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Warum kein Leichtathletikweltcup? - Druckversion

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Warum kein Leichtathletikweltcup? - Befürworter - 26.05.2019

Ich hoffe, es wird mir nicht übelgenommen, wenn ich nach ganz wenigen Beiträgen hier gleich den ganz großen Wurf versuche, aber ich will meine Idee einfach mal zur Debatte stellen. Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Fakt, dass die Leichtathletik im Fernsehen und damit auch im Bewusstein der Öffentlichkeit quasi nicht stattfindet - obwohl sie seit Jahrtausenden absolute olympische Kernsportart ist, spannende Wettkämpfe bietet und nicht durch stundenlanges Warten auf Höhepunkte große Anforderungen an die Aufmerksamkeitsspanne stellt. Mit dem Kampf des Sportler gegen sich selbst und ihre persönlichen Bestzeiten bietet sie noch einen zusätzlichen Anreiz, den die wenigsten Sportarten haben. Zudem ist sie die perfekte Sommersportart, die das öde schwarze Loch füllen kann, das die Sommerpause im Fußball und anderen Mannschaftssportarten hinterlässt.

Was fehlt nun der Leichtathletik im Vergleich mit Fußball, Basketball, Radsport oder den Wintersportarten, die jedes Wochenende stundenlange Sendezeiten bekommen? Die Funktionäre scheinen an den Wettbewerben selbst zu zweifeln und experimentieren mit weniger Versuchen in den technischen Disziplinen, KO-Wettkämpfen oder Schwachsinn wie Mixed-Staffeln über 100 m Hürden. Es fehlt aber etwas ganz anderes: Nämlich der regelmäßige Vergleich der besten Athleten auf höchstem Niveau!

Beim Fußball kann ich jede Woche meine Mannschaft mit meiner Mannschaft jubeln oder leiden. Egal ob sie zweite oder vierte Liga spielt, ist jede Woche entscheidend für das Erreichen des übergeordneten Saisonzieles oder gar des Aufstiegs. Noch besseren Sport sehe ich dann in der Sportschau aus der Bundesliga. Gleichzeitig entstehen permanent neue Geschichten und ich kann verfolgen, ob der Toptorjäger wieder trifft oder das Nachwuchstalent sich durchsetzt. Bei allen Sportarten mit großer Medienpräsenz gibt es entweder eine Kombination aus starken nationalen und europäischen Ligen oder Weltcups. Beim Skispringen zu Beispiel finden zwar nur 80 gleich aussehende Wettkampfsprünge statt, die sich nur ein par Meter voneinander unterscheiden, aber der Wettkampf der Topleute fesselt die Leute trotzdem.

Bei der Leichtathletik hingegen sehe ich Gina Lückenkemper oder Konstanze Klosterhalfen das ganze Jahr nicht. Vielleicht laufen sie irgendwo mal zur Erreichung einer Normzeit, aber dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit und vor allem nicht gegen Weltklassekonkurrenz. Dieser selbstgewählte Rückzug und das allein auf einen einzigen Saisonhöhepunkt ausgerichtete Wettbewerbskonzept ist das Kernproblem. Und dann sind die Topleute vielleicht bei WM oder EM verletzt, krank oder außer Form und haben ein ganzes Jahr keine Emotionen geweckt.

Deshalb halte ich einen an die Wintersportwettbewerbe angelehnten Weltcup für zwingend erforderlich, wo regelmäßig die Besten der Besten gegeneinander antreten. Flankiert werden muss das durch einen Europacup und weitere Vergleiche auf Nationenebene, in denen man sich ebenfalls auf seinem Niveau messen kann und die den Aufstieg in die nächsthöhere Ebene ermöglichen. Die Zahl der Starter pro Nation wird durch eine Nationenwertung bestimmt und begrenzt. Für WM und Olympia qualifizieren sich nur die im Weltcup vorne platzierten Athleten, wodurch sie gezwungen werden, an diesen auch teilzunehmen und dadurch für die nötige Attraktivität zu sorgen. Ein Gesamtweltcupsieg wäre ein riesiger Anreiz, der es wie in anderen Sportarten von der Wertigkeit her mit WM-Titeln aufnehmen könnte.

Das Programm kann man an die unterschiedlichen Disziplinen anpassen. 10.000-Meter-Läufe kann man weniger oft austragen, ähnlich wie bei 50-km-Läufen im Skilanglauf. Auch bestimmte Gruppen wie Werfer oder Sprinter kann man mal in separaten Meetings antreten lassen, die es teilweise jetzt schon gibt. Ich denke die meisten denkbaren Einwände gegen den Vorschlag kann ich entkräften, als größtes Problem sehe ich die durch die Bahnenanzahl begrenzten Starterfelder. Es dürfte aber kein großes Problem sein, wenn man die Läufer auf zwei oder drei Sprints je Meeting verteilt, da die Zeitdauer minimal ist.

Ich bin gespannt auf Eure Meinung.


RE: Warum kein Leichtathletikweltcup? - Robb - 26.05.2019

Wie willst du das mit der Quali denn anstellen? Für eine WM qualifizieren sich 32 Athleten, bei den meisten größeren Meetings treten in den technischen Wettbewerben maximal 8-10 an, damit fällt die Idee mit der Quali über Weltcup schonmal aus. Abgesehen davon, es kommen kaum deutsche Läufer in die Diamond League, wenn du die Quali über einen Weltcup machst, würden sich gerade eine Handvoll deutscher Läufer für WM und OS qualifizieren, kaum wünschenswert.
Warum sollte ein Weltcupsieg ein riesiger Anreiz sein? Es interessiert fast niemanden, wer die DL gewinnt, warum sollte ein Weltcup anders sein?


RE: Warum kein Leichtathletikweltcup? - longbottom - 26.05.2019

(26.05.2019, 14:09)Befürworter schrieb: Bei der Leichtathletik hingegen sehe ich Gina Lückenkemper oder Konstanze Klosterhalfen das ganze Jahr nicht. Vielleicht laufen sie irgendwo mal zur Erreichung einer Normzeit, aber dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit und vor allem nicht gegen Weltklassekonkurrenz.


Dieser Absatz ist schlicht und ergreifend falsch. Sowohl Gina Lückenkemper als auch Konstanze Klosterhalfen sind, wenn fit, bisher regelmäßig in der Diamond League angetreten. Klosterhalfen war vergangenes Jahr lange verletzt und deshalb seltener zu sehen, aber vor zwei Jahren oft in der DL vertreten.

Lückenkemper war vergangene Saison ab Juni in so gut wie jedem Diamond League Meeting dabei, das die 100 Meter im Programm hatte (außer Monaco, das zeitgleich mit der DM war). In Lausanne wurde sie in den B-Lauf gesetzt, aber sie war dabei.

Der Weltcup dürfte an der Durchführung scheitern. Im Biathlon können 80 Teilnehmer starten, aber wie willst du das im Stabhochsprung machen? Ansonsten fände ich ihn an sich eine gute Idee, aber halt schwer durchführbar.


RE: Warum kein Leichtathletikweltcup? - Befürworter - 26.05.2019

Zur WM-Qualifikation:
- Da muss man natürlich noch etwas an den Details feilen und sich die Kriterien etwa im Wintersport genau anschauen, aber wie geschrieben, müsste der Weltcup nicht auf 8 bis 10 Athleten beschränkt sein, sondern könnte durch mehrere Rennen auf 24 bis 30 Athleten ausgedehnt werden. Über 100 bis 400 Meter wären das dann drei Läufe pro Veranstaltung, die aber alle weniger als eine Minute dauern. Bei den technischen Wettbewerben könnte man noch eine Vorqualifikation durchführen, so dass dann nur 12 bis 16 Athleten im Hauptwettbewerb antreten würden, wo dann auch noch mal für ein Achterfinale ausgesiebt wird. Bei den Langstrecken sind große Starterfelder machbar. Es wäre übrigens auch möglich, dann nur 24 Athleten bei der WM antreten zu lassen, in den technischen Wettbewerben vielleicht im Weltcup auch weniger als in den Sprintrennen.
- Für die (in manchen Disziplinen schwächeren) deutschen Läufer wären dann eher die Europacups der entscheidende Wettbewerb, die je nach Länderhäufung im Weltcup und eventuell in Kombinationen mit einem Normensystem auch noch . Auch jetzt findet durch die Normen schon ein Ausleseprozess statt.

Die Diamond League hat große Schwächen, auch wenn sie ansatzweise in die richtige Richtung geht. Wenn man eine Umfrage machen würde, wer in Deutschland diesen Wettbewerb kennt oder auch nur einen Sieger nennen kann, wäre eine zweistellige Prozentzahl schon eine Überraschung. Randsportarten wie die Nordische Kombination bringen hingegen regelmäßig Sportler des Jahres hervor, die sich den Großteil dieser Anerkennung in den Weltcups verdienen. Bei der Diamond League krankt es an vielem, von der Übertragung im Pay-TV über die unsichere Auswahl von Wettbewerben und Athleten, die fehlenden Anreize für eine Teilnahme bis zur Höhe der Preisgelder.


RE: Warum kein Leichtathletikweltcup? - longbottom - 26.05.2019

Ich gebe dir nicht Unrecht und bin wirklich der Meinung, dass ein Weltcupsystem theoretisch die beste Variante wäre, aber was die Durchführung angeht habe ich halt noch Zweifel. Es sei denn man setzt vorher einen Extratag für Qualifikationen an.

Was allerdings die Nordische Kombi angeht, profitiert sie auch vom Rahmenprogramm mit Biathlon, Skispringen etc. Die Sommersportarten versuchen ja zum beispiel mit diesem gemeinsamen Europameisterschaften zumindest auch etwas in die Richtung zu gehen.


RE: Warum kein Leichtathletikweltcup? - Robb - 26.05.2019

Das Hauptproblem: Ein Weltcup widerspricht den Vorstellungen der IAAF. Man will immer weniger Disziplinen, weniger Teilnehmer, kürzere Meetings (auch angeblich auf Wunsch der TV-Sender). Also kannst du keine Meetings mit Vorqualifikation einführen, denn dann bist du wieder bei stundenlangen Veranstaltungen.


RE: Warum kein Leichtathletikweltcup? - longbottom - 26.05.2019

Ich glaube, in erster Linie will man bei der IAAF mehr Fernsehzuschauer. Und wenn man meint, das mit einem Weltcup zu schaffen anstatt mit kürzeren DL-Meetings, würde man sich in die Richtung orientieren.


RE: Warum kein Leichtathletikweltcup? - Jo498 - 26.05.2019

Der zentrale Punkt, warum beim Wintersport andere Dinge funktionieren, ist, dass dort sportlich nicht viel anderes los ist. Es gibt viel weniger Konkurrenz von anderen Sportarten und auch nicht von Urlaub, Grillen, selber Sport treiben usw.
Der nächste Punkt ist, dass man dort keine so lange gewachsenen Strukturen internationaler Meisterschaften als unbestrittene Höhepunkte hatte, um die sich alles andere herumgruppieren muss. Das ist aber bei der LA der Fall und es wäre m.E. fatal das zu ändern. Olympische Spiele, Welt- und Europameisterschaften müssen und werden die absoluten Highlights bleiben.

Ich fände es auch problematisch, das Qualifikationssystem für diese zentralen Bewerbe an das Abschneiden bei einem WC als Zubringer zu koppeln. (Vgl. die Diskussion über die verglichen damit noch recht milde Quali-Modusänderung der Weltrangliste.)
Bei "mehr Geld" beißt sich die Katze in den Schwanz. Höhere Preisgelder würden auch mehr Athleten in die DL locken. Dafür müsste es keine Umorganisation in einem Weltcup geben. Mehr Geld gibt es aber nur, wenn mehr Sponsoren, Zuschauer, TV-Gelder reinkommen. Den höheren Publikumserfolg eines WC kann aber keiner vorhersagen, daher wird man das Risiko nicht eingehen.

Bzgl. der Starts. Schau mal in das Forum im Sommer/Spätsommer 2017 rein. Mehrfach wurde damals befürchtet, dass Klosterhalfen zu VIEL startet (und ähnliches findet sich vermutlich auch für einige andere Athlet/innen). Sie ist übrigens 2017 in genau drei großen Meetings gestartet: DL Rom und Birmingham, ISTAF Berlin. Dazu einige kleiner dt. Meetings, dann aber DM, Team-EM, U23-EM, WM, teils mit mehreren Runden. Der Plan war voll genug. Und die Meisterschaften und die drei großen Meetings waren alle im TV oder Internet zu sehen. Gäbe es einen WC mit 7 oder 8? Pflichtterminen würden Team EM und u23 für Topleute auf jeden Fall in die zweite Reihe rücken (diesen Effekt wird man vermutlich schon dieses Jahr mit der späten WM sehen).


RE: Warum kein Leichtathletikweltcup? - longbottom - 26.05.2019

(26.05.2019, 18:30)Jo498 schrieb: Der nächste Punkt ist, dass man dort keine so lange gewachsenen Strukturen internationaler Meisterschaften als unbestrittene Höhepunkte hatte, um die sich alles andere herumgruppieren muss. Das ist aber bei der LA der Fall und es wäre m.E. fatal das zu ändern. Olympische Spiele, Welt- und Europameisterschaften müssen und werden die absoluten Highlights bleiben.

Europameisterschaften nicht. Aber auch in den Skidisziplinen gibt es Weltmeisterschaften und Olympische Spiele als klare Saisonhöhepunkte, für die im Weltcupkalender Platz gemacht werden muss. Sowohl die erste Nordische Ski WM als auch die erste alpine Ski WM fanden übrigens lange vor den Weltcups in diesen Sportarten statt (und nebenbei auch lange vor der ersten Leichtathletik-WM) und hatten immer Vorrang. Der Weltcup pausiert immer, wenn WM oder Olympia ist.


RE: Warum kein Leichtathletikweltcup? - Befürworter - 26.05.2019

Und wieder ein paar Gegenargumente meinerseits, auch wenn natürlich vieles Bedenkenswertes geschrieben wurde:

- Nicht viel Konkurrenzprogramm beim Wintersport: Konkurrenz Nummer 1 für jeden Sport ist der Fußball, und der findet in England nahezu ohne Winterpause und in Deutschland mit sehr kurzer Winterpause zwischen Weihnachten und Mitte Januar statt. Zwischen Mitte Mai und Mitte August lässt die Sommerpause sehr viel mehr Entfaltungsspielraum - und zwar auch in den Jahren mit Fußball-EM oder -WM, weil meist abends gespielt wird. Wintersport ist natürlich eine sehr deutschlandzentristische Sichtweise, aber auch die NFL, NBA oder NHL auf dem megawichtigen US-Markt machen im Sommer Pause.

- Großereignisse: In jedem Fernsehsport sind speziell die Olympischen Spiele trotz erfolgreicher Weltcups der unbestrittene Höhepunkt, wenn man mal den nordamerikanischen Mannschaftssportarten wie Eishockey absieht. Da sehe ich keine Kannibalisierungsgefahr. WM und EM werden natürlich etwas in der Wertigkeit zurückgehen, die ist jetzt aber meines Erachtens unverhältnismäßig groß. In der Leichtathletik spielt fast nur der Saisonhöhepunkt eine Rolle, genau das ist für mich das Kernproblem.

- Starthäufigkeit: Hier schreiben offensichtlich viele Trainer und Experten, aber die Diskussion konnte ich noch nie nachvollziehen. Wenn man in der Woche zwei Eishockeyspiele machen kann oder jedes Wochenende 10 Kilometer Langlauf im polaren Winterwald, kann man auch aller ein/zwei Wochen mal zu einem Weltcup antreten - bitte nicht schlagen für das platte Argument :-). Wie geschrieben kann man die Wettbewerbshäufigkeit der Disziplin anpassen. Und wenn das dazu führt, dass die Saisonbestzeit aufgrund der nicht ganz optimal auf den Saisonhöhepunkt ausgerichteten Vorbereitung um drei Sekunden langsamer ist, betrifft das alle und wird durch die häufigeren Spitzenwettkämpfe aufgewogen.

- Keine Spielräume mehr für Team-EM oder U23-Meisterschaften: Wird wohl so sein. Aber wäre das ein großes Problem? Schockierend war für mich die Staffel-WM, die ich auf Youtube verfolgt habe, auf das potentiell mehrere Milliarden Menschen zugreifen können. Ich glaube im Mittel wurden dort um die 10.000 Zugriffe auf den Stream angezeigt. Weltweit! Vielleicht kam das noch anderswo, aber bei solchen Zahlen sollte man sich Gedanken machen.