,
scheint am Peak einen Moment zu verharren,
und plumpst satt und zufrieden in die Wiese.
Christian steht eng und ausbalanciert, kein Wackeln.
Er schaut dem Hammer hinterher, als wollte er einen Freund verabschieden.
'Der kommt mit Schnee wieder runter!'
flachst der Bass.
Wie hat sich das angefühlt, Christian?
- Ich hatte volle Balance.
Konnte mich voll auf das Gefühl zum Hammer konzentrieren.
Ich habe mich in den Hammer fallen lassen,
mich rangehängt. Von Anfang an hatte ich Druck in den Fingerspitzen.
In der letzten konnte ich etwas mehr absenken und früh setzen.
Da habe ich ihn voll erwischt,
einfach nur geil!
74,76.
Neue Bestleistung!
Null Meter Strafe!
Mann du rückst ja langsam dem Karlheinz auf die Pelle!
- Den lasse ich noch einmal Meister werden, danach ist er fällig!
Hast du das gehört, Grossmeister?
- Soll das ein Zwergenaufstand werden?
Wissen Sie, der Übergang in die Erste ist das Wichtigste und Schwierigste beim Hammerwerfen.
Daran haben auch die Topleute immer wieder zu knabbern und zu optimieren.
Man muss von Anfang an den Tiefpunkt, den Orbit und das Hammergefühl finden.
Später lässt sich sehr wenig korrigieren. dafür sind die Kräfte, die man gerufen hat, zu gross.
Wir analysieren das motorische Anforderungsprofil,
diagnostizieren die Leistungsvoraussetzungen,
identifizieren die zielführenden Trainingsmittel..
trotzdem blebt jede Anwendungssituation singulär!
Eskalierende Würfe kosten die 70, 80 m Leute sehr viele Meter.
Christians Wurf vor dem Perfekten hat ihn mindestens soviel Kraft gekostet, war aber etwa 8-10 m kürzer.
Der Hammer will Akzeleration, er weiss, dass der Mensch ihn in der Einbeinstützphase nicht beschleunigen kann und dass er dann etwas langsamer wird, aber er rächt sich sofort, wenn der Werfer ihn mehr bremst als nötig.
Dann schickt er ihm die Rechnung:
3, 5, 10 Meter weniger.
Gefühl direkt beim Werfen,
Ergebnis sofort,
Strafe sofort,
Genial!
Es gibt keinen besseren Trainer, keinen gerechteren Richter.
Der Wurf muss dem Hammer gefallen, nicht dem Trainer.
Der Wurm muss dem Fisch gefallen, nicht dem Angler.
Der Hammer kümmert sich um alle Fehler des Werfers.
Das kann kein Trainer. der Welt.
Erstens kann der Trainer sich in den 2-3 Sekunden des Wurfs höchstens auf zwei Bewegungen konzentrieren,
zweitens sind viele Fehlbewegungen kaum sichtbar,
drittens, und das ist entscheidend, hat er das Gefühl zum Hammer nicht.
Darum auch die Frage an Christian, wie er den Wurf empfunden hat.
Aber es gibt doch verschiedene Werfertypen?
- Klar, aber der Hammer kann nicht sagen, da kommt Herr Litwinow, da muss ich mich anders verhalten als bei Herrn Sedykh.
Die Athleten kann ich individuell entwickeln, den Hammer nicht
Aber jeder Hammerwerfer kann den Hammer zufrieden stellen, auch der 40 m Werfer.
'On a good throw the Hammer feels like it becomes a part of you.
As a result, our best results actually feel the easiest.
They come when all the elements line up
and every ounce of energy is focussed in the hammer.'
(Martin Bingisser, Interview by Luke Allison of criticalbeach.com, June 2011)
18.05.2014, 22:13 (Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 18.05.2014, 22:19 von MZPTLK.)
(18.05.2014, 14:35)undefined schrieb: Die Suche nach dem perfekten Wurf
'Bei einem perfekten Wurf fühlt man sich eins mit dem Hammer, der Hammer wird quasi zu einem Körperteil.
Unsere besten Würfe fühlen sich am leichtesten an.
Sie geschehen, wenn alles zusammen passt und jedes Quäntchen Energie auf den Hammer wirkt.
Der perfekte Wurf füht sich leicht an, weil alles effizient zusammen wirkt.
Es ist vergleichbar mit einem Zen-Zustand.
Wer es einmal erlebt hat,
will es immer wieder spüren,
und wenn er Jahre dafür braucht.
Leichtathletik, insbesonders die Würfe, ist ein dynamischer Sport.
Besonders beim Hammerwerfen ist fast jeder Muskel engagiert.
Man braucht Schnelligkeit, Schnellkraft, Maximalkraft, spezifische Kraft, Beweglichkeit, Agilität, etc.
Aber das nützt alles nichts ohne Technik.
Die unkritische Übernahme von Trainingsprogrammen aus Büchern oder dem Internet bringen Werfer ab einem gewissen Level nicht weiter.
Man muss sich jede einzelne Übung ansehen und sich immer wieder fragen: WARUM TUE ICH DAS?
Diese Frage stellen sich zuwenige Leute.
Wenn Du keine Antwort weisst, bleibt Dein Trainingsplan imperfekt.
Allzuviele Trainer verwenden Übungen, weil ihr eigener Trainer es so gemacht hat, oder weil sie es einem Topathleten abgeschaut haben.
Sie fragen nicht, ob es eine bessere Übung gibt oder ob diese Übung vielleicht nicht so gut wirkt, weil der konkrete Athlet einen anderen Background hat.
Das muss nicht immer falsch sein, aber sie wissen nicht, ob es die beste Methode ist, weil sie sich die wichtigste Frage nicht gestellt haben:
warum?
Dies ist die Essenz von Bondartchuks Trainingstransfer-Konzept: Identifiziere die Übungen, die Dir den grössten Nutzen für Deine Disziplin bringen!'
(Martin Bingisser, Interview by Luke Allison of CriticalBench.com, Juni 2011)
Frei übersetzt von MZPTLK
Sedykh hatte von Anfang an den Schwerpunkt auf Spezialkraft gelegt.
Dabei war ihm die Entwicklung der Explosivität wichtiger als die Maximalkraft.
Martin Stadtfeld(Konzertpianist):
'Bach gibt Balance.
Innerhalb dieser Balance kann man sehr viel empfinden.
Ist man mit der Musik im Reinen, ist man mit sich im Reinen.
Die Musik ist objektiv und konkret
und erlaubt dem Hörer, dem Subjekt gerade dadurch,
sich mit ganz subjektiven Gefühlen in die Musik fallen zu lassen.
Das hat etwas die Grenzen sprengendes,
es sprengt Raum und Zeit,
es bringt Spannung, Entspannung, Frieden.
Es rückt die Dinge immer wieder gerade.'
Besser kann man das Hammerwerfen kaum beschreiben.