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In Deutschland fehlt der Leistungsgedanke? - Druckversion

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In Deutschland fehlt der Leistungsgedanke? - lor-olli - 20.08.2021

Meint nicht irgendein "Beobachter" sondern Martin Engelhart, Chef der Deutschen Triathlon Union (DTU). LINK, oder in Kurzfassung: "Die Bedeutung des Leistungssports in unserer Gesellschaft hat dramatisch abgenommen",  "Der Leistungsgedanke ist, wenn man wissenschaftliche Befragungen im Ländervergleich anguckt, in Deutschland im Keller."

Weiter meint er:
- Von daher verwundere es nicht, dass die Zahl der Talente nicht groß sei. "Sie brauchen für einen großen Pool an Talenten eine gewisse Begeisterung für den Leistungssport. Und die ist in Deutschland derzeit nicht vorhanden", sagte der 61-Jährige.

"Man sieht eindeutig, wo die Reise hingeht", sagte Engelhardt. "Man kann nicht einfach meinen, man gibt da ein paar Millionen mehr ins System und dann kommen mehr Medaillen raus." Es sei klar, dass das so nicht funktioniere. "Dazu hätte man auch die Spiele in Tokio nicht gebraucht

--------------------
Mein Gedanke dazu ist, wenn es so "einfach" ist, ist der Leistungssport dann noch im internationalen Vergleich zu retten? Oder: Was machen andere anders, dass der Leistungssport dort auf einem anderen Level verläuft? In GB haben wohl doch ein "paar" Millionen (im Vorfeld zu London 2012) so einiges bewirkt - es kommt aber darauf an wie das Geld unter die Leute gebracht wird…

Geht die Reise in Deutschland wirklich so eindeutig nur in eine Richtung wie Engelhardt das sieht? Oder ist es nicht eher Teil des Auf und Ab in der Leistungsentwicklung in einem Land? (In GB war die Situation vor 2012 auch eher bescheiden)

Meinungen dazu?


RE: In Deutschland fehlt der Leistungsgedanke? - Atanvarno - 20.08.2021

Sportförderung UK (je Olympiazyklus in Pfund) (https://www.uksport.gov.uk/sports/olympic/athletics)
2000 10 Mio.
2004 11,4 Mio.
2008 26,5 Mio.
2012 25,1 Mio.
2016 26,8 Mio.
2020 23 Mio.

Sportförderung DE (je Olympiazyklus in €) (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/sport/sport-foerderung-spitzensportverbaende-2013-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=3)
2016 27,1 Mio.
2020 29,4 Mio.

In Deutschland fließt also mehr Geld in die Sportförderung als in GB (auf die Bevölkerung umgerechnet hält es sich ungefähr die Waage), an fehlender monetärer Förderung scheint es also nicht zu liegen.

Ich hatte an anderer Stelle schon mal den Artikel verlinkt
Why British Endurance Running Did So well in Tokyo 2020

Das hat dazu geführt, dass GB 2021 12 Läufer unter der 800m-Norm für MÜnchen hatte. In Deutschland ist es hingegen einer.

Das langfristige Entwickeln einer breiten Basis ist entscheidend. In Deutschland habe ich aber das Gefühl, dass die Basis vom Verband immer weniger wichtig genommen wird, s. vielfältige Diskussione im Forum zur Missachtung der zweiten Reihe durch den DLV.

Das Gejammere, dass die Jugend grundsätzlich weniger leistungswillig sei, halte ich für vorgeschoben.


RE: In Deutschland fehlt der Leistungsgedanke? - RalfM - 20.08.2021

(20.08.2021, 19:19)Atanvarno schrieb: In Deutschland fließt also mehr Geld in die Sportförderung als in GB (auf die Bevölkerung umgerechnet hält es sich ungefähr die Waage),

(...)

Das hat dazu geführt, dass GB 2021 12 Läufer unter der 800m-Norm für MÜnchen hatte. In Deutschland ist es hingegen einer.
Und dies wirft nun weitere Fragen auf. Wo bleibt eigentlich das investierte Geld?


RE: In Deutschland fehlt der Leistungsgedanke? - dominikk85 - 20.08.2021

(20.08.2021, 19:19)Atanvarno schrieb: Sportförderung UK (je Olympiazyklus in Pfund) (https://www.uksport.gov.uk/sports/olympic/athletics)
2000 10 Mio.
2004 11,4 Mio.
2008 26,5 Mio.
2012 25,1 Mio.
2016 26,8 Mio.
2020 23 Mio.

Sportförderung DE (je Olympiazyklus in €) (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/sport/sport-foerderung-spitzensportverbaende-2013-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=3)
2016 27,1 Mio.
2020 29,4 Mio.

In Deutschland fließt also mehr Geld in die Sportförderung als in GB (auf die Bevölkerung umgerechnet hält es sich ungefähr die Waage), an fehlender monetärer Förderung scheint es also nicht zu liegen.

Ich hatte an anderer Stelle schon mal den Artikel verlinkt
Why British Endurance Running Did So well in Tokyo 2020

Das hat dazu geführt, dass GB 2021 12 Läufer unter der 800m-Norm für MÜnchen hatte. In Deutschland ist es hingegen einer.

Das langfristige Entwickeln einer breiten Basis ist entscheidend. In Deutschland habe ich aber das Gefühl, dass die Basis vom Verband immer weniger wichtig genommen wird, s. vielfältige Diskussione im Forum zur Missachtung der zweiten Reihe durch den DLV.

Das Gejammere, dass die Jugend grundsätzlich weniger leistungswillig sei, halte ich für vorgeschoben.

das mit die Jugend sollte man sicher nicht verallgemeinern, aber könnte es vielleicht ein wenig daran liegen das die leichtathletik in Deutschland eher eine upper-class Geschichte ist? 

In meiner leichtathletik Gruppe damals gab es nur einen einzigen der nicht aufs Gymnasium ging. Minderheiten gab es quasi gar nicht. 

Klar, es gibt im DLV schon relativ viele schwarze Athleten, aber die kommen auch meistens eher aus "gehobenen Verhältnissen", die klassischen Migranten Gruppen wie Türken oder Marokkaner oder auch deutsche aus unteren sozialen Schichten landen fast nie bei der LA sondern fast immer im Fußball. 

Das ist in England oder Frankreich durchaus anders, da scheint es doch sozial eine höhere Diversität zu geben (z. B die Algerier beim Laufen in Frankreich oder halt die schwarzen sprinter in England)


RE: In Deutschland fehlt der Leistungsgedanke? - lor-olli - 21.08.2021

Meiner Meinung nach hat RalfM die entscheidende Frage gestellt: Wie wird das Geld investiert, wer profitiert letztlich davon.
In GB ist viel von dem Geld in den Sportstättenbau geflossen aber auch in Trainergehälter. Die genannten Summen sind die "offiziellen", in GB gab es aber auch individuelle Förderer jenseits dieser genannten Summen (Firmenpatenschaften etwa), die Situation in D scheint mir da eine etwas andere zu sein.

Einen guten Teil der Anziehungskraft einer Sportart bietet sicher auch das mediale Interesse und bezüglich der LA ist das in D kein rosiger Ausblick. (Tennis hatte Zulauf als es Erfolge und viele Fernsehbilder gab, Radsport hat mit der Übertragung der großen Rundfahrten sein Prublikum - ansonsten "Fußball only"…) Sport wird in GB auch häufiger gesehen, weil ein Großteil der Fernsehzuschauer Bezahlfernsehen nutzt, Sport läuft dort häufig in mehreren Kanälen, aber auch in der BBC.

Die Leistungsbereitschaft in der Gesellschaft "sich zu quälen" scheint aber tatsächlich rapide abzunehmen - man braucht sich nur den Zuwachs an E-Bikes + E-Scootern anzuschauen, AUCH bei vielen jüngeren. (bei mir fahren viele Schüler vorbei und auch da nimmt der Teil der E-Biker zu…)

Die LA wirkt hierzulande etwas angestaubt, nicht zuletzt dem deutschen Vereins- und Verbandswesen geschuldet, aber Verbandsquerelen etc. gibt es auch anderswo. Auffällig ist, dass die LA die einst zum festen Programm im Schulsport gehörte, oft gar nicht mehr stattfindet, fehlende Einrichtungen und mangelndes Interesses bei Sportlehrern tragen natürlich auch dazu bei. (Selbst ein nahes, einigermaßen intaktes Stadion wird nur noch von Kindern genutzt)

Quo vadis Leichtathletik, ich sehe in näherer Zukunft auch keine Trendumkehr in D, die Situation scheint zu erstarrt, um einen größeren Talentepool aufzubauen aus dem man die Spitze schöpfen kann. (Das sieht man praktisch in jedem Wettkampf wo außer bei einigen Spitzenkräften, das durchschnittliche Niveau erheblich gesunken ist)


RE: In Deutschland fehlt der Leistungsgedanke? - Atanvarno - 21.08.2021

(21.08.2021, 07:56)lor-olli schrieb: Quo vadis Leichtathletik, ich sehe in näherer Zukunft auch keine Trendumkehr in D, die Situation scheint zu erstarrt, um einen größeren Talentepool aufzubauen aus dem man die Spitze schöpfen kann.

Und die momentane Situation macht auch den kläglichen Rest noch kaputt. Was bleibt denn noch übrig, wenn wir wieder einen Winter ohne Wettkämpfe (und schlimmstenfalls wieder mit eingeschränktem Training) bekommen?


RE: In Deutschland fehlt der Leistungsgedanke? - longbottom - 21.08.2021

(20.08.2021, 19:19)Atanvarno schrieb: Das hat dazu geführt, dass GB 2021 12 Läufer unter der 800m-Norm für MÜnchen hatte. In Deutschland ist es hingegen einer.

Das stimmt nun aber so nicht: https://www.worldathletics.org/records/toplists/middle-long/800-metres/outdoor/men/senior/2021?regionType=countries&region=ger&timing=electronic&page=1&bestResultsOnly=true

Wobei ich die generelle Situation nicht beschönigen will und auch nicht abstreiten, dass die Briten da deutlich besser dastehen als die Deutschen.


RE: In Deutschland fehlt der Leistungsgedanke? - Atanvarno - 21.08.2021

Ja, sorry, hatte nur Reuther als tatsächlichen Normerfüller im Hinterkopf. Aber (inzwischen) 13 zu 4 ist trotzdem ein deutliches Missverhältnis.


RE: In Deutschland fehlt der Leistungsgedanke? - gera - 21.08.2021

das der Leistungsgedanke immer mehr in den Hintergrund rückt stimmt wohl.
Man lässt sich lieber bespaßen., als selbst Leistung zu bringen.
Einer meiner Enkel sagte auf die Frage,was er denn vom Beruf erwarte: wenig arbeiten und viel verdienen.
Das betrifft aber nicht nur die LA.
Auch der Fußball hat zu kämpfen.
Sammer stellte fest, dass immer weniger gute Leute aus dem Nachwuchs nachrücken.
Man stelle sich die 1.+2.Bundesliga mal ohne die vielen Ausländer vor<<< es würde traurig aussehen.


RE: In Deutschland fehlt der Leistungsgedanke? - MZPTLK - 22.08.2021

Ich habe alle Hoffnung aufgegeben.
In DE wird es in den meisten Bereichen und Ebenen immer dekadenter und schlimmer.
Wenn man sich als einzelner Aktivposten den Hintern aufreisst, um die Dinge voran zu treiben,
wird man im günstigsten Fall komisch angeguckt, im ungünstigsten sabotiert oder ausgebremst.

Die  Gesellschaft teilt sich immer mehr, nicht nur in ärmer und reicher,
sondern in zahlenmässig immer weniger Leistungserbringer auf der einen
und in ein immer grösser werdendes Heer von Besitzstandswahrern und Alimentierten auf der anderen Seite.

Das schägt sich natürlich auch in der Leichtathletik nieder.
Was ich in den letzten Monaten an Inkompetenz, Faulheit und Desinteresse  erlebt habe,
hätte ich nicht für möglich gehalten.
Ich werde nicht davon berichten, es ist katastrophal, und man kann auf Namen schliessen.

Nur 3 Beispiele, die das alltäglich Grauen in DE illustrieren:
- Ich kam am Bahnhof Magdeburg an und wollte nach Berlin umsteigen.
   Wegen Bauarbeitenan der Elbbrücke(sollten 6 Monate dauern, was für DE rasend schnell wäre)
   ging es nur mit Schienenersatzverkehr weiter, Wartezeit ca. 50 Minuten.
   Ich kaufe mir ein Gebäck und gehe zum Bahnhofsvorplatz, um es zu verzehren.
   3 jüngere Männer von ca. Mitte 20 bis Mitte 40 ohne sichtbare Behinderungen
   labern mich an: hass ma nen Euro?
   Ich entgegne: Selbstverständlich, nehmt ihr auch Schecks?
   Und wie sieht es aus, 100 weiter ist eine Baustelle, da wird eine Unterführung seit gefühlt 20 Jahren gebaut,
   genauer selten gebaut.
   Der eine berichtigt mich: ganz so lange dauert es noch nicht, aber das sollte vor 5 Jahren fertig sein
   und etwa 2 Mio kosten. Jetzt ist ein Ende nicht absehbar und die Kosten liegen momentan beim 10 fachen.
   Ja, dann  packt doch da an, dann geht es schneller und ihr habt  Geld, also nur Vorteile!
   Es erhob sich reflexartig ein Geschwafel über bedingungsloses Grundeinkommen.
   Ich verliess das Elend und sah mich nach einer Kotztüte um.

- S Bahnhof Grunewald/Berlin.
  2 Kontrolleure und 2 Schwarzfahrer streiten. der eine droht handgreiflich zu werden.
  2 Bahnsheriffs in voller Kriegsmontur, einer normalgross, der andere 1,85/120 Kg,
     nähern sich gemächlichen Schrittes der Szenerie.
     Der kleinere der beiden möchte den Kontrolleuren zu Hilfe kommen.
     Der Kommentar des Grösseren: Lass mal besser sein, wenn der ein Messer zieht... das ist die Sache nicht wert!
     Was lernen wir daraus?
     1. Man kann schwarzfahren, die dummen, faulen und feigen Deutschen tun nix, wen man agressiv wird.
     2. Das Geld für die nichtstuenden Vogelscheuchen kommt pünktlich am Monatsende aufs Konto.
         Dann  haben die doch alles richtig gemacht, oder?

- Schienenersatzverkehr, der Bus muss auf der Landstrasse halten,
   weil ein morscher Baum auf die Fahrbahn gefallen ist.
   Vollsperrung, Polizei und 6 Feuerwehrleute in voller Montur, Dauer der Aktion fast eine Stunde.
   Wohlgemerkt: Der Baum war marode, nur etwa 15 m lang
   und nur etwa 20 cm an der dicksten Stelle stark/schwach.
   Die Äste und Zweige konnte man zum Teil per Hand knicken und entfernen.
   Ein Opa mit verrosteter Fuchsschwanzsäge hätte das Teil in 15, 20 Minuten entsorgt.

Ich habe keine Fragen und keine Hoffnung mehr.
Ich wundere mich nur, warum die Chinesen soviele deutsche Unternehmen aufkaufen.