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800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Druckversion

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800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - beity - 17.06.2016

Habe gerade bei Leichtathetik.de  den Artikel
„Goldene“ 1:44,9 Minuten: Franz-Josef Kempers DM-Rekord wird 50
gelesen.
Wenn man das liest, vor 50 Jahren als 20jähriger auf Asche eine 1:44,9 mit den Rundenzeiten 53,2 und 51,7 (!).
Wie oft war Kemper im Höhentraningslager, in der Eiskammer zu Regenerration, mit 120 Gramm Spikes auf der Mundo xy Bahn, ausgefeilte Ernährungs- und Trainingspläne, Leistungsdiagnostik, nachtschlafend auf der 1500 Euro Supermatraze, annähernd täglich Physio....
Ich würde sagen, da war fast nichts.
Was ist in 50 Jahren passiert ?
Mir fällt jetzt nicht ein, das Mittelstreckler vor 50 Jahren flächendeckend gedopt hätten. Gab es da schon EPO (Lasse Viren ein paar Jahre später mit Eigenbluterfahrung)?.
Haben wir uns genetisch schon so verschlechtert?   Bin vielleicht auch emotional angefasst, da gerade das 800 Meter Finale in München 1972 vor Augen, das hatte mich als Kind schon geflasht und das Rennen schau ich mir minimum 3 mal im Jahr auf youtube noch mal an. Kemper war da mit dabei.




RE: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - alist - 17.06.2016

Ich denke, dass eben auch die Zeiten vor 50 Jahren andere waren. Hier im Forum wird oft über die 'Verlockungen der Neuzeit' diskutiert, damals gab es eben nicht so viele Ablenkungen wie heute, kein Internet, keine Spielekonsole, keinen Fußball, der alles dominiert. Wer in einer kleineren Stadt Sport treiben wollte, konnte Handball oder Fußball spielen oder Leichtathletik machen. Ich kann mir auch vorstellen, dass die Athleten aufgrund ihres Umfelds und der Erziehung 'härter' waren, das muss nicht unbedingt positiv sein. Heute gehen die meisten Talente zum Fußball. Leichtathletik ist nur 2. Wahl. Außerdem verteilt sich der Leichtathletik-Kuchen auf viel mehr Länder. 

Trotzdem hat es in den 50 Jahren natürlich eine Reihe großer 800m-Läufer gegeben. Schumann, Wülbeck, Beyer, Ferner, Motchebon etc.


RE: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - beity - 17.06.2016

Zitat:Trotzdem hat es in den 50 Jahren natürlich eine Reihe großer 800m-Läufer gegeben. Schumann, Wülbeck, Beyer, Ferner, Motchebon etc.



Alles richtig was Du schreibst.
Der jüngste der von Dir aufgeführten musste verletzungsbedingt vor 10 Jahren seine Karriere beenden.
Die Helden der 80ziger Jahre, internatinnal dann auch Cram, Coe  Ovett könnte ich mir auch heute noch im Wettkampfgeschehen vorstellen und in den achtziger Jahren wurde die LA auch immer professioneller. Aber 20 Jahre davor, unter den Bedingungen wie sie für Kemper galten, ist das ganze noch mal eine Stufe bewundernswerter.


RE: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Atanvarno - 17.06.2016

Ich finde es generell interessant, wie wenig sich die 800m in den letzten 50 Jahren selbst in der Weltspitze entwickelt haben. Rechnet man Aschenbahn, Ernährung und moderne Spikes ein, habe ich kaum Zweifel, dass Snell oder Ryun auch heute noch um Olympiamedaillen mitlaufen könnten. Ich würde sagen, das ist in keiner anderen Laufdisziplin der Fall.
Insofern sollte man den heutigen Läufern nicht vorwerfen, wenn sie nicht signifikant schneller sind als die Läufer der 60iger. Vielleicht liegt bei den 800m der Ausnahmefall vor, dass das Menschenmögliche schon vor 50 Jahren ausgeschöpft war und man bestenfalls genauso gut werden kann wie die alten Helden.


RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Jo498 - 19.10.2017

Das ist schon interessant, weil die 800m ja wegen der komplexen Energiebereitstellung die mit am schwierigsten optimal zu laufende Strecke sind. Die Splits bei Kempers Rekord würden eigentlich darauf hindeuten, dass er auch 51,4 + 52,5 hätte schaffen können...
(1966 war lange vor EPO und wohl auch vor dem verbreitetem Einsatz (jedenfalls auf Mittelstrecken) von Anabolika u.a. Vielleicht noch ein paar Pervitin-Pillen gefunden? Big Grin )
Vielleicht hatte man einfach schon ein so großes Potential von guten Läufern, dass gerade weil die optimale Einteilung so diffizil ist (und daher oft auch nicht realisiert werden kann, wenn man recht genau weiß, was optimal wäre), allein aufgrund der großen Anzahl von Talenten in entsprechend vielen Rennen sehr gute Zeiten errreicht wurden. Also eine Kombination von Erfahrung der Athleten, die sozusagen automatisch eine gute Einteilung lernten und Statistik: Wenn genügenden Rennen mit guten Leuten stattfinden, gibt es gute Zeiten.
Und der große Talentpool lag sicher daran, dass LA viel weiter verbreitet war, gerade auch die Mittelstrecken noch selbstverständlich in der Schule u.ä. gelaufen wurden (während die Straßenlaufwelle ja erst in den 70ern begann) und die anderen damals weit verbreiteten Mannschaftsportarten (Fußball, Handball, Basketball) allesamt gute Zubringer für die LA (und oft auch gerade die Mittelstrecken) sind. Es gab weder Fun- noch "Extremsportarten", die ganz andere Akzente setzen.

Dagegen hat man für die Langstrecken, vermutlich schon relevant für die 1500, in den 70er/80ern die Trainingsmethoden noch verfeinert und für die technischen Disziplinen und Sprint ebenso.


RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - dominikk85 - 19.10.2017

Ist es denn wirklich so?

1968 (weil ab da tartan und elektro zeitnahme) war der Rekord 1:43,3, heute 1:40,9. Das sind 3,4 Sekunden oder 0,43 pro 100m.

100m: 9,95, 9,58 0,37
200m 19,83,-19,19 0,32/100
400m 0,2/100
800m 0,43/100
1500m 0,47/100
5000m 0,781/100
10000m 0,82/100

Ich sehe da keinen outlier, generell nimmt der Zugewinn mit der strecke leicht zu. Lediglich die 400m stechen da heraus, ich denke man macht den fehler die absoluten Zeitabstände bei den 800m zu sehen und die eher mit den langstrecken zu vergleichen, dabei sind die 800m eher ein langer sprint und ne sekunde ist da schon viel.


RE: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Robb - 19.10.2017

(17.06.2016, 20:12)Atanvarno schrieb: Ich finde es generell interessant, wie wenig sich die 800m in den letzten 50 Jahren selbst in der Weltspitze entwickelt haben. Rechnet man Aschenbahn, Ernährung und moderne Spikes ein, habe ich kaum Zweifel, dass Snell oder Ryun auch heute noch um Olympiamedaillen mitlaufen könnten. Ich würde sagen, das ist in keiner anderen Laufdisziplin der Fall.

Bob Hayes lief 1964 in Tokio auf einer nassen Aschenbahn 10.06s. Das würde bei heutigen Bedingungen locker für die 9.90 reichen, die in Rio für eine Medaille nötig waren.


RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Gertrud - 19.10.2017

(17.06.2016, 17:20)beity schrieb: Habe gerade bei Leichtathetik.de  den Artikel
„Goldene“ 1:44,9 Minuten: Franz-Josef Kempers DM-Rekord wird 50
gelesen.
Wenn man das liest, vor 50 Jahren als 20jähriger auf Asche eine 1:44,9 mit den Rundenzeiten 53,2 und 51,7 (!).
Wie oft war Kemper im Höhentraningslager, in der Eiskammer zu Regenerration, mit 120 Gramm Spikes auf der Mundo xy Bahn, ausgefeilte Ernährungs- und Trainingspläne, Leistungsdiagnostik, nachtschlafend auf der 1500 Euro Supermatraze, annähernd täglich Physio....
Ich würde sagen, da war fast nichts.
Was ist in 50 Jahren passiert ?
Mir fällt jetzt nicht ein, das Mittelstreckler vor 50 Jahren flächendeckend gedopt hätten. Gab es da schon EPO (Lasse Viren ein paar Jahre später mit Eigenbluterfahrung)?.
Haben wir uns genetisch schon so verschlechtert?   Bin vielleicht auch emotional angefasst, da gerade das 800 Meter Finale in München 1972 vor Augen, das hatte mich als Kind schon geflasht und das Rennen schau ich mir minimum 3 mal im Jahr auf youtube noch mal an. Kemper war da mit dabei.


Da gibt´s nur eins - ran an die Trainingspläne von Kemper! Ich kann mich auch nicht erinnern, dass sie Höhentrainingslager durchgeführt haben. Dieser gesamte "Teammist" und die druckvolle Zentralisierung von heute kann man getrost vergessen. Entscheidend ist, dass die Athleten zu Hause sehr gut untergebracht sind und sehr individuell betreut werden. Die Basis muss zunächst stimmen. 

Gertrud


RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - tsg78hd - 19.10.2017

(19.10.2017, 15:44)dominikk85 schrieb: Ist es denn wirklich so?

1968 (weil ab da tartan und elektro zeitnahme) war der Rekord 1:43,3, heute 1:40,9. Das sind 3,4 Sekunden oder 0,43 pro 100m.

...

sind das nicht 2,4 s und 0,3 pro 100m ?


RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Jo498 - 19.10.2017

103,3/100,9 = 1,024
9,95/9,58 = 1,039

Der 100m-Rekord ist mehr als anderthalb mal so stark verbessert worden wie der 800m-Rekord. Aber mit 9,9 kann man natürlich immer nohc eine Medaille kriegen, ebenso mit einer Zeit knapp unter 1:44.

Ron Clarke 1965: 13:25 vs. Bekeles 12:37 (2004) ergibt 1,064.
Der 5000m-Rekord ist mehr als zweieinhalb mal so stark verbessert worden wie der 800m-Rekord