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Rekord mit "Staub und Schimmel" - Druckversion

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Rekord mit "Staub und Schimmel" - Diskusmann - 06.06.2016

6. Juni 1986, auf den Tag genau heute vor 30 Jahren. Ort: Neubrandenburg, EM-Qualifikation der DDR-Leichtathleten für die anstehenden Europameisterschaften in Stuttgart. Der Junioreneuropameister von 1979, der Schweriner Jürgen Schult, betritt den Ring, nicht ahnend, dass der folgende Wurf – sein vierter Wettkampfversuch an diesem Tag – einer für die „Ewigkeit“ sein sollte. 69, vielleicht 70 Meter habe er sich zugetraut, so Schult später in einem Interview. Die Bedingungen an diesem Nachmittag mit für Rechtshänder gutem Diskuswind aber sind vorzüglich. Schult, der mit seinem Trainer Dr. Hermann Brandt hart an der Umstellung von Stütz- auf Sprungabwurf gearbeitet hatte, erwischt das Gerät optimal, es segelt und segelt und schlägt weit hinter der 70m-Linie in den Rasen des Jahnstadions ein. Mit hochgereckten Armen verlässt Schult den Schutzkäfig, er weiß, dass dieser Wurf einen neuen Weltrekord bedeutet. Vierundsiebzignullacht werden vom Bandmaß abgelesen. Der alte Weltrekord des Sowjetrussen Jurij Dumtchev ist Geschichte und um sagenhafte 2,22m verbessert.

Es ranken sich selbstverständlich auch Dopinggerüchte um Athlet und Leistung, eines ist aber sicher: Unterstützende Maßnahme allein können nicht der Grund dieser herausragenden Leistung gewesen sein! Die Bedingungen und Schults einmaliges Bewegungsgefühl für die Technik des Diskuswerfens spielen eine ganz erhebliche Rolle für den Bestand eines der ältesten Weltrekorde in der Leichtathletik. Übrigens stellte Schult nach der Saison, die für ihn im weiteren Verlauf nicht sehr erfolgreich verlief (nur der siebte Platz und 64,38m bei der EM in Stuttgart), wieder auf den Stützabwurf um. Der Weltrekord erwies sich als ein vielleicht zu schweres Gepäck, dazu stellte sich die neue Technik für ihn als zu anfällig heraus.

Jürgen Schult selbst hält eine neue Bestmarke für längst überfällig und befindet, dass sein Rekord inzwischen „Staub und Schimmel“ angesetzt habe. Einige Male sind Werfer wie Gerd Kanter und Virgilius Alekna seinem Rekord sehr nahe gekommen, vielleicht gelingt es aber erst einem der „jungen Wilden“ wie Christoph Harting bei guten Bedingungen irgendwann, Schults Weite aus den aktuellen Rekordlisten zu tilgen.


RE: Rekord mit "Staub und Schimmel" - MZPTLK - 06.06.2016

Sicherlich haben bei dem Rekord einige günstige Komponenten eine Rolle gespielt,
aber dass Jürgen Diskus werfen konnte, bezweifelt niemand.
Ausserdem haben viele Andere viele Jahre mithilfe ähnlich günstiger Komponenten
viele Gelegenheiten gehabt, Staub uind Schimmel zu entfernen.

Sehr interessant, dass dieser Rekord mit einer Sprungabwurfvariante erzielt wurde,
die - nicht nur bei Schult - zwar gewisse Risiken mit sich bringt,
aber auch grosse Chancen eröffnet.


RE: Rekord mit "Staub und Schimmel" - dominikk85 - 06.06.2016

Ich glaube schult hatte da einfach auch eine extreme windböe erwischt.

Würde es vielleicht sinn machen beim diskuswurf eine windmessung zu machen, oder einfach sagen, dass es eine extra liste für geschlossene Stadien gibt? IMO macht günstiger wind im diskuswurf locker so viel aus wie im sprint und "wiesenergebnisse" haben nur wenig aussagekraft (kann sicher locker 3-4m ausmachen).


RE: Rekord mit "Staub und Schimmel" - RalfM - 06.06.2016

Wie viele Windmesser in welcher Höhe angeordnet um den Wurfsektor sollten das dann sein? Oder alternativ: ab welcher Höhe ist ein Stadion geschlossen? Was ist bei einer Lücke zwischen den Tribünen?
Scheint mir alles nicht so zielführend zu sein...


RE: Rekord mit "Staub und Schimmel" - Sebastian - 07.06.2016

Über viele leichtathletische Leistungen wird hier gerne sehr schnell der Stab gebrochen (zugegeben, von Diskusmann hab ich sowas noch nie gelesen) und sofort die "Doping-Keule" ausgepackt, oft natürlich auch zurecht, mach ich ja selber.

Aber dann wird hier ein Loblied auf einen ganz offensichtlich schmutzigen Rekord gesungen? Find ich ziemlich bedenklich. Gibt es dann in 2 Jahren den Jubiläumsthread für FloJos Fabelleistungen in Seoul?

Da leider die Rekordlisten in der Leichtahtletik nicht bereinigt werden, sollte man doch mindestens den Mantel des Schweigens über die Doping-Rekorde breiten und sie nicht auch noch abfeiern, oder?


RE: Rekord mit "Staub und Schimmel" - Atanvarno - 07.06.2016

Zur Windmessung im Diskuswurf hatten wir hier
http://www.leichtathletikforum.com/showthread.php?tid=1209
schon mal diskutiert.



RE: Rekord mit "Staub und Schimmel" - lor-olli - 07.06.2016

Im Prinzip Zustimmung, allerdings mit der Einschränkung, dass Gegenwind gerade beim Diskus und Speer schon eine enorme Wirkung erzielen kann. Ich habe einen (dem alten…) Speer mal bei nahezu Sturm (+7m/s in Bodennähe im Stadion! auf einer Anlage außerhalb eines Stadions in Schweden) knapp 7m weiter geworfen als üblicherweise und ich bin auch nie wieder in diesen Bereich vorgestoßen – weswegen ich ihn für mich persönlich auch nicht werte.

(OT: Wir haben auch mal in Norwegen an einem Fjord mit Frisbees geworfen, ca. 300-350m weit - konnten sie sogar wieder einsammeln weil sie schwammen. Bei entsprechendem Gegenwind konnte ein Frisbee auch schon mal 500m weit fliegen erzählten uns die norwegischen Jungs Wink)

Generell werde die alten Staub+Schimmel-Weltrekorde nur deswegen zum Problem, weil die LA häufig auf die Rekorde reduziert wird - die Schönheit und Spannung eines großen, knappen Wettkampfes "ohne Rekorde" vermittelt sich häufig dem Gelegenheits Zuschauer gar nicht erst. Fußballer jammern dann gern, wenn ein Nichtkenner nach dem Abseits mitten im Spiel fragt . Fernsehen wird aber für die “breite" Masse gemacht, die will man mit Regeln und Feinheiten gar nicht belasten weil sie sonst umschalten …Wink