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Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - Druckversion

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RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - Atanvarno - 23.12.2015

(23.12.2015, 17:11)RalfM schrieb: Andere Antwort. Ich bekomme regelmäßig Anrufe über Telefon-Festnetz aus irgendwelchen Callcentern, die ich dann höflich beende, manchmal ruft auch eine Maschine an und spielt mir etwas vom Band ab. Die denken wohl, ich hätte Geld.

Meine Reaktion könnte jetzt sein, überhaupt nicht mehr ans Telefon zu gehen. Am besten den Anschluss abmelden. Weil ich ja als Konsument nicht mehr weiter die Triebfeder für diesen Scheiss sein will. Ich, ich schuldiger.

Richtig? Falsch?

Falsch.

Nur weil du keine LA mehr schaust, müsstest Du nicht deinen Fernseher abmelden.

Um in deinem Beispiel zu bleiben
Es verlangt niemand, dass du überhaupt nicht mehr ans Telefon gehst. Du darfst sogar mit den Anrufern reden (um festzustellen, ob es sich um eine harmlose, oder sogar eine wichtige Umfrage handelt oder um eine kalte Akquisition oder ein Verkaufgespräch). In letzteren Fällen legst du auf und das Geschäft kommt nicht zu Stande. "Schuldig" wirst du erst, wenn du was kaufst.
Wenn das (auflegen) alle täten, wären irregulär arbeitende Callcenter bald pleite.

Analog informierst du dich, ob beispielsweise in der Leichtathletik umfassend und unabhängig getestet wird. Ist das nicht der Fall, gibt es keine Unterstützung (du beendest das Gespräch). Wird vernünftig getestet, bist du wieder dabei. Durch die Strategieänderung der Sportorganisation ("testen" statt "nicht testen") ändert sich dann auch die gewinnbringende Strategie der Athleten von "dopen" auf "nicht dopen".

Ich bin ja auch naiv und glaube grundsätzlich an das Gute im Menschen, aber aktuell ist "dopen" für Sportler die bessere Strategie, weil die Sportorganisationen nicht testen und deswegen wählen zu viele Sportler diese Strategie, auch weil ihnen die Sportorganisation durch ihr Verhalten deutlich machen, dass es nicht ihr Ziel ist, besonders viele Dopingfälle aufzudecken.
Ebenso ist "nicht testen" die bessere Strategie für die Sportorganisationen, weil der Skandal des aufgedeckten Dopingvergehens die Zuschauer forttreibt, aber nicht der mangelhafte Anti-Doping-Kampf (der Erfolg dieser Strategie für die Sportorganisation ist übrigens unabhängig davon, ob die Sportler dopen oder nicht)

Wenn aber bereits ein mangelhafter Anti-Dopingkampf und nicht erst der aufgedeckte Skandal die Zuschauer forttreibt, müssen die Sportorganisationen ihre Strategie ändern.

Wie erfolgreich waren die bisherigen Ansätze die deiner Meinung nach einzigen aktiven Spieler in diesem Spiel (Sportler und Sportorganisationen) zur Strategieänderung ("nicht dopen" und "vernünftig testen") zu bewegen? Könnte nicht die Aktion des dritten Spielers (Zuschauer/Medien/Sponsoren) das fehlende Puzzleteil sein, das zu nachhaltigen Veränderungen führt?

Eventuell reicht der aktuelle IAAF-Skandal um eine Strategieänderung herbeizuführen, weil die IAAF vorerst unter genauester Beobachtung der Medien steht. Aber wie nachhaltig werden die Veränderungen sein, wenn sich die Sportorganisationen weiter darauf verlassen können, dass ihnen die Zuschauer treu bleiben, solange nur keine positiven Dopingfälle auftauchen
Blicken wir mal fünf Jahre in die Zukunft. Der Staub hat sich gelegt, neue TV- und Sponsorenverträge sind da, eine neue Generation von Stars glänzt mit Superleistungen. Wenn sich die IAAF darauf verlassen kann, dass der dritte Spieler (Z/M/S) im Spiel bleibt, solange kein positiver Dopingfall auftaucht, wird "nicht testen" wieder zur gewinnbringende Strategie und wir sind wieder beim aktuellen Nash-Gleichgewicht mit Doping.
Muss die IAAF aber fürchten, dass sie Z/M/S verliert, sobald erkennbar wird, dass der Anti-Doping-Kampf nachlässt, bliebe das neue dopingfreie (oder zumindest -arme, ein paar "böse" Menschen gibt es immer) Nash-Gleichgewicht erhalten.

Vielleicht kann man es statt mit "Unterstützung entziehen" auch mit "mehr Kontrolle ausüben" versuchen. D.h. Z/M/S müssen sich mehr einmischen, öfter nachfragen, generell kritischer sein.
Eventuell aber auch mal selektiv den Fernseher ausmachen (es gibt auf Twitter einen Hashtag #cheatsturnmeoff, da hat sich ein kleines Grüppchen verabredet jedes Mal, wenn Gatlin zu sehen ist, den Fernseher auszuschalten. Unbeschadet meiner persönlichen Meinung zum Startrecht Galtins wäre sowas, wenn es Schule macht, ein sehr starkes Signal).


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - Atanvarno - 23.12.2015

(23.12.2015, 18:20)Pollux schrieb: Oder aber man identifiziert Verantwortung mit Skepsis. Als einer Pflicht zur Skepsis. Aber das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Denn wenn z.B. die Schippers in Karlsruhe die absolute Höchstleistung bringt und dem Zuseher noch vor dem ersten Jubel der Verdacht in den Nacken kriecht, kann dies nur als Zeichen gedeutet werden, dass die Praxis schon im Siechtum begriffen ist.

Und das ist mein ganz persönliches Dilemma. Ich möchte grundsätzlich davon ausgehen, dass jeder Leichtathlet seine Höchstleistung ungedopt erbringt und ihn entsprechend bejubeln (ich habe ja beispielsweise hier einiges zur Verteidigung Schippers' geschrieben).
Ich weiß aber, dass die Anti-Doping-Bemühungen des Verbandes mangelhaft sind und die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass Sportler das ausnutzen und dopen.

Was ist meine Alternative zu einer "Pflicht zur Skepis" und sich eventuell daraus ergebenen radikalen Konsequenzen ("abschalten")?
Der Glaube an das Gute im Athleten!
Reicht das?


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - RalfM - 23.12.2015

(23.12.2015, 18:31)Atanvarno schrieb: Analog informierst du dich, ob beispielsweise in der Leichtathletik umfassend und unabhängig getestet wird. Ist das nicht der Fall, gibt es keine Unterstützung (du beendest das Gespräch). Wird vernünftig getestet, bist du wieder dabei.
Hier besteht ein entscheidender Denkfehler. Man ist emotional ergriffen von der Leichtathletik und interessiert sich anschließend für die Fakten - oder man ist beides nicht. Niemals wird es je geschehen, dass auch nur eine einzige Person das Procedere des Doping-Testens in der Leichtathletik einer gründlichen Analyse unterwirft und hinterher feststellt, Ok: Grün. Für diese Sportart werde ich mich künftig interessieren.


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - MZPTLK - 23.12.2015

Aber aber, das Thema ist doch seit Jahrzehnten virulent.
Ich wundere mich über die Rat- und Phantasiearmut.
Jeder kann viel tun, zum Beispiel
- Bewegungsmuster von Gedopten nicht zum Masstab nehmen
- darauf hinwirken, dass persönliche Leistungen mehr gewürdigt werden und nicht immer nur Medaillen.
- Entwicklung von Persönlichkeit, Charakter und Authentizität höher bewerten als Erfolg um jeden Preis.

Auch wenn das den Medaillenzählern und manchen Medien nicht gefällt.

Zur schizophrenen Pragmatik:
Beim Leichtathletikschauen immer das Beste hoffen und gleichzeitig das Schlimmste einkalkulieren.
Das erfordert einige Übung, ich weiss.


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - Atanvarno - 23.12.2015

@RalfM
Ich bin emotional ergriffen von der Leichtathletik und ich interessiere mich für die Fakten. Und gerade deshalb frage ich mich, ob es nicht meine Pflicht wäre, mich blutenden Herzens abzuwenden, damit sich was ändert?

--edit
wenn ich das tue, was MZPTLK vorschlägt ändert sich das, von dem ich möchte, dass es sich ändert (die Strategie der Sportorganisationen) nicht, weil ich trotz allem weiter hinschaue/unterstütze

--noch ein edit
an vielen anderen Stellen ist es normal Organisationen/Firmen die Unterstützung zu entziehen (=keine Produkte mehr kaufen), wenn man eine Strategieänderung herbeiführen möchte
Leider gibt es keinen alternativen LA-Verband, der eine mir genehmere Version des Produktes anbietet


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - RalfM - 23.12.2015

(23.12.2015, 21:03)Atanvarno schrieb: @RalfM
Ich bin emotional ergriffen von der Leichtathletik und ich interessiere mich für die Fakten. Und gerade deshalb frage ich mich, ob es nicht meine Pflicht wäre, mich blutenden Herzens abzuwenden, damit sich was ändert?
Es gibt ja keine andere Leichtathletik und keinen anderen Verband. Wir Freunde der LA können nur weiter zusammenglucken.

Nichts kann man erzwingen. Die LA ist für Doping anfällig, und wird nie frei davon sein. Das ist ein Teil des Spiels. Aber alle in irgendwelchen Positionen innerhalb der LA (das ist in D der DLV mit seinen LV's und alle darin organisierten Vereine) können klarstellen, dass wir ehrlichen Sport ohne Doping wollen.

Von oben (da fällt mir gleich Thomas Bach ein) wird das niemals gehen, und schon gar nicht mit gesetzlich vorgeschriebenen staatlichen Maßnahmen. Das wäre der Tod des Sports. Alles geht immer nur von unten und mit Geduld.


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - MZPTLK - 23.12.2015

(17.06.1970, 23:16)Atanvarno schrieb: ...n vielen anderen Stellen ist es normal Organisationen/Firmen die Unterstützung zu entziehen (=keine Produkte mehr kaufen), wenn man eine Strategieänderung herbeiführen möchte
Leider gibt es keinen alternativen LA-Verband, der eine mir genehmere Version des Produktes anbietet

Warum wirst Du nicht in der Verbandsarbeit aktiv?
Ein alternativer Verband könnte/würde wohl kaum für sich(unabhängig von internationalen Verbänden ) operieren können/wollen.
Ausserdem stellt sich sofort die Frage nach der Finanzierung.

Träumen darf man allerdings, z.B. von ein paar völlig integren Millionären,
die einen 'alternativen', national begrenzten Verband gründen und beherrschen,
denn wenn es demokratisch sein soll, wird alles aufgeweicht.
Und dann haben wir irgendwann wieder die alten Zustände.

Solange es 1. um Menschen geht, die 2. im Wettkampf gewinnen wollen
und das 3. bei möglichst grosser Medienresonanz, besteht die Gefahr von UM-Machenschaften.
Das Konkurrenzprinzip beschwört das immer wieder herauf.

Man muss das Problem von unten, von innen und von oben angehen,
wohl wissend oder ahnend wie Sisyphus, dass man nie das Erstrebte erreichen wird.


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - Pollux - 24.12.2015

(23.12.2015, 18:43)Atanvarno schrieb: Was ist meine Alternative zu einer "Pflicht zur Skepis" und sich eventuell daraus ergebenen radikalen Konsequenzen ("abschalten")?
Der Glaube an das Gute im Athleten!
Reicht das?


Du unterschätzt die öffentliche Übereinkunft, dass man den Sport nur unter Bedingungen der Integrität zu akzeptieren bereit ist. Aus diesem Grund kannst du in Zukunft mit einem latent hohen medialen Druck auf Institutionen rechnen. Dies entlastet dich zugleich von zu viel Verantwortung. 

Was den Glauben an das Gute betrifft, sehe ich eine unbedingte Pflicht zur Skepsis: die gegenüber der Skepsis!   Wink


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - Hellmuth K l i m m e r - 24.12.2015

(23.12.2015, 21:03)Atanvarno schrieb: ... an vielen anderen Stellen ist es normal, Organisationen/Firmen die Unterstützung zu entziehen (=keine Produkte mehr kaufen), wenn man eine Strategieänderung herbeiführen möchte.


Leider ist aber oft der niedrige Preis das ausschließliche Kriterium für die Konsumenten.
Ich persönlich ertappte mich wegen dieser Haltung auch. Die Fa. "ATLAS" ("vor men") überschüttete mich mit Prospekten, und ich bestellte mehrfach die sehr gut verarbeiteten Bekleidungen. Bis ich erkannte: Die Fa. lässt in Bangladesh fertigen - und zahlt Hungerlöhne. Teufel
Das veranlasste mich schon, nichts mehr zu bestellen.  A b e r  werden wir denn auch den LA-Verband wechseln können, oder wenigstens "nicht mehr hingehen"? Huh

H. Klimmer / sen.


RE: Keiner ist unschuldig: Die Rolle des Zuschauers im Doping-Dilemma - MZPTLK - 24.12.2015

Was ist das fürn Schwachsinn, nicht mehr hingehen?
Was wollen die Wegbleibenden dem DLV damit sagen?

Habt doch mal die Eier und kommuniziert mit den Verantwortlichen und den Medien mutig, klar und konstruktiv!