Gestern, 07:59
(24.06.2025, 21:43)Mattili schrieb: Ehrlich gesagt driften diese Diskussionen aufgrund von bruchstückhaften Teilinformationen fast schon ins Übergriffige ab.
dann abstrahieren wir doch vom speziellen Fall auf für viele relevante Verallgemeinerungen:
1.) bei einer Vorschädigung am Beuger garantiert Dir niemand irgendwas, kein Arzt, kein Körpergefühl, keine Erfahrung. Das Team hat sich hier für ein Risiko entschieden, das wir von aus nur begrenzt beurteilen können und ja auch gar nicht müssen. Das von Chirurg vorgeschlagene Ampelsystem hat mich spontan sehr überzeugt.
2.) schwere Beugerverletzungen können Dich eine Karriere lang und darüber hinaus begleiten. Sie entstehen keineswegs immer aus solchen Situationen kalkulierten Risikos, sondern oft auch scheinbar aus dem Nichts.
3.) Die Wettkampfintensität so skalieren zu können, dass man das zu erreichende Ziel absichert und dabei Risiken minimiert, ist tatsächlich eine beeindruckende Fähigkeit, die auf ein hohes Potential hinweist, klingt aber trotzdem nach Harakiri.
4.) kurzfristiger Erfolg vs. langfristige Perspektive ist immer ein Zielkonflikt, den es auszutarieren gilt. Je größer das Talent, desto stärker muss die Waage hier zur langfristigen Perspektive ausschlagen. Talente sind auch mit behutsamer Führung früh recht erfolgreich und Talente müssen oft viel sorgfältiger prophylaktisch vorbereitet werden, weil sie einfach andere Kräfte realisieren als weniger talentierte Leute.
5.) Es ist nicht leicht, aber ausgesprochen hilfreich, sich von scheinbaren Zwängen frei zu machen. Ich habe dutzendfach erlebt, wie Trainer-Athleten-Teams sich angesichts verlockender Perspektiven (Bundeskaderstatus, internationale Quali) falsch entschieden haben (langfristig perspektivarme Disziplin, Verletzungsrisiko...) Ich verlange von meinen Athlet:innen, dass wir uns auf langfristige Ziele verständigen und definiere für mich und meist uns, dass das Ziel des Leistungssports sein sollte, das maximale Potential der Athletin zu entfalten, oder einfacher: rauszubekommen, was wir gemeinsam leisten können. Daraus folgt aber, wir brauchen einen tragfähigen Mehrjahresplan, viel Geduld, eine realistische Abschätzung, wohin es gehen kann und immer wieder die bewusste Enscheidung dafür, dass sich jeder Schritt auf dem Weg lohnt. Es hilft nichts, zu sagen, "Du hast jetzt 10 Jahre keinen Spaß, aber danach bist Du wahrscheinlich gut", aber es ist zwingend erforderlich, sich bewusst zu machen, welche Schritte für den langfristigen Erfolg nötig sind (sehr gute Verletzungsprophylaxe, gründliche technische Ausbildung, sorgfältige Entwicklung grundlegender konditioneller Parameter, Geduld, Glück) Diesen Zielen stehen Verlockungen und strukturelle Zwänge entgegen. (Hauptamtlichkeit des Trainers durch Erfolge absichern, progressive und z.T. absurd hohe Landeskaderrichtwerte erreichen, Kaderstatus erreichen, um Privilegien an der Uni zu erhalten...) Wir verlieren auch deswegen so viele Talente, weil wir diese Aspekte im Schnitt viel zu wenig berücksichtigen und Athletinnen nicht gut auf Rückschläge (zwischenzeitlicher Verlust Kaderstatus, Saison aus Vernunftsgründen ohne Höhepunkt...) vorbereitet sind.
Ständiges Wiegen macht die Sau nicht fetter.