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Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Druckversion

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RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - runny - 25.11.2014

(25.11.2014, 18:15)Gertrud schrieb: 1.    Professor Wiemann hat die mathematische Berechnung dazu geliefert.
 http://www.biowiss-sport.de/paradox.PDF
Das würde ich nicht einfach als Quatsch abtun. Entscheidend scheint wohl die "Führung", das Widerlager, zu sein.

Anbei noch der Link zur ursprünglichen Seite des Instituts mit sehr vielen Ausführungen zum Sprint die sehr ins Detail gehen:

http://www.biowiss-sport.de/fopr.htm

(Unter 8. und 9.)


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 25.11.2014

(25.11.2014, 18:28)MZPTLK schrieb: Wlad:  Ein Muskel, der hinter einem Gelenk den Ursprung und Ansatz hat, kann niemals das Gelenk alleine strecken. Und das haben die zweigelenkige Ischiocrurale Muskeln. Was solche Muskeln aber tatsächlich können, ist, bei der Streckung stabilisierend mitzuwirken.

Exakt. Wie ich mir schon einen Wolf schrob: autonom geht es anatomisch nicht, sondern nur im Muskel-Verbund.
Dagegen stehen eindeutig die EMG-Aufzeichnungen von Wiemann und Tidow!!!

http://thebarbellphysio.com/2014/04/04/muscle-activation-patterns-during-sprinting/

Vergrößert euch die Sache, dann seht ihr, wann welcher am meisten arbeitet und welche Aufgabe die vasti beim Sprint haben! Ich habe das Paper vor mir liegen, habe aber keine Lust, nach dem Original zu suchen.

Ich habe noch einen internationalen Beweis aus dem absoluten Topbereich, der aber in keinem Artikel erscheint. 

Gertrud


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 25.11.2014

(25.11.2014, 18:15)Gertrud schrieb: 2.    Einen Satz bei Prof. Wiemann finde ich allerdings als sehr bemerkenswert. „Da die paradoxe Wirkung der ischiocruralen Muskeln mit größeren Winkeln steigt, sollte die Stützphase mit relativ gestreckten Kniegelenken realisiert werden." Folglich trainiert man doch mit der Tiefkniebeuge an der Wirksamkeit im Sprint in der Ansteuerung der ausschlaggebenden Muskulatur vorbei.
Wieder einer, der selten aufm Platz ist.
Der nimmt ein Segment von vielen(vor allem einigen viel Wichtigeren) unter die Lupe, überschätzt die Wirkungsweise und gibt eine Global-Empfehlung ab.
Ich meine: etwas mehr in die Streckung gehen ja, aber sich bitte unbedingt das individuelle Gesamtgefüge genau ansehen.

Ich sehe es schon kommen, ab sofort wird in deutschen Leichtathletikhallen nur noch mit relativ gestreckten Kniegelenken trainiert.

Bob Beamon, was sagst Du dazu?
Wärst Du mit relativ gestreckten Kniegelenken 9,50 gesprungen?


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 25.11.2014

Ein paar kritische Fragen sind natürlich erlaubt:

1. Die EMG-Aufzeichnungen von Wiemann/ Tidow sind sicherlich an deutschen Sprintern gemacht worden. Ist die ischiocrurale Muskulatur im internationalen Topbereich noch stärker im Einsatz, weil sich die Kniewinkel unterscheiden?

2. Normalerweise nimmt man immer ein muskuläres Verhältnis von 3:2 vorne:hinten an. Ist das für den Kniebereich nicht relevant? Wie wir am EMG sehen, sind die vasti vornehmlich in den front side mechanics in der Flugphase in Aktion. Auch bei der Quadrizepsmuskulatur muss man zwischen ein- und zweigelenkigen Muskeln differenzieren.

3. Oder muss man die Vorderseitenmuskeln einer anderen Betrachtungsweise unterziehen?

4. Die vasti werden aber bei der TKB sehr stark trainiert. Diese Phase kommt im Sprint gar nicht vor. Wird dieses Training überdimensioniert? 

Das sind Hintergrundfragen, die mich schon lange beschäftigen.  

Gertrud


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 25.11.2014

Bob Beamon war Weitspringer, Wiemanns Empfehlung gilt dem Sprint. Und nur weil Wiemann nicht auf dem Platz steht, sind seine Argumente nicht wertlos. Ein Trainer wird auf dem Platz wohl kaum das nötige wissenschaftliche Grundwissen erhalten, und die Muskeldynamik des Sprints ist eine wissenschaftliche Sache. Nur weil ein Trainer Erfahrung durch "aufm Platz stehen" gesammelt hat, heißt das noch lange nicht, dass er die Hintergründe kennt. Was weiß der durchschnittliche Trainer denn, das er nicht aus Fortbildungen und Selbststudium, sondern ausschließlich in der Praxis gelernt hat? Welche Trainingsmittel Erfolge bringen, welche nicht (aber nur unter denen, die er ausprobiert hat und das wiederum hängt vom Probiermut ab), er kennt die Sportler und ihre Reaktion auf das Training und kann die Quantität und Trainingsverteilung steuern (aber nur, was er ausprobiert hat), er entwickelt sein technisches Auge (soweit er überhaupt die theoretischen Hintergründe kennt). Aber deswegen kann er nicht in den Körper reinschauen und die biologischen und physikalischen Zusammenhänge verstehen. Das geschieht in der Theorie. Ich muss an diverse Bodybuilding-Foren denken, wo eine Meinung, die nicht der eigenen entspricht, aber wissenschaftlich fundiert ist, mit dem Scheinargument geblockt wird, man wüsste durch ominöse "Erfahrung" alles besser als Menschen, die sich die wissenschaftlichen Hintergründe zunutze machen. Ohne den Motor Wissenschaft und entsprechender Transporter in die Praxis wären wir noch im Mittelalter.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 25.11.2014

(25.11.2014, 18:35)Gertrud schrieb: Dagegen stehen eindeutig die EMG-Aufzeichnungen von Wiemann und Tidow!!!

http://thebarbellphysio.com/2014/04/04/muscle-activation-patterns-during-sprinting/

Vergrößert euch die Sache, dann seht ihr, wann welcher am meisten arbeitet und welche Aufgabe die vasti beim Sprint haben! Ich habe das Paper vor mir liegen, habe aber keine Lust, nach dem Original zu suchen.
Diese EMG-Aufzeichnungen sind wenig aussagekräftig, was die Wirkungs-Weise und -Intensität der jeweiligen Muskulatur in den infrage stehenden Phasen betrifft.
Es war vor 20 Jahren 'labortechnisch' schwierig bis unmöglich, das genau zu ermitteln.

Gut die Erkenntnis, dass es beim Sprint vorwiegend um Horizontal Mechanics, also Druck nach hinten geht und dass bei vielen Athleten noch beträchtliche Reserven in der Armarbeit liegen.
Es ist mir völlig unverständlich, dass dies auch in diesem Forum immer noch stiefmütterlich behandelt wird, dabei liegt darin wesentlich mehr Potential als in einem etwas gestreckteren Kniewinkel.

Rackwitz hatte ja für den 40-m-Abschnitt zwischen 40 und 80 Meter 1/10 Sek.-Gewinn der Endlaufteilnehmer im Vergleich zu früheren Zeiten ermittelt.
Es wäre sicher irreführend, würde man das monokausal auf wenig änderbare Beinkonfigurationen zurückführen.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - decathlonitis - 25.11.2014

(23.11.2014, 23:11)MZPTLK schrieb: Lumbalgische Parodontitis...äh Lordosische Decathlonitis?
Lieber MZPTLK,
bis zur Weisheit ist es noch ein weiterer Weg. Ich entziehe Dir hiermit vorerst den Titel "Der Weise".
Aber sonst bin ich sehr zufrieden bis hoch erfreut über dein breit gefächertes Fachwissen, incl der philosophischen Ausflüge.
"Ich liebe euch doch alle" Big Grin
deca

Lieber "icheinfachma",
zunächst zwar etwas irritierend Dein B-Name, genau wie mein "decathlonitis", aber nun ist es mal geschehen.
Danke für deine Ansicht und die Erklärungen zu "Calisthenics" und mit dem angefügten Linkv.
Zitatauszug"
Schön, dass Calisthenics hier mal im Zusammenhang mit Leichtathletik erwähnt werden. Ich habe das auch seit einer Weile in mein Training eingebaut.

Ich würde den Wert dieser Krafttrainingsübungen dahingehend einschätzen, dass es keine sprinterisch brauchbaren Beinübungen beinhaltet, aber die Muskelgruppen des Rumpfes und der Arme sehr vielseitig kräftigt. Dabei findet ein Großteil der Maximalkraftzunahme neurologisch statt und weniger über Hypertrophie. Es werden Rumpfstabilität und Körperspannung in einem Maß trainiert, dass weit über die Möglichkeiten von den herkömmlichen Stabiübungen auf dem Boden hinausgeht."
Noch`n Link:
https://www.youtube.com/watch?v=0iQe5vfyjuU
Nicht alles sofort nach machen!

Ich selbst habe früher das Turnen in mein Trainingsprogramm mit einbezogen und predige es noch heute meinen Schülern und "Jüngern"! Wink

Die hierbei (Turnen-Calisthenics" im stetigen Wechsel von statischem Halten und dynamische erzeugte Bewegung führt eben zu dieser perfekten Ganzkörperspannung aller Muskeln. Und es wird dabei auch, oder gerade, die so wichtige und gewünschte Körpermitte perfekt trainiert!
Und die Arme sowieso. Für die Beine haben wir ja bereits unser reichhaltiges, leichathletisches Zusatzprogramm.
Also, angucken, probieren-prüfen-übernehmen! Ab auf den Spielplatz-Platz, in den Wald, auf die Bahn und den Rasen, in die Turnhalle, an den Strand. Meidet die Muckibuden!
Wer sich dennoch verletzt, hat verkehrt oder zuviel trainiert, sich übernommen, falsches gegessen/getrunken, `nen Virus übersehen.
Die allerletzten Geheimnisse sind noch offen.

Für die muskulären Dysbalancen, für Verletzungen etc. gibt es Physiotherapeuten, Geräte und Kraftmaschinen.
 
Für Gegenbeweise habe ich immer ein offenes Ohr.
deca


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 25.11.2014

(25.11.2014, 18:56)Gertrud schrieb: 4. Die vasti werden aber bei der TKB sehr stark trainiert. Diese Phase kommt im Sprint gar nicht vor. Wird dieses Training überdimensioniert?
Absolut.

Deine aufgeworfenen Fragen 1-3 kann ich aus mangelnder Kenntnis nicht kommentieren, aber sie gehen ans Eingemachte. Thumb_up
Das EMG von Wiemann/Tidow ist wie gesagt sehr mit Vorsicht zu geniessen.
Ich bin nicht informiert, ob man heute EMGs machen kann, die eine genaue(re) Analyse eines volle-Pulle-Sprints ermöglichen.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 25.11.2014

(25.11.2014, 18:58)icheinfachma schrieb: Bob Beamon war Weitspringer, Wiemanns Empfehlung gilt dem Sprint. Und nur weil Wiemann nicht auf dem Platz steht, sind seine Argumente nicht wertlos. Ein Trainer wird auf dem Platz wohl kaum das nötige wissenschaftliche Grundwissen erhalten, und die Muskeldynamik des Sprints ist eine wissenschaftliche Sache.  Ohne den Motor Wissenschaft und entsprechender Transporter in die Praxis wären wir noch im Mittelalter.
Bob Beamon hatte eine Anlaufgeschwindigkeit, die hätten die meisten Sprinter gern.
Ich glaube aber fest, dass er noch schneller hätte sein können,
wenn er seinen Laufhabitus nicht durch jahrelanges intensives Basketballspielen 'versaut' hätte.
Aber wer 8,90 springt, hat recht.

Deine Argumente sind richtig, aber auch der Praktiker ist Wissenschaftler, weil er
1. selbst Wissen(Erfahrungen) schafft
2. sich das Wissen der Wissenschaft nicht nur anschafft,
3. sondern individuell auf die unterschiedlichen Athleten designt(aufm Platz)

Wiemann reflektiert wie gesagt zu wenig ganzheitlich, aber das muss nicht zu Problemen führen, wenn die Rezipienten, die Umsetzer, Anwender, sich einen Reim drauf machen und das Neue nicht überbetonen.
Denn bald kommt der nächste Professor um die Ecke und erzählt uns, dass wir laufen sollen wie ein Flusspferd(50 km/h),
das Bolt die Hacken zeigt.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - T-Willy - 25.11.2014



Von der European Speed Conference in Sutton Coldfield,England 8.-9-11.14

Autor Ben Rosenblatt:

 was meint ihr hierzu?

Zitat:"Exercises should be selected to improve the
biomechanical determinants of performance
NOT
Replicate movement patterns..."

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