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Normale Version: Wann man als Trainer die Reißleine ziehen sollte?!
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Ich lese hier sehr oft von gravierenden Verletzungen, bei denen ich mir Gedanken mache, wie derartige Athleten mit 50 Jahren aussehen. Schon bei normalem Verschleiß kann man in dem Alter Probleme bekommen, bei enormen Vorschädigungen erst recht. Ich habe erst im letzten Jahr abgelehnt, einen Schüler auf der Leistungssportschiene zu begleiten, weil die orthopädischen Voraussetzungen trotz des Talentes dafür nicht gegeben waren. Wenn Zeitpunkte kommen, wo man Athleten oder Athletinnen nur noch "zusammenflickt", halte ich eine Beendigung für angebracht. Ich bin mir bewusst, dass diese Entscheidungen viel emotionale Kraft kosten.

Ebenso bin ich sehr ehrlich, was die Perspektiven für den Leistungssport aus meiner Sicht anbetreffen. Ich locke keinen zum Leistungssporttraining, obwohl ich von einer Leistungsbegrenzung ohne Aussicht auf Spitzenleistungen ausgehe. Natürlich gebe ich den Leuten etwas Zeit und lasse die Möglichkeiten abtesten; aber irgendwann "schenke ich reinen Wein ein".

Gertrud
Zitat:Gertrud schrieb:
…aber irgendwann "schenke ich reinen Wein ein".

DEINEN Wein sollte man hinzufügen! Nicht böse sein, aber "nobody is perfect" (nicht nur ein Filmzitat, sondern gelebte Realität Wink). Als 10jähriger hatte ich eine schwere Knie-OP und durfte auf ärztliche Anweisung fast 1 Jahr keinen Schulsport machen. Danach fing ich mit Schwimmen ab, aber mir schmeckte Chlor gar nicht, Augen immer gerötet, deshalb spielte ich kurz Handball. Die "Brutalität" dieser Sportart ärgerte mich und ich wechselte zur LA - das Knie war nie ganz einwandfrei, aber es ging. Die Leichtathletik hatte für mich den Vorteil, dass ich das Training "dosieren" konnte (bestimmte Übungen einfach wegließ) und es funktionierte recht gut.

Ich habe zahllose Ärzte konsultiert, wurde sogar als Simulant bezeichnet (weil niemand die Ursache der Schmerzen fand) und machte immer weiter - schließlich sogar Zehnkampf. Ich habe Schmerzen als Signal gesehen und das Training darauf immer wieder umgestellt, wenigstens hatte ich einen Top-Physio der etliche Male behilflich war. Mit 30 streikte das Knie mit einer Totalblockade und ich kam in eine Klinik, die ihr Handwerk verstand - ein winziger freier Gelenkkörper hatte sich im Spalt festgesetzt und wurde "sehr rücksichtsvoll" entfernt (die Kunst einer erstklassigen Athroskopie…)- soviel zum Simulanten (diese Fremdkörper waren beim 10jährigen im Knie belassen worden um bei der OP selbiges nicht noch weiter zu schädigen…).

Danach konnte ich erstmals lange Strecken laufen, zuerst sehr vorsichtig, später "einige Marathons". 30 Jahre später laufe ich immer noch, allerdings keine Marathons und keine Wettkämpfe mehr.

Warum diese "Erzählung"? Ich kenne zwei weitere Fälle, denen man DRINGEND von weiterer sportlicher Betätigung abgeraten hatte - einer machte Leistungssport, der andere wurde zur "couchpotato". Möchte jemand raten wer heute die größeren gesundheitlichen Probleme hat? Natürlich gibt es Voraussetzungen die einen Leistungssport riskant machen, aber wer möchte sich denn mit einer Prognose für "unfehlbar" halten? Die Ärzte sind es definitiv nicht, Trainer ebenfalls nicht und auch Athleten können nicht alles selbst abschätzen!

Wo ich Deiner Linie folge ist im Zusammenhang mit den zahlreichen Verletzungen in der deutschen Zehnkampf-Spitze - die Häufung ist schon signifikant, aber sind es wirklich die falschen Leute für den Sport, oder eher die falschen Methoden für die richtigen Leute? In der Einzelfallbetrachtung und nach Zusammentragen ALLER Details könnte man vielleicht etwas dazu sagen, aber eine Zukunftsprognose bei so vielen Variablen? Mutig…
Zitat:Wo ich Deiner Linie folge ist im Zusammenhang mit den zahlreichen Verletzungen in der deutschen Zehnkampf-Spitze - die Häufung ist schon signifikant, aber sind es wirklich die falschen Leute für den Sport, oder eher die falschen Methoden für die richtigen Leute? In der Einzelfallbetrachtung und nach Zusammentragen ALLER Details könnte man vielleicht etwas dazu sagen, aber eine Zukunftsprognose bei so vielen Variablen? Mutig…

Ich will diesen Beitrag nicht nur auf die Zehnkämpfer projiziert wissen. Es fällt mir ganz allgemein auf, dass in vielen Fällen trotz erheblicher und mehrfacher Operationen wieder ein Leistungstraining aufgenommen wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass man es in einigen Fällen lassen sollte. Wenn die unteren Gelenke betroffen sind, die fast immer in der LA beteiligt sind, sollte man doppelt vorsichtig sein. Letztens fiel mir ein Bild in die Hände, wo eine Person aus der LA nach einer Knie-OP eine sehr gefährliche Knieübung demonstrierte. Ich war fassungslos und denke in solchen Fällen: "Wie lange dauert es, bis es wieder knallt?" Wenn ein Athlet viele OP hinter sich hat, sollte man zumindest Trainer an diese Athleten lassen, die die Orthopädie nicht nur vom Hörensagen kennen. Da stellt sich die Frage, ob immer richtig kanalisiert wird. Bei einigen werden die Zwischenräume von OP somit immer kürzer.

Man muss in der Ärzteauswahl sehr akribisch vorgehen. Auch bei den Physiotherapeuten gibt es enorme fachliche Kompetenzgrade. Man sollte als Athlet sehr behutsam sein, in welche Trainerhände man sich begibt. Ich habe nie gezaudert, Leuten vor den Kopf zu stoßen, wenn ich meine Athletinnen in körperlicher Gefahr sah. Ich würde auch heute noch sehr konsequent bei Sichtungen eigene Athleten bei gefährlichen orthopädischen Übungen herausnehmen und zwar, ohne mit der Wimper zu zucken. Ob das ein Bundestrainer ist, wäre in dem Fall völlig gleichgültig. 

Wenn ein Athlet an mehreren Stellen bereits in gravierender Weise und nicht nur an einer Kleinigkeit operiert worden ist, ist es mutig, ein Leistungstraining wieder einzuleiten!!! Das ist meine Meinung. In solchen Fällen kann nach sehr akribischr Abwägung nur ein vom Spezialwissen her geschulter Trainer die Aufgabe übernehmen, der in der Lage ist, das Übungspotential anzupassen!!!

Gertrud
Ich wollte das nicht auf den Zehnkampf allein beziehen, da finde ich die Situation aber sehr deutlich. Ich gehe da auch ruhig noch einen Schritt weiter: Wenn irgendetwas im Training / gesundheitlich / leistungsmäßig nicht wie erwartet läuft ist auch die Mündigkeit des Athleten gefragt!
Ich kann nicht lange, trotz intensiven Trainings, leistungsmäßig stagnieren ohne mich zu fragen was hier schief läuft! (Außer am Ende einer langen Karriere vielleicht, heißen ja nicht alle Kim Collins…)
Ich kann nicht zwei, drei größere Operationen am Knie haben (außer z.B. durch gegnerische Fremdeinwirkung im Ballsport) und meinen "passt schon".
Ich kann auch nicht ständige virale Infektionen durchleiden ohne nach einem Grund dafür Ausschau zu halten und diesen möglichst auszuschalten.

Das ein Trainer / Eltern / Arzt bei sehr jungen Athleten eine vorrangige Fürsorgepflicht haben bleibt davon aber unbenommen. Der Mensch neigt zum Leichtsinn keine Frage (Rasen mit dem Auto, Drogen, Alkohol, gefährliche Sportarten…), dass spricht ihn aber nicht von einer gewissen Sorgfaltspflicht frei - gilt auch für Sportler. Letztlich kann man aber nicht alles Vorhersehen, weder Berater noch Betroffener (Kira Grünberg…) Im Prinzip stimme ich mit Dir insofern überein, dass man manche Leute vor sich selbst schützen muss - einem Betrunkenen nehme ich auch den Autoschlüssel ab…
Diese Missgeschicke wie bei Kira Grünberg passieren. Da bin ich wirklich die letzte Person, die da Schuld zuweist. Das kann jedem Trainer mit seinem Schützling passieren. Es geht um den Verschleiß, der durch schlechtes Übungspotential passiert. Es ist sehr, sehr zeitaufwändig und mühsam, sich diese detaillierten Kenntnisse anzueignen. Letztens saß hier bei mir eine Person aus dem Ehemaligenkreis und hat sich sehr intensiv entsprechende Ordner mit Übungen und Eigenkreationen angesehen, die allesamt nicht aus dem Gewichtheberlager stammen.

Für sehr entscheidend halte ich auch die akribische Unterweisung bei den Fortbildungen hinsichtlich technischer Details in Verbindung mit Verletzungspotential.

Gertrud

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Ich denke nach mehreren schweren verletzungen sollte sich ein athlet schon überlegen ob es nicht zeit ist den sport an den nagel zu hängen um die 40-50 jahre nach dem sport eine vernünftige lebensqualität zu haben. trainer und ärzte sollten da auch beratend wirken und vielleicht auch mal sagen "zeit nen neuen abschnitt zu beginnen", aber im endeffekt muss das natürlich der athlet entscheiden. wenn der trainer sagt "ich kann das risiko dich zu trainieren nicht mehr verantworten" muss man die entscheidung aber natürlich auch akzeptieren.
Sehr vernünftig!!!  Thumb_up

Gertrud
(25.01.2016, 15:42)dominikk85 schrieb: [ -> ]Ich denke nach mehreren schweren verletzungen sollte sich ein athlet schon überlegen ob es nicht zeit ist den sport an den nagel zu hängen um die 40-50 jahre nach dem sport eine vernünftige lebensqualität zu haben. trainer und ärzte sollten da auch beratend wirken und vielleicht auch mal sagen "zeit nen neuen abschnitt zu beginnen", aber im endeffekt muss das natürlich der athlet entscheiden. wenn der trainer sagt "ich kann das risiko dich zu trainieren nicht mehr verantworten" muss man die entscheidung aber natürlich auch akzeptieren.


Nix für ungut - für mich (und für Andere?) wäre es schon positiv, sich auch die Zeit für Groß- und Kleinschreibung zu nehmen, und für eine halbwegs akzeptable Kommasetzung. Das würde das Lesen von Beiträgen schon etwas erleichtern. Ich persönlich betrauere dieses Schreiben im SMS-Stil schon etwas - hat für mich auch was mit dem Respekt vor dem Publikum zu tun. Schreiber, die das Beachten, kann ich auch eher respektieren und ernst nehmen.

@ Moderatoren: Kein Fachbeitrag, gerne zu verlagern - vielleicht in das Thema Schreibstil.... oder Diskussionskultur...
(25.01.2016, 14:31)lor-olli schrieb: [ -> ]Ich wollte das nicht auf den Zehnkampf allein beziehen, da finde ich die Situation aber sehr deutlich. Ich gehe da auch ruhig noch einen Schritt weiter: Wenn irgendetwas im Training / gesundheitlich / leistungsmäßig nicht wie erwartet läuft ist auch die Mündigkeit des Athleten gefragt!
Ich kann nicht lange, trotz intensiven Trainings, leistungsmäßig stagnieren ohne mich zu fragen was hier schief läuft! (Außer am Ende einer langen Karriere vielleicht, heißen ja nicht alle Kim Collins…)
Ich kann nicht zwei, drei größere Operationen am Knie haben (außer z.B. durch gegnerische Fremdeinwirkung im Ballsport) und meinen "passt schon".
Ich kann auch nicht ständige virale Infektionen durchleiden ohne nach einem Grund dafür Ausschau zu halten und diesen möglichst auszuschalten.

Das ein Trainer / Eltern / Arzt bei sehr jungen Athleten eine vorrangige Fürsorgepflicht haben bleibt davon aber unbenommen. Der Mensch neigt zum Leichtsinn keine Frage (Rasen mit dem Auto, Drogen, Alkohol, gefährliche Sportarten…), dass spricht ihn aber nicht von einer gewissen Sorgfaltspflicht frei - gilt auch für Sportler. Letztlich kann man aber nicht alles Vorhersehen, weder Berater noch Betroffener (Kira Grünberg…) Im Prinzip stimme ich mit Dir insofern überein, dass man manche Leute vor sich selbst schützen muss - einem Betrunkenen nehme ich auch den Autoschlüssel ab…

Ich sehe die prekäre Situation, in der sich viele Trainer befinden. Ich habe momentan die Topsituation, dass ich enorm viel recherchieren kann und mich durch ständiges Bemühen in einer sehr guten Vernetzung befinde, wo wirklich jeder Teilnehmer hart an sich und seinem Wissen arbeitet. Ich habe gerade wieder bis jetzt an einem Verletzungsthema gearbeitet. Ich muss dazu sagen, dass nicht immer alle Sachen sonnenklar sind. Es gibt sicherlich auch Grauzonen, in denen wir noch keine endgültige Sicherheit haben. Ich habe z. B. in der Literatur Gegensätze zu Videos eines absoluten Topmannes gesehen, wo ich mich frage, ob dort schlechter gearbeitet wird oder anderes Wissen vorhanden ist. Teilweise wird bemängelt, dass es sich bei den Studien nicht immer um die geeigneten Teilnehmer handelt. Oft dauern die Studien auch nicht lange genug. 

Eigentlich sollte man erwarten, dass die Trainer im gehobenen Leistungssegment eine Sprache hinsichtlich Verletzungsprophylaxe, Übunsgestaltung ... sprechen. Ich sehe in dem Bereich erhebliche Versäumnisse. Das hat viel mit dem Fortbildungsniveau, aber vor allem mit der autodidaktischen Fortbildung zu tun. Es ist schwierig, in Fortbildungen das Nveau aller Teilnehmer/innen zu treffen. Manchmal liegen Welten dazwischen.

Gertrud
(25.01.2016, 14:49)Gertrud schrieb: [ -> ]....
Für sehr entscheidend halte ich auch die akribische Unterweisung bei den Fortbildungen hinsichtlich technischer Details in Verbindung mit Verletzungspotential.

Gertrud

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Mir fehlt eine Message in deinem Diagramm:
Eine kontinierliche Leistungssteigerung mit kleineren Schritten ist erfolgreicher, als große Sprünge mit Verletzungen.
Lieber mal etwas zurückstecken, als den maximal möglichen Leistungszuwachs zu erzielen, auch um eventuell den nicht direkt an der Leistung beteiligen Systemen Zeit zu geben sich zu entwickeln.

-running-
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