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Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Druckversion

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RE: Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - MZPTLK - 12.01.2017

<quote option="'Gertrud' ">Die Beugeaktion der Unterschenkel mit der Winkelreduzierung verlangt nicht so viel Kraft, weshalb auch bestimmte Kraftübungen an der "Realität" vorbeigehen;..</quote><br />
<br />
Ist das nicht zum grössten Teil eine Re-Aktion des US, resultierend aus seiner Masseträgheit?<br />
Wozu sollte der Sprinter das besonders  trainieren?<br />
Und die 'neue Sprinttechnik' propagiert doch gerade das Minimieren der Backside Mechanics?


RE: Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - MZPTLK - 12.01.2017

(11.01.2017, 18:14)Gertrud schrieb: Wechselt die Innervation mit den Winkeln?

Muss sie ja, intra- und inter-muskulär.
Die 'Zuständigkeiten' verlagern sich und werden weitergegeben.

Besonders deutlich wird's beim sogenannten Paradoxon in der Lombardei,
wo nur sehr kurz in einer grossen Winkelstellung innerviert werden kann/darf.


RE: Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - MZPTLK - 12.01.2017

(12.01.2017, 12:20)Gertrud schrieb: Die transversale Komponente spielt natürlich eine enorme Rolle, da dadurch Spannungsverläufe geschehen. Spätestens jetzt sollte doch jeder begreifen, dass die beidbeinige TKB nicht das Mittel der Wahl z. B. für Sprint und Sprung sein kann.
TKB sowieso nicht.
Aber ich würde differenzieren zwischen Sprint und Srüngen, und da auch zwischen den Sprungarten.
Es kommt darauf an, wie hoch die Anforderungen der Zieldisziplin in den Gewichtungen sind.
Beim Hochsprung kann ich die Sprintbewegung vernachlässigen.

Sogar für den Sprint würde ich gut ausgeführte, spezifisch variierte KBs als nützlich ansehen.
Erstens, weil der Kurzsprint zu einem wichtigen Teil aus der Beschleunigungsphase besteht,
zum anderen, weil jedwedes Training immer ein Abwägen des Verhältnisses von pro- und kontra-produktiven Inhalten erfordert.

Es ist mMn praktisch(noch) unmöglich, Zielübung-konforme Übungen zu designen,
die eine Trophierung über das per Zielübung erreichbare Mass hinaus ermöglichen.


RE: Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - icheinfachma - 12.01.2017

Zitat: 'Gertrud' pid='57080' dateline='1484220037'
(12.01.2017, 09:19)icheinfachma schrieb: Betrachtet man die Innenrotation im Hüftgelenk des Schwungbeines gleichzeigt mit der Kniestreckung in der vorderen Schwungphase, müsste sich eine stärkere (exzentrische) Längenänderung im M. biceps femoris caput longum im Vergleich zu den beide medialen Beinbeugern ergeben.

Stimmt das so? Ich habe mich schon länger gefragt, warum ausgerechnet das Caput longum immer betroffen ist und mir das immer versucht, über die transversale Beckenrotation zu erklären. Dass die Beckenbewegung so stattfindet, hatte ich mal dieser Quelle übernommen: (siehe Anhang, Abschnitt 4.3)  





Es kommt zudem der Einfluss der Ab- und Adduktion hinzu, wobei die Hamstrings nur bei einer Form stark aktiv werden. Wenn man sich den Sprint von vorne ansieht, kann man diese Dinge alle sehr genau betrachten. Es kommt noch dazu, dass der BF caput longum und der ST zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Schwungphase vorne und beim Bodenkontakt aktiv werden. Power und Speed werden durch die unterschiedliche Anatomie der vier Anteile bewerkstelligt, weil die Fiederung, die Winkel, die Faserlänge und der PCSA sehr unterschiedlich sind. Das ist also ein sehr weites Feld, auf dem man sich gedanklich bewegen kann und natürlich jede Menge Platz für die Praxis lässt. 

Die transversale Komponente spielt natürlich eine enorme Rolle, da dadurch Spannungsverläufe geschehen. Spätestens jetzt sollte doch jeder begreifen, dass die beidbeinige TKB nicht das Mittel der Wahl z. B. für Sprint und Sprung sein kann.

Gertrud




Ich habe mir nochmal Zeitlupenvideos mit der Frontalansicht von Sprintern angeschaut: Zum Zeitpunkt des Initialstützes ist die Beckenhälfte des Schwungbeines abgesenkt, also eine Adduktionsposition im Hüftgelenk des Stützbeines. Während der Stützphase wird die Beckenhälfte des SChwungbeines angehoben, es findet also eine Abduktion unter vermutlich starker Beanspruchung des M. gluteus medius und minimus statt. Der M. tensor fasciae latae könnte auch eine Rolle bei der Abduktion spielen, immerhin wird er im Deutschen auch als "Sprintermuskel" bezeichnet. In der Flugphase bleibt diese Beckenneigung erhalten, die Beckenhälfte des Beines, dass in die vordere Schwungphase gebracht wird, ist also immer noch oben, das HÜftgelenk dieses Beines zeigt eine Adduktion. Das bewirkt auch die stärkere Beanspruchung des M. biceps femoris caput longum im Vergleich zu den medialen Beinbeugern.

Man kann das auch in einer Dehnübung ausprobieren: Ein Bein ist Standbein und wird leicht gebeugt. Das andere Bein soll einer Ischio-Dehnung unterzogen werden und wird gestreckt nach vorn gestellt, mit der Ferse auf dem Boden. Der Oberkörper neigt sich jetzt bei geradem Rücken nach vorn (Hüftbeugung, keine Krümmung der LWS!), bis eine Dehnung in der ischiocruralen Muskulatur zu spüren ist. Wir denken uns eine Gerade durch beide Hüftgelenke und nennen diese Gerade "Beckenachse". Neigt man die Beckenachse, indem man die Beckenhälfte des Standbeines weiter nach unten bringt, spürt man die Dehnung mehr in der Außenseite, also im Caput longum des Biceps femoris. Neigt man die Beckenachse entgegengesetzt, also unter Anheben der Stützbein-Beckenseite, so spürt man die Dehnung in der Mitte und Innenseite des hinteren Oberschenkels, also dem Ort, wo M. semitendinosus (Mitte) und M. semimembranosus (Innenseite) liegen. (siehe Abb.)

[attachment=526]


RE: Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - icheinfachma - 12.01.2017

(12.01.2017, 16:26)MZPTLK schrieb: Sogar für den Sprint würde ich gut ausgeführte, spezifisch variierte KBs als nützlich ansehen.
Erstens, weil der Kurzsprint zu einem wichtigen Teil aus der Beschleunigungsphase besteht,
zum anderen, weil jedwedes Training immer ein Abwägen des Verhältnisses von pro- und kontra-produktiven Inhalten erfordert.





Die Langhantelkniebeuge bringt Verbesserungen

Die Langhantelkniebeuge, ob nun tief oder halb, bringt natürlich eine Leistungssteigerung in der Initialbeschleunigung (engl. Drive Phase), also dem ersten Beschleunigungsabschnitt, der durch große Beugewinkel von Knie und Hüfte in der Stützphase gekennzeichnet ist. Schon in der Pick-Up-Beschleunigung, also ca. Meter 10 bis Meter 30, spielt das keine so große Rolle mehr, hier ist der Sprint schon vorrangig durch die Hüftstreckung durch die Muskelkette Gesäß-M. adductor magnus*-Beinbeuger und durch die Reaktivkraft der Streckerkette Quadrizeps-Wade determiniert. Natürlich spielen weitere Muskeln eine Rolle.

*M. adductor magnus hat aufgrund seines Verlaufes in der vorderen Schwungphase eine stark hüftstreckende Wirkung, die in der Stützphase nicht mehr gegeben ist. In der Stützphase wird dieser Muskel nicht weiter innerviert. (siehe Wiemann, "Die Adduktoren im Sprint - Bisher vernachlässigt?", unter Google zu finden)


Die Langhantelkniebeuge hat dennoch Nachteile

Allerdings spielen durch den einbeinigen Stütz die Abduktoren eine wichtige Rolle, die meines Erachtens nach nciht nur durch Seitstütz mit Beinabspreizen u.ä. trainiert werden sollten, sondern auch in der Kette mit den Hauptkinetoren im Sprint, um die intermuskuläre Koordinatinon zwischen den wichten Muskeln zu verbessern.

Außerdem ist folgendes bekannt: Ein Gewichtheber (trianiert beidbeinig), erreiche im Max-Krafttest mit einer Beinpresse einbeinig links F1, einbeinig rechts F2. Erwartungsgemäß müsste er mit beiden Beinen gleichzeitig F3=F1+F2 schaffen. Entgegen dieser Erwartungen schaffen Gewichtheber aber beidbeinig mehr GEwicht, als die Summe der einbeinigen Tests, F3>F1+F2
Leichtathleten (trianieren im LA-Training v.a. einbeinig, im Krafttraining oft Mischung aus KNiebeugen und Aufsteigern / Ausfallschritten, also insgesamt eher einbeinig), erreichen links F1, rechts F2 und erwartungsgemäß wäre im beidbeinigen Test eine Kraft F3=F1+F2 zu verzeichnen. Tatsächlich beträgt hier F3<F1+F2, sie schaffen also beidbeinig weniger Gewicht, als beide Einzeltests addiert.
Die Ursache ist, dass das Nervensystem der Leichtatheten auf einbeinige Belastungen programmiert ist und sie hier einen größeren muskulären Rekrutierungsgrad erreichen können als beidbeinig. Gewichtheber hingegen sind auf beidbeinige Aktionen programmiert und können bei solchen Aktionen mehr motorische Einheiten rekrutieren als bei einbeinigen Aufgaben.
Ich weiß nicht mehr, wie viel es ausgemacht hat, aber es waren ca. 10-20%, also ein beachtlicher Unterschied.
Die Schlussfolgerung ist, dass einbeiniges Training einen besseren Transfer in die Leichtathletik und laufintensive Sportarten und beidbeiniges Trianing einen besserne Transfer in Kraftsportarten wie Gewichtheben und den Krafdreikampf mit sich bringt.

Der Transfer bei speziell konstruierten Übungen ist höher als beim klasscihen Krafttraining. Das bedeutet, dass man dieselbe Sprintkraft mit speziellen Übungen schneller erreicht als mit klassischen. Man könnte auch sagen, man müsste mit speziellen Übungen einen geringeren Trianingsaufwand für den selben Transfer in die Zieldisziplin betreiben. Mit geringeren Kraftrainingsumfängen könnte das ZNS geschont werden, sodass die Qualität im Schnelligkeitstraining erhöht wird und die Verletzungsanfälligkeit verringert. Außerem können durch die disziplinspezifischere Voerbereitung Verletzungen direkt vermieden werden. Man denke nur an die SChambeinentzündung (Entzündung der Schambeinfuge durch Überlastung) bei Hochspringern - einbeinige KNiebeugne bewirken durch die Scherkräfte zwischen den beidne Beckenhälften eine Kräftigung des Bindegewebes der Schambeinfuge, auch die muskuäre Stabilisation des Beckens, die Kraft von der Schambeinfuge nehmen kann, wird besser trainiert.

--> Warum trainieren wir dann beidbeinige Kniebeugen?


Mein Lösungsvorschlag: einbeinige Kniebeugen für den Bereich der Initialbeschleunigung

Das geht gut mit einbeinigen Kniebeugen (eine Fuß in der Luft), Ausfallschritten und Aufsteigern. Auch die bulgarische (Split-)Kniebeuge und ihre Vorübung, die normale Splitkniebeuge, sind erwähnenswert. Für einbeinige Kniebeugen (also ein Fuß am Boden, einer in der Luft) kommen in Frage:

-einbeinige Kniebeuge auf einer Hantelbank / Turnhocker, dabei eine Hantelscheibe in Vorhalte als Zusatzlast, aktives Bein steht am Rand auf dem Hocker, passives Bein hängt rechtwinklig gebeugt (OS senkrecht, US waagerecht) neben dem Hocker herab, Körperposition ansonsten wie bei der Langhantelkniebeuge. In der konzentrischen Phase kann das passive Bein den Kniehub / Schwungbeineinsatz imitieren, wie man es von den leichtathletischen Aufsteigern kennt. Auch explosiv möglich.

-einbeinige Kniebeuge, Gesicht zur Sprossenwand, beidhändiges Festhalten an dieser, passives Bein hängt rechtwinklig gebeugt. Aufgrund des Festhaltens kann man sich gut nach hinten absenken. Zusatzlasten durch Gewichtswesten oder Rucksack möglich, da die HÄnde nicht frei sind. Auch explosiv möglich, insbesondere sehr gut auch als Kniebeugensprung (Squat Jump) durchführbar. Beim Abspringen müssen sich die HÄnde von der Sprossenwand lösen.

-Pistol Squats lehne ich aufgrund der orthopädisch fragwürdigen Positionen ab (Knie, LWS), insbesondere mit Zusatzlasten, die man bei einbeinigen Kniebeugen sehr bald braucht, wenn man stärker wird. Von den meisten aufgrund fehlender Fußgelenksbeweglichkeit sowieso nicht durchführbar.

-Einbeinige Sitzkniebeugen (Box Squats, wie in dieser Playlist): https://www.youtube.com/watch?v=xoTXSoGzaiU&list=PL_uy0nntdFIRA-hns8Gbw8VPJ88APWQfJ


RE: Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - MZPTLK - 12.01.2017

Super, das meinte ich mit gut ausgeführt und spezifisch. Thumb_up


RE: Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Gertrud - 13.01.2017

(12.01.2017, 20:45)icheinfachma schrieb: --> Warum trainieren wir dann beidbeinige Kniebeugen?

Ist es bei den vielen Argumenten nicht seltsam, dass sich diese Trainngshintergründe nicht schon flächendeckend beim DLV durchgesetzt haben? Ich prangere das seit Jahren an; aber "Eisenbahnschienen" sind in der Regel unbeweglich!  Wink Diese Veränderungen müssen von den verantwortlichen Trainern (im Team  Wink ) ausgehen. In der Hinsicht mache ich den Oberen nicht den Hauptvorwurf!!!

Ich weiß jetzt nicht, ob in der Hinsicht bei den Gewichthebern Potential liegenbleibt, weil sie unsere Trainingsform nicht durchführen, ob nicht auch unilaterale Trainingsformen das bilaterale Ergebnis anheben? Das käme auf Versuche parallel mit beiden Trainingsformen an.

Man weiß auch nicht, warum gerade die unteren Regionen ein so großes Kraftdefizit bei bilateraler Beanspruchung haben. Die Wissenschaft kann uns noch eine Menge in Verbinung mit der Praxis liefern. Sicherlich ist die Ausprägung auch wahrschienlich genetisch bedingt.

In unserem Übungspotential kommt es sicherlich darauf an, wie nahe wir den anatomischen Gegebenheiten kommen und damit die Disziplin und die Verletzungsprophylaxe anschieben können. Was die Herren der beidbeinigen TKB und es Deadlifts absolut nicht in die Überlegung einbeziehen, ist die Position aller Körperteile, weil Gefahr nicht nur von den Beinen ausgeht. Ich betrachte es immer als meine vornehmliche Aufgabe, mich so weit wie möglich vom Mainstream zu positionieren, Exaktheit walten zu lassen und viele Argumente zu sammeln.  

Gertrud


RE: Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Drizzt - 13.01.2017

Sehr schön,icheinfachma,das sind doch jetzt endlich mal praktische Beispiele und Übungen,unter denen man sich was vorstellen kann!
Dankeschön! Smile


RE: Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Gertrud - 13.01.2017

(13.01.2017, 19:33)Drizzt schrieb: Sehr schön,icheinfachma,das sind doch jetzt endlich mal praktische Beispiele und Übungen,unter denen man sich was vorstellen kann!
Dankeschön! Smile

Genau diese Vermittlung gehört in das Fortbildungsprogramm des Verbandes bis hin zur Peripherie! Dazu wird das Team doch wohl fähig sein. Da möchte ich nicht vorgreifen.  Wink

Gertrud


RE: Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Solos - 14.01.2017

Alles gut und schön hier. Letztlich auch meine Linie, wenn auch eher im Wurfbereich. Ich möchte allerdings anmerken, dass für viele der hier getätigten Aussagen absolut keine Evidenz, zu meist nicht einmal eine verifizierende Untersuchung vorliegt.

Auch wenn vieles plausibel ableitbar scheint, so steht die tatsächliche Wirksamkeit, die Überlegenheit anderen Vorgehensweise gegenüber oder die präventive Effektivität auf ganz wackeligen Füßen. 

Allerdings möchte ich damit nicht praktische Empirie schmälern oder Kraetivität negieren. Man sollte sich nur vielleicht etwas
mit absoluten Standpunkten und vor allem mit pauschalen Vorwürfen anderen gegenüber zurückhalten. 

Gut Sport. 
Wink