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Normale Version: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren?
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(25.10.2017, 17:00)Jo498 schrieb: [ -> ]Das lässt mich schon wenig an der statistisch und im Prinzip auch physiologisch belegbaren Weisheit der (deutlich) schnelleren ersten Runde zweifeln.

Wegen einem Beispiel?

Ich finde die statistischen Belege schon ziemlich eindeutig
http://sportsscientists.com/2007/09/iaaf...mens-800m/ ((bisschen runterscrollen bis "800m event")

---edit
Gray sagt ja auch selbst im Interview, dass er das Rennen von den Trials 92 als sein bestes einschätzt (1. Runde 49,5). Wenn er da am Ende durchgezogen hätte, stünde seine Bestzeit bei einer tiefen 1:42 oder einer hohen 1:41.
Schon mehr als ein Beispiel. Kempers DMR war ja das erste Beispiel, sogar mit einem negativen Split. Allerdings benötigte man eigentlich 200m-Splits. Vielleicht waren bei Gray und Kemper ja die ersten 200 schnell genug.
Oder vielleicht anders: Es müssen halt noch mehr Faktoren zusammenkommen und daher können jedenfalls sehr schnelle Zeiten (oder für einen Athleten sehr gute) mit einem deutlich geringeren Unterschied gelaufen werden. Das ist natürlich auch eine Warnung vor einem "Kemper", der selbst mit einer nicht ganz langsamen (zumal vor 50 Jahren auf nasser Aschenbahn) ersten Runde die zweite Runde 1,5 Sekunden schneller laufen kann...

Als Kohlmann und Hering sich vor 2? Jahren bei der DM unter 2 gepusht haben, dachte ich zuerst auch nicht, dass sie es schaffen, weil die erste Runde nur knapp über 59 war. Aber sie waren dann in der 2. Runde nur etwa 0,5 sec. langsamer.
Und die vorgeblichen optimalen 2 sec. Unterschied sind auch deutlich weniger als oft gelaufen wird. Oft sind es eher 5-6. Es kommt vermutlich auch darauf an, ob der Läufer von unten oder von oben kommt. Klosterhalfen ist bei ihrer sub2 etwa 57+62,5 gelaufen; ich könnte mir gut vorstellen, dass sie mit 58,5+60 noch eine Sekunde rausholen könnte.

Interessant ist jedenfalls, dass man, wenn auch nur als Faustregel, anscheinend erst recht spät draufgekommen ist, dass eine schnellere erste Runde besser ist. Nachdem ich als Schüler gelernt hatte, dass man 1000m gleich ziemlich schnell loslaufen muss, nicht als Joggen+ Endspurt laufen kann, galt aber immer noch möglichst Gleichmäßigkeit + Endspurt als Faustregel. Was natürlich auch daran liegt, dass man als unerfahrener Läufer mit noch nicht viel Training und Tempogefühl massiv bestraft werden kann. (Es ist ja schwierig genug, überhaupt zu lernen, so schnell loszulaufen und dann weiterzulaufen, obwohl man nach der Hälfte denkt, dass man eigentlich nicht noch länger so schnell laufen kann.)
Ich habe mit 14 es nicht geschafft, im entscheidenden Rennen die 3 min zu knacken, weil ich der zweitschnellste im "B-Lauf" war und ein anderer sich wohl auch geärgert hat, dass er knapp nicht in den schnelleren Lauf gekommen war, losgegangen ist wie die Feuerwehr, ich hinterher und meinen Ohren nicht getraut, als mir die Kameradin als Zwischenzeit bei 400m 1:04-1:05 zurief (ich weiß nicht, ob ich bis dato bei 400m-Intervallen jemals so schnell gerannt war, die müsste ich eher um 70 gelaufen sein). Ich hielt zwar die zweite Position in dem Lauf, bin aber so eingebrochen, dass ich die letzten 200m meiner Erinnerung nach in etwa 40 sec. gelaufen sein muss. (Ich weiß nur noch, dass die 800m-Zeit um 2:22 war und ich dachte, dass ich es jedenfalls packen müsste, aber die Endzeit war 3:02... nur eine sec. oder so schneller als meine Meldezeit vom Mai/Juni, sehr frustrierend nach etwa drei Monaten hartem Training dazwischen) Und im A-Lauf ging der Titel (Landesmeisterschaft) mit ca. 2:50 weg, wurde aber sehr gleichmäßig oder sogar steigernd gelaufen. In dem A-Lauf hätte ich selbst als Vorletzter vermutlich eine 2:58-59 schaffen können. (Wie ärgerlich das war, merkt man auch daran, wie genau ich das 30 Jahre danach noch weiß Angry .)
(25.10.2017, 22:17)Jo498 schrieb: [ -> ]Oder vielleicht anders: Es müssen halt noch mehr Faktoren zusammenkommen und daher können jedenfalls sehr schnelle Zeiten (oder für einen Athleten sehr gute) mit einem deutlich geringeren Unterschied gelaufen werden.

Das wird niemand bestreiten. Aber das Optimum holt man nur mit einem positive split heraus, s. bspw. auch
http://atfcaviccoaches.org.au/wpblog/wp-...rbn_kp.pdf
Ich tue mich weiterhin schwer, den Prendergast Text als die einzige und ultimative Wahrheit anzunehmen.
Ich bin mir ganz sicher, das zumeist die ersten 200 Meter zu schnell angelaufen werden.
​Zum einen muss man bei den 200 Meter Splits berücksichtigen, das der Kraftaufwand auf den ersten 200 durch das beschleunigen aus dem Stand noch mal höher ist. Die ersten 200 Meter werden angebrettert, damit sich die Läufer im Feld vermeintlich oder tatsächlich vor der 2. Kurve eine "gute" Position sichern können. Gilt sogar auch bei den allermeisten Rekordversuchen. Der Tempomacher zieht los und der Rekordanwärter zieht hinterher, damit sich bloss keiner vom übrigen Pack zwischen Tempomacher und Favoriten quetscht und dann den Favoriten aus dem Tritt bringt und/ oder in der Kurve bremst. Meine Forderung für Rekordversuche. ein bis 2 Tempomacher und nur ein Spitzenläufer, der Rest des Feldes deutlich langsamer und müssen somit nicht berücksichtigt werden. (Ist allerdings für mich schon etwas öde zum anssehen)
​Mir gefällt das Beispiel von Jo498 mit dem DM Frauen 800 Meter Lauf sehr gut. Da waren auf dem höheren Niveau nur 2 Läuferinnen, also wenig Störung durch das Feld und sie hatten sich abgestimmt.Das die erste Runde etwas schneller sein kann als die zweite....keine Einwände.
​Zu denken sollte aber doch zumindest das ein oder andere 1500 Meter Rennen gerade bei den Frauen geben. Da wurden zuletzt die ersten 2 Runden nicht ganz so scharf angelaufen und dann wurde fast eine Zeit sehr nahe an der 800 Meter Bestzeit draufgesetzt.
​Ich bin ganz sicher, das jemand der 1:41 laufen will nicht 23,5 anlaufen muss. Knapp 25,0 und dann ungehindert immer seinen Schritt auf der Innenbahn laufen können erscheint mir sinniger. Muss ja nicht ganz so extrem sein wie bei Dave Woottle 1972 in München. Der lief die ersten 400 Meter komplett unbehindert Wink . Der nahm die ersten 200 Meter gar nicht am Rennen teil Big Grin
Ultimative Wahrheiten gibt es nicht Wink, aber der Text ist eines von vielen statistischen und physiologischen Argumenten, dass man für optimale 800m-Zeiten positive Splits laufen muss.
Natürlich waren Rudishas 23,5 in London nicht optimal mit Blick auf die Erzielung der besten Zeit, aber sie waren optimal, um das Rennen zu gewinnen, weil er unbedingt vorne sein wollte, um das Tempo zu diktieren.
Läufer rennen selten ihr optimales Rennen, weil immer taktische Überlegungen eine Rolle spielen. Um die optimale Zeit zu erzielen müsste man über 800m etwas ähnliches organisieren wie Kipchoges Marathonrennen in Monza, aber das will zumindest ich nicht sehen, weil es strunzlangweilig wäre.
(26.10.2017, 08:24)Atanvarno schrieb: [ -> ]Um die optimale Zeit zu erzielen müsste man über 800m etwas ähnliches organisieren wie Kipchoges Marathonrennen in Monza, aber das will zumindest ich nicht sehen, weil es strunzlangweilig wäre.

Melde hiermit den Marketingbegriff "Breaking 100" zum Patent an Teufel
(26.10.2017, 08:48)TranceNation 2k14 schrieb: [ -> ]
(26.10.2017, 08:24)Atanvarno schrieb: [ -> ]Um die optimale Zeit zu erzielen müsste man über 800m etwas ähnliches organisieren wie Kipchoges Marathonrennen in Monza, aber das will zumindest ich nicht sehen, weil es strunzlangweilig wäre.


Melde hiermit den Marketingbegriff "Breaking 100" zum Patent an Teufel
Könnte man mit einem Speerwurf-Projekt kombinieren; vielleicht wird es dann noch spannender. (Allerdings dürften die idealen Windverhältnisse eine Kombination der Projekte in einem Stadion schwierig machen...)
Ich hatte den Text von Prendergast auch gelesen und mir hat das (als Laien, dessen eigene Rennerfahrung als Jugendlicher leider vor dem ernsthaft spezialisierten Training aufgehört hat) auch eingeleuchtet; u.a. deswegen war ich ja so erstaunt über Kempers splits. Er hat in 7 Jahren diese Zeit nicht übertroffen.
Hering hat die Zeit der DM Nürnberg 2015 bisher auch nicht übertroffen (und da war die erste Runde klar zu langsam, um als Beleg für Prendergast gelten zu können, der Lauf war viel näher an gleichschnellen Runden als an 2 sec. Differenz). Nun kann man natürlich sagen, dass das darauf hindeutet, dass in  zwei dutzend oder so Rennen in diesen 2,5 Jahren irgendwas insgesamt falsch gelaufen ist, wenn eine Athletin, die von den 400m kommt, sich nicht mit einer deutlich schnelleren 1. Runde ingesamt verbessern konnte (ernsthaft verletzt war sie meines Wissens nach nicht in der Zeit). Es kann aber auch sein, dass die Untersuchungen den Effekt überschätzen und er so klein ist, dass er nicht nur durch Taktik, sondern durch andere ähnlich kleine Faktoren leicht außer Kraft gesetzt werden kann.
Es scheint mir auch mit Prendergast verträglich, dass ein deutlicher Unterschied (sagen wir ab 4 sec.) der Topzeit wieder abträglich sein kann bzw. dass das wieder von sehr vielen weiteren Faktoren abhängt.

Idealerweise müsste man umfangreiche physiologische und Trainings-Daten von Typen wie Kemper und Wottle haben, um zu sehen, ob es vielleicht eine "Typfrage" ist. Naheliegend ist, dass sowohl ein frontrunner als auch ein extrem defensiver Läufer wie Wottle (oder manchmal Borzakovsky) einen Gewinn haben kann, weil er nicht im Pulk leicht aus dem Tritt kommen oder in Rempeleien verwickelt werden kann. Nun ist bei Rekordläufen das meistens nicht so relevant, weil durch das irre Tempo das Feld auseinandergezogen wird. Es ist aber eben nicht nur bei bewusst langsamen/taktischen Rennen relevant, sonder auch bei ziemlich schnellen (was in ihrer Zeit Kempers damaliger ER oder das Münchner Finale gewesen sind).

Weiß man von Harbigs Rekordlauf die Splits? (wenn ich in der Grafik bei Science of Sports den WR kurz von 1940 richtig herauslese, müsste es ein leicht negativer Split gewesen sein)
Harbig galt immer als sehr guter Endspurter, aber Pervitin hin und her, kann ich mir eigentlich schwer vorstellen, dass Gerschler nicht mit unterschiedlichen Renneinteilungen experimentiert hat. Oder nicht mindestens genaue 100m Zwischenzeiten genommen hat, um festzustellen, dass es nicht um schneller werden im Endspurt, sondern um weniger langsamer werden geht.
(Ich hatte in meiner Jugend ein oder zwei Harbig-Bücher, finde die aber nicht mehr und die waren auch eher weniger analytisch als kurz hinter Heldengedenken...)
(26.10.2017, 08:24)Atanvarno schrieb: [ -> ]Ultimative Wahrheiten gibt es nicht Wink
Ausser der, dass es ultimative Wahrheiten nicht gibt?
Ultimative Wahrheiten über komplexe von unbestimmt vielen Variablen abhängige Prozesse sind extrem schwierig zu gewinnen und es ist unmöglich, die Gewissheit zu haben, dass man in einem bestimmten Fall eine solche Wahrheit erlangt hat.
Das ist ein Unterschied zu "ultimativen Wahrheiten" wie "2+2=4", "Alle Junggesellen sind unverheiratet" usw. Die kann man wissen und wenn man sie überhaupt erfasst hat, erfasst man auch ihre Notwendigkeit und Gewissheit.

Hier die splits nach dem Video von Kohlmann/Hering bei der DM 2015. Außer den ersten 200, die wohl ein wenig schneller waren, etwa so gleichmäßig wie es nur geht:

59,62 - 59,65 (Kohlmann)

59,62
1:29,56
1:59,27
(Hering 1:59,54)

Nun könnte man sagen, dass das nicht mal für Frauen Weltklassezeiten sind, bei Frauen eh der Unterschied zwischen den Sprintzeiten und den 800m-Zeiten größer und daher die physiologischen Überlegungen von Prendergast (oder erst recht die Statistik der Männer-WR) nicht so einschlägig.

Mein Problem ist, dass ich einfach nicht glauben kann, dass Kemper oder Wottle mit anderen Splits seinerzeitige klare WR (sagen wir eine Sekunde oder mehr schneller als ihre tatsächlich BL, die mit schnelleren 2. Runden gelaufen wurden) hätten laufen können. Es ist sehr unplausibel, dass jahrelang aktive Athleten, die auf die entsprechende Distanz spezialisiert waren, in dutzenden von Weltklasserennen nahezu immer suboptimal laufen, gerade auch bei ihren BL. Allein aufgrund der Streuung hätten die doch mal zufällig ein Rennen, das näher am vorgeblich optimalen Split ist, erwischen müssen. Oder man hätte von Trainingswerten, Vgl. mit anderen Athleten usw. darauf kommen müssen, mal was anderes auszuprobieren. 800m ist ja kein Marathon, in dem man nur wenige Chancen auf Weltklassezeiten pro Saison hat. Obendrein muss ja gerade ein "Hinterherläufer" wie Wottle oder Borzakovsky ein extrem gutes Tempogefühl/Selbsteinschätzung haben, um zu wissen, wie weit er hinterdrein laufen kann.
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