Leichtathletikforum.com
"Wer nicht ins System passt, wird ignoriert" - Druckversion

+- Leichtathletikforum.com (https://leichtathletikforum.com)
+-- Forum: Leichtathletikforen (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=1)
+--- Forum: Leichtathletik allgemein (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=2)
+--- Thema: "Wer nicht ins System passt, wird ignoriert" (/showthread.php?tid=5047)

Seiten: 1 2


"Wer nicht ins System passt, wird ignoriert" - Javeling - 15.09.2022

DEUTLICHE KRITK AM DLV - Allgemeine Zeitung 15.09.2022 -

MAINZ - Detlev Höhne nimmt beim USC Mainz seinen Hut: Der 70-Jährige kandidiert bei der Mitgliederversammlung an diesem Freitag nicht mehr für das Amt des Vorsitzenden. Einen potenziellen Nachfolger gibt es schon: Der gebürtige Mainzer und frühere USC-Sprinter Fabian Ehmann (29) soll den Generationswechsel einläuten. Bevor sich Ehmann – ohne Gegenkandidat – zur Wahl stellt, sprechen wir mit Höhne über die Entwicklung des USC, Ideen für die nahe Zukunft und seine scharfe Kritik am Deutschen Leichtathletik-Verband.

Herr Höhne, warum treten Sie nicht mehr an?
Hinter uns liegt das erfolgreichste Jahr in der USC-Leichtathletik seit meiner Amtsübernahme 2015. Wir hatten die EM-Erfolge von Niklas Kaul und Julian Weber, den DM-Titel von Mareike Rösing und zahlreiche DM-Medaillen unserer Jugendlichen. Scherzhaft könnte ich sagen: Man soll auf dem Höhepunkt gehen. Nein, ich bin 70 Jahre alt, das Alter des Vorsitzenden sollte das der Mitglieder widerspiegeln. Daher ist ein Generationswechsel gefragt.

Überlassen Sie Ihrem Nachfolger ein bestelltes Feld?
Ich habe den Verein vor sieben Jahren in schwierigen Zeiten übernommen. Wir hatten keine ideale Infrastruktur, große Probleme mit den Finanzen. Wir mussten ein Darlehen aufnehmen, um die Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Wir sind kein Breitensportverein, sondern ein wettbewerbs- und leistungs- sportorientierter Club mit dem Schwerpunkt Mehrkampf in der Leichtathletik – das ist sehr kostenintensiv. Aber ja, mittlerweile sind wir dank vieler Faktoren stabil aufgestellt.
Welche sind dies?

Wir konnten Sponsoren von uns überzeugen, Spenden sammeln, werden stärker von der Stadt Mainz, der Uni Mainz und dem Landesportbund unterstützt. Zudem konnten wir mitveranlassen, einen Landestrainer Mehrkampf, einen Landestrainer Sprint und einen Leitenden Landestrainer Leichtathletik zu installieren. Das war ein riesiger Schritt für uns. Unsere Abteilung Schwimmen hat noch mit den fehlenden Wasserzeiten zu kämpfen – das Bad der Uni steht noch nicht zur Verfügung und auch das Taubertsbergbad nur sehr eingeschränkt. Aber wie gesagt: Wir sind auf einem sehr guten Weg. Der Vorstand schlägt der Mitgliederversammlung Fabian Ehmann als meinen Nachfolger vor. Fabian kennt unseren Verein seit seiner Jugend, auch er ist gut vernetzt und wird den Verein weiter nach vorne bringen.

Wo sehen Sie aktuell die größten Baustellen?
In der Zusammenarbeit mit dem Deutschen Leichtathletik-Verband. Schauen Sie: Es gibt fünf Mehrkampf-Bundesstützpunkte in Deutschland – alle mit hauptamtlichen Trainern und guter finanzieller Ausstattung. Ohne überheblich sein zu wollen: Wir hatten zuletzt mehr Erfolge als alle DLV-Stützpunkte zusammen. Es ist nicht unser Ziel, Bundesstützpunkt zu werden. Wir wollen die anderen auch nicht in Frage stellen. Aber warum bekommen wir keine Unterstützung vom DLV? Uns geht es wie vielen anderen: Wer nicht in das System DLV passt, wird ignoriert!
Was kritisieren Sie am DLV?
Das Geringste wäre es gewesen, dem USC einen Brief zu schreiben mit einem Dank an die Ehrenamtlichen für die geleistete Arbeit und die Erfolge. Aber Heimatvereine und Heimtrainer existieren in der Welt des DLV anscheinend nicht. Michael Kaul, der mit seiner Frau Stefanie unsere Mehrkampfgruppe trainiert, musste sich Eintrittskarten für die EM kaufen und ein Hotel buchen, um in der Nähe von Niklas zu sein. Gina Lückenkemper hat etwas Richtiges gesagt: Auf dem Weg zum Erfolg gibt es keine Unterstützung des DLV. Wir benötigen aber auch schon Hilfe, bevor die Erfolge gefeiert werden. Im Zehnkampf braucht man in jeder Disziplin Material.

Zum Beispiel?
Ein Stab für den Stabhochsprung kostet 600 bis 900 Euro – und Niklas Kaul hat bei jedem großen Wettkampf sieben Stück dabei. Wenn ein Athlet unseres Vereins in den Bundes- oder Olympiakader berufen wird, hat er zuvor eine lange Ausbildungszeit in unserem Verein zurückgelegt. Das wird ignoriert, eine Ausbildungsvergütung gibt es nicht vom Verband. Das ist fehlende Wertschätzung seitens des DLV.

Was wünschen Sie dem USC Mainz?
Wir haben während Corona rund 300 Mitglieder verloren, liegen nun bei ungefähr 800. Nun haben wir zwar wieder viele, viele Anfragen – aber leider nicht genügend Hallenkapazitäten oder Übungsleiter. Die Wartelisten füllen sich immer weiter. Wir haben auch immer wieder Anfragen, mal internationale Wettkämpfe auszurichten, aber es gibt kein geeinigtes Leichtathletik-Stadion in Mainz. Die Stadt sollte ihren Worten Taten folgen lassen, mehr in den Sport investieren – damit Mainz wirklich eine Sportstadt wird. Es wäre zudem schön, wenn wir einen hauptamtlichen Kindertrainer finanzieren könnten. Einen, der in allen Vereinen in Rheinhessen aktiv sein und die Leichtathletik vor Ort unterstützen kann.

Das Interview führte Tobias Goldbrunner.


RE: "Wer nicht ins System passt, wird ignoriert" - mark1967 - 15.09.2022

Warum überrascht mich das bloß nicht?


RE: "Wer nicht ins System passt, wird ignoriert" - Javeling - 15.09.2022

Bis 2012 (19 J.) aktiv. 
https://www.leichtathletik-datenbank.de/vereine/deutscher-leichtathletik-verband/suddeutschland/leichtathletik-verband-rheinhessen/rheinhessen/mainz-bingen/usc-mainz/athleten/60967-fabian-ehmann


RE: "Wer nicht ins System passt, wird ignoriert" - Delta - 15.09.2022

Naja Mehrkämpfer sind in Frankfurt gerade mal 40 km entfernt. Mainz hat man verpasst, das wäre vor 25 Jahren ideal gewesen. Das hindert aber sicher niemand Kostenentschädigungen für einen Weltmeister zu übernehmen.


RE: "Wer nicht ins System passt, wird ignoriert" - Javeling - 16.09.2022

Damals konnte man, sogar auf einer Aschenbahn, noch internationale Veranstaltungen, auch deutsche Mannschaftsmeisterschaften, durchführen. Heute, mit Tartanbahn, geht es wohl nicht mehr. In Wiesbaden konnten über 20 Jahre Diskuswerfercups mit internationaler Besetzung (China, Australien, Schweden u.a.) von einem kleinen Verein ausgetragen werden. Man brauchte nur eine Diskuswurfanlage. Warum geht das heute nicht mehr, muss unbedingt ein geeignetes Leichtathletikstadion vorhanden sein?  
http://[Bild: resized-ef8224700-5421059d-cae0-45ab-b600-1.jpeg]


RE: "Wer nicht ins System passt, wird ignoriert" - Reichtathletik - 16.09.2022

(16.09.2022, 11:52)Javeling schrieb: Damals konnte man, sogar auf einer Aschenbahn, noch internationale Veranstaltungen, auch deutsche Mannschaftsmeisterschaften, durchführen. Heute, mit Tartanbahn, geht es wohl nicht mehr. In Wiesbaden konnten über 20 Jahre Diskuswerfercups mit internationaler Besetzung (China, Australien, Schweden u.a.) von einem kleinen Verein ausgetragen werden. Man brauchte nur eine Diskuswurfanlage. Warum geht das heute nicht mehr, muss unbedingt ein geeignetes Leichtathletikstadion vorhanden sein?  

Ich finde das immer wieder ein schwaches Argument: Früher ging es auch auf Asche, warum braucht ihr einen vernünftigen Belag zum Trainieren. Früher hatten wir auch auf dem Dorf internationale Starter, wofür braucht ihr ein richtiges Stadion...?
Die Welt dreht sich nunmal weiter. Wenn andere Städte (Länder) gute Anlagen bieten können, ist das natürlich attraktiver für die Athleten. Und der Sport soll doch auch attraktiv sein. Wollen wir den Jugendlichen sagen, die anderen Sportarten machen ihre Finals in geiler Atmosphäre und mit Lichtershow und ihr geht bitte auf den Kartoffelacker?
Auch die Straßenlaufszene hat sich weiterentwickelt. Vor 20 Jahren hatte jedes Dorf seinen Stadtlauf, die Einnahmen gingen an die Vereine. Jetzt gibt es kommerzielle Anbieter, die dir T-Shirt, Medaiille, Beutel und Läufermesse anbieten, dafür ordentlich in die Tasche greifen, aber nunmal den Standard vorgeben und du kriegst die Leute nicht mehr in Mengen zu einem Wettkampf wo bestenfalls ein paar Dixis aber keine Duschen etc. sind.


RE: "Wer nicht ins System passt, wird ignoriert" - Javeling - 16.09.2022

Warum ist das Hinweisen auf frühere Vorgänge plötzlich ein schwaches Argument? Darf man heutzutage nicht mehr den Vergleich zwischen 'gestern und heute' ziehen, ohne in den Verdacht zu geraten, dass man zurück zur Steinzeit will? Was zur damaligen Zeit möglich war, müsste doch heute mit den modernsten Mitteln eine Kleinigkeit sein, oder?


RE: "Wer nicht ins System passt, wird ignoriert" - lor-olli - 16.09.2022

Die Rückbesinnung auf "die guten alten Zeiten" ergibt nur dann einen Sinn, wenn das Vergleichsniveau passt. Früher war das "Niveau Aschenbahn" und Handmessung, heute ist das international nicht mehr konkurrenzfähig.

Es wurde früher auch nicht mit hohen Antrittsgeldern um die Zugpferde der LA gebuhlt, genauso hielten sich die Kosten in Grenzen und die Mehrheit der Aufgaben wurde von Ehrenamtlichen geleistet (nicht nur auf dem Platz!). Heute darfst Du mit den Managern von Athleten verhandeln und Vorbedingungen erfüllen, nach denen früher niemand gefragt hat.

Das mag man beklagen, dennoch muss man sich, genau wie im Wettkampf, mit der neuen Realität abfinden und die heißt: ohne eine leistungsförderliche Anlage, ohne technische Ausstattung (elekt. Zeitmessung, Zielfoto etc.) ohne finanzielle Ausstattung, kommen weder Athleten noch Zuschauer und (kostendeckend) Geld verdient man auch nicht damit…


RE: "Wer nicht ins System passt, wird ignoriert" - Javeling - 16.09.2022

[size=15px]lor-olli[/size] [Bild: buddy_offline.png] 
[size=12px], natürlich kann und darf ich mich rückbesinnen, ohne Vergleichsniveau. Es ging eigentlich nur um die Kritik im Eingangsthema. 
Das Niveau zu früher hat sich total verändert. Wurde schon von Friedel Schirmer und Berno Wischmann vor vielen Jahren erwähnt.
Werner von Moltke hat beim 50-jährigen USC Mainz- Jubiläum in einer bewegenden Rede auf FRÜHER verwiesen und den heutigen Zustand (u.a. die fast unmögliche Finanzierung von Veranstaltungen) kritisiert. 
Richtig ist, dass man sich mit der (heutigen) Realität abfinden muss. Ist ja vielfach auch 'gut', allerdings leider für viele Vereine nicht mehr bezahlbar. Außer den Veranstaltungen in Wiesbaden, bei denen die Beteiligten nur für ein 'Mittagessen' (von Moltke) gestartet sind. Aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr stattfinden, leider.[/size]


RE: "Wer nicht ins System passt, wird ignoriert" - Delta - 16.09.2022

(16.09.2022, 13:10)Javeling schrieb: Warum ist das Hinweisen auf frühere Vorgänge plötzlich ein schwaches Argument? Darf man heutzutage nicht mehr den Vergleich zwischen 'gestern und heute' ziehen, ohne in den Verdacht zu geraten, dass man zurück zur Steinzeit will? Was zur damaligen Zeit möglich war, müsste doch heute mit den modernsten Mitteln eine Kleinigkeit sein, oder?

Aschenbahn geht nicht mehr für den Wettkampf. Für das Training ist das voll Ok. 
Nein, früher standen am Samstagmorgen 40 Helfer auf der Matte. Wer heute 40 braucht wird länger suchen. Typen mit dem Mobile am Hochsprungständer oder beim Weitsprung sind nicht gesucht.