![]() |
|
DLV-Gesamtbilanz - Druckversion +- Leichtathletikforum.com (https://leichtathletikforum.com) +-- Forum: Archiv (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=18) +--- Forum: Großereignisse (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=19) +---- Forum: Olympische Spiele Tokio 2021 (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=35) +----- Forum: Leichtathletik (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=36) +----- Thema: DLV-Gesamtbilanz (/showthread.php?tid=4481) |
DLV-Gesamtbilanz - Befürworter - 08.08.2021 Was sagen uns die Olympischen Spiele von Tokio 2020 über den Zustand der deutschen Leichtathletik? Ich biete mal verschiedene Auswertungen an. 1. Summe der DLV-Einzelbilanzen Der Vergleich der Endergebnisse mit den Road-to-Tokyo-Platzierungen (siehe hier) sagt meines Erachtens vorrangig etwas über den Saisonaufbau von Sportler und Heimtrainer sowie die Fahigkeit aus, im wichtigsten Wettkampf unter großem Druck und härtestmöglicher Konkurrenz abzuliefern. Da all das im DLV-System stattfindet, hat der durch Förderung, Bundestrainer, Trainingslager, Unterstützung vor Ort etc. aber durchaus einen gewissen Anteil: - 37 Ergebnisse über den Erwartungen - 22 Ergebnisse im Rahmen der Erwartungen - 14 Ergebnisse unter den Erwartungen Ich hätte hier eine Gaußsche Normalverteilung erwartet, also ähnlich viele bessere wie schlechtere Ergebnisse. Es kann unmöglich passieren, dass niemand enttäuscht. Mein Fazit daraus ist, dass die Mehrzahl gut vorbereitet war und abgeliefert hat. Die Summe der Einzelleistungen war also absolut zufriedenstellend. 2. Altersschnitt Hier habe ich einfach mal den Mittelwert aus dem aktuellen Alter aller Athleten in Jahren gezogen (eine geringe Ungenauigkeit ist also durch die Rundung enthalten, die Staffeln habe ich nicht berücksichtigt): - 26,3 Jahre (Mittelwert Rio 2016 aller Athleten unter den Top 25) - 26,7 Jahre (Mittelwert Tokio 2020 aller Athleten unter den Top 25) - 26,8 Jahre (Mittelwert Rio 2016 aller Athleten unter den Top 8) - 27,3 Jahre (Mittelwert Tokio 2020 aller Athleten unter den Top 8) Das Problem war also keineswegs eine Überalterung des Teams. Da die Spiele sogar ein Jahr verschoben wurden, ist das Gegenteil der Fall, es sind also im Vergleich genug neue Leute nachgekommen. 3. Aussichten hinsichtlich des Alters Auch ein genauerer Blick auf die Ergebnisse lässt keine Probleme hinsichtlich Paris 2024 erwarten. Nur wenige Sportler aus den Top 25 waren zum Wettkampftermin bereits über 30 Jahre alt, und diese hatten auch keinen wesentlichen Einfluss auf die Ergebnisse. Es wird hier also nicht viel wegbrechen. - Daniel Jasinski (Diskus): 31 Jahre - David Wrobel (Diskus): 30 Jahre - Christina Schwanitz (Kugelstoß): 35 Jahre - Christopher Linke (20 km Gehen): 32 Jahre - Kai Kazmirek (Zehnkampf): 30 Jahre - Marie-Laurence Jungfleisch (Hochsprung): 30 Jahre 4. Punktewertung der Einzelplatzierungen im Vergleich zwischen Rio und Tokio Die sicherlich aussagekräftigste Bilanz der deutschen Leichtathletik. Ich habe 12 Punkte für Platz 1 vergeben, 10 für Platz 2, 8 für Platz 3 usw. bis 3 für Platz 8, 2 für Plätze 9 bis 15 und einen für Plätze 16 bis 25. So ist meines Erachtens eine ausgewogene Bewertung sichergestellt, die Top-Leistungen ausreichend anerkennt, aber auch die Breite berücksichtigt. Die Mixed-Staffel als neuer Wettbewerb findet keine Berücksichtigung. - 166 Punkte (aus allen Top-25-Platzierungen in Rio 2016) - 136 Punkte (aus allen Top-25-Platzierungen in Tokio 2020) Es zeigt sich eine gravierende Verschlechterung der Bilanz, wobei schon die in Rio schlecht war. Allerdings muss man das ein bisschen relativieren, weil eben gerade die Athleten nicht abgeliefert haben oder verletzt waren, bei denen große Punkte zu erwarten waren. Wenn man mal alleine Johannes Vetter auf Platz 1, Christin Hussong auf Platz 2, Niklas Kaul auf Platz 3 und Thomas Röhler sowie Christina Schwanitz in den Endkampf setzt, wäre das Rio-Ergebnis erreicht worden. Gab es solche Ausfälle auch in Rio? Interessant auch mal die Punktewertung allein der Platzierungen unter den ersten 8: - 111 Punkte (aus allen Top-8-Platzierungen in Rio 2016) - 80 Punkte (aus allen Top-8-Platzierungen in Tokio 2020) Und die Anzahl der Platzierungen unter den Top 8: - 17 Top-8-Platzierungen in Rio 2016 - 13 Top-8-Platzierungen in Tokio 2020 5. Medaillenbilanz Nicht die aussagekräftigste, aber die wichtigste Bilanz: - 2 x Gold, 1 x Bronze (Rio 2016) - 1 X Gold, 2 x Silber (Tokio 2020) Eine davon im 50 km Gehen, also einem Wettbewerb, der gestrichen wird. Auch hier schlagen aber das Speerwerfen und der Ausfall von Niklas Kaul voll durch. Hätte man die Rio-Ausbeute verdoppelt, würde die Diskussion ganz anders laufen. RE: DLV-Gesamtbilanz - Nanobot - 08.08.2021 Ich habe mal versucht die Frage zu beantworten, ob es in Rio ähnliche Ausfälle (wie dieses Mal bei Vetter, Hussong, Kaul, Schwanitz) gab. Hier ist eine Liste von Athleten die 2016 vor Olympia eine Leistung gebracht haben, die in Rio für eine Medaille gereicht hätte: Jungfleisch: 2 m vor Olympia, in Rio sind alle Medaillen mit 1.97 m weggegangen Roleder: 12.62 s bei -0.7 m/s vor Olympia, in Rio ging Bronze mit 12.61 s bei 0.0 m/s weg Moguenara: 7.16 m vor Olympia, in Rio ging Bronze mit 7.08 m weg Schwanitz: 20.17 m und 20.14 m vor Olympia, in Rio ging Bronze mit 19.87 m weg J. Harting: 68.49 m vor Olympia (und 66.20 m bei der EM), Bronze ging in Rio mit 65.34 m weg (Eine Weite die Harting vor Olympia 6 x übertroffen hatte) Heidler: 75.77 m vor Olympia, bei Olympia ging Bronze mit 74.54 m weg (Eine Weite die Heidler vor Olympia 3 x übertroffen hatte) Hussong/Stahl/Obergföll: 66.41 m/65.25 m/64.96 m vor Olympia, bei Olympia ging Bronze mit 64.80 m weg 4 x 100 m Frauen: 41.62 s vor Olympia, bei Olympia ging Bronze mit 41.77 s weg Storl: 21.39 m vor Olympia, bei Olympia ging Bronze mit 21.36 m weg Vetter: 88.23 m vor Olympia und 89.57 m 2 Wochen nach Olympia, bei Olympia ging Bronze mit 85.38 m weg (Eine Weite die Vetter vor Olympia 2 x und auch in der Qualifikation bei Olympia übertroffen hatte) Weber: 88.04 m vor Olympia, sowie 87.39 m 1 Woche und 88.29 m 2 Wochen nach Olympia; in Rio ging Bronze mit 85.38 m weg (Eine Weite die Weber vor Olympia 2 x und in der Saison insgesamt 4 x übertroffen hatte) Ich denke aus dieser Liste kann man Schwanitz, J. Harting, Heidler, die Speerwerferinnen und die Speerwerfer durchaus als Enttäuschung bezeichnen, auch wenn keiner der genannten ähnlich favorisiert war wie Vetter/Hussong in Tokio. Zieht man die Überraschungsmedaillen für C. Harting und Jasinski ab und addiert die 5 verpassten Medaillen durch die oben genannten Athleten hinzu, dann hätte man (aus der Retrospektive) in Rio mMn 6 Medaillen erwarten können (statt 3). RE: DLV-Gesamtbilanz - Befürworter - 08.08.2021 Einen Aspekt hatte ich noch vergessen: Geschlechterbilanz - Frauen: 82 Punkte (aus allen Top-25-Platzierungen) - Männer: 54 Punkte (aus allen Top-25-Platzierungen) Meinen auch in allen Nachwuchsmeisterschaften gewonnenen, dort nicht im Detail ausgewerteten Eindruck, dass die deutschen Männer weniger konkurrenzfähig sind als die deutschen Frauen, sehe ich da bestätigt. Hier dürfte die Erklärung auf der Hand liegen, dass im Kinderalter der Weg von Jungen in die Mannschaftssportarten und speziell den Fußball viel mehr vorgezeichnet ist als bei den Mädchen (leider aktuell auch ohne Effekt auf die Konkurrenzfähigkeit des DFB). RE: DLV-Gesamtbilanz - Angerländer - 08.08.2021 Eine Frage, die ich mir seit einigen Jahren stelle, und die sich mir, jetzt nach dem Marathon, wieder stellt, ist folgende: Wie kommt es, dass Sportler aus Afrika in ihren neuen Ländern, wie Niederlande, Belgien, Bahrain oder auch der Türkei weltklasse Leistungen bringen, aber wenn sie nach Deutschland kommen, können sie das offensichtlich nicht. Die beiden Medeaillengewinner aus den Niederlanden und aus Belgien kommen ursprünglich aus Somalia. Nicht gerade bekannt als die Läufernation. Unser Läufer kommt aus Äthiopien, eines der Top-Langstreckennationen und wird 30. Ähnliches sehe ich bei Tesfaye. Hier im Forum schreiben viele Experten und Insider. Hat von euch jemand eine plausible Erklärung für dieses (für mich) auffällige Phänomen? RE: DLV-Gesamtbilanz - Clutch - 08.08.2021 In Bezug auf die Nationenwertung war man in den letzten 25 Jahren bei allen Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen übrigens nur ein einziges Mal schlechter (und das auch nur marginal): Bei Olympia 2004. Bei den Olympischen Spielen 2012 hatte man noch mehr als doppelt so viele Punkte in der Nationenwertung geholt als aktuell. Ich denke das ist schon bezeichnend für den Zustand der deutschen Leichtathletik. RE: DLV-Gesamtbilanz - Jo498 - 08.08.2021 (08.08.2021, 10:23)Befürworter schrieb: GeschlechterbilanzDas Problem hier ist für mich, dass das zB in Großbritannien kaum anders sein dürfte, die Briten aber gerade bei den vom Fußball abgegriffenen Mittelstreckenläufern viel besser sind. Ähnlich in Spanien etc. Es ist auch etwas leichter für Frauen, weil in vielen Disziplinen die Felder nicht die Dichte haben wie bei den Männern, selbst wenn sich das in letzter Zeit stark angeglichen hat. RE: DLV-Gesamtbilanz - Oliver - 08.08.2021 (08.08.2021, 10:25)Angerländer schrieb: Eine Frage, die ich mir seit einigen Jahren stelle, und die sich mir, jetzt nach dem Marathon, wieder stellt, ist folgende:Im Gegensatz zu anderen Nationen kauft Deutschland keine Sportler ein. Bevor Athleten mit afrikanischen Wurzeln für Deutschland starten dürfen, müssen diese erst den regulären Einbürgerungsprozess inklusive Deutschtest durchlaufen. Dies ist schon ein großer Unterschied zu anderen Nationen. Vor allem Starter aus der Türkei sprechen oft kein Wort türkisch. Kejeta widerlegt Deine Aussage etwas. Sie hat mit Platz 3 bei der Halbmarathon-WM und Platz 6 bei den olympischen Spielen unter Beweis gestellt, dass sie zur absuluten Weltklasse gehört. RE: DLV-Gesamtbilanz - vedo - 08.08.2021 (08.08.2021, 10:25)Angerländer schrieb: Eine Frage, die ich mir seit einigen Jahren stelle, und die sich mir, jetzt nach dem Marathon, wieder stellt, ist folgende:Naja, ist ja nun nicht so, dass andere Nationen reihenweise Ostafrikaner aufbauen, so gut wie immer sind es Einzelfälle, die dann auch nicht unbedingt von nationalen Strukturen profitieren (bei Ländern wie der Türkei mit eingekauften Sportlern sollte das sowieso klar sein, Abdi trainiert mit Mo Farah in Äthiopien und Nageeye war zunächst in Kipchoges Trainingsgruppe und ist jetzt auch in der Farah/Abdi-Gruppe). Eigentlich ist Petros doch ganz gut mit Abdi oder Nageeye vergleichbar, alle drei scheinbar nicht die absoluten Weltklassetalente von Haus aus, haben sich dann aber durch Höhentraining ordentlich nach vorne gearbeitet und so auch von ihren Landsleuten etwas abgesetzt. Natürlich ist Petros jetzt heute kein herausragender Auftritt gelungen, aber ein einzelnes Rennen, in dem auch viele andere gescheitert sind, ist auch nicht die beste Grundlage, generelle Aussagen zu treffen. Wenn man die jeweiligen Karrieren übereinander legt, ist er schätzungsweise sogar ähnlich weit/schon weiter als die beiden Medaillengewinner von heute zu einem vergleichbaren Zeitpunkt. RE: DLV-Gesamtbilanz - Angerländer - 08.08.2021 (08.08.2021, 10:44)Oliver schrieb: Kejeta widerlegt Deine Aussage etwas. Sie hat mit Platz 3 bei der Halbmarathon-WM und Platz 6 bei den olympischen Spielen unter Beweis gestellt, dass sie zur absuluten Weltklasse gehört.Danke! Also ist es nur eine Wahrnehmungsstörung meinerseits.
RE: DLV-Gesamtbilanz - Jo498 - 08.08.2021 (08.08.2021, 10:32)Clutch schrieb: In Bezug auf die Nationenwertung war man in den letzten 25 Jahren bei allen Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen übrigens nur ein einziges Mal schlechter (und das auch nur marginal): Bei Olympia 2004.Wenn ich die London-Ergebnisse überfliege, sehe ich das differenzierter. In fast allen Laufdisziplinen (außer Kurzhürden mit HF Teilnahmen, dafür war diesmal Langhürden viel besser, aber ohne Finale) war der DLV in London eher schwächer, viel mehr ganz ohne Teilnehmer, Finalteilnahmen genauso nur in 10000m (Mocki 17.) und Hindernis F (Möldner und Krause 6 und 7). Der deutsche Erfolg in London beruhte fast ausschließlich auf Würfen (Harting 1, Storl 2, Heidler 2, Klaas 4, Obergföll 2, Stahl 3, Molitor 6, und Stabhochsprung (M 2+3, F 4 + 2x5). Einzige andere Medaille Schwarzkopf im Siebenkampf und dass es diesmal keine Mehrkampfmedaille gab, war m.E. schlicht Pech, jenseits von Planbarkeit. Bei einer Gesamtzahl von 1-10 Medaillen wird es immer so sein, dass einzelne Fälle von Glück oder Debakel überproportional reinschlagen. Daraus lässt sich für einzelne Disziplinen was ableiten, aber nicht für den Gesamtzustand. |