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Nach dem WM-Debakel - Zukunft der Leichtathletik? - Druckversion

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RE: Nach dem WM-Debakel - Zukunft der Leichtathletik? - Küstenkrebs - 03.09.2023

Peinlich und oberflächlich sind viele Verlautbarungen zu Gründen für den Niedergang der deutschen LA - siehe unten. Vielleicht können allgemeine Medien nicht mehr leisten. Leider findet sich auch im ÖR kaum tief gehendes.

Der Podcast von Jan Fitschen "Laufen ist einfach" mit Michael Reinsch zum Thema geht weiter in die Tiefe:
https://www.podcast.de/episode/613334641/keine-wm-medaille-und-was-passiert-mit-den-bundesjugendspielen-einmal-im-trainingslager-154

* Schulsystem in angelsächsischen Ländern
* Fokussierung auf Medaillenkandidaten in GB - in D durch externe Agentur geplant
* Bundesjugendspiele
* Medien allgemein zu WM-Debakel und die miese Schmutzkampagne unter Missbrauch des guten Namens von Carlo Thränhardt
* Potas

Christina Lindner: 'Die Regeländerung bei den Bundesjugendspielen sei „symptomatisch“, „kein Segen“ liege „auf dieser gesellschaftspolitischen Entwicklung“'
https://taz.de/Debatte-um-Bundesjugendspiele/!5953373/

Robert Harting "die jüngsten Entwicklungen, Urkunden oder Fußballspiele zu ändern, damit Kinder nicht mehr weinen"
https://www.eurosport.de/leichtathletik/leichtathletik-wm/2023/robert-harting-ubt-scharfe-kritik-nach-historischem-deutschen-debakel-in-budapest_sto9766701/story.shtml

Jürgen Hingsen zu Reform Bundesjugendspiele:
'"Ja, getreu dem Motto: Alle haben sich lieb und umarmen sich. Dabei ist doch gerade der sportliche Wettkampf, den man braucht, um im Leben später zu bestehen, in diesem Alter wesentlich. Die Motivation, Leistung zu erbringen, wird durch solche Maßnahmen zunehmend infrage gestellt. Die Gründe dafür kann ich nicht ansatzweise nachvollziehen", sagte der 65-Jährige der Tageszeitung "Die Welt".'
https://www.sportschau.de/newsticker/dpa-hingsen-zu-reform-der-bundesjugendspiele-haben-sich-lieb-100.html

Steffi Nerius: ' "Ich glaube", sagt Nerius, "dass sich unsere Gesellschaft gewandelt hat. Wir schaffen Bundesjugendspiele ab, erste, zweite, dritte Plätze werden abgeschafft, es soll keinen Schnellsten und keinen Langsamsten geben"'
https://www.dw.com/de/leichtathletik-deutschland-medaillen-weltmeisterschaft-budapest-krise-struktur-verband/a-66649207

Isabell Baumann: »Wir haben ganz klar ein gesellschaftliches Problem mit Leistung beziehungsweise Leistungssport und wir müssen da tatsächlich im schulischen Sektor ansetzen. Die Ausbildung zum Sportlehrer hat an Stellenwert verloren, sie hat den Leistungsgedanken oftmals aufgegeben«
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175824.leichtathletik-wm-wm-in-ungarn-die-deutschen-leichtathleten-enttaeuschen.html


RE: Nach dem WM-Debakel - Zukunft der Leichtathletik? - muffman - 03.09.2023

Ich kann dieses Geschwätz von mangelnder Leistungsbereitschaft nicht mehr hören. Damit schieben die Verantwortlichen die Schuld am eigenen Versagen einfach der Bevölkerung in die Schuhe. Die Argumentation hat sich ja scheinbar schon bis auf den Sport durchgezogen. Wie praktisch. Wenns nicht läuft muss sich einfach jeder mal ein bisschen mehr Anstrengen und gefälligst mal bereit sein etwas zu leisten.


RE: Nach dem WM-Debakel - Zukunft der Leichtathletik? - Rolli - 03.09.2023

(03.09.2023, 17:44)muffman schrieb: Ich kann dieses Geschwätz von mangelnder Leistungsbereitschaft nicht mehr hören. Damit schieben die Verantwortlichen die Schuld am eigenen Versagen einfach der Bevölkerung in die Schuhe. Die Argumentation hat sich ja scheinbar schon bis auf den Sport durchgezogen. Wie praktisch. Wenns nicht läuft muss sich einfach jeder mal ein bisschen mehr Anstrengen und gefälligst mal bereit sein etwas zu leisten.

Leistungsbereitschaft ist da, aber die Enttäuschungen wollen die Helikopter-Eltern nicht akzeptiert, deswegen möchte sie alle Vergleiche abschaffen!


RE: Nach dem WM-Debakel - Zukunft der Leichtathletik? - muffman - 03.09.2023

Also sind jetzt die „Helikopter-Eltern“ schuld?


RE: Nach dem WM-Debakel - Zukunft der Leichtathletik? - Reichtathletik - 03.09.2023

(03.09.2023, 17:44)muffman schrieb: Ich kann dieses Geschwätz von mangelnder Leistungsbereitschaft nicht mehr hören. Damit schieben die Verantwortlichen die Schuld am eigenen Versagen einfach der Bevölkerung in die Schuhe. Die Argumentation hat sich ja scheinbar schon bis auf den Sport durchgezogen. Wie praktisch. Wenns nicht läuft muss sich einfach jeder mal ein bisschen mehr Anstrengen und gefälligst mal bereit sein etwas zu leisten.
Volle Zustimmung. Gesellschaftliche Aspekte sind ein Teilproblem, aber eher eine Teilherausforderung. Und der muss man sich halt stellen. Einige tun so, als müsste sich nur Mal eben die Gesellschaft ändern, aber bitte nichts am System oder der (Sport)Politik. Erinnert mich an andere Debatten. Die gehen halt gut vom Sofa und tun nicht so weh.


RE: Nach dem WM-Debakel - Zukunft der Leichtathletik? - Rolli - 03.09.2023

(03.09.2023, 19:27)muffman schrieb: Also sind jetzt die „Helikopter-Eltern“ schuld?

... je nach dem welche Frage Du stellsten möchtest. Zu viele Themen, um pauschal antworten zu können.


RE: Nach dem WM-Debakel - Zukunft der Leichtathletik? - MZPTLK - 04.09.2023

Nochmal Robert Harbig...äh Rudolf Harting:

'Deutschland ist eigentlich fett, unkreativ und alt.'

'Das liegt auch an der politischen Haltung, wie Leistungssport in unserem Land geführt wird.
Besser werden, der Erste sein - das gibt es da nicht.
Es ist eine Schande, dass sich der Ehrgeiz der Athleten nicht lohnt.'

(Bildzeitung 4.9.23)


RE: Nach dem WM-Debakel - Zukunft der Leichtathletik? - CoachnEngineer - 04.09.2023

Ich möchte nochmal einen anderen Gedanken einbringen.
Die letzten Beiträge hier beschäftigen sich sehr stark mit den Themen "Leistungsbereitschaft", "Leistungsgedanke", "extrinsische (durch Rahmenbedingungen provozierte) Motivation zur Leistungserbringung" etc pp.
Aufpassen sollte man aus meiner Sicht aber, dass wir uns da nicht einfach "zurückentwickeln". Ich glaube wir sind 2023 weiter als es z.B. die Aussage von J. Hingsen (sinngemäß: "Leistungsgedanke im Sport ist das, was es für das Leben braucht") zum Ausdruck bringt.
Betrachtet man sich einmal (etwas aus psychologischer oder psychotherapeutischer Sicht) die Charakterstrukturen der "neuen" Sieger, so meine ich zu erkennen, dass vielfach Typen an der Spitze stehen, die vorrangig in der Lage sind, ihre "Primärenergie" uneingeschränkt , beispielsweise durch Neurosen, in sportliche Leistung und Begeisterung dazu umzusetzen. Usain Bolt z.B. war für mich (neben seinen exorbitanten physischen Fähigkeiten) in dieser Hinsicht ein Vorbild. Mit kleinen Einschränkungen auch Malaika Mihambo.
Wollen wir sowas erreichen, sind die u.a. Ansätze nur eingeschränkt zielführend. Vielmehr müssen durch Erziehung, Schule etc.entsprechende Korrekturen in eine andere Richtung geführt werden, als dies z.B. in den von Hingsen herangezogenen 80er Jahren der Fall war. Auch damals hatten wir (in Ost und West) viele Athleten mit entsprechenden neurotischen Einschränkungen. Der o.g. Protagonist selbst könnte dazu bestimmt aus was sagen, wenn es ihm denn mittlerweile bewusst geworden ist. Vielleicht fällt ihm auch nochmal sein damaliger Rivale ein Big Grin
Bezeichnend war z.B. für mich das Interview mit J. Hartmann gestern beim ISTAF. Trotz seines sehr erfreulichen Ergebnisses wirkte er auf mich in der Tiefe etwas verunsichert. Auch die ausgeprägten (unpassenden?) Jubelgeste vor dem Zieleinlauf passt da irgendwie ins Bild. Das mag aber nur mein ganz persönlicher subjektiver Eindruck sein und erhebt keinen Anspruch auf Richtigkeit.
Einen anderen Eindruck machen auf mich z.B. die holländischen Athletinnen. Hier scheint einfach mehr primäre Energie zu wirken (z.B. Zielannahme von F. Bol in der Staffel; die letzten Schritte waren Primärenergie pur!). Allerdings kann ich über die Hintergründe dazu nix sagen.
Das kann aus meiner Sicht auch später nur noch sehr eingeschränkt mit sportpsychologischen Mitteln "repariert" werden. Ich kann mich in meiner mittlerweile mehr als 30 jährigen Trainerlaufbahn an KEINEN Sportler/Sportlerin aus meinen Gruppen erinnern, bei welchem/welcher nicht deutlich sichtbare neurotische Einschränkungen vorlagen. Meist am ausgeprägtesten bei den physiologisch Talentiertesten.
Man könnte mal diskutieren, ob ein Teil der reduzierten verfügbaren Mittel beim Nachwuchs auch gezielt für psychotherapeutische Ansätze von dafür ausgebildetem Fachpersonal (vermutlich kein klassischer Sportpsychologe) eingesetzt werden könnten. Gerade bei den DJM sind mir da einige Dinge aufgefallen, z.B. viele AthletInnen mit Blockaden in WS, Hüfte und Füße, obwohl vermutlich noch kein hochdosiertes Krafttraining zum Einsatz kam.
Trainingsmethodisch machen wir sicher nicht alles richtig (siehe offensichtliche Zusammenhänge zwischen "Übungsschlecht" und Verletzungshistorie). Aber ich denke, das ist bei vielen ausländischen Spitzenathleten auch nicht immer viel besser. Die zuletzt geteilten Übungen von N. Lyles sind SICHER nicht primär ursächlich dafür, dass er in Budapest gewonnen hat!
Die Ressourcen, die in diesem Segment zu finden sind, sind aus meiner Sicht enorm. Und auch auf die Verletzungsmisere hätte dies vermutlich einen positiven Einfluss.

Zum Verständnis: Mit Primärenergie meinte in in diesem Zusammenhang die (libidöse) Energie aus den Primärprozessen des Unbewussten


RE: Nach dem WM-Debakel - Zukunft der Leichtathletik? - aj_runner - 05.09.2023

(04.09.2023, 18:42)CoachnEngineer schrieb: Einen anderen Eindruck machen auf mich z.B. die holländischen Athletinnen. Hier scheint einfach mehr primäre Energie zu wirken (z.B. Zielannahme von F. Bol in der Staffel; die letzten Schritte waren Primärenergie pur!). Allerdings kann ich über die Hintergründe dazu nix sagen.
Nimm mal die Mix-Relay und versuche dann nochmals die gleiche Argumentation. Bol verzweifelter Versuch die Attacke abzuwehren hat in einem Sturz gemündet. Wenn Du von hinten anfliegst ist es immer etwas anderes als den Platz zu verteidigen.


RE: Nach dem WM-Debakel - Zukunft der Leichtathletik? - CoachnEngineer - 05.09.2023

(05.09.2023, 08:42)aj_runner schrieb:
(04.09.2023, 18:42)CoachnEngineer schrieb: Einen anderen Eindruck machen auf mich z.B. die holländischen Athletinnen. Hier scheint einfach mehr primäre Energie zu wirken (z.B. Zielannahme von F. Bol in der Staffel; die letzten Schritte waren Primärenergie pur!). Allerdings kann ich über die Hintergründe dazu nix sagen.
Nimm mal die Mix-Relay und versuche dann nochmals die gleiche Argumentation. Bol verzweifelter Versuch die Attacke abzuwehren hat in einem Sturz gemündet. Wenn Du von hinten anfliegst ist es immer etwas anderes als den Platz zu verteidigen.

Hab ich mir auch gerade nochmal angeschaut. Mental war das nicht so sehr unterschiedlich. Als verzweifelt würde ich die Aktion nicht unbedingt bezeichnen. 10m vor dem Ziel ist auch hier eine deutliche Energetisierung zu sehen, zu der ein Großteil an Sportlern gar nicht mehr in der Lage wäre. Offenbar scheiterte es hier daran, dass der Körper diese nicht mehr umsetzen konnte.


Psychologisch unterscheiden sich die beiden Läufe natürlich, wie du auch schon sagtest, in der Art der eingetretenen Reaktion. Während das Aufholen in der 4x4 von Primärprozessen dominiert war, und daher positiv, bzw. libidös besetzt erschien, ist natürlich das Verteidigen der Führung auch z.T. von Angst geprägt. Aber dennoch gefiel mir hier durchaus der Reflex von Bol, kurzfristig, fast panisch nochmal immense Energie zu aktivieren, auch wenn es im Sturz endete. Allemal besser als in Erstarrung zu fallen. Vorallem ist es ihr offenbar gut gelungen, dieses Geschehnis schnell abzuschütteln, so dass es die nächsten Wettkämpfe absolut nicht mehr beeinflusste.