02.08.2024, 14:41
(02.08.2024, 13:22)h3inz_h4rtm4nn schrieb: Ich habe eine Frage an die Spezialisten des Gehens. Okay, abgesehen von der bereits angemerkten Schummelei und irgendwelchen Slow Motion Videos, die kursieren, mal etwas off-topic: Ich habe auf Strava die Trainingsdaten von Linke und Hilbert angeschaut. Die Profile sind öffentlich. Ich sehe hier große, vielleicht sogar übermäßig hohe Kilometerumfänge und nur sehr wenige Einheiten im hohen Geschwindigkeitsbereich. Hilbert scheint alle zwei Wochen ein Tempotraining zu absolvieren, aber in der Geschwindigkeit, in der die Frauen gestern ihren Wettkampf gegangen sind (4.20-4.25min/km). Bei Linke sieht es ähnlich aus. Der macht vielleicht noch ein paar spezifischere Kilometer, also nur Gehen, weil der andere noch Rennradfahren zwei, drei Mal pro Woche einbaut, aber was Tempo angeht, ist da nicht viel. Ich vergleiche das mal mit Marathon und da muss man schon eins, zwei Mal in der Woche auch schneller rennen im Fartlek, mit Intervallen o.ä…… einfach, um den wettkampfnahen Bereich konditionell und muskulär auszubilden. Warum ist das im Gehen anders? Da muss man ja sogar noch auf die Technik als zusätzliche Komponente achten, wenn man schneller wird. Kann es sein, dass die Geher deshalb auch im Wettkampf manchmal sehr fliegend/laufend/springend aussehen, weil sie in diesem Tempo zu wenig trainieren und es gar nicht gewohnt sind?
Vielleicht ist das auch nur bei den Deutschen so. Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe nur bei den beiden nachgeschaut.
Überwiegend lange Strecken im gemäßigten Tempo zu gehen, ist ein Überbleibsel aus DDR-Zeiten. Wir haben damals in der Vorbereitung sehr hohe Umfänge gemacht, im Training fast täglich Überdistanzen trainiert, haben am Berg oder in der Unterdruckkammer Kilometer geschrubbt. Rennradfahren haben wir gemieden, weil die Bewegung zu sehr vom Gehen abweicht und wir Angst vor "dicken Beinen" hatten. Im Winter stand oft Skilanglauf im klassischen Stil auf dem Plan. Wenn es dann in Richtung Wettkampf ging, haben wir einmal pro Woche ein überschwelliges Programm absolviert, in den "geraden" Wochen ein GA2 (das von der Länge maximal 60% der Wettkampfdistanz entsprach) und in den "ungeraden" Wochen Intervalle (klassisch 12x 1000m, 5x 3000m oder 8x 2000m). Dabei sind wir aber mindestens die angepeilte Wettkampfgeschwindigkeit gegangen. Ich habe mich mit Trainern anderer Nationen darüber unterhalten, die der Überzeugung sind, dass unser System veraltet sei, insbesondere wenn man bedenkt, wie sich das Gehen entwickelt hat (neues Schuhwerk, kürzere Strecken, größere Leistungsdichte im Bereich abnormer Geschwindigkeiten usw.). Eine Faustregel gibt es jedoch nicht. Es gibt Unterschiede zwischen Männern und Frauen, sowie das Alter spielt eine Rolle. Leistungsdiagnostiken können dabei helfen, herauszufinden, welcher Trainingstyp man ist.
Was Reichtathletik geschrieben hat, stimmt nur bedingt. Sicher trainieren die deutschen Geher auch im höheren Tempo, aber im Vergleich zur internationalen Konkurrenz weniger. In Spanien, Australien, Frankreich und China hat sich da sehr viel getan in den letzten Jahren. Die Pläne von damals sind im Schredder gelandet, das System wurde komplett umgestellt. Für 50km war der Kilometerumfang das A und O. Für 20km braucht es Frequenz und Geschwindigkeit, die man schulen muss und das nicht nur gelegentlich. Am IAT werden unsere deutschen Spitzengeher gut beraten. Die letzten Jahre scheint zumindest Christopher Linke mit seinem Trainingssystem gut gefahren zu sein. Bei Jonathan Hilbert merkt man, dass er abseits der 50km leider chancenlos ist. Über 35km waren die Resultate gerade solide, über 20km nicht einmal nennenswert.
Ich bezweifle jedoch, dass das der Grund für die zum Teil unsaubere Ausführung im Wettkampf ist. "Fliegen" tun fast alle, obwohl nicht alle gleich trainieren.
„Der Zufall ist Gottes Art, anonym zu bleiben.“ — A. Einstein