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anaerobe Schwelle - Druckversion

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anaerobe Schwelle - Diak - 15.11.2018

Liebe Kolleg*innen,

ich habe eine vielleicht doofe Frage, an der ich mir aber jetzt lange genug die Zähne ausgebissen habe. Mein geschätzter Sportkollege, mit dem ich zusammenarbeite, fragte, wieso trainierte Ausdauerathleten eine niedrigere anaerobe Schwelle haben als untrainierte. Die Literatur bestätigt das, ich habe aber keine Erklärung gefunden.
Liegt es daran, dass trainierte Athleten entstehendes Laktat besser verstoffwechseln und/oder puffern?
Irgendwo unterläuft mir ein blöder Denkfehler...


RE: anaerobe Schwelle - lor-olli - 15.11.2018

Die aerobe-anaerobe Schwelle ist zum einen individuell (die oft genannten 4mmol/l sind keine fixe Grenze sondern eher ein Näherungswert! Die Werte muss man nach Trainingszustand von 2,5 - 4,2 mmol als Schwellwert lesen, sprich ein gut Ausdauertrainierter wird auch bei einer Schwelle von 3,5 eine bessere Leistung bringen als ein Sprinter mit einer Schwelle von 4,2…).

Die Laktatwerte sind des weiteren von der Ernährung abhängig, wer viel Kohlehydrate isst, hat auch mehr / schneller Laktat, protein- und fettreiche Ernährung zeigen geringere Werte von Laktat im Blut.

Für diese Laktatschwelle trainieren insbesondere die "Schnellkraftler" (Sprinter und Co.) auch öfter in diesem anaeroben Bereich und verschieben ihre Schwelle "nach oben", während Ausdauersportler vor allem die Reisitenz gegenüber dem Laktat erhöhen, sprich sie können dann sogar im "saueren Bereich" noch länger laufen (Tempo"härte"…) Es ist übrigens ein Phänomen der ostafrikanischen Läufer aus dem Hochland, das sie oft zwar keine besonders hohe aerobe-anaerobe Schwelle haben, dafür aber eine enorme Toleranz gegenüber dem Laktat. (Sprich schmerzende, krampfende Muskeln behindern sie deutlich später!)

Ich würde es keinen Denkfehler nennen, sondern eher eine Überinterpretation der Bedeutung der Laktatschwelle - sie ist individuell unterschiedlich und sie besagt z.B. für einen Marathonläufer nur einen Teil der Wahrheit. Trotzdem ist es sinnvoll sie zu kennen und für das Training zu berücksichtigen. Die allerhöchsten Laktatwerte erreichen etwa 400m und 800m Läufer, aber sie haben eben trainiert um den Punkt des "nichts geht mehr" auf diese Distanz hin zu optimieren.

Auch das Schmerzempfinden bei sehr hohen Laktatwerten wird übrigens durch entsprechendes Training geringer, bei den genannten ostafrikanischen Hochlandbewohnern ist sie vermutlich auch genetisch bedingt, wie auch bei anderen Hochlandbewohnern, diese haben aber anders als die Afrikaner oft ungünstigere physische Voraussetzungen (Hebel, Muskelmasse, Beinlänge zu Körpergröße etc.) für den Langstreckenlauf.

Immer im Hinterkopf behalten: die 4mmol besagen eben nicht alles…


RE: anaerobe Schwelle - Diak - 15.11.2018

danke Dir für das Hintergrundwissen!

Mein Verständnisproblem ist ein anderes: Ich weiß, dass die Werte individuell sind und die 4mmol ein Literaturwert, noch dazu mit nicht ausreichend standardisierten Verfahren ermittelt.
Klar ist mir, dass Athleten mit guten Ausdauerwerten im Laktatstufenstest die Kurve nach rechts verschieben, also erst bei höheren Geschwindigkeiten über die Schwelle gelangen. Den Knoten im Kopf habe ich an der Stelle bekommen, dass Ottonormal bei 5mmol Laktat die Schwelle überschreitet, ein guter Ausdauerathlet aber schon bei 2-3. Heißt doch: Ein guter Ausdauerathlet wird schon bei niedrigeren Laktatwerten "sauer", das klingt doch oberflächlich wie weniger fit.
Mein Erklärungsansatz: Da der Steady-State das Fließgleichgewicht zwischen Laktatproduktion im anaerob-laktaziden Stoffwechsel und Laktatabbau durch Pufferung und aerobe Laktatverstoffwechselung beschreibt, sinkt die Schwelle durch den Erfolg von Pufferung und aerobem Laktatstoffwechsel (besser wegen mehr Mitochondrien, Kapilarisierung, Herzminutenvolumen, Lungenvolumen, Eri-Konz. etc.) Hieße: Es wird so viel Laktat erfolgreich abgebaut, dass im Vergleich mehr Laktat produziert werden muss, um im Steady-State zu sein (erklärt auch die Notwendigkeit der Reizerhöhung im Ausdauertraining). Diese Theorie würde ich gerne veri- oder falsifieren...


RE: anaerobe Schwelle - lor-olli - 15.11.2018

Wissenschaftlich belegt ist das meines Wissenstandes nach bisher nicht wirklich genau…

Das dem aber so ist, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Ex-Zehnkämpfer durch eine OP bedingte längere Sportpause (GAR KEIN Sport für fast ein Jahr…), danach musste ich mich bewegen und fing lockeres Laufen an (Belastungstest, Laktatbestimmung, Atemgase gemacht, präzise Werte müsste ich nachschauen)

Das Laufen wurde immer mehr, der Plan Marathon zu laufen konkret und es wurden dann so 3000 bis 3500 KM im Jahr. Nach ein paar Jahren erneuter Test und zu meinem "Erschrecken" waren die Werte für die aerobe-anaerobe Schwelle gesunken (ca. 0,7 mmol/l niedriger) die Leistung aber deutlich gestiegen. (sieht man an der Endbelastbarkeit gut!)

Ist schon einige Jahre her, das Phänomen kannten andere Läufer auch, eine medizinisch / wissenschaftliche Begründung gab es nicht direkt, nur Erklärungsansätze. Eine echte Studie wäre wohl auch sehr aufwändig (langfristig, Aufwand mit Atemgasen, vielen Blutparametern, Belastungstests und einer ausreichenden Anzahl Probanden scheint für den Spitzenbereich nicht so interessant…)

Aber ich interpretiere die Fakten ähnlich wie Du, Kohlehydrate werden zur Verstoffwechselung der Fette benötigt, es dürfte also eine Trainingsanpassung sein, wenn dieser Prozess bei deutlich niedrigerer Schwelle ansetzt. Sprinter / Schnellkraftsportler erreichen im Extrem bis zu 10 mmol/l , aber während beim "Normalo" ab 4mmol sehr rapide nichts mehr geht, überschreiten gut Ausdauertrainierte die Schwelle langsamer und können trotzdem längere Zeit weiter belasten. Welche physiologischen Prozesse in welchem Maße und wie genau interagierend hier wirken, ist recht komplex.

Aber die Erfahrung zeigt ja: passt schon Wink


RE: anaerobe Schwelle - Diak - 15.11.2018

(15.11.2018, 20:54)lor-oll schrieb: Aber die Erfahrung zeigt ja: passt schon Wink
Smile ‌ sehe ich als Trainer auch so, der Biolehrer des Sportprofils wüsste es gern genau Undecided


RE: anaerobe Schwelle - Atanvarno - 15.11.2018

(15.11.2018, 18:38)Diak schrieb: Es wird so viel Laktat erfolgreich abgebaut, dass im Vergleich mehr Laktat produziert werden muss, um im Steady-State zu sein (erklärt auch die Notwendigkeit der Reizerhöhung im Ausdauertraining). Diese Theorie würde ich gerne veri- oder falsifieren...

Dr. Jack Daniels (Autor von Daniels' Running Formula) stimmt deiner Theorie zu, s.
http://www.letsrun.com/forum/flat_read.php?board=1&thread=4021862&id=4021949#4021949


RE: anaerobe Schwelle - RalfM - 16.11.2018

Die Arbeitsgruppe um Tim Noakes hat in den letzten 20 Jahren etwa den Blick auf Laktat gänzlich verändert. Das ist ein leicht erfassbarer Laborparameter, der gut mit dem Ermüdungszustand der Muskulatur korreliert ist. Aber Laktat macht die Muskeln nicht "sauer", in dem Sinne, dass ein Sportler wegen Laktatakkumulation die Füße nicht mehr hochkriegt. Da würde man die Henne mit dem Ei verwechseln. Der anaerobe Abbau von Laktat macht ja sogar zusätzliche Energie für die letzten Meter verfügbar. 
Am liebsten wollen wir gar nicht wissen, welche Hemmungen im Körper heruntergefahren werden werden müssen, um die perfekte Energiefreisetzung zu nutzen. Zum Teil geht das durch ganz viel Training.


RE: anaerobe Schwelle - lor-olli - 16.11.2018

Es wird in diesem Bereich eben noch viel spekuliert …

Schon in den 90er Jahren hat M.J.Joyner in diesem Bereich geforscht und mit "seinem Modell" eine Marathonbestzeit von max. 1:57:58 errechnet (https://www.physiology.org/doi/pdf/10.1152/jappl.1991.70.2.683, Artikel selbst ist leider noch immer nicht kostenlos…)

Auch Canova hat eigene Laktatmaxwerte in eigenen Tests erforscht und kommt unter anderem zum Schluss:
"…A top marathon runner of today is still able to reach 15mml of lactate, if we do a max test (for example, 2' uphill at max speed…" andere vermuten das sogar eine Grenze von 20 mmol/l lactate durch spezielles Training zu erreichen ist. (immerhin knapp 30 Jahre nach Joyner Wink)

Die von RalfM angesprochenen Hemmungen für die perfekte Energiefreisetzung setzen aber auch einige krude Gedanken frei (pharmakologische Inhibitoren, extreme Ernährung, gesundheitlich bedenkliche Trainingspläne wie Schlafunterbrechungen für eine "kleine Trainingseinheit" > im Radsport tatsächlich praktiziert und anderer Unsinn). Ich halte auch die Folgewirkungen eines gezielt extremen Ausdauertrainings für nicht zu vernachlässigen (Substanzielle Eigenschädigung über Jahre… dauerhafte Gefäßveränderungen, Osteoporosen etc.).

Vielleicht überrascht uns ja die genetische Forschung demnächst mit Erkenntnissen, die über die "Spielereien" mit CRISPR-cas9 hinausgehen …