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Doping freigeben? - Druckversion

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RE: Doping freigeben? - lor-olli - 07.04.2016

Zum Thema zurück… (philosophische Betrachtungen in allen Ehren doch fürchte ich ziehen da ein paar Wolken herauf, die JEDE Betrachtung dann nur noch in der Retrospektive möglich macht)

Ich brüte gerade über ein paar Papieren zum Thema CRISPR/Cas, eine Expertenkommission (Weigel, Beachy, Li) hat einem Bericht verfasst (A proposed regulatory framework for genome-edited crops) der einen “regulatorischen Rahmen für das Genome Editing bei Pflanzen erarbeitet“, sie plädieren dagegen derart manipulierte Pflanzen als GVOs einzuordenen (gentechnisch veränderte Organismen). Unser Gesetz zur Gentechnik zieht Grenzen zwischen den verschiedenen Manipulationsverfahren/arten und CRISPR/Cas fällt so gut wie in keinem Fall darunter! (Fälle Typ I und Typ II nicht, Fall Typ III fällt definitiv darunter, wird aber hier eher nicht benötigt). Gesetzesänderung? Eigentlich ist das Gesetz schon so präzise wie es die Umstände zulassen…

Pflanzen und Doping? Wo liegt die Schnittstelle zum “humanen“ Doping? Genau genommen geht es um das Verfahren (CRISPR/Cas)  mit dem auf zellulärerer Ebene manipuliert wird, und dies ist sehr billig und schnell, präzise in der Wirkung, verursacht nur minimalste Veränderungen und ist letztlich nicht mehr nachweisbar. Herkömmliches Doping gleicht einem Schrotschuss, nach dem Motto “irgendetwas treffen wir immer“, das neue Verfahren kann dagegen ganz gezielt Gene schalten, modifizieren, programmieren, Spuren sind nicht oder so gut wie nicht nachweisbar. (Man fügt nicht wie in der “klassischen Gentechnik“ neue, artfremde Genabschnitte ein, man manipuliert die körpereigenen und zwar mit dem “extremsten  Präzisionswerkzeug“ (Cas) mit dem Bakterien Viren bekämpfen und zwar nur genau das anvisierte Virus.

Voraussetzung ist die genaue Kenntnis des Erbgutabschnittes den man verändern will und man kann für 20€ in einem Tag loslegen. Zusätzlich braucht man kein großes, speziell ausgerüstetes Labor, ein einfaches genügt und es gibt weltweit hunderttausende, vermutlich Millionen taugliche.

Pflanzen, Tiere, Menschen > prinzipiell funktionieren wir alle gleich, man testet dieses Verfahren gerade an Rindern um bestimmte genetische Defekte auszumerzen. Ginge auch mit Zucht (klassische Mutagenese, lässt sich anschließend nicht mehr nachweisen), aber weniger effektiv / erfolgreich, langwierig und teuer, auch mit diesem Verfahren wird das genetisch veränderte Material weitervererbt. Einer der auftretenden Defekte betrifft übrigens das Muskelwachstum…

Schöne neue Welt! Sicher hilfreich um verschiedene menschliche Erbkrankheiten  dereinst zu korrigieren, rufen wir also die Geister herauf… oder besser Ungeister?

Diese Ungeister werden das “unsichtbare Doping“ wahr werden lassen - hat jemand Zweifel daran? Wo bliebe dann der Sinn des fairen sportlichen Vergleichs - außer dem reinen Unterhaltungswert. Führen wir “genetische Klassen“ ein?

Doping also freigeben? in 10 Jahren unterhalten wir uns dann mal wieder über unsere “niedlichen“ Vorstellungen! Sorry für die Tirade, aber ich denke ich bin gerade themenbezüglich in einer Resignationsphase…


RE: Doping freigeben? - MZPTLK - 07.04.2016

Doping freigeben = Dummheit freigeben.

Resignation ist unerwachsen.


RE: Doping freigeben? - lor-olli - 07.04.2016

(07.04.2016, 14:21)MZPTLK schrieb: Resignation ist unerwachsen.

Du hast ja recht, mein Problem ist, dass ich trotz nun schon recht eingehender Beschäftigung mit dem Thema keine Lösung "erdenken" kann. Ich hatte ehrlich gesagt gehofft, dass dieses Konzept noch ein wenig ein Konzept bleiben würde, aber "die Rindviecher" gehen bei den "Rindviechern" schon in die Praxistests über und das Ergebnis wird wohl - vorsichtigen Voranmerkungen nach - überwältigend sein.

Einen Gen-Defekt möchte man manchmal auch gar nicht reparieren, verspricht er doch “Schwarzenegger-Kühe" >
http://green.wiwo.de/bodybuilder-kuehe-wollen-wir-tiere-wirklich-noch-essen/

oder noch "schöner" im Video >
https://www.youtube.com/watch?v=y-1RZzqYl6c

Dieser Defekt wird aber schon seit längerem intensiv erforscht, aber nicht um ihn "abzuschalten". Prinzipiell sollte dieser Effekt bei allen Säugetieren auftreten können, das Gen weisen alle Warmblüter auf. Einzig die Frage wie man den Effekt gezielt steuern kann ist noch nicht gelöst, denn unterdrückt man genetisch die Produktion von Myostatin wirkt sich das auf nahezu alle Muskelzellen aus - und die Nebenwirkungen sind teilweise dramatisch. Allein der Umstand das in diese Richtung sehr viel geforscht wird lässt mich nicht sehr zuversichtlich zurück, dass man hier Vernunft walten lassen wird. Noch erkennt man die "Viecher" mit einem Blick, genau wie man die Turbo-Bodybuilder sofort erkennt, was aber wenn man gelernt hat den Effekt nicht nur auszulösen, sondern gezielt zu steuern… Nicht nachweisbar, da hilft KEIN Dopingtest, kein Dopinggesetz nicht einmal eine Gen-Analyse wenn man nicht eine "Vorher-Probe" hat. In der nächsten Generation gäbe es dann nicht einmal mehr diese.

Unsere genetische Ausstattung ist so divers, dass dieser Effekt eben auch natürlichen Urspungs sein kann. (Wie bei Pechstein und ihren abnormalen Blutwerten… ahem…). 

Also, meine Resignation ist kein psychologisches Problem, eher ein medizintechnisches. Erfahrungsgemäß ist die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes eines verbotenen Mittels, einer verbotenen Methode dann besonders groß, wenn die Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden gleich Null ist. Epo war eine zeitlang "überall" - bis man es nachweisen konnte. CRISPR/Cas verändert die Gene aber auch für die Nachkommen - die haben dann nicht eimal gedopt. Und wie will man beweisen, dass ein Elternteil nicht wegen einer Muskelerkrankung behandelt wurde. Hochleistungssportler sind ja heutzutage schon alle “krank" (Asthma, Krebs, Blutbildstörungen, Herzschwäche… kein Argument scheint zu dämlich).


RE: Doping freigeben? - MZPTLK - 07.04.2016

Das Leben war schon immer ungleich und ungerecht.
Also auch der Sport.
Der Sport lebt und konstituiert sich durch Ungleichheiten.

Jeder kennt die Spielregeln und begibt sich freiwillig in die Konkurrenz in der Annahme und der Hoffnung,
dass die Gegner sich ebenfalls regelgerecht verhalten.
Vorausgesetzt, es gibt
1. keine Dopingfreigabe
2. Kontrollen und Sanktionen

Oder man geht in den Wettkampf, wohl wissend oder zumindest vermutend,
dass sich einige Idioten Einiges reingepfiffen haben.

Na und?
Dann zieht man von deren Leistung 5, 7 oder10 % ab und schon hat man die korrekte Reihenfolge.

Und 20 Jahre später kriegt man mit, wie es um die 'Gesundheit' der (Selbst-)Betrüger steht
und wird sich immer sicherer, dass man es richtig gemacht hat.


RE: Doping freigeben? - Atanvarno - 07.04.2016

Und gerade wenn Doping immer schwieriger oder gar unmöglich nachweisbar wird, gewinnen aus meiner Sicht die hier (Psychologie des Dopings) diskutierten Gedanken an Wichtigkeit.
Nicht zu dopen ist zuallererst eine Gewissensentscheidung. Wer nur auf Zwangsmaßnahmen im Anti-Doping-Kampf setzt hat schon verloren (auf jeden Fall dann, wenn das Doping nicht mehr nachweisbar ist).


RE: Doping freigeben? - Hellmuth K l i m m e r - 07.04.2016


Nach dieser Phi-mal-Daumen-Regel verhiel ich mich tatsächlich in den letzten Jahren meiner Leistungssportkarriere (1964 b. 1974);
das viel mir ziemlich leicht und war auch ohne "Fehlerqoute" möglich, da ich vom Dopin meiner Rivalen genug wusste ... Teufel- in der DDR
war's ein offenes Geheimnis.
  
H. Klimmer / sen.


RE: Doping freigeben? - MZPTLK - 08.04.2016

Wobei die Prozentsätze für den Sprint nicht gelten, da bewegen wir uns etwa bei 2 oder 3 %.


RE: Doping freigeben? - Pollux - 08.04.2016

(07.04.2016, 20:36)Atanvarno schrieb: Und gerade wenn Doping immer schwieriger oder gar unmöglich nachweisbar wird, gewinnen aus meiner Sicht die hier (Psychologie des Dopings) diskutierten Gedanken an Wichtigkeit.
Nicht zu dopen ist zuallererst eine Gewissensentscheidung. Wer nur auf Zwangsmaßnahmen im Anti-Doping-Kampf setzt hat schon verloren (auf jeden Fall dann, wenn das Doping nicht mehr nachweisbar ist).

Das sehe ich ähnlich. In diesem Sinn aber muss man den Anspruch haben, den Sport als eine ‚Gesinnungsgemeinschaft’ zu formulieren. Was eigentlich immer der Fall gewesen ist. (Und durch Vertragstheorien nicht wirklich ersetzt werden kann) 

Womit wir es gegenwärtig jedoch zu tun haben, sind Doping-KULTUREN. Ihren Bodensatz nehmen wir gegenwärtig als Gesinnungsgenossenschaft von „Meldoniken“ wahr. Wo der „Geist des Sports“ nur noch ein gefräßiger Berserker ist: um sich alles einzuverleiben, war irgendwie erfolgsversprechend ist. Das muss wohl eine Folge der ideologischen Instrumentalisierung des Sports sein. Aber mit dem Potential, alle sportkonformen Gesinnungen nachhaltig umzuwerten. 

Freigabe ist eine Kapitulation vor diesem vorgelagerten Land der Meldoniken. (Das überall sein kann -  damit wir uns nicht missverstehen!) Odysseus ist bei denen erst gar nicht an Land gegangen. Er wusste, dass ihre vermeintliche Gerechtigkeit einen zu großen Preis hat: die den Einzelnen dazu zwingt, ein Meldonik zu werden. Dann kannst du nicht mehr weg - dich höchstens weiter ins Hinterland begeben! Also von der LG Kanüle Petriburg zum LC Genom Schnippeldorf wechseln. Wo Sieger gemacht werden - zu Ehren der Dummheit.  Wink


RE: Doping freigeben? - MZPTLK - 08.04.2016

(08.04.2016, 12:00)Pollux schrieb:
(07.04.2016, 20:36)Atanvarno...' schrieb:
Frei nach 'moralische Gemeinschaft' nach Tugendhat?


RE: Doping freigeben? - Pollux - 08.04.2016

Weiß ich nicht. Ich kenne Tugendhats Position nicht gut genug. Aber eine „moralische Gemeinschaft“ ist zumindest dadurch ausgezeichnet, dass sie anspruchsvolle Forderungen an sich selbst stellt. Mit der Freigabe gibt man diese auf. 

Dann sind wir eine andere Gemeinschaft...