Wurzeln des Sprinterfolgs auf Jamaika - Druckversion +- Leichtathletikforum.com (https://leichtathletikforum.com) +-- Forum: Leichtathletikforen (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=1) +--- Forum: Leichtathletik allgemein (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=2) +--- Thema: Wurzeln des Sprinterfolgs auf Jamaika (/showthread.php?tid=1507) |
RE: Wurzeln des Sprinterfolgs auf Jamaika - icheinfachma - 22.11.2015 (21.11.2015, 13:46)MZPTLK schrieb: Ich predige seit Urzeiten, dass man genau hinsehen muss, was für Bewegungen und Leistungen ohne UM möglich sind Ich schließe mich dem Verdacht an, dass in Jamaica heftig gedopt wird, wenngleich die Menschen dort auch talentierter sind als in manch anderem Teil der Welt. https://www.youtube.com/watch?v=oD2pbpibmlg Aber dass man eine sehr gute Technik nicht ohne Doping erreichen kann, ist schlicht und ergreifend falsch. Wer auch nur ein Fünkchen biomechanischen Verstand hat, versteht, dass es sich mit der richtigen Technik leichter läuft und sie keine besondere Kraft verlangt. Ich habe mit eigenen Aufgen einige deutsche Nachwuchssprinterinnen gesehen, die technisch sehr gut laufen und ihren Sprintzeiten nach weit von der Weltspitze entfernt sind. Doch auf diesem kräftemäßigen Niveau ist es schon möglich, technisch sehr gut zu laufen. Hinzufügen möchte ich, dass auch meine Wenigkeit mittlerweile mit einer Lauftechnik läuft, die im Bewegungsablauf der vmax-Technik der Weltspitze entspricht (Nachholebedarf besteht bei mir typischerweise natürlich noch in der Fußgelenksstabilität), und das, obwohl ich meilenweit vom Leistungssport entfernt bin. Die Technik fühlt sich auch in keinster Weise schwächer oder dergleichen an, sondern läuft vollkommen rund und natürlich ab, sehr locker und ohne großen Kraftaufwand. Diejenigen, die nichts von Biomechanik verstehen und somit nicht auf solidem und fundiertem Weg die Vorzüge einer guten Technik verstehen, lassen sich vielleicht von Fallbeispielen aus dem Amateur und Nachwuchsbereich überzeugen. Wer von euch hat es schließlich jemals ausprobiert, so zu laufen? Richtig, alle bleiben stur bei dem, was (in Dt.) schon seit Jahrzehnten so gemacht wird und haben gar nicht immer Erfahrung mit dem, was sie ablehnen. Ich dagegen und zum Glück auch viele andere Leute hingegen lieben es, stetig nach Verbesserungen des Bestehenden zu suchen, nach Mängeln im bereits vorhandenen (insgesamt soliden und effektiven) Methodikbestand Ausschau zu halten und diese abzubauen, indem von den Besten gestohlen, Forschungsergebnisse einbezogen und nicht zuletzt der eigene Verstand auf logisch-kreative Weise eingesetzt werden. RE: Wurzeln des Sprinterfolgs auf Jamaika - icheinfachma - 22.11.2015 In eigener Sache: Übrigens besitze ich nicht die Unverschämtheit, mich als Biomechanikkundigen zu bezeichnen, sondern habe nur Grundkenntnisse in den verschiedenen Teildisziplinen der Sportwissenschaft, aber immer gerade genug, um Forschungsliteratur zu lesen, zu reflektieren (dieser Punkt ist beinahe am wichtigsten und wird von manch einem Absolventn nicht beherrscht) und ins Training umzusetzen. Meinen Schwerpunkt setze ich bewährterweise darauf, bereits vorhandene Methodik (nicht Wissenschaft) der DLV- und sonstigen Leichtathletikliteratur zu lesen, zu verstehen (wobei das bei nichtwissenschaftlichen Quellen nicht schwer ist) und möglichst vieles selbst auszuprobieren. Das sage ich, weil ich den Eindruck habe, von manchen als angehender Wissenschaftler gesehen zu werden, was absolut nicht mein Ziel ist. Mein Bedürnis, Leichtathletik auszuüben, nachdem ich vorher andere Sportarten außerhalb des organisierten Vereinsleben betrieb, war ein praktisches (nicht-wissenschaftliches), ich befinde mich nach wie vor als Amateurleichtathlet in der Perspektive des Anwenders, nicht des Forschers und ich beabichtige, auch dort zu bleiben. Das "normale" Trainerwissen, das jeder Trainer zu erlangen versucht, bildet auch meinen Interessensschwerpunkt (auch wenn ich hier nicht darüber schreibe), nur informiere ich mich über diesen Tellerrand hinaus, indem ich die wiss. Literatur einbeziehe und mir Gedanken über das Trainingsgut mache und dieses hinterfrage. Ich möchte auch mit dem Glauben einiger hier (u.a. H. Klimmer) aufräumen, ich habe vor, nach meinem Studium als hauptberuflicher Trainer zu arbeiten. Das ist überhaupt nicht mein Anspruch und Ziel , sondern ich studiere Lehramt für Sport und habe dadurch ganz andere berufliche Ambitionen als ein Sportwissenschaftler. Demnach steht es mir auch völlig frei, wann ich anfange, in der Kinderleichtathletik erste Erfahrungen als Übungsleiter zu sammeln, weil ich in dieser Sache keinen Zeitdruck habe. Mein Studium ist, da ich einige Veranstaltungen vorverlagert habe, zusammen mit meinem eigenen hobbymäßigem, aber dennoch auf meiner persönlichen Ebene ambitionierten Trainings zu zeitraubend, um jetzt noch ÜL zu sein. Dafür habe ich die späteren Semester vorgesehen. Momentan steht mein Sport und mein Studium im Vordergrund. Da ich nach meinem Studium auch noch ein drittes Lehramtsfach zu studieren beabsichtige, werde ich vor Eintritt in das Berufsleben schon noch genug Jahre haben, um mit der ÜL-Tätigkeit zu beginnen. Ich werde mich noch ÜL-mäßig hocharbeiten; wie weit, wird sich zeigen. RE: Wurzeln des Sprinterfolgs auf Jamaika - Hellmuth K l i m m e r - 22.11.2015 (22.11.2015, 15:30)icheinfachma schrieb: In eigener Sache: ...Jetzt wissen wir genau Bescheid icheinfachma ! Im 5-Minuten-Takt hast du uns jetzt einen Teil deiner Vita dargestellt. Und ich glaube, dass du eines Tages - l a n g e nach Beendigung des Studiums - tatsächlich besser in der Forschung als in der Lehre aufgehoben wärest. Als ehem. Trainer u n d Sportwissenschaftler lass' dir von mir sagen: Heuer ist der Trainerberuf im HLS kein "Zuckerlecken" - auch wenn man nicht s o auf dem Schleudersitz sitzt wie die (häufig entlassenen) Fußballtrainer. Alles Gute weiter bis zur Beendigung deines Studiums (in Köln?) H. Klimmer / sen. RE: Wurzeln des Sprinterfolgs auf Jamaika - icheinfachma - 22.11.2015 (22.11.2015, 16:16)Hellmuth K l i m m e r schrieb: Und ich glaube, dass du eines Tages - l a n g e nach Beendigung des Studiums - tatsächlich besser in der Forschung als in der Lehre aufgehoben wärest. Das werden wir noch sehen. (Nebenbei erwähnt macht mir Forschen keinen Spaß, sondern aufnehmen und umsetzen.) RE: Wurzeln des Sprinterfolgs auf Jamaika - Gertrud - 22.11.2015 (22.11.2015, 16:42)icheinfachma schrieb:(22.11.2015, 16:16)Hellmuth K l i m m e r schrieb: Und ich glaube, dass du eines Tages - l a n g e nach Beendigung des Studiums - tatsächlich besser in der Forschung als in der Lehre aufgehoben wärest. Machen Sie es wie ich! Gehen Sie in den Schulbetrieb, geben vernünftigen LA-Unterricht und engagieren sich "nebenbei" als Trainer! Dann haben Sie die pekuniäre Sicherheit und brauchen keiner Person aus Abhängigkeitsgründen in den H... zu kriechen. Sie müssen sich dann nie verbiegen. Ich finde Ihren Wissensdrang sehr gut. Die Eigenversuche im Sprintbereich sind hilfreich. Gertrud RE: Wurzeln des Sprinterfolgs auf Jamaika - icheinfachma - 22.11.2015 Ja, genau das schwebt mir auch vor. Es gibt auch einige Sportschulen, in denen Sportlehrer neben normalem Schulunterricht auch das Training übernehmen, ob nun im Schüler- oder im Jugendbereich. RE: Wurzeln des Sprinterfolgs auf Jamaika - Gertrud - 22.11.2015 (22.11.2015, 18:06)icheinfachma schrieb: Ja, genau das schwebt mir auch vor. Es gibt auch einige Sportschulen, in denen Sportlehrer neben normalem Schulunterricht auch das Training übernehmen, ob nun im Schüler- oder im Jugendbereich.Ein ehemaliger Referendar von uns hat eine derartige Kombistelle in Bremen inne: Schule und Verband. Gertrud u - icheinfachma - 22.11.2015 Die Jamaikaner und andere Afroamerikaner aus dem Karibikraum und den USA sind übrigens deswegen so schnell, weil sie -höhrere Testosteronspiegel aufweisen. Das geht auf die harte Selektion in der Sklavenvergangenheit zurück, wo schon auf der Überfahrt von Afrika aus die Schwächsten starben. Viele weitere starben unter den harten Lebensumständen und an Überarbeitung in Amerika. Man betrieb regelrechte "Zucht", indem man besonders kräftig gebaute und starke Menschen zusammenführte, um Kinder zu zeugen. Auch, dass man sie für mehr Geld verkaufen konnte, steigerte deren Überlebenchancen. Zudem wurden die besonders aggressiven Sklaven nach Jamaica und Trinidad & Tobago geschafft, was damals so eine Art Strafinsel war. Da es eine Korrelation zwischen Aggressivität und Testoteronspiegel gibt, konzentrierte man auf diesen Inseln Menschen mit hohen Testosteronwerten. Bis heute sind diese deutlich erhöhten Werte, aber auch eine bessere Sauerstoffverarbeitung nachweisbar. Ein zu hoher Testosteronspiegel bringt aber auch Gesundheitsrisiken mit sich. So erkranken Afroamerikaner, insbesondere in Jamaica, besonders häufig an Diabetes und an Prostatakrebs. Quelle: Dokumantation "Survival of the Fastest" des BBC (zu finden auf YouTube) Ein erhöhter Testosteronspiegel bewirkt das, was in der DDR die Anabolika bewirkt haben: Ein Erreichen einer Topleistungsfähigkeit schon früh im Jugendalter und natürlich sehr gute Zeiten später bei den Aktiven. Da auch Fast-Twitch-Fasern zu einer erhöhten Muskelmasse führen, dürfte die Selektion auf kräftige Individuen auch zu einer Zunahme des Anteils von Fast-Twitch-Fasern geführt haben. -weil sie keine Dopinglabore in Jamaica haben und die Proben nach Kanada fliegen müssen. Jamaica als Entwicklungsland ist arm und kann nicht ständig Proben nach Kanada fliegen lassen, was die Möglichkeit einschränkt, in Jamaica auf Doping zu achten. Weiterhin kann sowohl den jamaikansichen Sportlern als auch der Regierung ein Interesse an bloßen Leistungen, egal, wie diese erreicht werden, unterstellt werden: Nur durch den Sprint schafft es die Dritte-Welt-Insel, internationale Aufmerksamkeit und Achtung zu bekommen, der Tourismus allein reicht aufgrund der Konkurrenz anderer karibischer Inseln und weltweit nicht. Die Sportler selbst hingegen betreiben den Sport oft bloß in der Hoffnung einmal berühmt und reich zu werden, wie Bolt, Fraser-Pryce und andere Sportler dieses Kalibers. Stehen "Fame" und Kommerz im Vordergrund, drängt das den Sportgeist zurück. In Jamaica dürfte Leichtathletik für viele kein Hobby, keine Passion sein, sondern Mittel zum Zweck. Nicht zuletzt sollten die Dopingfälle der großen Sprinter aus Jamaica genannt werden: Shelly-Ann Fraser-Pryce, Veronica Campbell-Brown, Sherone Simpson, Asafa Powell, Yohan Blake - alle brachten sehr fadenscheinige Ausreden, u.a. hatten sie das Doping als Mittel gegen Zahnschmerzen genommen, ohne zu wissen, dass es sich um Doping handelt oder wurden von ihrem "Physiotherapeuten" mit Vitamintabletten betrogen, die in Wirklichkeit Dopingpräparate waren. Und bei jedem Dopingfall war der Zusammenhalt und das gegenseitige Mutzusprechen innerhalb der jamaikanischen Sprintelite sehr groß - die dortige Leichtathletikwelt scheint in Sachen Doping genauso verlogen zu sein wie das in der Seppelt-Doku gezeigte Russland oder auch Kenia. Ich warte nur auf seine dritte Doku über Jamaica. (Der jamaikanische Mobb würde ihn dafür cyberlynchen, siehe der Shitstorm gegen Cindy Roleder.) -Die Jamaicaner forschen zwar selbst nichts, dazu fehlt es an Einrichtungen in dem wirtschaftlich sehr rückständigen Land. Doch sie beziehen ihr Know-How aus den USA, die in der Sprintforschung weltweit führend sind, weil sie das einzige Land sind, das nach dem Ende des Kalten Krieges seines sportwissenschaftliche Forschung aufrechterhalten hat (warum, sollte einem zu denken geben; vgl. u.a. mit dem antiken Rom - "Brot und Spiele"). Es werden jamaikanische Trainer in den USA ausgebildet und man macht sich permanent das US-Wissen zunutze. -Die Tatsache, dass so viele Menschen Leichtathletik betreiben und der beschriebene Erwartungsdruck ermöglicht neben Spitzenleistungen auch Leistung in der Breite, insbesondere auch im Anschlussbereich. Das bedeutet, dass Jamaica nicht nur in Staffeln Vorteile hat, sondern auch garantiert zu jedem internationalen Höhepunkt Top-Athleten bereitstehen oder, dass bei Abtreten eines älteren Sprinters sofort Nachwuchstalente "nachwachsen" und die Lücken schließen. Die Masse ist aber weniger für Spitzenleistungen, sondern für Breite und Konstanz der Leistung verantwortlich. -Eine besondere Trainingsmethodik traue ich den dortigen Trainern nicht uneingeschränkt zu. Es werden kaum alle der hundert Trainer genial sein. Das kann also nicht die extremen Leistungen im Nachwuchsbereich erklären. Lediglich die für den "Feinschliff" verantwortlichen Trainer, nämlich Glen Mills und Stephen Francis, legen Hand an dem absoluten Topbereich an und beanspruchen diesen laut der von Gertrud verlinkten Quelle für sich allein. Ich habe ausführliche Interviews der beiden, in der sie über ihr Trainingsprogramm plaudern, von Francis besitze ich sogar den Trainingsplan für die Phase von Oktober bis März. Ich unterstelle ihnen, dass sie genau wissen, dass sie ihr Trainings ausplaudern können, weil sie im Grunde auch nicht anders trainieren als andere. Ihr Vorteil kommt von den beiden erstgenannten Punkten (Genetik und Hustensaft), und da können andere ihr Training kopieren noch und nöcher, die Jamaicaner werden, solange das aktuelle System besteht, immer "die Nase vorn" haben in den internationalen Wettkämpfen. Ich werde gleich noch etwas zur Technik sagen, dieses Problem wurde von Gertrud schon öfters anhand von Einzelfällen angesprochen. RE: Wurzeln des Sprinterfolgs auf Jamaika - icheinfachma - 22.11.2015 Zur Technik: Eine solide Technik zu erlernen ist nicht schwer, wie ich jetzt aus eigener Erfahrung und auch durch Beobachtung diverser anderer sagen kann. Vorausgesetzt ist einige Bewegungsfertigkeit und wie erwähnt die mentale Abgebrühtheit, um bei größter Anstrengung locker zu bleiben. Wer z.B. beim Armdrücken nebenbei erzählen und ganz ungezwungen lachen kann, anstatt das Gesicht zur Faust zu ballen, kann auch 200m lächelnd finishen. Es gibt auch viele Leichtathleten, die das Trainings absolvieren und trotzdem keine Lauftechnik beherrschen, die über die technische Grundschule hinausgeht. Man muss also ganz offenbar gewisse Fähigkeiten mitbringen. Aber es würde sich sicherlich auch vorteilhaft auswirken, wenn man früher beginnen würde, die Lauftechnik zu trainieren. Im von Gertrud verlinkten Artikel wurde dies für Jamaica erwähnt. Man lernt ja die Sprung-, Hürden- und einige Wurftechniken auch schon ganz früh. Im DLV-Buch "Aufbautraining Sprint" wird z.B. das Alter zwischen 11 und 13 als "Goldenes Lernalter" bezeichnet. Und was schlussfolgert das Buch (oder der Chef für Wissenschaft, Ausbildung und Trainerschule des DLV) daraus? Dass man die Techniken des Gewichthebens in diesem Alter lernen sollte, um später technische Fehler zu vermeiden!!! Die Technik des Sprints sollte der Sprinter im Aufbautraining (ab U16) allmählich erlernen. Spinne ich oder läuft da im DLV etwas ganz gewaltig schief? Warum schult man dann im "Goldenen Lernalter" nicht die Sprinttechnik bzw. fängt schon im Kindesalter damit an, so wie mit anderen Techniken? Man hat zwar seit 2009 mehr oder weniger erfolgreich das US-Technik-Know-How (und damit auch das Jamaicas) kopiert (laut DLV "entdeckt"; mein Kommentar: Reichlich zeitig.), aber die Strukturen der Kinder- und Jugendleichtathletik werden sich diesen neuen Erkenntnissen nur sehr langsam anpassen, weil eben viele Verantwortliche keine Leute sind, die nach der Verbesserung suchen, sondern die Tradition bewahren. Man sollte schon die Mischung aus beidem finden. Was Bolt's Technik angeht (große Amplitude der Beckenrotationen in der Transversal-, Sagittal- und Frontalebene und Schrittlänge): Die Schrittlänge ist ein nicht unabhängig von der Schrittfrequenz zu betrachtendes Ergebnis sehr vieler Faktoren, vornehmlich aber des Bewegungsablaufes, weswegen die Schrittlänge als technisches und nicht als konditionelles Problem zu bewerten ist. Ich habe ein Interview von Glen Mills gelesen, dass ich in meiner Sammlung leider nicht mehr finde, keine Ahnung, wo es abgeblieben ist. Ich habe es aber online gefunden, ich glaube, auf speedendurance.com. Dort hat Mills über das Techniktraining geplaudert: Wie schon erwähnt, ist es nicht schwer, ein Techniktraining zu veranstalten, wenn man weiß, welche Übungen "einschlagen" und welche man verwerfen kann. Übungen gibt es viele, wirklich angewandt werden nur ein paar effektive, aber das sind auf der ganzen Welt dieselben. Interindividuelle Variationen inbegriffen. Der einzige Drill, den sich Mills wirklich selbst ausgedacht hat, waren "sticks", die er als Abstandsvorgeber auf die Bahn legte, Bolt musste durch sie laufen. Bolt hatte eine starke posteriore Beckenkippung und Oberkörerrücklage beim Laufen, was seine Hüftstreckung beeinträchtigte. Indem jeden Tag oder alle paar Tage, das habe ich vergessen, die Stäbe einen inch weiter auseinandergerückt wurden, mussten Bolts Schritt immer größer werden, das ging nur, indem er sich kräftiger vom Boden abstieß. Infolgedessen ging seine posteriore Beckenstellung verloren, korrigierte sich. Man sieht die Spuren dieses Trainings deutlich in seiner Technik: Wie im Vergleich des Sprints mit dem Sprunglauf, wird in letzterem, um größere Flugweiten zu erreichen (was durch längere Flugzeiten und das wiederum durch größere Flughöhen), mehr Energie übertragen. Der Athlet hat in dem Moment nur soviel Kraft, wie er eben hat. Darum kann er mehr Energie nur durch längere Kontakzeiten erreichen. Die Spitzenkräfte sind nicht höher, aber durch die längere Einwirkzeit der Kräfte wird der Impuls (das Integral der Kraft in Abhängigkeit von der Zeit), die auf den Boden übertragen wird, größer. Längere Kontaktzeiten erfordern eine stärkere Knieamortisation, weil dann der Weg vom Initialbodenkontakt bis zum Verlassen des Bodens durch den Fuß auf dem Laufband oder auf der Bahn der Weg, den der Körperschwerpunkt während des Bodenkontaktes nimmt, länger ist. Die Frequenz wird durch die langen Bodenkontakzeiten stark herabgesetzt und die Horizontalgeschwindigkeit nimmt ab. Das ist im Dreisprung nicht schlimm, da es hier nur auf die Weite ankommt. Limitiert wird die Knieamortisation dadurch, dass, wenn der Kniewinkel zu klein ist, schon wieder die Kraft der Kniestrecker abnimmt. Es geht also darum, die Balance zu finden aus langen Stützzeiten vs. nicht zu kleine Kniewinkel. Im Sprint hingegen ist die Geschwindigkeit Maß der Dinge und darum muss das Verhältnis sehr stark verschobenwerden. Der Modellathlet muss deswegen, um jetzt schnell zu sprinten, sein Gleichgewicht aus Schrittlänge- und Frequenz so verschieben, dass er die für sich maximal kurzen Bodenkontakzeiten erreicht. Es geht also nciht darum, die Frequenz zu verkürzen wie ein Fußballer, in dem man seiner Beine nicht mehr hebt, sondern die komplette Bewegungsamplitude wird nun mit stärkerer vertikaler Kraftkomponente durchgeführt, sodass die Bodenkontaktzeiten so sehr es geht verkürzt werden. Dies wird nicht etwa durch maximal schnelles Nach-hinten-Schlagen des Beines erreicht, denn das macht man auch im Sprunglauf. Sondern man versucht nicht mehr, weniger horizontal mechanics und mehr vertical mechanics anzuwenden. Die Flugkurve wird erhöhte, die Knieamortisation verringert, die Stützzeiten verkürzt. Sprunglauf und Sprint sind zwei Enden einer biomechanischen Skala, wie man sich fortbewegen kann. Da kann ein MZPTLK auf- und niederspringen, gewisse Dinge (z.B. dass Top-Sprinter sich in der Schrittfrequenz viel deutlicher vom langsamen Sprinter abheben als in der Schrittlänge) sind einfach empirsch abgesichtert und biomechanisch erklärbar. Darum gilt für keinen Menschen, egal, welche Statur er besitzt, dass er mit mehr horizontal mechanics / einem Nach-hinten-Abdrücken-wollen schneller sprinten kann, als mit maximal verkürzten Bodenkontaktzeiten. Es ist ein absolutes, kein individuelles Gütekriterium, sein Hüftgelenk weniger strecken zu müssen während der Stützphase. Bolt hat durch seine schiere Körpergröße und damit Beinlänge die Möglichkeit, seine geringe Kraft, und sein Unvermögen, sein Knie gestreckt zu halten (geringe Knie- und Anklestiffness, um es zusammenzufassen), die für große Menschen aus einem mathematischen Grund* typisch ist, kompensieren durch die mit der größeren Beinlänge verbundenen längeren Beschleunigungswege. Er muss einen größeren Hinterstütz aufweisen, weil er zu schwach ist, diesen zu verkürzen. Er tut es nicht absichtlich, lieber MZPTLK, sondern er muss es tun. Bolt hat neben Blessing Okagbare die mit Abstand schlechteste Schrittfrequenz im gesamten Weltklassesprint und macht dies durch eine gigantische Schrittlänge wett, die einerseits von seiner Beinlänge stammt (längere Beschleunigungswege für schwächere Muskeln und Sehnen gleichen ich z.T. also aus). Aber das reicht nicht. Kein Mensch (auch Bolt) ist so groß, dass er eine derart schlechte Schrittfrequenz kompensieren kann, nur weil er 1.95m groß ist. Asafa Powell ist z.B. nur 5cm kleiner, ist viel stärker bzw. Knie-stiffer, hat eine höhere Frequenz, startet schneller, aber die Schrittlänge ist im Verhältnis zu seiner Kraft, Stiffness und Beinlänge immer noch schlechter als die von Bolt. Und da kommt etwas ins Spiel, seine zweite Besonderheit, das Bolt besser kann, und das nichts mit seiner Beinlänge (ich spreche bewusst nicht von Körpergröße - es gibt in dieser Hinsicht im Sprint keine Körpergröße, sondern nur Beinlänge, Abstand der Hüftgelenke und Körpergewicht) zu tun hat: Er hat eine immense Beckenrotation in der Transversal- und in der Frontalebene. Und das ist der Key, warum man sich durchaus mit seinem Training beschäftigen darf. Ich denke (und auch diese Methode habe ich ausprobiert und an meinem eigenen Fall meine Hypothese bestätigt bekommen), dass solche Läufe, die über immer größer werdene Abstände von Sticks gelaufen werden zwangsläufig zu einer stärkeren Beckenbewegung führen. Die Kunst und Gefahr bei dieser Trainingsmethode besteht darin, nicht allmählich aus der Sprinttechnik eine Sprunglauftechnik zu machen, die zwar größere Schrittlängen, aber ein geringers Produkt aus Schrittlänge und Schrittfrequenz hervorbringt, sondern die Schrittlängenvergrößerung nur durch größere Hüftamplituden zu erreichen. Ich habe selbst gemerkt, wie schwer das ist und es ist eine koordinative Meisterleistung von Bolt, diese Übungsform erfolgreich umgesetzt zu haben. Nachdem also die Übung ursprünglich von Mills nur zum Erzwingen einer gesunden Beckenlage ersonnen war, hat Bolt diese Übung ungeplanterweise zu einer Schulung der Beckenamplitude gemacht. Ich glaube nicht wirklich, dass Bolt aufgrund spezieller Kräftigungsübungen zu dieser Technik gekommen ist. Es sind ungeheure Gewohheitsbarrieren zu überwinden, das geht nur durch Techniktraining, eine Kräftigung entsprechender Muskelgruppen (Abduktoren, lumbale Muskulatur, schräge Bauchmuskulatur) kann hier meines Eindruckes nach nur unterstützend wirken. Er nutzt übrigens auch seinen gesamten Oberkörper, den er krümmt und dann wieder streckt, so wie man im Standweitsprung die Arme einsetzt. Sein Krümmen und anschließendes Strecken ist vergleichbar mit dem Absenken des KSP beim Weitsprung oder vor dem Jump and Reach und ist nur anwendbar bei Sprintern mit langen Bodenkontaktzeiten durch schwache Stiffness, sonst fehlt die Zeit dafür. Michael Johnson, der Bolts Oberkörperbewegungen als schlecht bezeichnet, hat Marketing studiert, er hat in Wahrheit keine Ahnung von Biomechanik. Wie er treffend sagte: Er tut, was er am besten kann und leitet sein privates Trainingszentrum nur, in das Athleten aus Spielsportarten und Leichtathleten kommen, um ihre Schnelligkeit zu verbessern, während Sportwissenschaftler das Training an sich übernehmen. Aber Johnson besitzt nur Grundkenntnisse, soviel, wie man als Sportler eben wissen kann. In der Lage, die Technik verschiedener Sprinter differenziert und fundiert zu beurteilen, ist er nicht. Noch eine Hypothese von mir, ich würde mich freuen, wenn ihr sie auseinander- und wieder zusammendiskutieren könnt, um die Aussagen kritisch zu prüfen: Es ist nicht zu übersehen, dass mit Einführen des Anabolika-Dopings im großen Stil in den 70ern und 80ern vor allem die Starts der Sprinter sehr schnell wurden, während in den 90ern und danach, als in Sachen Anabolika nichts neues mehr passierte und stattdessen Dopingsubstanzen, die die Calcium-Kanäle des sarkoplasmatischen Reticulums permanent offenhalten und so die Ermüdung eindämmen, die Sprinter sich nicht mehr schneller im Beschleunigungsabschnitt wurden, sondern eine höhere Endgeschwindigkeit erreichten (dies ist bereits teilweise durch die vom ersten Schritt an einsetzende Ermüdung determiniert) und vor allem weniger stark ermüdeten. Jamaica und die USA allen voran. (Mal schauen, welche neue Ära dann mit der Einführung des Gendopings beginnt) RE: Wurzeln des Sprinterfolgs auf Jamaika - Gertrud - 22.11.2015 1. Bolts Sprint ist eine Bewegung in allen drei Ebenen, nicht nur frontal und transversal. 2. Die Ionenkanäle verengen bei Höchsteistungen und lassen weniger Kalzium durch, was die Muskeln langsamer kontrahieren lässt.. Es können Wirkstoffe eingesetzt werden, die diesen Mechanismus verhindern. Prof Bloch: "Vielleicht hat er auch einfach alles, was wir gerne beim Sprinter hätten: die Biomechanik, die Muskelkontraktionsfähigkeiten." Prof. Bloch würde gerne in Bolts Muskeln hineinschauen. Mit den jamaikanischen Sprintzeiten geht es wie mit Ihrer Berufsangabe. Kaum eine/r hier glaubt, dass Sie "nur" Student sind. Und wenn es stimmt, dann sind Sie die große Ausnahme!!! Ich stehe auch komplett auf Ihrer Seite, wenn Sie es als seltsam empfinden, dass man die jamaikanischen Muster und Gegebenheiten im Jugendsprint nicht annähernd übernimmt. Gertrud |