OS Paris - Tag 1 (01.08.) - Druckversion +- Leichtathletikforum.com (https://leichtathletikforum.com) +-- Forum: Archiv (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=18) +--- Forum: Großereignisse (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=19) +---- Forum: Olympische Spiele Paris 2024 (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=49) +----- Forum: Leichtathletik (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=50) +----- Thema: OS Paris - Tag 1 (01.08.) (/showthread.php?tid=5830) |
RE: OS Paris - Tag 1 (01.08.) - Kyascaily95 - 01.08.2024 Es wird sehr schwierig sein, Momentaufnahmen zu finden, auf denen man keine Flugphase erkennen kann. Ich meine, wir reden hier von Geschwindigkeiten um die 15km/h bei den Männern und bei den Frauen 13,5km/h vergleichsweise. Kann man das wirklich gehen? Ich, der diese Sportart einst selbst praktiziert hat, sage: NEIN. Es gab schon vor dem Gebrauch von Carbonschuhen eine kleine Schummelei, denn die Regel besagt ja, dass das menschliche Auge des Gehrichters die Flugphase nicht sehen darf. Aber je frequentierter du gehst, umso weniger können die Flugphasen erkannt werden, weil das menschliche Auge im Vergleich zur Technologie (z.B. Kamera) zu träge ist. Trotzdem bin ich der Meinung, dass es zu unserer Zeit in den späten 90ern noch nicht so schlimm ausgeprägt war. Wir hatten die Russen zur Konkurrenz, die schon damals ähnlich schnelle Zeiten auf den Asphalt gebracht haben wie die Sieger heute. Aber wie diese Zeiten zustande gekommen sind, wissen wir alle und es wurde sich auch darüber beschwert, dass man so schnell doch niemals gehen könnte, wenn man „sauber“ ist. Nun ja, heute beschwert sich keiner mehr über solche Fabelzeiten, weil alle schummeln, aber eben auf andere Art und Weise als die Russen damals. Die Idee, Carbonschuhe zu verbieten, wieder auf längere Distanzen zu setzen und neue Technologien einzuführen (Bodenmatten mit Sensoren und Videobeweise), fände ich klasse, aber sind wir einmal ehrlich: Wer würde solch ein organisatorisches Invest in eine Randsportart leisten? Und würde es wirklich den bereits geschädigten Ruf dieser Sportart wiederherstellen? Ich habe heute in einem Presseartikel gelesen, dass Christopher Linke trotz seiner herausragenden Karriere immer wieder belächelt wird, wenn er in der Heimat trainiert. Das finde ich persönlich nicht gut, denn jeder sollte sich fortbewegen und sportlich betätigen dürfen, wie er mag. Aber eine gewisse Teilschuld an dem Ruf haben die Athleten leider selbst. Es soll immer schneller, die Gehtechnik bis zum Ultimo ausgereizt werden, in dem Glauben: ‚Na gut, die Läufer werden ja auch sukzessive schneller von Generation zu Generation und wenn wir Geher da nicht nachziehen, wird unsere Disziplin immer unbeliebter.‘ Dabei ist genau Gegenteiliges der Fall, denn wenn die Technik unter der Geschwindigkeit leidet, wird der eigentliche Sinn der Sportart verfehlt und das ist es, weshalb manch ein Außenstehender es belächelt und den olympischen Charakter der Disziplin nicht erkennen kann. Traurig alles, weil jede olympische Disziplin eine Historie hat. So auch das Gehen. Irgendwo hat der Weltverband verpasst, diese negative Entwicklung in Form von Regelverschärfungen zu unterbinden. RE: OS Paris - Tag 1 (01.08.) - siebenschläfer - 02.08.2024 (01.08.2024, 21:12)Freaky schrieb: was das gehen bzw eher laufen angeht, beim Wettkampf der Geher und die korrekte Technik: Im Interview mit Christopher Linke im ZDF gestern wurde eine Zeitlupen-Sequenz des Gehens eingespielt. Kein einziger (und ich übertreibe hier nicht!) der Geher hat dabei ständigen Bodenkontakt. RE: OS Paris - Tag 1 (01.08.) - lor-olli - 02.08.2024 Ich glaube, es war in Frankreich, wo man einmal mit Sensoren in den Schuhen getestet hat. Vier Sensoren (einfache Drucksensoren), jeweils einer unter dem Vorfuß und einer unter der Ferse auf beiden Seiten, um die Kontaktzeiten über den Druck zu erfassen - das klappt sehr gut, zeigt aber auch gleich auf, dass die Kamerabilder nicht täuschen, ab einer gewissen Frequenz wird es sehr schwierig immer einen der Sensoren ausreichend zu belasten, damit keine Flugphase detektiert wird. Nicht einmal die normale Kamera kann das so genau erfassen, bei einer Hochgeschwindigkeitsaufnahme geht das schon deutlich besser, aber nur, wenn die Kamera in Bodennähe und genau ausgerichtet ist > das merken die Geher selbst nicht und können es je nach Untergrund (Kopfsteinpflaster) auch nicht immer genau kontrollieren. Dies ist vermutlich der Grund für die menschliche Augenscheinnahme. Der Durchschnittszuschauer kann die Feinheiten eh kaum beurteilen (ich auch nur durch angelesenes …), die Geschwindigkeit können die allermeisten nicht einmal laufen, die Kniestreckung würde Otto-Normalverbraucher höchstens einhundert Meter bei Tempo durchhalten, der gesteuerte Fußaufsatz um überhaupt den Fuß lange genug auf dem Boden zu halten, die starken Verwringungen der Hüfte - das alles erzeugt dieses sehr eigene Bild vom Gehen und lenkt doch von der erbrachten Leistung ab - schwierig dies allen zu vermitteln. Gilt aber eben nicht nur für das Gehen, sondern auch für andere Sportarten. Die anderen LA-Diziplinen sind ja ansonsten recht gut zu erklären, selbst wenn nicht alle Feinheiten klar werden. RE: OS Paris - Tag 1 (01.08.) - posix - 02.08.2024 (02.08.2024, 07:51)siebenschläfer schrieb:(01.08.2024, 21:12)Freaky schrieb: was das gehen bzw eher laufen angeht, beim Wettkampf der Geher und die korrekte Technik: Das Video kursiert z.B. gerade auf Reddit, da hat eigentlich auch jeder ordentliche Flugphasen. RE: OS Paris - Tag 1 (01.08.) - Kyascaily95 - 02.08.2024 Das wurde in Spanien getestet, nicht in Frankreich. Die Franzosen waren Befürworter der Verkürzung der Strecke und Vorreiter der immer schneller werdenden Rennen (im wahrsten Sinne des Wortes). Die Spanier haben viel entwickelt, weil das Gehen bei ihnen ein angesehener Sport ist. Vermutlich auch aufgrund der großen Erfolge ihrer Athleten auf nahezu allen Distanzen. Sie haben den Weltverband eine Dokumentation ihrer Tests vorgelegt und daneben auch die Gerätschaften benannt, die es zur Umsetzung bräuchte. Das war vor mehr als einem Jahr und passiert, ist bislang noch nichts. Selbst wenn die Technik nicht zu 100% ausgereift ist und auch hier eine Grauzone existieren könnte (wie das Beeinflussen der Messung durch zu hohe Frequenz), ist es immer noch skalierbarer/fairer als das menschliche Augenmaß. RE: OS Paris - Tag 1 (01.08.) - h3inz_h4rtm4nn - 02.08.2024 Ich habe eine Frage an die Spezialisten des Gehens. Okay, abgesehen von der bereits angemerkten Schummelei und irgendwelchen Slow Motion Videos, die kursieren, mal etwas off-topic: Ich habe auf Strava die Trainingsdaten von Linke und Hilbert angeschaut. Die Profile sind öffentlich. Ich sehe hier große, vielleicht sogar übermäßig hohe Kilometerumfänge und nur sehr wenige Einheiten im hohen Geschwindigkeitsbereich. Hilbert scheint alle zwei Wochen ein Tempotraining zu absolvieren, aber in der Geschwindigkeit, in der die Frauen gestern ihren Wettkampf gegangen sind (4.20-4.25min/km). Bei Linke sieht es ähnlich aus. Der macht vielleicht noch ein paar spezifischere Kilometer, also nur Gehen, weil der andere noch Rennradfahren zwei, drei Mal pro Woche einbaut, aber was Tempo angeht, ist da nicht viel. Ich vergleiche das mal mit Marathon und da muss man schon eins, zwei Mal in der Woche auch schneller rennen im Fartlek, mit Intervallen o.ä…… einfach, um den wettkampfnahen Bereich konditionell und muskulär auszubilden. Warum ist das im Gehen anders? Da muss man ja sogar noch auf die Technik als zusätzliche Komponente achten, wenn man schneller wird. Kann es sein, dass die Geher deshalb auch im Wettkampf manchmal sehr fliegend/laufend/springend aussehen, weil sie in diesem Tempo zu wenig trainieren und es gar nicht gewohnt sind? Vielleicht ist das auch nur bei den Deutschen so. Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe nur bei den beiden nachgeschaut. RE: OS Paris - Tag 1 (01.08.) - Reichtathletik - 02.08.2024 (02.08.2024, 13:22)h3inz_h4rtm4nn schrieb: Ich habe eine Frage an die Spezialisten des Gehens. Okay, abgesehen von der bereits angemerkten Schummelei und irgendwelchen Slow Motion Videos, die kursieren, mal etwas off-topic: Ich habe auf Strava die Trainingsdaten von Linke und Hilbert angeschaut. Die Profile sind öffentlich. Ich sehe hier große, vielleicht sogar übermäßig hohe Kilometerumfänge und nur sehr wenige Einheiten im hohen Geschwindigkeitsbereich. Hilbert scheint alle zwei Wochen ein Tempotraining zu absolvieren, aber in der Geschwindigkeit, in der die Frauen gestern ihren Wettkampf gegangen sind (4.20-4.25min/km). Bei Linke sieht es ähnlich aus. Der macht vielleicht noch ein paar spezifischere Kilometer, also nur Gehen, weil der andere noch Rennradfahren zwei, drei Mal pro Woche einbaut, aber was Tempo angeht, ist da nicht viel. Ich vergleiche das mal mit Marathon und da muss man schon eins, zwei Mal in der Woche auch schneller rennen im Fartlek, mit Intervallen o.ä…… einfach, um den wettkampfnahen Bereich konditionell und muskulär auszubilden. Warum ist das im Gehen anders? Da muss man ja sogar noch auf die Technik als zusätzliche Komponente achten, wenn man schneller wird. Kann es sein, dass die Geher deshalb auch im Wettkampf manchmal sehr fliegend/laufend/springend aussehen, weil sie in diesem Tempo zu wenig trainieren und es gar nicht gewohnt sind? Punkt 1: In wohl keiner Disziplin ist der aerobe Anteil so hoch wie im Gehen. Umso bedeutender der Umfang im niedrigen Intensitätsbereich Punkt 2: Soweit ich weiß trainieren alle Geher:innen in Deutschland auch Tempi im Wettkampf-Pace und schneller. RE: OS Paris - Tag 1 (01.08.) - Kyascaily95 - 02.08.2024 (02.08.2024, 13:22)h3inz_h4rtm4nn schrieb: Ich habe eine Frage an die Spezialisten des Gehens. Okay, abgesehen von der bereits angemerkten Schummelei und irgendwelchen Slow Motion Videos, die kursieren, mal etwas off-topic: Ich habe auf Strava die Trainingsdaten von Linke und Hilbert angeschaut. Die Profile sind öffentlich. Ich sehe hier große, vielleicht sogar übermäßig hohe Kilometerumfänge und nur sehr wenige Einheiten im hohen Geschwindigkeitsbereich. Hilbert scheint alle zwei Wochen ein Tempotraining zu absolvieren, aber in der Geschwindigkeit, in der die Frauen gestern ihren Wettkampf gegangen sind (4.20-4.25min/km). Bei Linke sieht es ähnlich aus. Der macht vielleicht noch ein paar spezifischere Kilometer, also nur Gehen, weil der andere noch Rennradfahren zwei, drei Mal pro Woche einbaut, aber was Tempo angeht, ist da nicht viel. Ich vergleiche das mal mit Marathon und da muss man schon eins, zwei Mal in der Woche auch schneller rennen im Fartlek, mit Intervallen o.ä…… einfach, um den wettkampfnahen Bereich konditionell und muskulär auszubilden. Warum ist das im Gehen anders? Da muss man ja sogar noch auf die Technik als zusätzliche Komponente achten, wenn man schneller wird. Kann es sein, dass die Geher deshalb auch im Wettkampf manchmal sehr fliegend/laufend/springend aussehen, weil sie in diesem Tempo zu wenig trainieren und es gar nicht gewohnt sind? Überwiegend lange Strecken im gemäßigten Tempo zu gehen, ist ein Überbleibsel aus DDR-Zeiten. Wir haben damals in der Vorbereitung sehr hohe Umfänge gemacht, im Training fast täglich Überdistanzen trainiert, haben am Berg oder in der Unterdruckkammer Kilometer geschrubbt. Rennradfahren haben wir gemieden, weil die Bewegung zu sehr vom Gehen abweicht und wir Angst vor "dicken Beinen" hatten. Im Winter stand oft Skilanglauf im klassischen Stil auf dem Plan. Wenn es dann in Richtung Wettkampf ging, haben wir einmal pro Woche ein überschwelliges Programm absolviert, in den "geraden" Wochen ein GA2 (das von der Länge maximal 60% der Wettkampfdistanz entsprach) und in den "ungeraden" Wochen Intervalle (klassisch 12x 1000m, 5x 3000m oder 8x 2000m). Dabei sind wir aber mindestens die angepeilte Wettkampfgeschwindigkeit gegangen. Ich habe mich mit Trainern anderer Nationen darüber unterhalten, die der Überzeugung sind, dass unser System veraltet sei, insbesondere wenn man bedenkt, wie sich das Gehen entwickelt hat (neues Schuhwerk, kürzere Strecken, größere Leistungsdichte im Bereich abnormer Geschwindigkeiten usw.). Eine Faustregel gibt es jedoch nicht. Es gibt Unterschiede zwischen Männern und Frauen, sowie das Alter spielt eine Rolle. Leistungsdiagnostiken können dabei helfen, herauszufinden, welcher Trainingstyp man ist. Was Reichtathletik geschrieben hat, stimmt nur bedingt. Sicher trainieren die deutschen Geher auch im höheren Tempo, aber im Vergleich zur internationalen Konkurrenz weniger. In Spanien, Australien, Frankreich und China hat sich da sehr viel getan in den letzten Jahren. Die Pläne von damals sind im Schredder gelandet, das System wurde komplett umgestellt. Für 50km war der Kilometerumfang das A und O. Für 20km braucht es Frequenz und Geschwindigkeit, die man schulen muss und das nicht nur gelegentlich. Am IAT werden unsere deutschen Spitzengeher gut beraten. Die letzten Jahre scheint zumindest Christopher Linke mit seinem Trainingssystem gut gefahren zu sein. Bei Jonathan Hilbert merkt man, dass er abseits der 50km leider chancenlos ist. Über 35km waren die Resultate gerade solide, über 20km nicht einmal nennenswert. Ich bezweifle jedoch, dass das der Grund für die zum Teil unsaubere Ausführung im Wettkampf ist. "Fliegen" tun fast alle, obwohl nicht alle gleich trainieren. RE: OS Paris - Tag 1 (01.08.) - Reichtathletik - 02.08.2024 Man sollte aber auch nicht vergessen, dass wirklich viele der Deutschen ihre Stärke nunmal auf den 50km hatten und auch logischerweise entsprechend trainieren. Man kann auch einem Marathonläufer nicht einfach auf Weltspitzeniveau auf 10.000 Meter umpolen... RE: OS Paris - Tag 1 (01.08.) - Kyascaily95 - 02.08.2024 (02.08.2024, 15:02)Reichtathletik schrieb: Man sollte aber auch nicht vergessen, dass wirklich viele der Deutschen ihre Stärke nunmal auf den 50km hatten und auch logischerweise entsprechend trainieren. Man kann auch einem Marathonläufer nicht einfach auf Weltspitzeniveau auf 10.000 Meter umpolen... Es sagt niemand, dass man es vergisst. Jonathan Hilbert war ein super 50km-Geher, Silber bei der letzten Olympiade. In diesem Jahr ist er Ersatzmann bei der Mixedstaffel, auf die er sich vorbereitet und die ja bekanntlich nicht einmal die Hälfte seiner ursprünglichen Spezialstrecke entspricht. Ein Profi (ob Marathoni oder Geher), der einer Verkürzung seiner Wettkampfstrecke körperlich bzw. leistungsmäßig nicht gewachsen ist, beendet seine Karriere. Die noch aktiven Spitzengeher haben sich bewusst dafür entschieden, weiterzumachen und es auf der kürzeren Distanz zu versuchen. Wenn man eine solche Entscheidung bewusst trifft, muss man das Training auch entsprechend adaptieren. Zumindest dann, wenn man den Anspruch hat, auch auf der kürzeren Strecke sehr gute Leistungen zu erzielen. Es verlangt niemand, dass man genauso gut auf 20km ist wie man es auf den 50km war, aber die Anpassung des Trainings ist das Mindeste, was passieren muss. Es sind keine Hobbysportler, die etwas Neues ausprobieren möchten, sondern Profis, die für die Ausübung ihres Sports (und damit verbunden auch ihr Training) finanzielle Mittel durch Verbände und Sportfördergruppen erhalten. Ein bisschen Kritik darf wohl erlaubt sein. Ich bin seit über 30 Jahren Teil der Materie und habe alle Veränderungen miterlebt. Dass die 50km weggefallen sind, ist für das Gehen grundsätzlich ein großer Nachteil - für die Deutschen, die da zuletzt sehr erfolgreich waren, automatisch mit. Das ändert aber nichts daran, dass man als Mensch ein „Gewöhnungstier“ ist, Umdenken kann und muss. Damit sind Trainer, Athleten und Verbände gleichermaßen angesprochen. Ich sage nicht, dass unsere Geher aktuell schwach sind und unterdurchschnittlich abliefern, sondern: Athleten anderer Nationen machen vieles im Training einfach besser als wir und das gilt es, herauszufinden und auszuprobieren. Stillstand hat noch niemanden weitergebracht. |