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Kniebeuge im Sprungbereich - Druckversion

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RE: Kniebeuge im Sprungbereich - Solos - 16.03.2014

(16.03.2014, 11:37)MZPTLK schrieb: Begründung:
1. Die Absprungdauer/Kontaktzeit bei den Sprüngen liegt bei 1-2 Zehntelsekunden, die Kniewinkel währenddessen zwischen 130-175 Grad.
Warum sollte man also Kniebeugen unter 90 Grad trainieren, die vor allem bei  weitem nicht in der dynamischen Sruktur wie die Zielübung/en ausführbar sind??

Ich halte es für einen großen, in der Trainingspraxis aber häufig zu beobachtenden Fehler, dass Krafttraining ausschließlich an kinematischen oder kinetischen Merkmalen der Zielbewegung zu orientieren. Die dahinter stehende Idee des vermeintlich "spezifischeren Trainings" durch das "Imitieren der Zielbewegung" führt meist nur zu einer Verhinderung der für die Entwicklung grundlegender biologischer Leistungsvoraussetzungen wie Muskelmasse oder neuromuskulärer Steuerungsmechanismen erforderlichen Trainingsreize. 
Gerade für die hier diskutierte Tiefkniebeuge konnte gegenüber flacheren Beugevarianten mehrfach eine hohe Überlegenheit hinsichtlich der Entwicklung von Muskelmasse und Maximalkraft nachgewiesen werden. Wer sich genauer über die Hintergründe und entsprechenden Erklärungen dafür informieren möchte, dem empfehle ich als Einstieg die in den letzten Jahren mehrfach von der Frankfurter Arbeitsgruppe um Schmidtbleicher und Wirth in der Zeitschrift "Leistungssport" publizierten Untersuchungen.

Da hier auch sicher die Problematik allgemeines vs. spezifisches Krafttraining bzw. die Frage, was denn spezifisches Krafttraining überhaupt mit rein spielt, ist der folgende Artikel sicher lesenswert:

file:///C:/Users/Daro/Downloads/045_Wirth&Hartmann&Keiner&Sander_2_2012.pdf

Leider ist der Volltext im Internet nicht verfügbar. Ich selber habe ihn nur in gedruckter Form. Über eine entsprechende Bibliothek sollte er jedoch zu bekommen sein.


Zitat:MZPTLK

2.Vermeidung 'orthopädischen Schrotts'(Gertrude)
Ich hätte kein Problem, wenn der Mensch ein Roboter mit in jeder Winkelstellung flächenschlüssigen Gelenken wäre, und wo Knorpel, Menisci, Bänder und Patellasehnen auch bei spitzem Kniewinkel nicht leiden würden.
Evolutionär und histologisch ist der Mensch nun mal auf bestimmte Funktionen 'hingewachsen', er kann heute zwar immer noch auf allen Vieren laufen, aber nicht so gut, so schnell und ausdauernd wie seine Altvorderen.
Wenn man sich das Knie unter morphologischen und funktionellen Aspekten ansieht, wird die Auflagefläche des Oberschenkels umso kleiner, je tiefer man runtergeht. Die Flächenschlüssigkeit ist vermindert, die Knorpelbelastung erhöht. Kommen falsche Bewegungsausführungen hinzu, entstehen Traumata oder Schlimmeres. Aber auch die Bänder und die Patellasehnen sind für ganz tiefe Kniebeugen nicht ausgelegt(Dislokationen), wir haben es mit Bio-mechanik zu tun. 
Es ist begrüßenswert die Biomechanik zur Argumentation heranzuziehen. Allerdings sollte dies korrekt und mit entsprechender Differenziertheit geschehen. 
Aus wissenschaftlicher Sicht weiß man heute mit ziemlicher Sicherheit, dass die bei Tiefkniebeugen im Knie- und Hüftgelenk sowie im Lumbalbereich auftetenden Kräfte, welche sich genaugenommen aus zu differenzierenden Kräften zusammensetzen, keinesfalls höher sind als bei flacheren Beugevarianten. Im Gegenteil: gerade die im Kniegelenk auftretenden Kräfte sind aufgrund der vorliegenden Hebelverhältnisse und der durch die anatomischen Gegebenheiten geringen Kontaktflächen der artikulierenden Knochen bei der häufig als Gesundheitsvariante angepriesenen 90° Kniebeuge am höchsten. Hinzu kommen die in Folge der größeren Gelenkwinkel möglichen Lasten, welche die bei einer Tiefkniebeuge bewältigbaren Gewichte deutlich übersteigen. 
 
Das ich mir das alles nicht ausgedacht habe kann man u.a. hier nachlesen:

http://link.springer.com/article/10.1007/s40279-013-0073-6

http://www.spsport.at/download/Kniebeuge.pdf

http://www.ifhias.com/downloads/2013_Tiefkniebeuge.pdf

Zusammenfassend deutet also vieles darauf hin, und das sollte man sich bei der hier vorherrschenden Meinung auf der Zunge zergehen lassen, dass mit der Tiefkniebeuge bei geringerer Gesamtbelastung für den Bewegungsapparat Basisvoraussetzungen wie Muskelmasse und Maximalkraft der Streckerkette der unteren Extremitäten effektiver entwickelt werden können als mit flacheren Beugevarianten!

Das Beintraining sollte ganz bestimmt nicht ausschließlich aus dieser Übung bestehen und ich bin auch ganz sicher kein "Kniebeuge-Jünger". Aber die hier bzw. im alten Forum und in zunehmendem Maß auf Fortbildungen oder in der Trainingspraxis an eine "Hexenjagd" erinnernde Verunglimpfung dieser Übung kann so einfach nicht stehen gelassen werden. 

Zitat hierzu:

Zitat:Pernitsch & Brunner:

Wenn die Kniebeuge entsprechend langfristig und methodisch
aufgebaut wird, ist sie eine äußerst effiziente und notwendige
Trainingsübung, die eine zentrale Übung in vielen Sportarten darstellt! 

Quelle


In welcher Form diese Übung sinnvoll (Trainingsphase, Umfang, Intensität,...) als Unterstützung zur Entwicklung von Sprung-, Sprint- oder Wurfleistungen eingesetzt werden kann, ist sicher diskutabel. Ihre generelle Einsetzbarkeit steht bei richtiger Durchführung jedoch außer Frage.

Gruß


RE: Kniebeuge im Sprungbereich - MZPTLK - 16.03.2014

Solos: klasse Beitrag!
Wir sind eigentlich kaum auseinander, aber in diesem Thread geht es um die Sprünge, und da würde ich deiner 'Philosophie' nur folgen wollen, wenn die tiefe Kniebeuge nicht zu schwer und zu häufig betrieben wird.

Anders sieht es bei den Werfern(vor allem Kugelstosser und Hammerwerfer) aus, die haben erstens stabilere Knochen, zweitens ist aus Konkurrenzgründen das tiefere, schwerere und häufigere Beugen unabdingbar, auch wenn gesundheitliche Bedenken bleiben.


RE: Kniebeuge im Sprungbereich - MZPTLK - 17.03.2014

Noch ein Punkt:
Man sollte sich nicht dem Irrglauben hingeben, dass aus z.B. 20 % mehr Kniebeugen-Leistung auch nur 10 % mehr an Sprungleistung herauskommt.
Das hat mit der schon erwähnten Zielübungen-'Fremdheit', was Konfiguration und Dynamik angeht, zu tun. Auch können für die Zielübung wichtige Bereiche nicht oder nur disproportional entwickelt werden.
Die Muskel-Stützapparat-Kette ist nur so stark wie der schwächste Teil.

Auch bei den Würfen wird die 'Investition' nicht 1:2 oder gar 1:1 belohnt, aber immerhin besser als bei den Sprüngen. Leider wird dieses Verhältnis im Topbereich immer ungünstiger(Prinzip des abnehmenden Grenznutzens).

Sprünge sind Kniebeugen.
Kniebeugen sind eine andere Disziplin als Sprünge.
Sie sind viel einfacher, rudimentärer.


RE: Kniebeuge im Sprungbereich - decathlonitis - 17.03.2014

(15.03.2014, 23:58)Solos schrieb:
(15.03.2014, 23:39) MZPTLK schrieb: Kniebeugen tiefer als 90 Grad oder unter Oberschenkelhorizontale sind nicht zielführend und orthopädisch auf Dauer bedenklich.

Begründung?
Zunächst, ich bin euch dankbar, dass ihr das Streit-Thema im DLV-Forum nochmals aufgegriffen habt.
So wie ich es verstanden habe, habt ihr es doch analytisch mit Argumenten und hinweisenden Links bereits beantwortet. Und ich sehe es genauso.
Disziplinspezifisches Training (Mittel) ist vorrangig. Krafttraining (als Oberbegriff) ist als Zubringerleistung zu sehen und die Effektivität lt. Aussagen von @MZPTLK liegt (bei technischer Ausreifung) in den Sprüngen bei 5% und in den Würfen bei ca. 20 % Leistungszuwachs.
Eine besondere Rolle der Durchführung kann dabei noch die persönliche Konstitution und das individuelle Leistungsniveau der Probanten spielen. Daraus stellt sich die Frage, was will ich erreichen? Muskelaufbau, Kraftzuwachs, neuromuskuläre Reize.

Ein trainingsspezifischer Effekt ist hiermit ja auch beantwortet.
Auch auf die orthopädischen Auswirkungen wurde hin gewiesen. So ist die Erkenntnis, das selbst die "Tiefe Kniebeuge" (bei 60-80% Max-G) ihre positven Auswirkungen haben kann und es hier schon zu gar keinen  vermehrten Schädigungen kommen muss. (Vorausgesetzt, richtige Durchführung und das richtige Maß)
@Solos und @ThomZach sei gedankt, da sie MZPTLK dazu animierten, sein Wissen und seine damit verbundenen Thesen dazu nochmals differenzierter hier einzustellen.

deca


RE: Kniebeuge im Sprungbereich - MZPTLK - 17.03.2014

@ deca

Vielen Dank, aber obacht: ich würde es nicht als Wissen bezeichnen, das ist etwas zu hochgehängt. Sagen wir besser: begründete, hoffentlich auch für Nicht-Freaks nachvollziehbare Meinung.

Nochmal zu den 5, bw. 20 %: Das sind Maximalwerte, meistens liegt der Effekt darunter. Ich will das auch nicht so verstanden wissen, dass man sich leichtathletisch erst völlig ausreizen soll, um dann erst 'schwerere Geschütze' aufzufahren. Es handelt sich um eine Denkfigur, um es anschaulicher zu erklären. In der Praxis sollte man die Dinge natürlich sukzessiv verzahnen. Das bedeutet, dass man keine eindeutige 'Schnittstelle' identifizieren kann, wo hört die leichtathletische 'Ausreizung' auf, wieviel ist dem Eisen zuzurechnen? Daraus folgt messerscharf, dass meine Zahlen natürlich nicht beweisbar sind, weder empirisch noch theoretisch. Mich tröstet aber, dass Zweifler in der gleichen misslichen Lage sind....Big Grin


RE: Kniebeuge im Sprungbereich - Hellmuth K l i m m e r - 17.03.2014

(16.03.2014, 20:16)Solos schrieb: Ich halte es für einen großen, in der Trainingspraxis aber häufig zu beobachtenden Fehler, dass Krafttraining ausschließlich an kinematischen oder kinetischen Merkmalen der Zielbewegung zu orientieren. Die dahinter stehende Idee des vermeintlich "spezifischeren Trainings" durch das "Imitieren der Zielbewegung" führt meist nur zu einer Verhinderung der für die Entwicklung grundlegender biologischer Leistungsvoraussetzungen wie Muskelmasse oder neuromuskulärer Steuerungsmechanismen erforderlichen Trainingsreize. 

Das ist wohl die richtige Quintessenz des "unendlichen Disputs" um die TKB.
Was ich noch anmerken möchte ist: Die Art der Ausführung der TKB ist enorm wichtig. Nur noch wenige werden wohl mit freier Hantel üben. Vielmehr sind heute tolle Geräte im Einsatz, die die Knie- und LWS-Belastung reduzieren (z. B. Gleitgerüste zur Bewegung der Last   i m  L i e g e n ! / "Schlitten" für Beindruck).
Und noch ein Gedanke: TKB in der Vorbereitungsperiode I (VP I) schaffen die Basis; TKB können aber auch in der Saison zur Vorbereitung von Wettkampfhöhepunkten (innerhalb von 4 ... 6 W.) sehr gut das Maximalkraftniveau verbessern (z.B.. mit frappiernder Wirkung im Beschleunigungsabschnitt der Sprinter oder beim WS-Absprung! Thumb_up ).
Noch besser ist allerdings eine (ständige) Mischung von TKB und reaktiven Sprüngen (z.B. Kastenaufsprünge). Mein ehem. Kollege und Verbandstrainer des DVfL (D.F.) hat darauf geschworen - und keiner war "schrottreif" geworden. Thumb_up
H. Klimmer / sen.


RE: Kniebeuge im Sprungbereich - MZPTLK - 17.03.2014

O.K., man reiche mir ein TKB-Club Eintrittsformular...Big Grin

Im Ernst: Hellmuth, das ist nicht die richtige Quintessenz, denn
(nicht nur) bei den Sprüngen kommt es weniger auf Muskelmasse, sondern  -Qualität an. Dabei ist das Last/Kraft-Verhältnis Trumpf, ebenso der inner- und intramuskuläre Wirkungsgrad.
Die neuromuskuläre Steuerung gehört in diesen Komplex der Optimierung, und du hast ja auch geeignete Übungsformen, geradezu 'Klassiker', erwähnt, die in der 'Verzahnung', der gegenseitigen 'Hochschaukelung' mit der schwerathletischen KB(ich habe das T nicht aus Versehen weggelassenBig Grin) sehr effektiv sind.

Btw: Du hast Trainingsgeräte mit geführten Bewegungen erwähnt. Es begann nach meiner Kenntnis in den 70er Jahren mit dem Schnell-Trainer, an dem zunächst vor allem Sprinter die unteren Extremitäten gekräftigt hatten. MMn sollten mehr oder weniger geführte Bewegungen nicht übermässig trainiert werden, sonst verkümmert die Ausbildung der autonomen neuromuskulären (An-)Steuerung, aber das verdient einen Extrathread.


RE: Kniebeuge im Sprungbereich - ThomZach - 17.03.2014

Danke für diesen Thread. Verfolge ich mit Interesse. Will hier nur kurz zustimmen,
dass geführte Gewichte und entsprechende Kraftmaschinen weit davon entfernt sind,
der Zielbewegung auch nur im Mindesten ähnliche Belastungen zu liefern.
Die freie Hantel fordert den gesamen Bewegungsapparat, weil der Körper selbst
für die Stabilisierung in alle Richtungen sorgen muss und damit auf das Höchste
herausgefordert wird.
Auch muss der Körper in der Postion belastet werden, in der er die Zielbewegung ausführt.
Meine These: Man kann im Liegen nicht genau die Muskelgruppen trainieren, die man
im Stehen benötigt.
Man kann einen Streckmuskel (zB Trizeps) nicht für die (Knie-)Streckung trainieren,
indem man ihn an der Maschine Zugübungen durchführen lässt.

Und sowohl Sprint, Würfe und Sprünge erfordern das dynamische Mitwirken des ganzen Körpers,
vor allem der Wirbelsäule. Wenn man diese im Training schonen zu müssen glaubt, dann
kann sie bei der Ausführung der Zielbewegng nicht mitwirken. Im Gegenteil, sie wird
sich passiv verformen und die von den Beinen generierten Kräfte verschlucken.

Mithin ist das klassische Gewichtheben DIE leichtahtletische Grundschule. 
Und nicht erst, wenn man alle anderen Mittel ausgereizt hat.


RE: Kniebeuge im Sprungbereich - MZPTLK - 17.03.2014

Thomas, sehe ich auch so, Aber der vorletze Satz...Dodgy Der ist Dir wohl aus Versehen rausgerutscht.


RE: Kniebeuge im Sprungbereich - decathlonitis - 17.03.2014

(17.03.2014, 21:12)ThomZach schrieb: Danke für diesen Thread. Verfolge ich mit Interesse. Will hier nur kurz zustimmen,
dass geführte Gewichte und entsprechende Kraftmaschinen weit davon entfernt sind,
der Zielbewegung auch nur im Mindesten ähnliche Belastungen zu liefern.
Die freie Hantel fordert den gesamen Bewegungsapparat, weil der Körper selbst
für die Stabilisierung in alle Richtungen sorgen muss und damit auf das Höchste
herausgefordert wird.
Auch muss der Körper in der Postion belastet werden, in der er die Zielbewegung ausführt.
Meine These: Man kann im Liegen nicht genau die Muskelgruppen trainieren, die man
im Stehen benötigt.
Man kann einen Streckmuskel (zB Trizeps) nicht für die (Knie-)Streckung trainieren,
indem man ihn an der Maschine Zugübungen durchführen lässt.

Und sowohl Sprint, Würfe und Sprünge erfordern das dynamische Mitwirken des ganzen Körpers,
vor allem der Wirbelsäule. Wenn man diese im Training schonen zu müssen glaubt, dann
kann sie bei der Ausführung der Zielbewegng nicht mitwirken. Im Gegenteil, sie wird
sich passiv verformen und die von den Beinen generierten Kräfte verschlucken.

Mithin ist das klassische Gewichtheben DIE leichtahtletische Grundschule. 
Und nicht erst, wenn man alle anderen Mittel ausgereizt hat.
Dem stimme ich zu und Du bist mir zuvor gekommen. Freie Hantelübungen sprechen den Gesamtkörper!
Helmuth, Deine Mehrfach-Erwähnung  der TKB (die tiefe K.) irritiert. Meinst Du es wirklich so oder kommen die anderen Winkelformen der KB nicht in Frage?
Aber sonst!
deca