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Normale Version: Carl Diem und der Gewissensbegriff
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(17.09.2014, 07:39)Gertrud schrieb: [ -> ]
(16.09.2014, 19:41)MZPTLK schrieb: [ -> ]Fehl-, bzw. Übertraining, vor allem auch mental.
Eine Bombenleistung im Vorfeld und ein nachfolgender Abschwung können auch stark mit überzogenem Training zusammenhängen. Das können nur die Beteiligten in Anbetracht des Wissens detaillierter Trainingsinhalte feststellen. Es ist durchaus möglich, auch mal andere Spezialisten einen Einblick zu gewähren, um zu klärenden Schlüssen zu kommen. Diese Trainer sollten dann möglichst aus einem anderen Lager kommen, wo man andere Trainingsinhalte favorisiert.
'Es ist auch für Weltrekorde nicht erforderlich, sich täglich viele Stunden auf der Aschenbahn aufzuhalten und damit nicht nur die Muskeln, sondern auch den Geist zu veröden.

Da der Mensch ein Leib-Seele-Wesen ist, gehört die volle Spannkraft seines ganzen Daseins, also die geistige zur körperlichen wie umgekehrt, in jeder Stunde zur Aufgabe des Tages.

Diese Erkenntnis zur Masslehre weckt das Feingefühl für das Trainingsprogramm, gleichgültig, wie stark die Entwicklung des Einzelnen sein mag. Auch die höchsten Meister bedürfen jener Selbstsicherheit, die sie vor einem zu harten Training bewahrt. Es ist in jedem Falle empfehlenswert, ein wenig unterhalb des Trainingsgipfels zu bleiben, als über die Wächte hinauszufahren.

Um ihren Ruf besorgte Trainer werden immer geneigt sein, vom Athleten etwas zu viel als zu wenig zu verlangen.
Es gilt daher, die letzte Entscheidung in das Gewissen des Übenden selbst zu legen.'

(Carl Diem: Wesen und Lehre des Sports, Berlin 1960, S. 147)

edit mod: Themenfremde Beiträge aus "Silvio Schirrmeister" ausgelagert
(17.09.2014, 16:01)MZPTLK schrieb: [ -> ]Es gilt daher, die letzte Entscheidung in das Gewissen des Übenden selbst zu legen.'

(Carl Diem: Wesen und Lehre des Sports, Berlin 1960, S. 147)

Ich bin der festen Überzeugung, dass man Athleten vor allem hinsichtlich Feedback, Gefühl für Bewegung und Sinn für Grenzen des Trainings anleiten sollte. Es ist sehr gut, wenn Athleten signalisieren, dass sie platt zu werden drohen oder wenn ihnen Programme nicht bekommen. Mir hat mal bei einer Athletin der Zufall geholfen. Ich habe sofort geschaltet und das Programm ab da übernommen. Dann kamen die Medaillen. Man muss als Athlet und Trainer hellwach sein. Wenn´s am schönsten ist, sollte man sehr oft aufhören. Wink Man neigt oft dazu, noch einen oben aufzusetzen. Weniger ist manchmal eben mehr!!! 

Gertrud
(20.09.2014, 16:54) Gertrud schrieb: [ -> ]
(17.09.2014, 16:01)MZPTLK schrieb: [ -> ]Es gilt daher, die letzte Entscheidung in das Gewissen des Übenden selbst zu legen.'

(Carl Diem: Wesen und Lehre des Sports, Berlin 1960, S. 147)

Ich bin der festen Überzeugung, dass man Athleten vor allem hinsichtlich Feedback, Gefühl für Bewegung und Sinn für Grenzen des Trainings anleiten sollte. Es ist sehr gut, wenn Athleten signalisieren, dass sie platt zu werden drohen oder wenn ihnen Programme nicht bekommen. Mir hat mal bei einer Athletin der Zufall geholfen. Ich habe sofort geschaltet und das Programm ab da übernommen. Dann kamen die Medaillen. Man muss als Athlet und Trainer hellwach sein. Wenn´s am schönsten ist, sollte man sehr oft aufhören. Wink Man neigt oft dazu, noch einen oben aufzusetzen. Weniger ist manchmal eben mehr!!! 

Gertrud

Und weshalb muss man dabei das Gewissen als moralische Instanz bemühen? Das Ganze ist doch eher eine Frage von ‚Besonnenheit’ als Form praktischer Klugheit. 

Leichtathletik-fernes PS: Wenn man sich auf Ethik beruft statt auf die Wissenschaftsspezies für’s Optimierungsfunktionale, sollte man besser mal in der antiken Ethik stöbern. Zumal es dort die Zentralfrage nach dem rechten Maß, einen angemessen Begriff der (inneren) Natur und noch so einiges mehr an relevanten Haltungen gegeben hat. Wer sich auf den absonderlichen Herrn D. beruft, wird zudem und augenscheinlich mit dem Umstand konfrontiert, dass auch das Gewissen korrumpierbar ist.  
Es geht nicht um das falsche Wort. Sondern um die falsche Kategorie! Erst denken, dann....
(21.09.2014, 12:20)Pollux schrieb: [ -> ]Es geht nicht um das falsche Wort. Sondern um die falsche Kategorie! Erst denken, dann....
Ich habe gedacht und festgestellt, dass wir nicht wissen können, was sich Diem dabei gedacht hat.
Weisst Du es?

Jedenfalls meine ich, dass Diem den Begriff Gewissen in dem Zusammenhang schon richtig gewählt hat.
Gewissen ist Wissen von und mit sich selbst.
Es geht bis über unseren Verstand hinaus, es kennt unsere innersten Beweggründe.
Wie soll ich urteilen, wie handeln, um mit mir ins Reine zu kommen oder zu bleiben?

Diem spricht ja explizit davon, dass man versuchen sollte, mit sich, den Menschen und der Welt im Reinen zu sein.

Er selbst war es sicher nicht in allen Belangen.
(21.09.2014, 12:30)MZPTLK schrieb: [ -> ]
(21.09.2014, 12:20)Pollux schrieb: [ -> ]Es geht nicht um das falsche Wort. Sondern um die falsche Kategorie! Erst denken, dann....
Ich habe gedacht und festgestellt, dass wir nicht wissen können, was sich Diem dabei gedacht hat.
Weisst Du es?

Jedenfalls meine ich, dass Diem den Begriff Gewissen in dem Zusammenhang schon richtig gewählt hat.
Gewissen ist Wissen von und mit sich selbst.
Es geht bis über unseren Verstand hinaus, es kennt unsere innersten Beweggründe.
Wie soll ich urteilen, wie handeln, um mit mir ins Reine zu kommen oder zu bleiben?

Diem spricht ja explizit davon, dass man versuchen sollte, mit sich, den Menschen und der Welt im Reinen zu sein.

Er selbst war es sicher nicht in allen Belangen.

Ich muss nicht wissen, was sich der Typ gedacht hat, als er sich hat korrumpieren lassen. Vielleicht wusste ja sein Gewissen über seine Beweggründe (gemäß deiner exklusiven Definition) besser Bescheid, als er selbst es tat. Hat es ihm aber dummerweise nicht erzählt! Oder ihm den falschen Rat gegeben. Also klage man das Gewissen und nicht den Herrn D. an! Auch ne schöne Lösung. 

Ich aber muss nur wissen, dass die Frage angemessener „Steuerungsgrundsätze“, wie sie Gertrud HIER präsentiert hat, nicht genuin auf eine moralische Kategorie verweist. (Womit nicht das Geringste gegen das Gewissen und die Moral gesagt sein soll) Ob der Athlet in jedem Fall der eigenen Stimme des „Gewissens“ – oder dem Rat des Trainers folgen SOLL, ist eine Frage vernünftiger Erwägung. Allenfalls dem Gebot vernünftiger Selbstbestimmung geschuldet. Das aber WOLLEN Athleten normalerweise. Nicht aus einem guten Gewissen heraus. Sondern weil sie nicht blöd, sondern aufgeklärt und mündig sind. Und einen ebensolchen Trainer als Berater haben. (So wie Frau Schäfer und Herr MZ, schätze ich mal) Im anderen Fall ist eh Hopfen und Malz verloren.
(21.09.2014, 14:37)Pollux schrieb: [ -> ]Ich muss nicht wissen, was sich der Typ gedacht hat, als er sich hat korrumpieren lassen. Vielleicht wusste ja sein Gewissen über seine Beweggründe (gemäß deiner exklusiven Definition) besser Bescheid, als er selbst es tat. Hat es ihm aber dummerweise nicht erzählt! Oder ihm den falschen Rat gegeben. Also klage man das Gewissen und nicht den Herrn D. an! Auch ne schöne Lösung. 

Ich aber muss nur wissen, dass die Frage angemessener „Steuerungsgrundsätze“, wie sie Gertrud HIER präsentiert hat, nicht genuin auf eine moralische Kategorie verweist. (Womit nicht das Geringste gegen das Gewissen und die Moral gesagt sein soll) Ob der Athlet in jedem Fall der eigenen Stimme des „Gewissens“ – oder dem Rat des Trainers folgen SOLL, ist eine Frage vernünftiger Erwägung. Allenfalls dem Gebot vernünftiger Selbstbestimmung geschuldet. Das aber WOLLEN Athleten normalerweise. Nicht aus einen guten Gewissen heraus. Sondern weil sie nicht blöd, sondern aufgeklärt und mündig sind. Und einen ebensolchen Trainer als Berater haben. (So wie Frau Schäfer und Herr MZ, schätze ich mal) Im anderen Fall ist eh Hopfen und Malz verloren.
Klingt vernünftiger, aber Du scheinst den Gewissensbegriff sehr eng als rein moralische Kategorie verstehen zu wollen. Das reicht mir nicht, aber bitte sehr.

Nicht jeder, also auch nicht jeder Athlet ist sich seines Gewissens voll bewusst und vergewissert, es bleibt meistens -vor allem bei Jüngeren- eine Sphäre des undefinierten unguten Gefühls, der unreflektierten Ablehnung oder des Nichtverbalisieren-Könnes oder -Wollens.

Deine vernünftigen Erwägungen kluger, aufgeklärter, mündiger Athleten bleibt somit oft nur ein Ideal, wird nicht zur Praxis.
Gewissen geht auch über den Verstand hinaus, das sollte man respektieren.
Und völlig zu Recht wird Abgordneten bei bestimmten Fragestellungen eine Gewissensentscheidung eingeräumt.
In der Sphäre muss sich niemand intersubjektiv nachvollziehbar entschuldigen oder legitimieren.

Deine hehren Ansprüche und Ideale sind auch meine, aber diese schnöde Welt=Wirklichkeit ist imperfekt, ignorant und böse.
Und das Gewissen muss sich sowohl mit dem Ideal wie auch genauso mit der Realität, dem Machbaren ins Reine bringen.
Wenn ich Diem richtig verstanden habe, meint er genau das.
(21.09.2014, 14:53)MZPTLK schrieb: [ -> ]
(21.09.2014, 14:37)Pollux schrieb: [ -> ]Ich muss nicht wissen, was sich der Typ gedacht hat, als er sich hat korrumpieren lassen. Vielleicht wusste ja sein Gewissen über seine Beweggründe (gemäß deiner exklusiven Definition) besser Bescheid, als er selbst es tat. Hat es ihm aber dummerweise nicht erzählt! Oder ihm den falschen Rat gegeben. Also klage man das Gewissen und nicht den Herrn D. an! Auch ne schöne Lösung.

Ich aber muss nur wissen, dass die Frage angemessener „Steuerungsgrundsätze“, wie sie Gertrud HIER präsentiert hat, nicht genuin auf eine moralische Kategorie verweist. (Womit nicht das Geringste gegen das Gewissen und die Moral gesagt sein soll) Ob der Athlet in jedem Fall der eigenen Stimme des „Gewissens“ – oder dem Rat des Trainers folgen SOLL, ist eine Frage vernünftiger Erwägung. Allenfalls dem Gebot vernünftiger Selbstbestimmung geschuldet. Das aber WOLLEN Athleten normalerweise. Nicht aus einen guten Gewissen heraus. Sondern weil sie nicht blöd, sondern aufgeklärt und mündig sind. Und einen ebensolchen Trainer als Berater haben. (So wie Frau Schäfer und Herr MZ, schätze ich mal) Im anderen Fall ist eh Hopfen und Malz verloren.
Klingt vernünftiger, aber Du scheinst den Gewissensbegriff sehr eng als rein moralische Kategorie verstehen zu wollen. Das reicht mir nicht, aber bitte sehr.

Nicht jeder, also auch nicht jeder Athlet ist sich seines Gewissens voll bewusst und vergewissert, es bleibt meistens -vor allem bei Jüngeren- eine Sphäre des undefinierten unguten Gefühls, der unreflektierten Ablehnung oder des Nichtverbalisieren-Könnes oder -Wollens.

Deine vernünftigen Erwägungen kluger, aufgeklärter, mündiger Athleten bleibt somit oft nur ein Ideal, wird nicht zur Praxis.
Gewissen geht auch über den Verstand hinaus, das sollte man respektieren.
Und völlig zu Recht wird Abgordneten bei bestimmten Fragestellungen eine Gewissensentscheidung eingeräumt.
In der Sphäre muss sich niemand intersubjektiv nachvollziehbar entschuldigen oder legitimieren.

Deine hehren Ansprüche und Ideale sind auch meine, aber diese schnöde Welt=Wirklichkeit ist imperfekt, ignorant und böse.
Und das Gewissen muss sich sowohl mit dem Ideal wie auch genauso mit der Realität, dem Machbaren ins Reine bringen.
Wenn ich Diem richtig verstanden habe, meint er genau das.

Das klingt nicht vernünftiger, sondern ist n.m. A. die Voraussetzung vernünftiger Praxis.  

Wenn ich von vernünftiger Erwägung sprach, habe ich das nicht notwendigerweise so privatisiert verstanden, wie es in der Bezugnahme auf das Gewissen üblicherweise geschieht. Vernünftige Erwägung hat also ein potentiell diskursives Moment. Damit das Praxis werden kann, ist ein pädagogisches Entgegenkommen des Trainers mit der Bereitschaft zur Förderung vorausgesetzt. Auch wenn das wiederum risikobehaftet sein kann. (Mit Kasernenhofmethodik geht man dem natürlich aus dem Weg) Also wieder keine Gewissensfrage, wenn ein sog. Ideal zur Praxis wird. Aber es gibt Leute, die sind sich so was selbst schuldig. Dann ist es doch wieder da, das Gewissen!  
Ironmansieger Kienle:
'Ich glaube, wenn man etwas zu arg will, dann frisst es einen auf. Ich sehe das bei vielen Athleten, die mehr Talent haben als ich, die härter trainieren, aber es trotzdem nicht schaffen. Mein Ziel ist es immer, mit 95 % körperlicher und 110 % mentaler Form an den Start zu gehen.'

Diese Strategie ist wahrscheinlich für den Ironman und womöglich auch für den Marathonlauf richtig, wer allerdings mit 95 % Physis z.B. eine Medaille im Kugelstossen holen will, muss scheitern.
Die Aussage von Kienle ist in überschauender Betrachtung dennoch richtig, 95% körperliche Fitness sind vermutlich das erreichbare Maximum eines Leistungsportlers !?!? 100% als Direktive sind "anitnomisch" (um den Begriff irrational zu vermeiden Wink) , weil sie zum einen bedeuten, dass KEINERLEI Einschränkungen vorliegen (keine Erkrankungen, Vorerkrankungen, Verletzungen etc. für welchen Leistungssportler gilt das schon…) zum anderen, dass die Psyche "irritationsbefreit" läuft.

Gerade die Diziplinen in denen viele Faktoren zeitlich extrem komprimiert ablaufen (einen Fehler Marathon kann eventuell ausbügeln, im Kugelstoßen aber nicht) erfordern die Psyche vermutlich stärker als die Physis. (Beispiel Carolin Hingst, Ilke Wyludda und viele mehr). Es ist korrekt, dass ohne die Physis keine Maxima erreicht werden, aber das Abliefern eines Maximums zu einem fordernden Zeitpunkt, zeichnet eben die starken Athleten aus (da fällt mir immer eine Linda Stahl ein oder ein David Storl).

"wenn man etwas zu arg will, dann frisst es einen auf" erklärt sich für mich so, dass es gilt das gesunde Maß zu finden, ohne eine gewisse Distanz wird man es nicht finden und wichtige Untertöne (z.B. des Körpers) nicht hören. Das Leistungsmaximum wird aber auch von der Psyche gesteuert und es gibt diese Typen die in den entscheidenden Momenten "über sich hinauswachsen". Leisten sie mehr als ihr mögliches Maximum? Wohl kaum, aber sie kommen eben nah an die 100%…

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Zu Carl Diem fällt mir vor allem der Begriff Borniert ein. Sätze wie "Sport ist freiwilliges Soldatentum" offenbaren mehr als nur eine Anbiederung. Ist es die fehlende breite Bildungsbasis, die ihn dazu verleiteten, freiwillig, selbst als 60 jähriger in den "Krieg zu ziehen", eine Aberration durch Fehleinschätzung, oder doch eher eine Grundhaltung? Seine Motive sind für uns nur partiell erfassbar, seine Handlungen und Aussagen liegen aber vor und an diesen gemessen bleibt er eben eine sehr ambivalente Persönlichkeit.
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