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Wie relevant ist sportwissenschaftliche Forschung für Hochleistungssportler - Druckversion

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Wie relevant ist sportwissenschaftliche Forschung für Hochleistungssportler - Atanvarno - 01.08.2018

How relevant is sports science research for elite athletes?

Craig Pickering stellt die Frage, ob ein Großteil der sportwissenschaftlichen Forschung überhaupt auf Hochleistungssportler anwendbar ist, wenn die Untersuchungen nicht an Hochleistungssportlern durchgeführt wurden.

Zitat: the conclusions of a study are only valid in the population used in the study [...]There are two main issues when it comes to research carried out in elite athletes. The first is that elite athletes are, almost by definition, very rare beasts, such that recruiting sufficient numbers to research studies can be difficult. Elite athletes also are busy being elite, and typically don’t want to make changes to their training so that researchers can get a decent paper out of it. Furthermore, there is a lack of consensus as to what defines “elite” in the sporting world, meaning that researchers often state that they studied elite athletes, when they actually didn’t.

Also können wir hier zusperren ? Wink


RE: Wie relevant ist sportwissenschaftliche Forschung für Hochleistungssportler - Gertrud - 01.08.2018

(01.08.2018, 19:45)Atanvarno schrieb: How relevant is sports science research for elite athletes?

Craig Pickering stellt die Frage, ob ein Großteil der sportwissenschaftlichen Forschung überhaupt auf Hochleistungssportler anwendbar ist, wenn die Untersuchungen nicht an Hochleistungssportlern durchgeführt wurden.
Zitat:the conclusions of a study are only valid in the population used in the study [...]There are two main issues when it comes to research carried out in elite athletes. The first is that elite athletes are, almost by definition, very rare beasts, such that recruiting sufficient numbers to research studies can be difficult. Elite athletes also are busy being elite, and typically don’t want to make changes to their training so that researchers can get a decent paper out of it. Furthermore, there is a lack of consensus as to what defines “elite” in the sporting world, meaning that researchers often state that they studied elite athletes, when they actually didn’t.
Also können wir hier zusperren ? Wink

Diese Frage hat HjH immer wieder gestellt und mir oft gesagt, dass man viele Sachen in der Biomechanik absolut nicht übertragen kann, weil sie nicht an Spitzensportlern durchgeführt worden sind. 

Bei Studien an Tieren steht sehr oft der Zusatz, dass man nur bedingt die Forschungen auf Menschen übertragen könne, weil z. B. die Gelenkmodalitäten andere und auch die strukturellen Gewebe unterschiedlich seien. Es gibt auch gute Gegenüberstellungen z.B. der Muskulaturen bei Affen und beim Menschen rund um das Gesäß und die Oberschenkel.

Gertrud


RE: Wie relevant ist sportwissenschaftliche Forschung für Hochleistungssportler - dominikk85 - 01.08.2018

Denke auch das die Objekte der Studie eine Rolle spielen. Viele Studien werden entweder mit untrainierten oder mit sportstudenten durchgeführt. Wenn ich biomechanische Untersuchungen mit sportstudenten mache die 12.0 laufen hat das eventuell Auswirkungen auf die Ergebnisse.

Und von Elite Athleten bekommt man oft halt nur indirekte Auswertungen wie diese iaaf Reports die natürlich sehr interessant sind, aber messtechnisch nur begrenzte Möglichkeiten hat (2d videoanalyse, Split Times...).

man müsste mehr direkte Untersuchungen mit spitzensportlern machen, aber dann muss man ihnen natürlich auch Anreize bieten


RE: Wie relevant ist sportwissenschaftliche Forschung für Hochleistungssportler - icheinfachma - 01.08.2018

Die Trainingswissenschaft hat sowieso einen zweifelhaften Wert für die Erfindung neuer Trainingsmethodik. Es wurde in der Vergangenheit (seit den 60ern / 70ern) im Wesentlichen bewiesen, welche der schon vorhandenen (!) Trainingsmethoden der Praktiker am effektivsten sind und dieser dann systematisiert / verbreitet / vereinheitlicht. Die Heterogenität (jeder trainert nach seiner Facon) wurde etwas verringert, es wurden Standards geschaffen. Im Zuge dieser Forschung wurde dann auch bewiesen, warum diese von den Praktikern erfundenen Methoden funktionieren.

Auch z.B. das Niedersprungtraining oder die Periodisierung hat Verkoshansky nicht erfunden, sondern von den Praktikern gesammelt und systematisiert. Das ist ein großer Unterschied, denn oft wird er als Erfindern bezeichnet.

Der Wert der Trainingswissenschaft für den Leistungssport heutzutage besteht fast ausschließich in der Leistungsdiagnostik-Forschung. Es wird die Leistungsstruktur der Sportarten analysiert und davon ausgehend versucht die Leistungsdiagnostik so weiterzuentwicklen, dass sie sportliche Leistung möglichst gut vorhersagt (also die Dinge getestet werden, auf die es ankommt). Da gibt es forschungsmäßig noch einiges zu tun. Noch nicht ganz einig ist man sich im Nachwuchstraining, sodass es dort noch immer Forschung zum Training gibt. Wirklich neue Trainingsmethoden gibt es hingegen in der Sportpsychologie für die Ballsportarten - dort werden Inforaufnahme, -verarbeitung und Entscheidungsfindung untersucht und entsprechende Trainingsmethoden für Taktikverbesserungen entwickelt und von den großen Bundesligisten in enormen High-Tech-Trainingsanlagen auch schon angewandt.

Ähnlich ist es in der Biomechanik: Im Wesentlich besteht heutige Biomechanikforschung darin, die Messmethoden der Biomechanik weiterzuentwicklen. Man kann bis heute keinen Absprungwinkel (bez. auf KSP) genau messen, weil der KSP nicht sichtbar ist, sondenr erstmal errechnet werden muss (und das bei 3D-Bewegungen). Das ist aber mehr Ingenieursforschung (Forscher in diesem Bereich sind oft Ingenieure, Physiker oder Informatiker für die entspr. Software) - als SpoWi ist man für diese Forschung nicht qualifiziert. Diese Forschung nennt man "Messplatzentwicklung" und sie ist auch der Forschungsschwerpunkt der Abteilung Biomechanik / Informatik des IAT. Techniken werden eigentlich nicht mehr groß erforscht, da ist fast alles bekannt. Teilweise geht die Biomechanik aber fließend in die TW über, z.B. wenn die Trainingswissenschaft für die Erforschung der Leistungsstruktur biomechanische Messungen vornimmt.

Allerdings forschen die meisten Unis gar nicht mehr im Leistungssport, sondern ausschließlich im Präventions- und Rehasport (sowie im Schulssport) und da verschieben sich die Inhalte von Sportmedizin, Trainingswissenschaft und Biomechnanik dann völlig. Die Grenzen zwischen diesen Disziplinen verwischen dann auch auch, denn im der Gesundheitsforschung macht diese Utnergliederung der Sportwissenschaft weniger Sinn, da sie für die Leistungssportforschung geschafftn wurde. (Bsp.: Trainingswissenschaft udn Sportmedizin erforschen die Wirkung Trianingsprogrammen auf Gesunde und Kranke - eigentlich kein Utnerschied; viele Lehrstühle für "Trainings- und Bewegungswissenschaft" sind eine Zusammenfassung ehemaliger Biomechanik- und TW-Lehrstühle (tw. auch Motorik) und führen Bewegungsanalysen durch in der orthopädischen Reha, in der Schlaganfallreha oder hinsichtlich Prävention von Sportverletzungen, das ist ein fließender Übergang zu Neurologie / Motorik sowie zu Orthopädie.)


RE: Wie relevant ist sportwissenschaftliche Forschung für Hochleistungssportler - gera - 02.08.2018

(01.08.2018, 22:22)icheinfachma schrieb: Ähnlich ist es in der Biomechanik: Im Wesentlich besteht heutige Biomechanikforschung darin, die Messmethoden der Biomechanik weiterzuentwicklen. Man kann bis heute keinen Absprungwinkel (bez. auf KSP) genau messen, weil der KSP nicht sichtbar ist, sondenr erstmal errechnet werden muss (und das bei 3D-Bewegungen). Das ist aber mehr Ingenieursforschung (Forscher in diesem Bereich sind oft Ingenieure, Physiker oder Informatiker für die entspr. Software) - als SpoWi ist man für diese Forschung nicht qualifiziert.

es gibt in Deutschland nicht sehr viele Veröffentlichungen biomechanischer Daten zu den Sprungdisziplinen.
Im vorigen jahr kam das Hochsprungbuch von Dr.Killing u.a. , BISP , dazu.
Im Thema : neue Impulse für den dt. Hochsprung ?
haben wird darüber diskutiert.
Ich habe detalliert aufgezeigt, dass viele Parameter von Einzelsprüngen keine logische Einheit darstellen und damit kein Sprung dargestellt werden kann.
Schon garnicht kann man- wie bei Killing geschehen - aus unsicheren und falschen Einzeldaten einzelner Athleten Zielvorgaben für alle Athleten herstellen. Eine gleiche leistung erzielt jeder Athlet mit individuellen Einzelparametern.
Das die veröffentlichten Daten teils grob falsch sind, liegt weniger an den noch vorhandenen technischen Unzulänglichkeiten der meßgeräte, sondern vielmehr an den Auswertern der Daten und dem teils falschen Vertsändnis der Zusammenhänge.

Und hier muss ich Dich korrigieren  icheinfachma  , man kann überhaupt keinen Absprungwinkel messen.
Der Absprungwinkel ist ein errechteter Wert aus der horz. Geschwindigkeit und der mittels Sprungkraft erzielten verikalen Geschwindigkeit in Abdruckrichtung.
Wir sehen nur den Abdruckwinkel, den für eine Höhe / Weite  bestimmenden Abflugwinkel mit der  resultierende Abfluggewchwindigkeit kann man nur errechnen.

Das Buch von Killing wird trotz benannter Mängel genau so weiterverkauft.
Ich bezweifle,dass die Autoren sich Gedanken über die falschinformationen gemacht haben.

Genauso ist es übrigens mit den biomech.daten für den Weitsprung und Dreisprung.
Sie passen in der Logik und größe einfach nicht zusammen.

Wenn man weis, das viele Einzeldinge nicht gut genug zu erfassen sind, sollte man da nicht auf die Veröffentlicung besser verzichten ?

Ich kann nur hoffen, die Trainer und schon garnicht Übungsleiter lesen diese Veröffentlichungen erst garnicht und versuchen ihre Schützlinge darauf in der Technik auszurichten.

Die IAAF hat ja jetzt den " biomechanischen Report der WM 2017,London  veröffentlicht.
Natürlich gehe ich ihn durch, dauert aber noch.
Vermute aber, viel besser sieht es da auch nicht aus.


RE: Wie relevant ist sportwissenschaftliche Forschung für Hochleistungssportler - dominikk85 - 02.08.2018

gelenkwinkel aus 2d videos und fotos abzuleiten ist auch problematisch, da bereits kleine veränderungen der perspektive große messunterschiede verursachen können.


RE: Wie relevant ist sportwissenschaftliche Forschung für Hochleistungssportler - gera - 02.08.2018

angekommen , dominikk85


RE: Wie relevant ist sportwissenschaftliche Forschung für Hochleistungssportler - icheinfachma - 02.08.2018

Mit "messen" habe ich mich sicherlich unpräzise ausgedrückt. Ich meinte natürlich, dass man den Absprungwinkel nicht genau "bestimmen" kann.


RE: Wie relevant ist sportwissenschaftliche Forschung für Hochleistungssportler - lor-olli - 02.08.2018

Genau hier liegt ja die Crux, denn die Frage erweitert lautet dann: Wie präzise muss ich einen Wert bestimmen und kann die präziseste Bestimmung damit automatisch eine Allgemeingültigkeit erreichen?

(Hintergrund: Man nehme zwei sehr ähnliche Athleten und vermesse sie in Ruhelage, weil dies eben sehr genau möglich ist. Man kommt dann zwangsläufig zum Ergebnis, dass es bereits hier immer kleinere und größere Abweichungen geben wird. Wie relevant z.B. einzelne, leicht differierende Sehnen- und Muskelansatzpunkte, Freiheitsgrade, spezielle/einzelne Muskelkräfte etc sind, wenn man diese Werte anschließend in das komplexe Muster eines bewegten Körpers als Gesamtheit sowie auch die Bewegung des Körper selbst einrechnet, ließe sich doch am Ende wieder nur im speziellen Fall festlegen. Beim Absprungwinkel bestimmen diese Unterschiede eben auch schon, ob und wie nah der Athlet an das physikalische Optimum der Flugkurve im Idealfall herankommt.)

Die Sportwissenschaftliche Forschung ist auch für Spitzensportler relevant, die Relation ist allerdings in der Regel keine 1:1 Umsetzung, sondern können nur durch ein tieferes Verständnis von Zusammenhängen eine Näherung an das Maximum darstellen.

Pickering unterliegt meiner Meinung nach dem Irrtum, dass wir, wenn wir nur genug Spitzenathleten mit einer optimalen Forschungsreihe (vor allem auch im Volumen und Umfang) untersuchen, ein optimales Training, optimale Erkenntnisse erzielen würden, ich denke aber das gerade die physiologischen und sonstigen Besonderheiten diese Spitzenathleten zu dem machen was sie sind > nämlich Ausnahmen. Die sportwissenschaftliche Forschung ist in einigen Gebieten sicher weitestgehend ausgereizt, in anderen Bereichen kann sie durch neue technische Möglichkeiten sicher noch einige Erkenntnisse gewinnen. (z.B. in der Stoffwechseldiagnostik).

Es wird leider oft so dargestellt, als wenn man nur genug Werte braucht um einen Spitzenathleten zu "erzeugen", die Realität stellt aber die Gespanne von Trainer und Athlet vor eine mannigfaltige Aufgabe, die zwar die sportwissenschaftlichen Erkenntnisse benötigt, aber WEIT darüber hinausgeht.

Spitzensport ist heute ein ausgezeichnetes Beispiel für die Interdiziplinarität der Forschung und den Erkenntnisgewinn. Den Nobelpreis für Physik etwa, verliehen an Forscher der Kernforschunganlage in Cern, KÖNNTE ein Einzelner gar nicht erzielt haben (Was den Aufwand, aber auch die detaillierten, speziellen Kenntnisse betrifft) und dies gilt für einen zunehmenden Bereich der Forschung, gerade weil die Spezialisierung der Fachgebiete Erkenntnisse liefert, die erst in ein Gesamtkonzept eingefügt werden müssen. Dafür braucht es dann Leute wie Peter Scholze, einen der Gewinner der Fields-Medaille (Laut seinem ehemaligen Mentor, ich verstehe diesbezüglich vor allem Bahnhof Wink)

Aber lor-olli schweift ab, ich denke die Frage nach der Relevanz der sportwissenschaftlichen Forschung ist auch ein klein wenig eine Provokation, denn einiges was unter dem Aspekt "sportwissenschaftliche Forschung" betrieben wird, hielte einer strengen Überprüfung durch vorgegebene Maßstäbe nicht stand (no names mentioned…). Insgesamt werden und müssen wir forschen, allein schon um die vielen Verletzungen in den Griff zu bekommen (duck und weg).


RE: Wie relevant ist sportwissenschaftliche Forschung für Hochleistungssportler - gera - 03.08.2018

die biomechanischen Daten, die im Moment lieferbar sind, bringen wenig Gewinn, noch dazu, wenn aus indv.Daten einzelner Athleten pauschalisierte Vorgaben gemacht werden.
Das sollte man ruhig sagen.
Man kann mit sehr verschiedenen Ausgangswerten durchaus dieselbe Endleistung erzielen , z.B.
2,30 m hoch <<< Abflugwinkel 46 grad / Rücklage = 31 grad / Anlauf-V = 8,3 m/s  / t= 0,157 sec.
2,30 m hoch <<< Abfl.w.         52 grad / Rücklage = 34 grad 7 Anla.-V   = 7,9 m/s / t = 0,189 sec.

Selbst wenn die Einzeldaten 100 % -tig stimmen würden, braucht es das Verständnis der Zusammenhänge um richtige Schlußfolgerungen zu ziehen, wo der Einzelathlet noch Schwächen hat.

Bei der Einschätzung, wie nahe ein Athlet seinem Optimum kommt , braucht man theoretische Vergleichswerte ( die ich für alle Sprungdisziplinen erarbeitet habe ) , die aber auch an manchen Stellen einer wiss. Überprüfung nicht standhalten würden.
( soweit hat man einen Menschen noch nicht auseinander gepflückt )

Trotz aller Mängel, die biomech.Daten heute noch haben , sind sie bei richtiger Wertung ein gutes Hilfsmittel