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Fehlende Leistungsdichte Mittelstrecke - Ursachen? - Druckversion +- Leichtathletikforum.com (https://leichtathletikforum.com) +-- Forum: Leichtathletikforen (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=1) +--- Forum: Leichtathletik allgemein (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=2) +--- Thema: Fehlende Leistungsdichte Mittelstrecke - Ursachen? (/showthread.php?tid=5397) |
RE: Fehlende Leistungsdichte Mittelstrecke - Ursachen? - Gatsby - 27.07.2023 Ich frage mich, ob hinreichend bei der Trainingsgestaltung verstanden wird, dass es durchaus verschiedene Phänotypen des 800 m Läufers im Bereich 1:41 - 1:43 gibt. Bsp für 400 / 800 m Typ: Juantorena, Billy Konchellah, David Rudisha (diese können die 400 dann aber auch in mind. 45 sec laufen) Bsp für "reinen" 800 Typ mit einer 400 er Zeit zwischen 46 - 47 und einer 1500 mind. in 3:37 o.3:38: Joaqim Cruz, Kipketer, vielleicht Johnny Gray Bsp für den ausdauerbasierten 800 / 1500 m Typ mit einer 400 m-PB von max. 47 oder 48 s: Coe, Cram, Peter Elliot, Jake Wightman Die vorgenannten haben alle ihre Stärken und Schwächen. Trainiert man einen bestimmten Phänotyp methodisch wie einen anderen so werden die Ergebnisse vermutlich nicht überzeugen. RE: Fehlende Leistungsdichte Mittelstrecke - Ursachen? - frontrunner800 - 27.07.2023 Viele machen einfach zuviel gang shit anstatt gescheit zu trainieren – ihnen ist es wichtiger, wie sie aussehen, anstatt hart zu trainieren und schnell zu sein ![]() RE: Fehlende Leistungsdichte Mittelstrecke - Ursachen? - Reichtathletik - 27.07.2023 (27.07.2023, 19:04)Gatsby schrieb: Ich frage mich, ob hinreichend bei der Trainingsgestaltung verstanden wird, dass es durchaus verschiedene Phänotypen des 800 m Läufers im Bereich 1:41 - 1:43 gibt.Ich glaube ganz genau dies ist ein Kernproblem. Wir haben Trainer im Hochleistungsbereich die die eine oder andere Art für "richtig" halten und zum Teil hat man den Eindruck lieber Recht behalten wollen als jeden Athleten individuell zur Bestleistung zu bringen. Aber noch viel mehr stecken wir junge Talente bereits frühzeitig und oft ohne ausreichende Informationen in die eine oder andere Schublade. Und oft findet kein langfristiger Plan statt: Wo will ich mal hin, welche Schwächen müssen dafür angegangen werden in der Jugend, welche Stärken ausgebaut. Oft wird direkt auf die Stärke gesetzt und dann ist kein Potential nach der U20 mehr da. Und dann werden im wirst Case dann die Schwächen angegangen und die Substanz ganz verballert. Bei Trainerwechseln wird manchmal von einem System ins andere gewechselt. Ich denke, es müsste viel mehr darauf geachtet werden, hat ein Athlet bisher trainiert oder noch viel besser vorausschauend: wie soll er Mal trainieren. Schaut man in die Breite wird oft von U18 bis Hauptklasse das gleiche gemacht. Ich könnte mir vorstellen, dass war früher anders, auch weil Trainer-Athleten-Gespanne länger zusammen gearbeitet haben. Ich denke es ist kein Zufall dass die derzeit besten deutschen Mittelrstreckler*innen fast alles Leute waren, die seit der Jugend bis in die Hauptklasse von einer Person betreut wurden: Hering, Kolberg, Farken... RE: Fehlende Leistungsdichte Mittelstrecke - Ursachen? - Tom1966 - 27.07.2023 Moin in die Runde, schön, dass der Diskurs wieder im Gang ist, er hatte etwas die Richtung verloren... Die ursprüngliche Problemstellung von siebenschläfer war ja, -dass De in der absoluten Spitze hinterherläuft -und in der Breite der Spitze Probleme hat Erklärungsversuche, dass den Athleten der Biss fehle oder sie sich mehr mit ihrem medialen Auftritt als dem Training beschäftigen, führen wohl kaum weiter. Wer heute als junger Mensch täglich trainiert und sich gerade in der Leichtathletik dem Wettbewerb stellt, ist genauso ernsthaft bei der Sache und motiviert wie die Athleten vor 20 oder 40 Jahren - Generation Z hin oder her. Ich habe mich mal der Mühe unterzogen, zumindest innerhalb De etwas Empirik zu betreiben, denn man könnte die Fragestellung ja erweitern auf die chronologische Entwicklung der Zeiten innert De einerseits und den Abstand der De Spitze zur internationalen Spitze andererseits. Letzteres wäre aber ein deutlich höherer Aufwand, zu vergleichbaren Zahlen zu kommen (kann ja jemand anderes machen). Ich führe die Datenpakete für De im folgenden auch nur ausschnitthaft an (bin zu faul zum Abschreiben ![]() 1. Meine Datengrundlagen sind stichpunktartig die Jahre 2001 und 2022 (leider fehlten mir die Bestenlisten aus den 1980er Jahren), in der U18 U20 U23 jeweils M und W jeweils 800 m - 3000 m bzw. 5000 m und jeweils die 10 besten Leistungen des Jahres Als weitere Bezugsebene habe ich die ewige bundesdeutsche Bestenliste vergleichend betrachtet. In der ewigen Bestenliste habe ich unter den jeweils 10 Besten zusätzlich die Anzahl der Leistungen vor 2000 und nach 2000 betrachtet und ausgezählt. Die U23 ist natürlich für die internationale Fragestellung irrelevant, da die Spitze auf den Mittelstrecken bereits aber der U20 mächtig nach vorn geht. Der Vergleich bringt im Grunde nichts. 2. Ergebnisse -das Niveau der Leistungen in den jeweiligen Altersstufen ist in der Breite erstaunlich oft vergleichbar, sowohl bei M wie W -zu den Ausreißern gehören die Männer in der U18, die 2022 deutlich schlechter abschneiden als 2001 -bei den Frauen sind die U20 im Jahr 2022 tendentiell besser als 2001 -ich vermute aus der Erinnerung heraus, dass sich die Werte der 1980er Jahre auch nicht sonderlich unterscheiden -die ewige Bestenliste zeigt sowohl bei M wie W deutlich auf, dass die absolute Spitze vor 2000 deutlich besser war als nach 2000 (Ausnahme K. Klosterhalfen): Männer 800 m 1:43,65 - 1:44,72 1978-2000 (7) 2001-2023 (3) 1500 m 3:31,58 - 3:33,74 1980-2000 (7) 2001-2023 (3) 3000 m 7:30,50 - 7:45,05 1977-2000 (6) 2001-2023 (4) 5000 m 12:54,70 - 13:13,88 1976-2000 (7) 2021-2023 (3) Frauen 800 m 1:55,26 - 1:57,57 1976-2000 (10) 2001-2023 (0) 1500 m 3:57,71 - 4:01,4 1976-2000 (9) 2001-2023 (1) 3000 m 8:20,07 - 8:44,65 1982-2000 (7) 2001-2023 (3) 5000 m 14:26,76 - 15:07,62 1991-2000 (5) 2001-2023 (5) Das bedeutet natürlich auch, dass sich bei M und W der Abstand zur internationalen Spitze bis heute noch einmal eklatant vergrößert hat. 3. Fazit Wenn man unterstellt, dass die Rahmenbedingungen (Sportstätten, Vereine, Physio, medizinische Btereuung, Leistungsdiagnostik) und Lebensumstände, die Ernährung und das Material vor und nach 2000 vergleichbar waren bzw. sich eher im Laufe der Zeit verbessert haben, geht der Blick natürlich in Richtung Trainingskonzepte. Die Auswertung hinterlegt ja nur das, was ohnehin auf der Hand liegt - und bedeutet, dass die Trainingskonzepte sich jedenfalls nicht zum Positiven entwickelt haben können. Wenn ich an meine Aktivenzeit in den 1980ern zurückdenke, erstaunt mich das doch sehr. Umso mehr, als es ja Länderunterschiede gibt. Man denkt direkt an ein systemisches Problem, aber dazu fehlen mir jedwede Einblicke, um das beurteilen zu können. Unsere damaligen Probleme der Trainingskonzepte (die die meisten meiner Mitstreiter und mich selbst nach der U20 abgeschossen haben) waren aus der Erinnerung: -keine vernünftige Periodisierung -kein systematischer Saisonaufbau -Gruppentraining nach Rahmentrainingsplan (selbst für Platzierte bei DM Jugend), dh keine ausreichende Individualisierung -TL nicht nach Zielzeiten, sondern nach den Gruppenschnellsten oder nach Gefühl (oftmals "all in") -damit war das Training der Wettkampf -keine ausreichende Modulierung der Belastung: nach harten Bahnprogrammen am nächsten Tag DL-Programme in 3:40er-4:00-Schnitt über 2 x 10 oder 15 Km bzw. das gesamte Pensum Ausdauergrundlage einheitlich zu schnell Der letzte Punkt erscheint mir heute der eklatanteste zu sein. Nach diesem etwas unsortierten, aber hoffentlich verständlichen Erguß wünsche ich allseits guats Nächtle, Tom RE: Fehlende Leistungsdichte Mittelstrecke - Ursachen? - X800 - 28.07.2023 (27.07.2023, 23:05)Tom1966 schrieb: Moin in die Runde,Sehr guter Post, der sich in den Erkenntnissen/Vermutungen mit meinen deckt. Wie du bereits sagst, kann es nicht am Talent oder Willen liegen. Es gibt keinerlei Grundlage anzunehmen, dass die Athleten von heute weniger talentiert sind. Vermutlich haben wir weniger Talente durch die bekannte Breiten-Spitzen-Thematik. Dennoch sind Toptalente zur Genüge vorhanden. Hinzu kommt, und hiermit lehne ich mich weit aus dem Fenster, dass man nicht zwingend bis in die Haarspitzen talentiert sein muss, um 1:46/45/44 zu laufen. Meiner Meinung nach ist der Weg nur ein anderer als jener für ein Talent. Dazu ist die Talentfrage auch immer eine müßige. Wer hat mehr Talent? Der Athlet, der wenig trainiert und sehr gute Ergebnisse liefert, bei höherer Intensität aber verletzt ist oder der Athlet, der viel trainieren muss, gleiche Ergebnisse (vielleicht sogar bessere liefert) aber sehr belastbar zu sein scheint? Ich sehe in GER diesen Begriff leider zumeist über Ersteres definiert. Das Thema "Wille" möchte ich gar nicht aufgreifen. Wer sich in der heutigen Zeit entscheidet den Weg des Trainings dieser harten Strecken zu gehen wird Willen mitbringen. Drei Dinge bleiben für mich übrig, die ich für mich einfach mal ganz unprofessionel aus dem Bauch heraus Gewichten wollen würde: - Trainingsmethodik (50%) - Gesellschaft (30%) - Ernährung (20%) Ich würde hierauf gerne näher eingehen, habe aber aktuell gerade etwas wenig Zeit und tippe mir die Finger am Handy wund. Ein anderes Mal. RE: Fehlende Leistungsdichte Mittelstrecke - Ursachen? - siebenschläfer - 28.07.2023 (27.07.2023, 23:05)Tom1966 schrieb: 3. FazitSehr guter Beitrag, dem ich zustimme. Ich glaube aber, dass die geringer werdene Zahl an Sub-Elite-Wettkämpfen, die hier auch schon mehrfach gefallen ist, nicht komplett unter den Tisch fallen sollte. RE: Fehlende Leistungsdichte Mittelstrecke - Ursachen? - X800 - 28.07.2023 (28.07.2023, 16:01)siebenschläfer schrieb:Das ist mir leider auch als Punkt durchgegangen. Absolut wichtig aufzuführen. Die aktuelle Situation gibt leider zudem jedem Athleten die Möglichkeit zur Ausrede wenige Wettkämpfe zu machen. Und ich muss ehrlich sagen, was ich teilweise an Renntaktik/taktischem Verständnis auf der Bahn sehe, lässt mich oft erschrocken zurück.(27.07.2023, 23:05)Tom1966 schrieb: 3. FazitSehr guter Beitrag, dem ich zustimme. Ich glaube aber, dass die geringer werdene Zahl an Sub-Elite-Wettkämpfen, die hier auch schon mehrfach gefallen ist, nicht komplett unter den Tisch fallen sollte. Eine Sache hat sich aber zu meiner Zeit wieder deutlich gebessert: Man geht sich nicht mehr so sehr aus dem Weg und läuft auch auf nationalem und intern. Boden gegeneinander. RE: Fehlende Leistungsdichte Mittelstrecke - Ursachen? - TranceNation 2k14 - 28.07.2023 (28.07.2023, 16:43)X800 schrieb: Eine Sache hat sich aber zu meiner Zeit wieder deutlich gebessert: Man geht sich nicht mehr so sehr aus dem Weg und läuft auch auf nationalem und intern. Boden gegeneinander. Gegeneinander oder miteinander? RE: Fehlende Leistungsdichte Mittelstrecke - Ursachen? - X800 - 28.07.2023 (28.07.2023, 16:53)TranceNation 2k14 schrieb:Tatsächlich beides. Ich hatte das Gefühl gegeneinander zu laufen wurde vermieden- einander Tempo zu machen kam nahezu nicht in Frage. Es gab nur wenige Ausnahmen.(28.07.2023, 16:43)X800 schrieb: Eine Sache hat sich aber zu meiner Zeit wieder deutlich gebessert: Man geht sich nicht mehr so sehr aus dem Weg und läuft auch auf nationalem und intern. Boden gegeneinander. RE: Fehlende Leistungsdichte Mittelstrecke - Ursachen? - Tom1966 - 29.07.2023 Moin in die Runde, um die etwas erlahmende Debatte wieder aufzugreifen: ich bin auf einen ganz interessanten Artikel von Herbert Steffny gestoßen, der vor einigen Jahren die Situation im Marathonlauf dargestellt und anhand eines Vergleichs in Deutschland und International zwischen 1985 und 2005 analysiert hat. =11.0pthttp://www.herbertsteffny.de/artikel/marastat.htm Im Grunde kommt er zu vergleichbaren Ergebnissen im Marathon wie sie hier schon zur Mittelstrecke geteilt wurden, er hat aber natürlich die etwas positivere Entwicklung der letzten Jahre noch nicht erfasst. Seine Analyse teile ich nicht bzw nur sehr bedingt, er führt ja etwa das Erklärungsmuster der zu weichen Athleten der jüngeren Generationen an, an das ich überhaupt nicht glaube. Ich war zunächst auch versucht, die Weltranglisten etwa der Leichtathletik und des Triathlons einmal zu vergleichen, aber der Vergleich hinkt, weil auf den Mittelstrecken die afrikanischen Läuferinnen alles beherrschen, während Triathleten aus Afrika in der Weltrangliste aus naheliegenden Gründen nicht vorkommen. Trotzdem spannend: über 800 m und 1500 m haben wir je 1 Athleten in den Top 100 (Plätze 95 und 81) und 2 respektive 4 Athletinnen (Plätze 27 und 37 resp. 25, 54, 89 und 96). Im Triathlon bei den Männern 14 Platzierungen zwischen Platz 7 und 88, bei den Frauen 11 Platzierungen zwischen Platz 1 und Platz 100. Aber noch mal zurück zu meiner bereits geäußerten Frage der Trainingskonzepte, die ich für die Kernfrage halte. Ich kann mir bei der Indivualisierung der Spitzenmittelstreckler bezüglich TuT, Trainingsgruppen, internationale Kontakte, regelmäßige und lange Aufenthalte in Höhentrainingslagern etc. eigentlich kaum vorstellen, dass es da Geheimnisse gibt oder an den deutschen Läufern Dinge vorbeigehen, die die anderen wissen. Oder sind bei und aus wie auch immer gearteten Gründen gewisse Trainingsgrundprinzipien kollektiv "gesetzt, die längst auf den Prüfstand gehörten? Hier im Forum wurde einmal geäußert, dass das im Langsprint der Fall zu sein scheint. |