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Rhythmisches Klatschen beim Weitsprung - Druckversion

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Rhythmisches Klatschen beim Weitsprung - Pollux - 06.02.2015

Huch, es fehlt ja noch der Sprung! 

Man wird kaum bezweifeln können, dass in der Anthropologie des Davonrennens auch überlebenstaugliche Sprünge eine Rolle gespielt haben. Und die sog. Freudensprünge, die zumindest in unserer Sprache eine Monopolstellung besitzen (von Freudenwürfen oder Freudenläufen ist keine Rede) könnten im Anschluss an den rettenden Sprung ja ebenfalls ihren Platz finden. Oder aber der Leistungs-Sprung wird selbst (wie beim Prof. Klimmerimmer) als ein Freudensprung definiert. In dem Fall wäre man über die Sphäre des Überlebenstauglichen immer schon hinaus. Wenn die kindliche Freude am Wettbewerb hinzukommt, schlägt man gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe.

So weit, so gut. Das antike Olympia gestattete bekanntlich dem Weitspringer keinen Anlauf. Ob so was die Sprungfreude in Reinkultur zu vergegenwärtigen vermag, darf jedoch bezweifelt werden. Zumal man dem Springer auch noch zwei Gewichte in die Hand drückte. Andererseits erklang beim Weitsprungwettbewerb die Begleitmusik eines Flötenspiels. Demgegenüber ist beim neuzeitlichen Olympia der Anlauf wieder gestattet, aber Musik erklingt dazu nicht mehr. Aber der Springer darf immerhin wieder laufen, bevor er springt. Was der Hindernisläufer vor dem Wassergraben übrigens ohnehin tut. Obwohl hier die archaische Nähe zum Grabensprung (wenn auch weniger Absturz- als Übernässungs-gefährdet) klar zutage tritt, bildet dieser Sprung doch keineswegs den Kern des Wettbewerbs. Lassen wir also die Evolution mal weg – und wenden uns der Musik zu.

Bemerkenswerterweise findet diesbezüglich eine gewisse Renaissance statt. Musiziert wird bei Meisterschaften zwar nicht, aber es gibt seit mehreren Jahren das Ritual der Anlaufbegleitung durch rhythmisches Klatschen. Nun könnte man sagen: das ist doch bloß eine Sonderform der Anfeuerung! Aber da muss man vorsichtig sein. Denn der Anfeuerung geht die – ebenfalls ritualisierte - Aufforderung durch den Springer voraus. Als unwissender Fan wäre man geneigt, an dieser Stelle die Klimmerfrage zu stellen: „Was will er uns damit sagen?“ Zunächst nur so viel: „Unterstützung bitte!“ Anfeuerungslogisch könnte man jetzt aber – in Beanspruchung des Konkurrenzprinzips - zurückfragen: „Warum sollte ich dich unterstützen, kommst doch gar nicht aus Deutschland ?! Die Aufforderung zum Anfeuern hat also einen Mehrwert. Es ist immer auch ein Fairnessplädoyer. Eines, dem das Publikum stets uneingeschränkt dadurch Folge leistet, dass es JEDEN Teilnehmer unterstützt. Wieder hätte man als Unwissender,der den Sportkonsumenten aber als kritischen Verbraucher kennt (Liefert erst mal, bevor ich klatsche!)Grund genug, sich die Augen zu reiben. 

Warum tun die das also? Offensichtlich scheinen die Sprungmädels/-jungs sich was von der Unterstützung zu erhoffen. Also weiter oder höher zu kommen. Was bedeuten würde, dass zur Leistung (man nennt das Geschehen ja Leistungssport) etwas gehört, was nicht in der Verfügung des Leistenden steht: Die Leistung ohne weiteres abrufen zu können. Das wiederum scheinen die Zuschauer zu wissen. Sie scheinen sogar irgendwie die Hoffnungen der Akteure zu teilen. Zumal sich diese Hoffnung immer auch in der spannungsvollen Nähe zur Befürchtung bewegt. Das Ganze also eine Empathiekundgebung?Wenn ja, dann wohl nicht nur zugunsten des Teilnehmers, sondern auch mit dem Wettbewerb als Faszinosum des offenen Ausgangs. Das Publikum will dem offenen Ausgang ja gerade nicht - wie beim selektiven Anfeuern- eine Richtung geben. So dass entweder das Erwünschte, oder das Erwartete eintritt. Die Empathie ist also nicht bloß eine Fairnessgeste gegenüber allen Konkurrenten, sondern auch eine Sympathiekundgebung gegenüber dem Vorrecht des offenen Ausgangs.

Andererseits sollte man die sprungfreudigen Erdlinge nicht zu arg idealisieren. Oft ist ja nur das Meckern aufgeschoben: Auf die Zeit nach der Landung- und darüber, dass das Erwartete ausgebblieben ist. Darüber gibt es ganze Zeitungsartikel, ja sogar wissenschaftliche Abhandlungen?! Es scheint also, dass das Unerwartete nur als positive Überraschung gerne gesehen ist. Es kommt der Verdacht auf, dass im Unterstützungsritual auch dies irgendwie erwartet wird. Was ja nicht unbedingt ganz ungebührlich wäre. Wenn unter dem Vorrecht des offenen Ausgangs etwas erwartet werden darf, dann ja wohl das Unerwartete. Im Unterschied zum Evolutionsnäheren Sprung über den Wassergraben. Dort wäre die Sehnsucht nach dem Unerwarteten von vorneherein hinterfotzig! Idea

edit mod: Abgetrennt aus
Streichung von LA-Disziplinen bei OS?
da die Diskussion doch etwas weit weg vom Thema führte



RE: Streichung von LA-Disziplinen bei OS? - Hellmuth K l i m m e r - 06.02.2015

Hallo Pollux,

dein wieder langer Beitrag u. a. zur Antike des Weitsprunges und auch zur "Rolle der Bedeutung" der Beifall-erheischenden Springer und des Publikums möchte ich gebührend    k u r z   beantworten:

- Beifall zu fordern, lenkt den Akteur nur ab! Er sollte sich vielmehr auf seinen nächsten Sprung konzentrieren - meinten übereinstimmen - damals als das losging - Klaus Beer und auch ich. Wink

- Über den antiken Weitsprung zu diskutieren ist unnötig. Alles dazu sagte Dr. Harald  S c h m i d  in seiner Dissertation "Zur Technik des Weitsprunges in der Antike".

- Das von mir verwendete Signum zum freudvollem Springen stammt (leicht abgewandelt) vom Mainzer Prof.   B o d e .  Aber "so ises" wirklich. Smile

H. Klimmer / sen.


RE: Streichung von LA-Disziplinen bei OS? - MZPTLK - 06.02.2015

(06.02.2015, 22:43)Hellmuth K l i m m e r schrieb: - Beifall zu fordern, lenkt den Akteur nur ab! Er sollte sich vielmehr auf seinen nächsten Sprung konzentrieren - meinten übereinstimmen - damals als das losging - Klaus Beer und auch ich. Wink

- Über den antiken Weitsprung zu diskutieren ist unnötig. Alles dazu sagte Dr. Harald  S c h m i d  in seiner Dissertation "Zur Technik des Weitsprunges in der Antike".
Den Akteur lenkt's ab? Alle?
Den einen bringt das Klatschen hoch, der andere will es lieber mucksmäuschenstill.
Seit Willie Banks Zeiten fühlen sich mMn allerdings allzuviele zu diesem Ritual bemüssigt, wenn nicht gar verpflichtet.

Karl Valentin:
'Es ist alles gesagt. nur nicht von allen.'
Warum sollte man über schon Gesagtes nicht diskutieren?
Ausserdem hat Harald einige Aspekte für Pollux übrig gelassen.

Übrigens: Ich habe Dich gestern beim heimlichen Lesen des Philo-Threads erwischt! Tongue
Btw: die Uni Halle hat gar keine schlechten Philosophie-Veranstaltungen.

Zum Thread: Bevor man die Axt an die Leichtathletik legt, sollte man diverse andere 'Sport'-(ent-)arten entsorgen oder zumindest teilentrümpeln, die nur dank früherer Eliten aus dem Zeitalter des Nationalismus und Militarismus olympisch wurden wie Military, Schiessen, 'moderner' Fünfkampf, Biathlon...

Diese Disziplinen sind immer nur von Wenigen betrieben worden, dagegen hat es zum Beispiel beim Tischtennis, was von Hunderten von Millionen Menschen auf der ganzen Welt gespielt wird, ewig bis Olympia gedauert.


RE: Streichung von LA-Disziplinen bei OS? - Hellmuth K l i m m e r - 07.02.2015

(06.02.2015, 23:44)MZPTLK schrieb: Übrigens: Ich habe Dich gestern beim heimlichen Lesen des Philo-Threads erwischt! Tongue
Falsch! Ich las nicht, ich probierte einen Beitrag zum 13.2.1945.
Nun rate mal, welche "philosophischen" Ergüsse ich als Sachse "verklickern" will?


RE: Streichung von LA-Disziplinen bei OS? - lor-olli - 07.02.2015

Wenn wir schon militätrisch werden, sollten wir >

"Musiziert wird bei Meisterschaften zwar nicht, aber es gibt seit mehreren Jahren das Ritual der Anlaufbegleitung durch rhythmisches Klatschen. Nun könnte man sagen: das ist doch bloß eine Sonderform der Anfeuerung! "

> mal überdenken. Die "Anfeuerung" haben Militärs bei einigen Drills wörtlich genommen und knapp über die "Drillenden" hinweg geschossen… Wer also nicht devot genug kroch, erhielt die nötige "Anfeuerung" um seinen Allerwertesten zu retten. Einige Barbaren, halten dies noch immer für eine legale Form der Ausbildung…

Soooo weit werden wir nicht gehen, obwohl ich einigen Weitengewinn im Sprung erwarten würde. Neben "Angst essen Seele auf" hat Angst schon einiges beflügelt. Bei vorkolumbianischen, südamerikanischen Botenläufern drohte bei Verlust der königlichen Botschaft auch der Verlust des Beines unterhalb des Knies - da brauchte niemand klatschen.

Dennoch und trotz dieses Exkurses: die leichtathletischen Diziplinen sind die Basis allen Sporttreibens (und Überlebens) und sollten allein deswegen erhalten bleiben. Jedes Kind läuft, wirft, springt ohne großes Regelwerk, ohne Beifall, ohne Medaille und Geld - die heutige Entwicklung bei einigen unserer "Nachwuchstalente", deutet allerdings häufig auf eine alleinige Karriere als "couchpotato" hin. Auch dieser Entwicklung gilt es zu begegnen. Ich habe vor einiger Zeit eine ganze Schulklasse erlebt, die zu knapp 75% aus "solchen Athleten" bestand - erschreckend.

Die Diversifikation der Diziplinen trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die Leichtahtletik von so vielen Menschen betrieben wird, wie son vermutlich nur der Fußball. Wenn ich sehe, welche Zeit und welche Räume der Ballsport während einer Olympiade beansprucht, denke ich nicht, dass so die Streichung einer LA-Diziplin zu rechtfertigen ist. Und allein die Vermarktung als Argument kontakariert den olympischen Gedanken - das Ende der olympischen Spiele naht - nicht nur die Gigantomanie, vor allem die kommerziellen Zwänge zerstören den Grundgedanken des Sports.


RE: Streichung von LA-Disziplinen bei OS? - Pollux - 07.02.2015

@ Klimmer

Aha, der Herr Klimmer weiß als kenntnisreicher Betrachter also am Besten, was für den Athleten das Beste ist. So eine Auffassung leidet an hermeneutischem Unvermögen. Im Grunde nicht diskutabel als möglicher Einwand. Im Übrigen ist die Aufforderung des Springers ja keine Notwendigkeit. Das Publikum ist schlau genug, um dem Springer auch Ruhe zu gewähren.....

@lor-olli
...ansonsten wäre das Anfeuern ja ein Antreiben. Also dem ähnlich, was du beim Militär verortetest. Ich verorte in der Leichtathletik aber das Vermögen zu Empathie.

@Mz
Wenn sich der Akteur bemüßigt sieht, sich einem Ritual zu unterwerfen, das ihm nicht wirklich zum Vorteil gereicht, wäre er schlichtweg blöd oder zumindest unreflektiert. So was würde ich nicht unterstellen. Es sei denn, man übernimmt wieder die Außenperspektive dessen, der es immer besser weiß. 

@Klimmer
Wenn eine kenntnisreiche Dissertation etwas über den antiken Weitsprung sagt, ist das niemals notwendig alles, was über das Thema gesagt werden kann. Man sollte also schon ein bisschen was von Wissenschaft verstehen, bevor man Urteile über Endgültigkeiten fällt. Vor allem dann, wenn es um historische Interpretationen geht. 

Unabhängig vom historischen Ausflug ist meine Einschätzung übrigens nicht ganz auf meinen eigenen Mist gewachsen. Sondern in der Sportwissenschaft nicht ganz unbekannt. Also dort, wo man über Üblichkeiten hinausdenkt. 


RE: Streichung von LA-Disziplinen bei OS? - MZPTLK - 07.02.2015

(07.02.2015, 10:37)Pollux schrieb: @Mz
Wenn sich der Akteur bemüßigt sieht, sich einem Ritual zu unterwerfen, das ihm nicht wirklich zum Vorteil gereicht, wäre er schlichtweg blöd oder zumindest unreflektiert. So was würde ich nicht unterstellen. Es sei denn, man übernimmt wieder die Außenperspektive dessen, der es immer besser weiß.
Aber Gruppendynamik oder gar Gruppenzwang sind Dir schon bekannt, oder?

Und in aller Bescheidenheit: Ich kenne Massen von (zu-)wenig reflektierten Menschen, um das Wort blöd zu vermeiden.
Das reicht bis in Akademikerkreise hinein.


RE: Streichung von LA-Disziplinen bei OS? - MZPTLK - 07.02.2015

(07.02.2015, 00:15)Hellmuth K l i m m e r schrieb:
(06.02.2015, 23:44)MZPTLK schrieb: Übrigens: Ich habe Dich gestern beim heimlichen Lesen des Philo-Threads erwischt! Tongue
Falsch! Ich las nicht, ich probierte einen Beitrag zum 13.2.1945.
Nun rate mal, welche "philosophischen" Ergüsse ich als Sachse "verklickern" will?
Du kommst aus Dresden, am 13.2.1945 war dort das Bombeninferno.
Da warst Du 7,8 Jahre alt.


RE: Streichung von LA-Disziplinen bei OS? - MZPTLK - 07.02.2015

(07.02.2015, 10:37)Pollux schrieb: Man sollte also schon ein bisschen was von Wissenschaft verstehen, bevor man Urteile über Endgültigkeiten fällt. Vor allem dann, wenn es um historische Interpretationen geht.
Spannendes Thema.
Endgültigkeiten sind Angelegenheiten der Vergangenheit.
Historische Interpretationen sind reversibel, solange es Zukunft gibt.

Bitte nenn mich nicht wieder Klugsch....Sad


RE: Streichung von LA-Disziplinen bei OS? - Pollux - 07.02.2015

(07.02.2015, 10:44) MZPTLK schrieb:
(07.02.2015, 10:37)Pollux schrieb: @Mz
Wenn sich der Akteur bemüßigt sieht, sich einem Ritual zu unterwerfen, das ihm nicht wirklich zum Vorteil gereicht, wäre er schlichtweg blöd oder zumindest unreflektiert. So was würde ich nicht unterstellen. Es sei denn, man übernimmt wieder die Außenperspektive dessen, der es immer besser weiß.
Aber Gruppendynamik oder gar Gruppenzwang sind Dir schon bekannt, oder?

Ok, dann die klare Rückfrage: Ist das, was die Weitspringer tun,Ausdruck eines Gruppenzwangs etc.? Du weißt genau, dass du so was nicht generalisierend behaupten kannst, ohne meinem Einwand recht zu geben. Und auch als Kenner der LA nie tun würdest. Idea

PS: Und zur Sache mit den Endgültigkeiten der Wissenschaft. Warum sollte ich dich Klugscheißer nennen. Du drückst nur das wissenschaftliche Selbstverständnis aus.