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Denk' ich an Dresden ... - Druckversion

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Denk' ich an Dresden ... - Hellmuth K l i m m e r - 12.02.2015

Mein persönlicher Rückblick nach 70 Jahren auf die Zerstörung Stadt 1945

"Als ich ein kleiner Junge war ...", so begann 1957 der Dresdener Schriftsteller Erich   K ä s t n e r  rückblickend seine Erinnerung auf die blühende Heimatstadt.

Als   i c h   ein kleiner 7-jähriger Junge war ... verängstigte mich der Anblick der Trümmerberge in meiner zerstörten Heimatstadt. "Fünfzehn Quadratkilomete abgemäht und fortgeweht", schrieb der Dresdener 1946. "Eine der schönsten Städte der Welt wurde ... unverteidigt ausgeliefert. In einer Nacht wurde die Stadt vom Erdboden vertilgt".
Und Kurt  Vonnegut, amerikanischer Kriegsgefangener im Februar 1945 im Dresdener Schlachthof am Ostragehege (der spätere Literatur-Nobelpreisträger : "Schlachthof 5") war nach der Nacht des 13. Februars entsetzt: "Als wir wieder raufkamen, war die Stadt verschwunden. Die Steine waren heiß. Alle anderen im weiterem Umkreis waren tod."

Das Erlebnis meiner Kindheit rückte später immer in meine Erinnerung: erstmal 1962/63 als ich als Jugendlicher am Großstaffellauf im "Großen Garten" teilnahm, und später dann, bei meinen Starts als Student und Senior im heimischen "Heinz-Steyer-Stadion (ehemals "DSC-Stadion im Ostragehege") in das ein britischer Bomberpilot am 13. 2 ; 22.05 Uhr die markierende rote Leuchtbombe geworfen hatte - als Auftakt für's "Inferno Dresden", für den Beginn der unsinnigen Zerstörung der historischen Altstadt.
Wie schmerzhaft sind da für die Betroffenen und Getroffenen die Aussagen des Britischen Historikers F. Taylor: "Das war der perfekte Bombenangriff. Das war wie ein Meisterstück", und das euphorische Schwärmen der "Royel Air Force" von der "Schönheit der Vernichtung Dresdens."
Ohne solche historische Rückblicke versteht man die Gegenwart nicht. Jetzt, 70 Jahre danach ist ein Rückblick nicht zu spät. Mir scheint, dass meine Landsleute, nicht nur die alten Dresdener, gerade heute erlebtes Grauen rekapitulieren ...

H. Klimmer / sen.


RE: Denk' ich an Dresden ... - gera - 13.02.2015

Eine unnötige Zerstörung, barbarisch.  Nazi-Deutschland war auch so am Boden.
Ich kenne Dresden auch noch, als zwischen Hauptbahnhof und Postplatz kaum ein Gebäude mehr stand


RE: Denk' ich an Dresden ... - MZPTLK - 14.02.2015

Wohl niemand hier kann nachempfinden, was Hellmuth erleben musste.
Ich meine, auch in einem Leichtathletikforum sollten Geschehnisse zur Sprache kommen,
die nicht unmittelbar mit der LA zu tun haben,
wohl aber mit der Lebensgeschichte von Usern.

Einiges zur Lage Februar/März 1945:

Ende Februar unterbrach die Rote Armee die für Flüchtlingstransporte
und die Versorgung der Wehrmacht hochwichtige Eisenbahnlinie Neisse-Görlitz.
Am 5.3. wurde die Strecke für 3 Wochen von konzentrierten deutschen Truppenteilen zurück erobert,
dann kamen die Russen wieder.

Die Deutschen behalfen sich mit einem Umweg über Böhmen.
Dabei muss man sich klarmachen, dass täglich über 8000 Waggonladungen Kohle aus Schlesien befördert wurden,
tausende Flüchtlinge sowie Kriegsmaterial. wovon 1 Division etwa 1000 Waggons benötigte.
Das bis 12.2. von Luftangriffen verschonte Dresden
spielte in diesem Umfeld logistisch und als Garnison eine bedeutende Rolle.

Am 8.3. faselte der 'Reichsbevollmächtigte für den totalen Kriegseinsatz' Goebbels in Görlitz
in einer gespenstischen Siegesrede von Grossoffensiven und blutiger Rache.

Am 19.3. gab Hitler den sogenannten Nero-Befehl 'Zerstörungsmassnahmen im Reichsgebiet' heraus: 
Eigene militärische Verkehrs-, Industrie- und Versorgungsanlagen
sowie sogar die eigene Zivilbevölkerung wurden ins Visier gezielter Zerstörung genommen.
Dieser schwerkriminelle Schwachsinn wurde von Rüstungsminister Speer teilweise unterlaufen/boykottiert.

Es wundert nicht, dass zehntausene, wenn nicht über hunderttausend Menschen,
auch Grosskopferten in den letzten Kriegsmonaten Selbstmord begingen:
- 11 von 43 Gauleitern
- 7 von 47 höheren SS- und Polizeiführern
- 13 Generäle der Waffen-SS
- 35 Heeresgeneräle
- 6 Luftwaffengeneräle
- 8 Admirale


RE: Denk' ich an Dresden ... - Hellmuth K l i m m e r - 14.02.2015

(14.02.2015, 11:32)MZPTLK schrieb: Wohl niemand hier kann nachempfinden, was Hellmuth erleben musste.
Ich meine, auch in einem Leichtathletikforum sollten Geschehnisse zur Sprache kommen,
die nicht unmittelbar mit der LA zu tun haben,
wohl aber mit der Lebensgeschichte von Usern.
Danke für dein Zustimmung und die Ergänzungen.

Ich muss allerdings klarstellen, dass ich beim Bombenangriff  nicht in Dresden war. Ich sah aber die sog. "Christbäume" von meiner Heimatstadt Meißen.
Erst am 17. oder 18. Februar war ich dann mit meinem Vater per LKW in der noch "glühenden", zerbombten Stadt; wir kamen nicht sehr weit. Das Ziel war der Winterhafen gewesen, dort sollte mein Vater für seinen Betrieb (Molkerei Meißen) von einer Zille Butter entladen. -  Die Zille aber war in Brand geschossen worden und brannte immer noch ... 

Nie erklärte mir übrigens später mein Vater,   w a r u m   er mich als Kind in diese Stadt mitgenommen hatte. Und ich erinnere mich nur noch, dass er mir auf meine Frage: "Was sind denn das für schwarze Klumpen auf der Straße?" antwortete: "Das waren Menschen". 

H. Klimmer / sen.


RE: Denk' ich an Dresden ... - MZPTLK - 15.02.2015

Die Nazis sprachen nach dem verheerenden Luftangriff auf Coventry 1940 von 'Coventrieren'.
Heute ist Dresden Partnerstadt, weitere 58 deutsche Städte gehören der von Coventry gegründeten 'Nagelkreuzgemeinschaft' an.

Der Münchener Olympiaberg besteht aus Kriegstrümmern,
nicht wenige Sportstätten in Deutschland wurden zum Teil auf und mithilfe von Ruinen gebaut.
In Würzburg brauchte man 20 Jahre, bis die Kriegsschäden
- zweieinhalb Millionen Kubikmeter - weggeräumt waren.

Über 300 deutsche Städte waren Angriffsziele.
Militärischer Zweck? Teilweise fragwürdig, insbesonders was die betroffene Zivilbevölkerung angeht.

Man dachte, ausgehend von der angelsächsischen Mentalität,
dass die Menschen darauf hinwirken würden, den Krieg zu beenden.
Offenbar aber gab (und gibt?) es ein Ost-West-Gefälle.
Ein Menschenleben wurde(wird?) im Westen(individualistisches Menschenbild) wohl höher bewertet
als im Osten(kollektivistisches M.B.).

Natürlich spielte Rache eine erhebliche Rolle, aber auch die Angst vor Wunderwaffen.
Die V1 und V2 hatte man ja kennen gelernt, schlimmere Waffen wurden befürchtet.

Dann wieder ganz wichtig die Mentalität: man wollte möglichst wenige eigene Soldaten aufs Spiel setzen,
vor allem nicht im Städte- und Häuserkampf.
Das spielte auch eine grosse, wenn nicht entscheidende Rolle bei der Entscheidung,
die Atombombe in Japan einzusetzen.
Die Japaner hatten sich ja teilweise als noch aufopferungsvoller als die Deutschen gezeigt.
Man kann/sollte das wohl eher Kadavergehorsam nennen.

Der umstrittene OB der Luftwaffe 'Bomber-Harris' hatte sich für den Angriff auf Dresden das o.k. von Churchill geholt,
bei der Bombardierung Potsdams kurz vor Kriegsende fehlte Churchill dann jedes Verständnis.


RE: Denk' ich an Dresden ... - decathlonitis - 15.02.2015

(15.02.2015, 10:45)MZPTLK schrieb: Über 300 deutsche Städte waren Angriffsziele.
Militärischer Zweck? Teilweise fragwürdig, insbesonders was die betroffene Zivilbevölkerung angeht.

Man dachte, ausgehend von der angelsächsischen Mentalität,
dass die Menschen darauf hinwirken würden, den Krieg zu beenden.
Offenbar aber gab (und gibt?) es ein Ost-West-Gefälle.
Ein Menschenleben wurde(wird?) im Westen(individualistisches Menschenbild) wohl höher bewertet
als im Osten(kollektivistisches M.B.).

Wer Gewalt sät, der wird Gewalt ernten. (In Anlehnung von Wind und Sturm...)
Für die nachfolgenden Generationen ist die beidseitig betriebene Zerstörungswut und deren Folgen unvorstellbar.
Über Erzählungen von Betroffenen und durch Informationen über Dokumentationen aus der Medienwelt, aus Büchern und von Fotos kann man sich zwar ein ungefähres Bild machen, aber niemals die damit verbundenen Bedrohungen und Ängste der Beteiligten nach empfinden.
Und von daher darf so etwas niemals in Vergessenheit geraten, sondern zum Nachdenken anregen.


Und die wahren Gräuel der Nazi-Ideologie müssen ein ewiges Mahnmal für die Menschheit sein.

Dennoch sage ich, die Bombardierung von Dresden - und nicht nur dieser Stadt im Jahr 1945 - war ja nur noch ein infernalischer Schlusspunkt und völlig unsinnig und somit barbarisch, da der Sieg der Alliierten bereits fest statt.
Die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki im August 1945 zählen aus meiner Sicht auch dazu.

Zusatzbemerkung: die bewusst betriebenen, unzähligen Bombardierungen besonders deutscher Innenstädte (Zivilbevölkerung und Kulturstätten) fanden bereits 1942/43 statt. Das kann man selbst bei google recherchieren.


MZPTLK schrieb:Militärischer Zweck? Teilweise fragwürdig?
Ich denke, absolut abscheulich, da aus Rache und Hass motiviert und mit taktischem Kalkül!
Man sucht immer nach Erklärungen und Du zählst sie ja hier auf. Sicher einiges davon richtig, aber einige Historiker beziehen andere Hintergründe und Überlegungen mit ein.
Die Einbeziehung eines Ost-Westgefälles bezüglich der Mentalitäten ist in diesem Falle nicht richtig, da hier kulturell die Angelsachsen unseren gemeinsamen Ursprung haben und man von humanistischer Bildung ausgehen kann.
Wir wollen hier aber nicht gegen einander aufrechnen. Ich bin ja fast bei Dir!
Waffen, Militär und Aufrüstung? Stopp! Trennung von Religion und Staat!


„Das gilt an sofort. Unverzüglich!“


Das "Säbelrasseln" ist ja stets aktuell.
Schaut man auf den Ukraine-Konflikt, fast vor unserer Haustür, so greifen auch hier wieder die gleichen Mechanismen von Aktion und Reaktion. Die Motive dieser Eskalation sind auch nicht so eindeutig, wie es uns vor Augen geführt wird.


Das Wort zum Sonntag.
Seid wachsam und vergesst die Vergangenheit und vor allem die Fehler nicht, um daraus zu lernen!


RE: Denk' ich an Dresden ... - MZPTLK - 15.02.2015

decathlonitis schrieb:Dennoch sage ich, die Bombardierung von Dresden - und nicht nur dieser Stadt im Jahr 1945 - war ja nur noch ein infernalischer Schlusspunkt und völlig unsinnig und somit barbarisch, da der Sieg der Alliierten bereits fest statt.
Die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki im August 1945 zählen aus meiner Sicht auch dazu.
MZPTLK schrieb:Militärischer Zweck? Teilweise fragwürdig?
Ich denke, absolut abscheulich, da aus Rache und Hass motiviert und mit taktischem Kalkül!
[...]
Die Einbeziehung eines Ost-Westgefälles bezüglich der Mentalitäten ist in diesem Falle nicht richtig, da hier kulturell die Angelsachsen unseren gemeinsamen Ursprung haben und man von humanistischer Bildung ausgehen kann.
[...]
Schaut man auf den Ukraine-Konflikt, fast vor unserer Haustür, so greifen auch hier wieder die gleichen Mechanismen von Aktion und Reaktion.
Dresden war kein Schlusspunkt, danach wurde weiter gebombt.
Die Unsinnigkeit militärischer Mittel und Zwecke
ergibt sich nicht allein oder zwingend aus der höchstwahrscheinlichen Aussicht, den Krieg zu gewinnen.
Man muss dem wahrscheinlichen Sieger zugestehen, dass er den Krieg so schnell wie möglich
und vor allem unter minimierten eigenen Verlusten zu Ende bringen will.

Dass dabei nicht immer geeignete Massnahmen ergriffen werden,
können  die Historiker hinterher natürlich besser beurteilen.

Die Deutschen hatte ein unverdientes Riesenglück, dass ihnen die Atombombe erspart blieb.
Es war knapp genug, nur 3 Monate nach der Kapitulation war Japan dran.
Es gibt übrigens sehr gute Argumente für den Hiroshima-Abwurf,
daher würde ich den für legitim halten.
Nagasaki ist und bleibt wohl immer strittig.

Taktisches Kalkül ist böse? Im Krieg gegen die Nazi-Drecksäue?
Hass, Rache und Vergeltung ist unedel?
Ich muss daran erinnern, dass das Vernichtungslager Majdanek am 23.7.44 als erstes befreit wurde.
Kurz vor dem Dresden-Bombardement wurde am 17.1.45 Auschwitz befreit...

Ich weiss nicht im Detail, ob und wie man bei den damaligen Bombardierungen 'chirurgischer' hätte vorgehen können.
Jedenfalls waren die Bomberkommandos oft nicht in der Lage, die angestrebten Ziele zu treffen,
daher auch das auf-Nummer-sicher-gehen der Flächenbombardements.

Humanistische Bildung? Erzähl das mal dem Terrorregime und seinen hunderttausenden mittuenden Barbaren.
Die Wissenschaft rätselt heute noch, wie ein Kulturvolk wie die Deutschen, das Land der Dichter und Denker, so tief sinken konnte.

Den Ukraine-Konflikt würde ich in dem Zusammenhang nicht erwähnen.


RE: Denk' ich an Dresden ... - MZPTLK - 20.02.2015

Irrsinnige Zeiten.

Eine Begebenheit ist noch sehr wichtig und ambivalent:
Der berühmte Victor Klemperer wurde gezwungen, am 13.2.(demTag der Bombardierung)
Briefe mit Deportationsbefehlen zum Abtransport am 15.2. für noch in Sachsen verbliebene Juden auszutragen.
Klemperer musste sich den Empfang quittieren lassen.
In dem Chaos nach dem Angriff konnten viele überlebende Juden untertauchen.

Auch bemerkenswert: Anfang der 40er(!) hatte die Stadtverwaltung Dresdens
zwei Flächen für Massenbestattungen von Luftkriegstoten reserviert.
Diese reichten für die annähernd 30.000 Toten bei weitem nicht aus.

Dresden ist zu einem Mythos, zu einem Fanal geworden.
Dabei gab es Städte mit wesentlich grösserer Zerstörung wie Hannover(85%)
oder gar Pforzheim(95 %).

Es liegt sicher auch an der Instrumentalisierung durch die Propaganda der Nazis,
die der Welt den Terror der Feinde zeigen wollten.
Aber auch die DDR fand eine Gelegenheit, die Verkommenheit des Kapitalismus zu demonstrieren.


RE: Denk' ich an Dresden ... - Hellmuth K l i m m e r - 11.02.2016

Am 13. Februar d.J. bringt der Sender PHÖNIX eine Dokumentation "Das Drama von Dresden"  über die Zerstörung meiner Heimatstadt Dresden im Jahre 1945.
In dieser szenischen Nachempfindung wird das Grauen eindrucksvoll gezeigt.

Sendetermine: Sa., 13.2.; 20.15 h, Wh.: So., 14.2.; 18.30 h

H.K.


RE: Denk' ich an Dresden ... - RalfM - 11.02.2016

Und die Traumatisierung überdauert mehr als eine Generation.
z.B.
http://www.amazon.de/Wir-Kinder-Kriegskinder-Generation-Weltkriegs/dp/3451062127/ref=pd_bxgy_14_3?ie=UTF8&refRID=1H36EF3P504XP79HKM2V

Mein als Kind in Berlin-Tempelhof ausgebombter Vater wurde mit Mutter und Schwester nach Schlesien umgesiedelt (Vater war ungefragt im Krieg). Auf Flucht vor der Ostfront kamen sie Anfang Februar 45 nach Dresden und auf der einzigen Eisenbahnstrecke und am Tag vor der Zerstörung in der Herumschieberei auf einem Bahnsteig wieder heraus. Mit gewisser Wahrscheinlichkeit verdanke ich diesem zufälligen Umstand, dass es mich überhaupt gibt.

NIE WIEDER !

Ralf