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Dehnbarkeit und Sprint - Druckversion

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+--- Thema: Dehnbarkeit und Sprint (/showthread.php?tid=1134)

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Dehnbarkeit und Sprint - icheinfachma - 26.06.2015

Hallo Forum!

Die Beinstreckung in der Vorschwungphase des Vmax-Sprints (Bild 1) sollte nicht aktiv gesteuert werden, sondern passiv durch Auspendeln des Unterschenkels infolge dessen Trägheit bei gleichzeitiger Absenkung des Oberschenkels passieren, da eine erzwungende Streckung zu Overstriding und Beinbeugerzerrungen führen kann. Eine möglichst große Beinstreckung ist möglich, um das Bein möglichst gestreckt aufzusetzen. Das wiederum ist notwendig, um nicht zu weit vor dem Körperschwerpunkt zu landen (Bild 2) und andererseits, weil bei einem gestreckten Knie die Kniesteifigkeit verbessert wird, die für kurze Bodenkontaktzeiten notwendig ist.

Ich glaube, dass es, um eine vollständige Beinstreckung zu erreichen, unter anderem nötig ist, eine gewisse Beweglichkeit in den ischiocruralen Muskeln (Beinbeuger) zu besitzen. Damit meine ich nicht eine extreme Beweglichkeit, vermute aber, dass eine unterdurchschnittliche Beweglichkeit (siehe Bild 3) diese Streckung hemmen kann.

Am Beispiel von Carmelita Jeter sieht man sowohl anhand der Dehnübung (Bild 4), als auch an ihrer Ausführung des B-Skippings (Bild 5), dass sie eine gute Beweglichkeit in den Ischios besitzt. Man beachte, dass ihr bei bem B-Skipping die Beinstreckung trotz gewisser anteriorer Beckenkippung (Becken schaut nach unten) möglich ist. Bei einer vertikalen Ausrichtung der Sprinttechnik (Kniehub mit Unterfersen und anschließende Konzentration auf die Abwärtsbeschleunigung, nicht aber auf ein nach hinten Ziehen oder Drücken des Beines) ergibt sich laut einschlägiger Autoren die entsprechende Bewegung von selbst, auf die Rolle der Beweglichkeit wird hingegen nicht eingegangen.

Usain Bolt hat eine minimal geringere Beweglichkeit (Bild 6 - ein ähnlicher Winkel wie bei Jeter wird nur durch Bolts Beckendrehung erreicht) und zeigt eine minimal geringere Beinstreckung im Sprint (Bild 7). Sven Knipphals zeigt eine vergleichbare Streckung (Bild 8) und erreicht im abgebildeten Beweglichkeitstest nach eigenen Angaben passiv 100°.

Ich erreiche nur eine geringere Beinstreckung im Sprint. Meine passive Beweglichkeit für die besagte Übung liegt jedoch nur bei 85°.

Eure Vermutungen dazu interessieren mich. Eine weitere Frage lautet: Welche Erfahrung habt ihr beim Muskeldehnungstraining gesammelt - Wie schnell kann man womöglich wieviel Grad an range of motion gewinnen, würdet ihr statisches oder dynamisches Dehnen verwenden, wie oft pro Woche würdet ihr dehnen und wann würdet ihr die Dehneinheiten im Trainingsgesamt platzieren?

Wunderbarste Grüße
icheinfachma


RE: Dehnbarkeit und Sprint - icheinfachma - 26.06.2015

Hier der Rest:


RE: Dehnbarkeit und Sprint - Hellmuth K l i m m e r - 26.06.2015

Hallo, icheinfachma(nn),

deine Sorgen möchte ich haben. Wink

Dein (erneutes) Sinnieren, wie man schneller und beweglicher wird, lohnt sich m.E. nur, wenn man Zeit v e r b e s s e r u n g e n  in den Regionen von 9.8o s bis 9.60 s anstrebt. Willst du das?

Aber zur Notwendigkeit der Muskeldehnung kann ich (als ehem. Hürdenläufer) antworten: Als Kleinstkind, von der Mutter initiiert!, sollte das beginnen. Die  s o  gewonnene Beweglichkeit erhält sich gut, bes. wenn man in seinem diesbezüglichen Bemühen nicht nachlässt ...
Passives Dehnen (etwa durch Physiotherapeuten) in der Vorbereitung zu Wettkämpfen (s. deine Abb. 6) sind nicht unbedingt nötig. Es langt, bei der Erwärmung ein gebührendes spezielles gymnastisches Programm zu absolvieren.

(Am Rande bemerkt ein Kuriosum: Wenn ich meinem alten Kollegen Walter  M e i e r  / Zehnkämpfer und gut befreundet mit Martin  L a u e r  glauben kann, so war der Weltrekordler M. L. nicht besonders beweglich. Angeblich konnte er beim Rumpfvorbeugen seine Fußspitzen nicht erreichen. Huh )

H. Klimmer / sen. 


RE: Dehnbarkeit und Sprint - icheinfachma - 26.06.2015

Was meine Frage nicht beantwortet. Man kann auch versuchen, seine Technik zu perfektionieren, wenn man nicht 9,60 laufen kann. Es wäre ja auch sehr sinnvoll, nicht von Anfang an sowohl Kondition als auch Technik zu trainieren. Es gibt im internationalen und auch im nationalen Spitzenbereich jede Menge Sprinter mit sehr guter bis exzellenter Lauftechnik, die tw. über eine Sekunde von Zeiten im Bereich 9,6-9,8 entfernt sind. Ich erwünsche mir also Beiträge über das Wie der Technik und nicht über das Ob derselben. Und zu Zeiten, als Lauer aktiv war, waren die Sprinter verglichen mit heute technische Laien. Wesentliche Erkenntisse zur Beinmechanik im Sprint stammen erst aus den 90ern bis heute. Die Sportwissenschaft wurde im großen Stil erst in den 70ern aufgezogen, vorher war es eine Randdisziplin.


RE: Dehnbarkeit und Sprint - Hellmuth K l i m m e r - 28.06.2015

(26.06.2015, 21:41)icheinfachma schrieb: Und zu Zeiten, als Lauer aktiv war (50er Jahre; Ergä. hek) waren die Sprinter verglichen mit heute technische Laien.
Wesentliche Erkenntisse zur Beinmechanik im Sprint stammen erst aus den 90ern bis heute.
Die Sportwissenschaft wurde im großen Stil erst in den 70ern aufgezogen, vorher war es eine Randdisziplin.
Zumindest Martin Lauer war (bes. als Hürdensprinter) ein technisch perfekter Athlet.

Und deine Meinung zur "Beinmechanik" im Sprint kann ich  s o  auch nicht teilen; ich jedenfalls wurde schon als Student in Leipzig Anfang der 60er Jahre mit der Biomechanik des Sprints (Prof. HOCHMUTH) traktiert. Tongue


"Sportwissenschaft" - erst seit den "70ern"? Da muss ich wohl zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sein.HuhUndecided

Und überhaupt glaube ich, dass du zwar sehr belesen und diskussionsfreudig bist  a b e r  nicht die Leistungen der Sportwissenschaft(ler) der Vergangenheit richtig einschätzt.
(Die sowjetische Sportwissenschaft(ler) in Leningrad und Moskau war der/den in D. in den 50er ... 60er Jahren weit voraus.)

H. Klimmer / sen.


RE: Dehnbarkeit und Sprint - Spacemarine - 28.06.2015

Also ich bin der Meinung, dass man mit statischen Dehnübungen (allerdings schon so 1 Minute am Stück) durchaus gute und recht schnelle Fortschritte bzgl. der Beweglichkeit machen kann.

Was die Dehnung des Beinbeugers angeht, dehnt man den aber eher mit leicht gebeugtem Knie.
Die Beweglichkeit bei durchgestrecktem Bein wird bei mir jedenfalls gefühlt eher durch die Bänder hinterm Knie und die Waden limitiert...

Außerdem bin ich nicht sicher, ob man wirklich davon ausgehen kann, dass eine komplette Beinstreckung sein muss. 
Yohan Blake macht es, Justin Gatlin z.B. definitiv nicht. Er läuft mit recht deutlich gebeugten Beinen.
Ähnlich wie bei extremen front mechanics gibt es Leute die auch ohne dies erfolgreich sind.
Die Unterschiede im Körperbau scheinen oft zu deutlichen Abweichungen von angeblich idealer Technik zu führen.

https://www.youtube.com/watch?v=E8Y7IEbDg-4

Hier ist ein weiteres bemerkenswertes Beispiel dafür. Normalerweise wird gepredigt, dass ein sehr hoher Kniehub für Topspeed sein muss, was auch irgendwie Sinn macht, wenn man sich die Wissenschaft dahinter ansieht.
Aber ab 4:00 sieht man von vorne eindeutig, dass Bromell (neben tyson gay) einen sehr deutlich geringeren Kniehub hat als die meisten Weltklasse Sprinter...rennt trotzdem unfassbare Zeiten.


RE: Dehnbarkeit und Sprint - icheinfachma - 28.06.2015

(28.06.2015, 19:21)Hellmuth K l i m m e r schrieb: Und deine Meinung zur "Beinmechanik" im Sprint kann ich  s o  auch nicht teilen; ich jedenfalls wurde schon als Student in Leipzig Anfang der 60er Jahre mit der Biomechanik des Sprints (Prof. HOCHMUTH) traktiert. Tongue

Das sieht man an den Sprintern der damaligen Zeit...


RE: Dehnbarkeit und Sprint - Hellmuth K l i m m e r - 28.06.2015

(28.06.2015, 20:01)icheinfachma schrieb:
(28.06.2015, 19:21)Hellmuth K l i m m e r schrieb: Und deine Meinung zur "Beinmechanik" im Sprint kann ich  s o  auch nicht teilen; ich jedenfalls wurde schon als Student in Leipzig Anfang der 60er Jahre mit der Biomechanik des Sprints (Prof. HOCHMUTH) traktiert. Tongue

Das sieht man an den Sprintern der damaligen Zeit...
Immerhin: Heinz Erbstößer ---> 10.1 s / 10.28 s / 20.8 s - 1968 Smile
                Staffel: 38.72 s - 1968, und bei der O.auscheidg. 1964
                in W.berlin: Sieg über BRD. Thumb_up

H. Klimmer / sen.


RE: Dehnbarkeit und Sprint - icheinfachma - 28.06.2015

(28.06.2015, 20:30)Hellmuth K l i m m e r schrieb: Immerhin: Heinz Erbstößer ---> 10.1 s / 10.28 s / 20.8 s - 1968 Smile
                Staffel: 38.72 s - 1968, und bei der O.auscheidg. 1964
                in W.berlin: Sieg über BRD. Thumb_up

H. Klimmer / sen.

Was hat das mit ihrer Technik zu tun? Lies dir mal was zur Sprinttechnik durch und studiere die heutigen Weltklasseprinter, dann weißt vielleicht, was ich meine mit technischen Laien. Dann wirst du auch feststellen, dass die wesentlichen Erkenntnisse über Sprinttechnik aus den 90ern und später stammen. Das findet man hingegen nicht heraus, wenn man vor 30 Jahren die letzte biomechanische Publikation (wenn überhaupt jemals) gelesen hat.


RE: Dehnbarkeit und Sprint - icheinfachma - 28.06.2015

(28.06.2015, 19:27)Spacemarine schrieb: Also ich bin der Meinung, dass man mit statischen Dehnübungen (allerdings schon so 1 Minute am Stück) durchaus gute und recht schnelle Fortschritte bzgl. der Beweglichkeit machen kann.

Was die Dehnung des Beinbeugers angeht, dehnt man den aber eher mit leicht gebeugtem Knie.
Die Beweglichkeit bei durchgestrecktem Bein wird bei mir jedenfalls gefühlt eher durch die Bänder hinterm Knie und die Waden limitiert...

Außerdem bin ich nicht sicher, ob man wirklich davon ausgehen kann, dass eine komplette Beinstreckung sein muss. 
Yohan Blake macht es, Justin Gatlin z.B. definitiv nicht. Er läuft mit recht deutlich gebeugten Beinen.
Ähnlich wie bei extremen front mechanics gibt es Leute die auch ohne dies erfolgreich sind.
Die Unterschiede im Körperbau scheinen oft zu deutlichen Abweichungen von angeblich idealer Technik zu führen.

https://www.youtube.com/watch?v=E8Y7IEbDg-4

Hier ist ein weiteres bemerkenswertes Beispiel dafür. Normalerweise wird gepredigt, dass ein sehr hoher Kniehub für Topspeed sein muss, was auch irgendwie Sinn macht, wenn man sich die Wissenschaft dahinter ansieht.
Aber ab 4:00 sieht man von vorne eindeutig, dass Bromell (neben tyson gay) einen sehr deutlich geringeren Kniehub hat als die meisten Weltklasse Sprinter...rennt trotzdem unfassbare Zeiten.

Justin Gatlin weißt keine größere oder kleinere Beinstreckung auf als Bolt oder Jeter. Auch diese haben übrigens bei weitem keine vollständige, was ich auch nicht geschrieben habe. Nur sollte sie eben nicht zu klein sein, die Gründe dafür habe ich wiedergegeben. Trayvon Bromell hat keinen geringen Kniehub. Für die Beurteilung dessen ist ein Video von vorn nicht gerade geeignet, es gibt entsprechend weiteres Material auf Youtube. Ein geringer Kniehub war und ist nicht von Vorteil.