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Harald Lesch über unser Bildungssystem - Druckversion

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RE: Harald Lesch über unser Bildungssystem - icheinfachma - 08.07.2016

Das Problem ist aber, dass das Abitur die Hochschulreife darstellt. Wenn man es erfolgreich abgelegt hat, bedeutet das, dass man mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Lage sein sollte, zu studieren. Du kannst mir nicht erzählen, dass 40-50% der Bevölkerung in der Lage wären, zu studieren. Das Abitur ist zu leicht und kann eben darum von zu vielen abgelegt werden. Das kann nicht nur an besseren Zugangsvoraussetzungen auch für sozial benachteiligte Schüler liegen. Und weil eben heute zu viele das Abitur ablegen können, weil es zu leicht ist, klagen viele Dozenten und Professoren an den Hochschulen darüber, dass aufgrund der Inflation des Abiturs auch immer schlechtere Studenten an die Hochschulen können und sie das fachliche Niveau immer weiter absenken müssen.

Übrigens ist die ganze Art, wie du deinen letzten Beitrag geschrieben hast, von Arroganz und Polemik geprägt. Ich bitte dich darum, das im Gespräch mit mir zu unterlassen.


RE: Harald Lesch über unser Bildungssystem - DerC - 08.07.2016

(08.07.2016, 12:52)icheinfachma schrieb: Das Problem ist aber, dass das Abitur die Hochschulreife darstellt. Wenn man es erfolgreich abgelegt hat, bedeutet das, dass man mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Lage sein sollte, zu studieren. Du kannst mir nicht erzählen, dass 40-50% der Bevölkerung in der Lage wären, zu studieren.


Wie viel % sind denn deiner Meinung in der Lage zu studieren, und wie hast du das ermittelt?

1960 studierten knapp 300000 Menschen in der BRD. Vermutlich gingen damals viele davon aus, dass sich kaum die doppelte Zahl als studierfähig erweisen würde. 1980 waren es über eine Million. Heute sind wir bei etwa 2,7 Millionen in ganz Deutschland. Wie viel % davon sind deiner Ansicht nach studierfähig? Aufgrund welcher Kriterien meinst du, das beurteilen zu können?

Versteh mich nicht falsch, ich halte diese Art der Akademisierung sicher nicht für optimal. Aber nur ständig „das Abitur ist heute zu leicht“ zu wiederholen, macht ein halbes Argument nicht besser.
Überhaupt: Zu leicht verglichen mit wann?
Das Abitur ist heute vermutlich (gesamtdeutsch) im Schnitt leichter als 1960 (BRD), aber im Schnitt schwerer als 1980 (BRD). Dass das Abitur in der DDR erheblich schwieriger gewesen wäre, wäre mir neu, darauf habe ich bis jetzt auch keinen ernsthaften Hinweis gefunden. 
(08.07.2016, 12:52)icheinfachma schrieb: Das Abitur ist zu leicht und kann eben darum von zu vielen abgelegt werden.


Stütze diese These mal mit ernstzunehmenden Argumenten, die sich am besten direkt auf die Leistungsanforderungen des Abiturs beziehen. Z. b. ein Vergleich von Abituraufgaben aus den entsprechenden Jahrgängen. Du wirst in der wissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema übrigens keinen ernstzunehmenden Autor finden, der die Bildungsexpansion derart monokausal begründet. Sondern du wirst ähnliche Argumente finden, wie ich sie genannt habe, z. B. bei Herrlitz et al (2005): Deutsche Schulgeschichte von 1800 bis zur Gegenwart. Eine Einführung. Weinheim u. München : Juventa, 185-196.

Und die entscheidenden Erleichterungen beim Abitur sind in den Reformen bis einschließlich 1972 passiert, insbesondere durch Erhöhung der Wahlmöglichkeiten, von denen ein Teil aber wieder zurückgenommen wurde. Das zum Westen Deutschlands.

Im Osten gab es andere Wege zum Abitur, nur gut 50% der Abiturienten erwarben dies 1986 direkt auf der erweiterten Oberschule. (Herrlitz et al 2005, 227) und man hat eben mehr gesteuert. Gesteuert wurde und wird aber nicht nur über Leistungsanforderungen.

Gesteuert wurde und wird wird auch über finanzielle Förderungen (z. B. Bafög) und, gerade für die aktuelle Entwicklung ganz wichtig, über die Propagierung von höherer Bildung als dem Weg zu Sicherheit und Wohlstand. 

Natürlich ist das auch abhängig vom Arbeitsmarkt. Bei Vollbeschäftigung drängt es weniger in die Unis. Wenn eine Gesellschaft aber von Vollbeschäftigung weit entfernt ist, und die Arbeitslosenquote bei Akademikern deutlich niedriger als bei Nichtakademikern ist, hat das eine gesellschaftliche Wirkung.
(08.07.2016, 12:52)icheinfachma schrieb: Das kann nicht nur an besseren Zugangsvoraussetzungen auch für sozial benachteiligte Schüler liegen.


Wer hat das behauptet? Du bist der mit den monokausalen Erklärungsversuchen, nicht ich.
(08.07.2016, 12:52)icheinfachma schrieb: Und weil eben heute zu viele das Abitur ablegen können, weil es zu leicht ist, klagen viele Dozenten und Professoren an den Hochschulen darüber, dass aufgrund der Inflation des Abiturs auch immer schlechtere Studenten an die Hochschulen können und sie das fachliche Niveau immer weiter absenken müssen.


Klagen lässt sich leicht, schon in der Antike wurde über die Unzulänglichkeiten der Jugend geklagt. Aber möglicherweise hat das Klagen andere Ursachen. Möglicherweise ist das Abitur nicht zu leicht, sondern prüft nicht ausreichend die Kompetenzen, die sich viele Hochschuldozenten wünschen. Möglicherweise sind auch die Habitus der Studenten, die jetzt aus den unteren sozialen Lagen der Gesellschaft an die Universität kommen, zu weit vom klassischen bildungsbürgerlichen Habitus der meisten Dozenten entfernt.

Und natürlich solltest du nicht vernachlässigen, dass ein Teil der Student*innen das Studium nicht abschließen wird, und bei denen mit stärker begrenzten Fähigkeiten wird die Wahrscheinlichkeit für den Abbruch im Schnitt höher sein.
(08.07.2016, 12:52)icheinfachma schrieb: Übrigens ist die ganze Art, wie du deinen letzten Beitrag geschrieben hast, von Arroganz und Polemik geprägt. Ich bitte dich darum, das im Gespräch mit mir zu unterlassen.


Nein ich bin nicht arrogant. Man könnte eher dich als arrogant bezeichnen, wenn du meinst, deinen Kommilitonen die Studierfähigkeit absprechen zu können. Darauf habe ich - zugegeben etwas scharf - reagiert. Wäre ich arrogant im eigentlichen Sinne, würde ich diese Diskussion mit dir gar nicht führen, da offensichtlich ist, dass du dich mit diesem Thema noch nicht ausreichend vertraut gemacht hast. Aber da ich Bildung für ein Menschenrecht halte, werde ich dir nicht verweigern, deine Bildung durch diese Diskussion zu mehren. Und das bisschen Polemik hast du dir mit deinen Äußerungen redlich verdient, wenn du das nicht ertragen kannst, hast du zu wenig Nehmerqualitäten für jede Diskussion außerhalb einer Kuschelgruppe.
 
Gruß

C


RE: Harald Lesch über unser Bildungssystem - icheinfachma - 08.07.2016

Wenn mehrere Professoren verschiedener Unis, die ja jedes Jahr eine große Zahl an Studenten betreuen, bemängeln, dass die Schulabgänger immer weniger können, dann inflatiert das Abitur. Diese Professoren sitzen an der Basis und können das dementsprechend beurteilen und sind nicht solche Theoretiker wie du.

Du bist insofern arrogant, dass du meine akademischen Qualitäten beurteilst. Einerseits gesteht du mir z.B. zu, mich mit Sportwissenschaft intensiv auseinandergesetzt zu haben, andererseits bezeichnest du mich als akademisch unfähig, weil ich deiner Ansicht nach Fehlurteile im Bereich Pädagogik abgebe. Tatsächlich müsstest du sagen, dass ich nicht generell unfähig bin, sondern von Pädagogik keine Ahnung habe. Du nimmst dein liebstes Kind, die Pädagogik als Maß der Dinge.
Außerdem sagst du, ich solle als "Einäugiger" nicht über "Blinde" urteilen. Nun - im Gegensatz zu einigen meiner Kommilitonen, die es zu DDR-Zeiten mit Sicherheit an keine Uni geschafft hätten, und das nicht aus ideologischen oder sozialen Gründen, beherrsche ich die deutsche Rechtschreibung, ich habe nach Schulabschluss keine grottigen Kenntnisse in meinem zukünftigen Studienfach gehabt und stelle auch keine Fragen in Biologievorlesungen, bei denen man sich fragen muss, ob ich jemals Biologie oder Chemie in der Schule hatte. Dass du dir herausnimmst, mich in der Hinsicht als "einäugig" zu beurteilen, ist ebenfalls arrogant. Du hast keine Ahnung, was für Plinsen für ein Biologielehramtsstudium zugelassen werden und kannst dir insofern auch kein Urteil erlauben.
Auch behauptest du, ich würde von einigen Kommilitonen und Lehrern auf alle schließen - das tue ich durchaus nicht, sondern bin zu meiner Meinung gekommen, da ich mehrfach lesen musste, dass Schulabgänger immer schlechte Voraussetzungen in den verschiedenen Fächern an die Uni mitbringen und habe einige meiner Kommilitonen und Lehrer als bestätigendes Beispiel angeführt. Du gehst jedoch, ohne meine Gedankengänge zu kennen, davon aus, ich würde mich nur auf diese Fälle beziehen, auch das ist arrogant, weil du glaubst, mich ohne weiteres beurteilen zu können.

Wenn du meinst, Polemik und Arroganz gehören zu einer sachlichen Diskussion einfach dazu, können wir eben nicht weiter diskutieren. Ich sehe für mich keinen Zugewinn in dieser Diskussion (außer der Erkenntnis, dass man neuerdings sogar das Wort "man" weg-gendert). Aus dem Grund werde ich es im Folgenden unterlassen, zu antworten.


RE: Harald Lesch über unser Bildungssystem - MZPTLK - 08.07.2016

Ihr habt doch beide guten Input gegeben,
Euer Zwist ist pillepalle, hier hat der Eine mehr Ahnung, dort der Andere - wie überall im Leben.
Macht bitte entspannt weiter.
Danke


RE: Harald Lesch über unser Bildungssystem - diwa - 08.07.2016

(04.07.2016, 23:24)icheinfachma schrieb: Wahre Worte... Das Abitur inflatiert. Im Lehramt gibt es Studenten, die nicht einmal die Rechtschreibung beherrschen oder als angehende Biologielehrer weder Fichte und Kiefer noch Blaumeise und Rotkehlchen unterscheiden können und fest davon überzeugt sind, dass sie solches Wissen auch nicht brauchen. Das ist keine Übertreibung, sondern aus meinem Unialltag gegriffen und auch kein Einzelfall, sondern mir fallen spontan mindestens 5 Studenten ein, auf die das zutrifft. Da wird einem angst und bange, dass solche Leute mal unseren Nachwuchs unterrichten werden... Aktuell gibt es solche Lehrer noch nicht bzw. kaum, weil früher das Abitur und das Studium viel schwerer waren und nur von ganz wenigen zu schaffen war.

Diese Lehrer sollte es schon geben.
In meinem Studium vor mehr als 20 Jahren gab es ein Germanistik-Seminar über historische Wörterbücher - so zumindest der Titel.
Inhalt des Seminars war aber "Grammatik für angehende Grundschullehrer".
Die Dozentin erklärte mir, dass man an der Uni ein solches Seminar halten müsse, um die entsprechenden (fehlenden) Kenntnisse zu unterrichten. Selbstverständlich dürfe das aber nicht so heißen, weil nicht sein darf was nicht sein kann.
Ich durfte dann eine Hausarbeit über das eigentliche Seminarthema halten ;-)

Die (vorwiegend) weiblichen Kommilitonen, die das Seminar sonst noch besucht haben, sollten in der Zwischenzeit auch alle über 40 sein und sich verbeamtet um das Wohl der lieben Grundschüler kümmern...

Ciao

dirk


RE: Harald Lesch über unser Bildungssystem - Pollux - 08.07.2016

Als kleine Anmerkung zu den informativen Ausführungen von DerC:

In jedem Fach siegt die Stochastik.
Man stochert viel rum – und das hastig! 

(Wilhelm Tusch)


RE: Harald Lesch über unser Bildungssystem - DerC - 08.07.2016

(08.07.2016, 17:12)Pollux schrieb: Als kleine Anmerkung zu den informativen Ausführungen von DerC:

In jedem Fach siegt die Stochastik.
Man stochert viel rum – und das hastig!

(Wilhelm Tusch)

Ist da eine versteckte Aufforderung drin, zurück zum ursprünglichen Anlass des Threads zzu kommen? Big Grin
Egal ... ich kann das gerne tun, um zu einem meiner Lieblingssorgenkinder, der Mathematik, zu kommen. Die Kritik Leschs am Mathematikunterricht in der Schule trifft ja leider auf viele Unterrichtsstunden zu (und ich spreche da aus Erfahrung auf beiden Seiten des Lehrerpults). (Obwohl ich vielen AussagenLeschs zustimme, einteil der sonstigen Ausführungen und Vorschläge Leschs wirkt dagegen etwas naiv, dazu später mehr.)

Der Mathematikdidaktiker Heymann hat mal in etwa geäußert, dass ein sehr großer Teil der Schüler*innen (SuS) fast nichts von der Mathematik nach der 7. Klasse jemals mehr im Leben braucht. Das trifft wirklich auf fast alle zu, die später nichts mit Naturwissenschaften, Technik oder Wirtschaftswissenschaften zu tun haben werden, das sind wirklich eine Menge Ausbildungsberufe und Studiengänge. Und wenn wir die Mathematik bis einschließlich 10 nehmen, dann reicht die Schulmathematik noch für deutlich mehr Berufe, weil wir u. a. die Basics zu Funktionen und die Trigonometrie mit drin haben.

Warum also Mathe bis zur 12. oder 13. Klasse für alle vorschreiben?

Eine Idee dahinter ist, dass die Beschäftigung mit Mathematik beim logischen Denken, beim Problemlösen und vielem mehr hilft. (Man munkelt, die Idee habe ihren Ursprung im Griechenland der Antike.)
Das ist auch eine der gängigsten Begründungen für Mathematik als Hauptfach.

Das Problem ist, dass der Unterricht für die meisten SuS de facto in erster Linie aus Rechnen besteht und viel zu wenig Mathematik im eigentlichen Sinne beinhaltet. Die SuS lernen Rezepte auswendig, nach denen sie Aufgaben abarbeiten, statt Begriffe und Konzepte zu verstehen und zu vernetzen.

Und dann schaffen sie acho cum krachoque die Grundkursprüfung, in dem sie Stunden um Stunden mit Rechnen und Auswendiglernen von Rechenrezepten verbringen, aber nur wenig Zeit mit Mathematik. Und was eine Funktion ist, haben sie immer noch nicht wirklich verstanden, obwohl sie es eigentlich schon in der 8. oder 9. Klasse verstehen hätten sollen.

Eine andere Idee ist natürlich, Mathematik im Abitur als Zugangsbegrenzer für die Unis zu benutzen, obwohl es inhaltlich in vielen Fällen kaum sinnvoll ist und offensichtlich nicht besonders gut funktioniert: Die Zahl der Abiturienten steigt dennoch weiter.

Etwas traurig ist, dass viele Mathematikdidaktiker an den Unis gute Ideen haben, wie man das besser machen könnte und versuchen, dass den Lehramtskandidaten beizubringen, aber am Ende bisher sehr wenig davon im Unterrichtsalltag angekommen ist. Möglicherweise ist einiges davon in vielen Lerngruppen auch gar nicht anwendbar.

Am Ende quälen sich alle: Die Kinder mit der ungeliebten Mathematik, die Lehrenden mit den Kindern, die Dozenten mit den Studenten … und was kommt dabei raus? Viel Drama für ziemlich wenig.

Ach so, dass mit der allgemeinen Hochschulreife ist ein Lüge, die vermutlich älter ist als die meisten oder alle Teilnehmer hier im Forum. Ein Schüler mit ausreichend als Abiturnote Mathematik ist im Normalfall nicht reif für eine ganze Menge Studiengänge von Mathematik über Physik zu Maschinenbau etc. … und das hat sich in den letzten 30 oder gar 50 Jahren sicher nicht entscheidend geändert.

Gruß

C


RE: Harald Lesch über unser Bildungssystem - Pollux - 09.07.2016

Nö Nö, Herr C! Egal, ob man deine Ausführungen in allen Punkten unterschreiben kann: sie zeugen von viel Beschäftigung und ebenso viel Kenntnis. Thumb_upThumb_up

Ich wollte eigentlich nur darauf hinweisen, dass der vermeintliche Qualitätsrückgang eines „inflationierenden“ Abiturs (also die Gegenposition hier) auch auf der schlichten Tatsache beruhen kann, dass man sich in kaum einem Schulfach noch auf elementare Inhalte konzentriert. (Stattdessen ufern die Inhalte aus) Mit der Folge, dass man gar nichts richtig gut beherrscht, aber von allem schon man was gehört hat. Das ist u.a. meine Erfahrung mit dem eigenen Nachwuchs. Zu Mathe wollte ich eigentlich gar nichts sagen. Ich habe Abi in einem technischen Gymnasium gemacht – und da war Mathe nicht wegzudenken. Trotzdem gab es auch dort viel von dem, was du (und auch der Lesch) für völlig überflüssig halten würdest. Die Aufzählung erspare ich uns.  Fahne


RE: Harald Lesch über unser Bildungssystem - Atanvarno - 09.07.2016

(08.07.2016, 23:36)DerC schrieb: Das Problem ist, dass der Unterricht für die meisten SuS de facto in erster Linie aus Rechnen besteht und viel zu wenig Mathematik im eigentlichen Sinne beinhaltet. Die SuS lernen Rezepte auswendig, nach denen sie Aufgaben abarbeiten, statt Begriffe und Konzepte zu verstehen und zu vernetzen.


Und das ist durch das Zentralabitur meinem Eindruck nach sogar noch schlimmer geworden. Die einzige zu leistende Transferfähigkeit besteht darin zu erkennen, welches Rezept im vorliegenden Aufgabentext passt.

Selbst wenn ein Lehrer interessanten Unterricht gestalten wollen würde - er könnte es nicht, weil er seinen Schülern die Rezepte beibringen muss, die in den zentralen Klausuraufgaben abgefragt werden.

Eine grundlegende Änderung des Unterrichtskonzepts wäre aus meiner Sicht aber auch nur möglich, wenn dann  auch die Art und Weise wie das erworbene Wissen überprüft wird, sich ändert. Mathematisches Verständnis kann ich nicht in einer dreistündigen Klausur abfragen. (@C haben die Didaktiker dazu auch ein paar schlaue Ideen?)


RE: Harald Lesch über unser Bildungssystem - DerC - 09.07.2016

(09.07.2016, 09:56)Pollux schrieb: Nö Nö, Herr C! Egal, ob man deine Ausführungen in allen Punkten unterschreiben kann: sie zeugen von viel Beschäftigung und ebenso viel Kenntnis. Thumb_upThumb_up

Ich wollte eigentlich nur darauf hinweisen, dass der vermeintliche Qualitätsrückgang eines „inflationierenden“ Abiturs (also die Gegenposition hier) auch auf der schlichten Tatsache beruhen kann, dass man sich in kaum einem Schulfach noch auf elementare Inhalte konzentriert. (Stattdessen ufern die Inhalte aus) Mit der Folge, dass man gar nichts richtig gut beherrscht, aber von allem schon man was gehört hat. Das ist u.a. meine Erfahrung mit dem eigenen Nachwuchs. Zu

Erstmal danke für die Blumen. Und mich mit so etwas zu beschäftigen war und ist eben Teil meines Jobs bzw. meines Bildungswegs. Ja, ich glaube ich verstehe was du meinst. Das ist ein Punkt.
Es wird zu wenig darauf geachtet, dass es bei den SuS zu einem echten Erkenntnisgewinn gekommen ist. Dann gibt es den Glauben daran, dass Abwechslung bei den Themen per se nützlich ist, anstatt darauf zu achten, so lange bei einer Sache zu bleiben, bis zumindest die Grundkonzepte eines Themenfeldes verstanden wurden.

Ein Klassiker (aber ein altes Problem was nicht durch die letzten Reformen bedingt wurde) für mangelhafte Lehrplankonzepte in der Mathematik ist z. B. die Prozentrechnung. Sie wird meist – durch die großen Ferien getrennt von der Bruchrechnung – nach den Ferien in Stufe 7 eingeführt.

Dann gibt es das Problem, dass Äquivalenzumformungen und Rechnen mit Variablen noch nicht eingeführt wurde, es also eigentlich ein Problem ist, einfach Formeln für Prozentwert etc. einzuführen. Im gymnasialen Bereich wird und wurde es dennoch häufig so gemacht. (Nach dem Motto „Friss oder stirb, wer es nicht hinkriegt hat auf dem Gymnasium eben nix verloren!“)

Im HR-Bereich wird mittlerweile häufig die proportionale Zuordnung benutzt, um Prozente zu berechnen. Ein Umweg, und es muss dafür zwingend die Zuordnung zwischen Bruchrechnung und Prozentrechnung geschoben werden. Die Bruchrechnung ist dann bei denen, die sie nicht wirklich durchdrungen haben, schon halb vergessen.

Eigentlich wäre es ganz einfach: Prozentrechnung ist im wesentlichen Bruchrechnung mit Hundertsteln. Wer die Bruchrechnung wirklich verstanden hat, für den ist die Prozentrechnung ein Klacks. Beides könnte direkt hintereinander gelehrt werden. Bisher hat mir noch niemand zufriedenstellend erklären können, warum es nicht so gemacht wird.

Wie gesagt, ein altes Problem, aber alte Probleme können in einem durch den sozialen Wandel geänderten schulischen Umfeld schwerer wiegen als vormals.

Was dazu kommt, ist der Umgang mit Lücken und Fehlern. In weiten Teile von Schule und Hochschule mangelt es an einer Kultur konstruktiv mit Fehlern umzugehen. So werden viele Mängel unter den Teppich gekehrt.

Ein Beispiel:  Das weitgehende Abschaffen des „Sitzenbleibens“ war richtig, denn das zusätzliche Jahr wurden meist zu wenig genutzt. ABER: Die Lücken und Mängel müssen dennoch geschlossen werden, dass sollte z. B. durch Förderunterricht an den öffentlichen Schulen in Kleingruppen passieren. Dieser Bereich ist jedoch trotz dem Trend zu Ganztagsschulen weitgehend in Nachhilfeunterricht privatisiert, was diese Förderung eben nur denen mit dem entsprechendem Kapital ermöglicht. (Nachhilfeunterricht und eine höhere Bereitschaft vieler Eltern, alles ihnen mögliche zu tun, damit der Nachwuchs den höchstmöglichen Schulabschluss machen kann, trägt natürlich auch zu höheren Abiturquoten bei. Dabei gehen z. B. viele Eltern aus der unteren Mittelschicht vermutlich durchaus bis an ihre finanziellen Grenzen. Ob sich das langfristig rechnet und die Betroffenen ihre Entscheidungen überhaupt aus rational-ökonomischen Gründen treffen (können), dazu später mehr.)

Wenn die Schule Schule diese Schüler mit durchzieht, ohne die Lücken zu schließen, verschiebt sie das Problem nur. (Dabei lohnt es sich durchaus, dass bezogen auf bestimmte Bereiche mal sauber volkswirtschaftlich durchzurechnen: Ein Schüler, der ohne Abschluss von der Schule geht, kostet den Sozialstaat in der Gesamtrechnung meist mehr, als wenn man ihm durch gezielte Förderung in der regulären Schulzeit zu einem verwertbaren Abschluss verhilft.)

Gruß

C