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Sprinttechnik - Zutritt nur für Wissbegierige! - Druckversion

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RE: S p r i n t t e c h n. - Zutritt nur für Wissbegierige! - icheinfachma - 24.11.2015

V. Bauer hatte die Frage, warum die Knie in der Stütphase gestreckt ("steif") bleiben sollen. Das hat folgenden Grund:

-Ein stärkers Einknicken der Knie bewirkt längere Bodenkontaktzeiten: Der Verlauf des KSP im Stütz sieht so aus, dass er erst abinkt (Amortisation des Landedrucks) und dann wieder angehoben wird, also ein Bogen.  Bei stärkerem Einknicken der Knie geht dieser Bogen tiefer (siehe Bildanhang). Der Weg, den der Körperschwerpunkt nehmen muss ist dann größer und das dauert länger. Man kann es auch anders erklären: Einknickende Knie kommen von geringerer Streckkraft, die von den Kniegelenken aufgebracht wird (ob nun aus Kraftmangel, oder weil man es nicht versucht, die Knie gestreckt zu halten). Es wird weniger Kraft aufgebracht. Um aber nicht auf den Boden zu plumsen, muss man der Schwerkraft eine gleichgroße Kraft entgegensetzen (siehe Trägheitsgesetz, steht auch in meinem Text). Wenn man also geringere Spitzenkräfte hat, muss man zwangsläufig länger seine Kraft auf den Boden einwirken lassen, um trotzdem den nötigen Kraftstoß (=Kraft mal Zeit) an den Boden abzugeben, der erforderlich ist, der Schwerkraft zu trotzen. Ein besserer gleich schwerer Sprinter bringt also keine größeren Kraftstöße auf, sondern er erbringt den selben Kraftstoß in kürzerer Zeit: (große Kraft x geringe Zeit = geringe Kraft x große Zeit). Was den Sprinter schneller macht.

Die Kniestiffness (=Kniesteifigkeit, also die Fähigkeit des Knies, wie eine steife, wenig nachgebende Feder zu wirken oder =physikalisch ausgedrückt die Federkonstante D = F / l, also die Kraft F, um die Feder um die Länge l zu verbiegen) lässt ich auf folgende Weise verbessern:
-technisch: durch bewusstes Großmachen und hoher KSP-Führung, den Boden weit von sich entfernt halten, die Knie im Stütz sehr nach unten gstreckt halten, hohe Flugphasen wollen. Laufen an der Laufkatze kann helfen, dieses Gefühl zu vermitteln, man kann es aber auch ohne lernen.

konditionell:
-Sprints an sich trainieren natürlich die Reaktivkraft der Quadrizeps und die Stiffness der Quadriceps- und Patellasehne.
-plyometrische Übungen ermöglichen ein gezieltes Ansprechen dieser Komponente. Für den Sprint sind solche mit kurzen Bodenkontakzeiten und geringer Intensität nützlich, da sie den kurzen Bodenkontaktzeiten des Sprints entsprechen. Also keine Niedersprünge aus einem m Höhe und ähnliche Scherze, sondern Prellhopser auf der Stelle oder in eine beliebige Richtung, "Hürden"sprünge über Minihürden u.ä., Niedersprünge mit in einer Strecke aufgestellten Kastenteilen - immer auf und ab von Kastenteil zu Kastenteil. Alle Übungen sollen mit maximaler Knie- und Fußgelenkssteifigkeit und kürzestmöglichen Bodenkontaktzeiten durchgeführt werden. Warum sollte man zusätzlich zum Sprinten auch plyometrische Übungen einbauen? Plyometrische Übungen gelten doch als viel belastender als Sprinten?

Nur bedingt: Niedersprünge von hohen Gegenständen herab oder Hürdensprünge über hohe Hürden sind das mit Sicherheit und können nur sparsam verwendet werden. Selbst bei den von mir benannten "kleinen Sprüngen" sind die Flugkurven noch höher und dadurch der Landeimpactus höher als im Sprint. Das wird aber bei den kleinen Sprüngen mehr als überkompensiert durch zwei Dinge: Beim Sprint landet der Fuß meist mit leicht adduziertem Bein, näher am Körperschwerpunkt (siehe auch das Foto der 2 Sprinterinnen). Das bewirkt einen schiefen Unterschenkel. Eine Überpronation wird begünstigt. Diese verursacht eine peitschende Bewegung der Achillessehne, der Hauptgrund für Achillessehnenprobleme. Stellt man, und das geht nur bei beidbeinigen Sprüngen, die Beine senkrecht zum Boden oder noch besser leicht gespreizt, so wird die Überpronation verringert, bei leichtem Spreizen der Beine rein anatomisch sogar völlig verhindert.

Aber auch die Schienbeinknochenhaut (Innenseite) wird entlastet: Man fand heraus, dass Knochenhautentzündungen durch Verbiegen der Knochen zustande kommen. Sogar beim Stehen verbiegen sich schon die Beinknochen, auch der starke Oberschenkelknochen (Femur), der, um dies zu verringern, von einem starken "Zuggurt", dem Tractus iliotibialis an der Außenseite des Oberschenkels gestrafft wird. Aber beim Laufen ist diese Verbiegung noch stärker. Bei starken Fersenlaufstilen mit stemmender Landung weit vor dem Körper https://www.youtube.com/watch?v=1kiD8EGYkZA wird das Schienbein nach vorn durchgebogen. Dem Knochen macht das erstmal nichts aus, den Knochen ist, da er nicht nur aus Kalk, sondern auch aus Proteinen besteht, einigermaßen elastisch. Die Knochenhaut (Periosteum), die jeden Knochen umgibt und mit Blutgefäßen und Nerven dicht versorgt wird, ist aber weniger elastisch als Knochenmaterial. Sie ist sogar neben Zahnschmelz das unelastischste Material in unserem ganzen Körper - eine extrem derbe Membran. Die Verbiegung des Knochens überdehnt die Knochenhaut, fügt ihr Mikrotraumata zu und bewirkt so die Knochenhautentzündung. Mit der Zeit kann das ständige übermäßige Verbiegen des Schienbeins bei Fersenläufern aber auch den Knochen selbst überlasten, es kann zum Ermüdungsbruch kommen. Eine Knochenhautentzündung gilt darum als Frühwarnzeichen für einen möglichen, späteren Ermüdungsbruch und sollte nicht unter Einnahme von Schmerzmitteln ignoriert werden. Die Knochenhautentzündungen an der Innenseite des Schienbeines ist die Verbiegung nach medial (nach innen) die Ursache. Das kommt durch Füße, die weit innen aufgesetzt werden (adduziertes Bein), was für schräge Beinachsen sorgt (siehe die Sprinterin rechts im Foto einige Antworten früher, die linke dagegen erreicht das Optimum). Bei beidbeiningen Sprüngen wird das verhindert, auch hier entlastet die leichte Grätschstellung. Ich habe übrigens mal den Selbstversuch gemacht: Als ich eine Knochenhautentzündung hatte, habe ich starke Schmerzen bei Sprints und Einbeinsprüngen (selbes Prinzip) gehabt. Bei Sprüngen in leichter Grätschstellung von niedrigen Kastenteilen war die Landung scon viel härter als im Sprint, aber die Fußgelenke blieben vollkommen stabil und die Schienbeine taten kein bisschen weh. Es ist eine wunderbare Methode. Dennoch muss man darauf achten, die Achilles- und Patellasehen sowie die Füße (z.B. Plantarfaszien) nicht zu überlasten. Die Form ist aber schonender als der Sprint selbst und kann darum z.B. auch in der allgemeinen und speziellen Grundlagenphase verstärkt eingesetzt werden neben den vielen Übungen für die rückseitige Kette.


RE: Sprinttechnik - Zutritt nur für Wissbegierige! - icheinfachma - 24.11.2015

(24.11.2015, 22:58)dominikk85 schrieb:
(24.11.2015, 11:41)icheinfachma schrieb: Den Text kann ich aufgrund von Formatierungsproblemen nicht hier schreiben, darum als Pdf. Bei Abb. 7 muss man sich die Kreisbögen, auf denen sich Knie und Fuß jeweils bewegen, dazu denken, sie wurden nicht gut eingescannt.



Ist die linke kreisbahn das Knie und die Rechte der Fuß?


Genau, sowohl das Knie als auch der Fuß bewegen sich auf einer jeweils eigenen Kreisbahn. Der Mittelpunkt dieser Kreisbahnen ist das Hüftgelenk.


RE: S p r i n t t e c h n. - Zutritt nur für Wissbegierige! - Gertrud - 24.11.2015

(24.11.2015, 23:03)icheinfachma schrieb: Die Knochenhautentzündungen an der Innenseite des Schienbeines ist die Verbiegung nach medial (nach innen) die Ursache. Das kommt durch Füße, die weit innen aufgesetzt werden (adduziertes Bein), was für schräge Beinachsen sorgt (siehe die Sprinterin rechts im Foto einige Antworten früher, die linke dagegen erreicht das Optimum). Bei beidbeiningen Sprüngen wird das verhindert, auch hier entlastet die leichte Grätschstellung. 

Entscheidend ist, dass es bei instabilen Füßen zu Rotationen der Tibia kommt und zwar in die entgegengesetzte Richtung, wobei natürlich die Züge an der Knochenhaut enorm stark werden. 

Gertrud


RE: S p r i n t t e c h n. - Zutritt nur für Wissbegierige! - Gertrud - 24.11.2015

(24.11.2015, 23:03)icheinfachma schrieb: Ich habe übrigens mal den Selbstversuch gemacht: Als ich eine Knochenhautentzündung hatte, habe ich starke Schmerzen bei Sprints und Einbeinsprüngen (selbes Prinzip) gehabt. Bei Sprüngen in leichter Grätschstellung von niedrigen Kastenteilen war die Landung scon viel härter als im Sprint, aber die Fußgelenke blieben vollkommen stabil und die Schienbeine taten kein bisschen weh. Es ist eine wunderbare Methode.


Nur liegen Ursache und Wirkung woanders. Wenn Ihre Füße gesund und gewappnet sind, können sie auch bei Sprints und Einbeinsprüngen gegensteuern und haben keine Schmerzen.

Gertrud


RE: S p r i n t t e c h n. - Zutritt nur für Wissbegierige! - muffman - 25.11.2015

Vll. sollte man betonen, dass das Knie des Bodenfassenden Beines nicht gestreckt ist, sondern lediglich, wie icheinfachma geschrieben hat, die Kniesteifigkeit (mit)entscheidend ist. Stefan und Manfred Letzelder haben in ihrem Buch "Der Sprint - Eine Bewegungs- und Trainingslehre" empirisch versucht u.a. Leistungsrelevante biomechanische Größen wie Winkel, Winkelgeschwindigkeiten usw. zu ermitteln und daraus Schlüsse zu ziehen. Es hat sich gezeigt, dass nicht der Kniewinkel im Stütz entscheidend ist, sondern wohl eher die Art und Weise wie dieser Winkel zustandekommt. Letzelder konnte nachweisen, dass sich bei Topsprintern der Kniewinkel kurz vor dem Bodenfassen sogar noch einmal verringert, um einen Fußaufsatz näher unter dem KSP produzieren zu können um somit auch die Bodenkontaktzeit zu verringern, während sich bei schlechteren Sprintern der Kniewinkel kurz vor dem Bodenfassen noch vergrößert.

Wenn ich das richtig verstanden habe, geht icheinfachma von einem komplett durchgestreckten Knie beim Bodenfassen aus, um eine möglichst geringe KSP-Verschiebung in vertikaler Richtung zu errreichen. Ein komplett gestrecktes Knie verlängert doch die Bodenkontaktzeit eher als dass sie diese verkürzt? Alleine schon das wieder nach vorne bringen des Knies nach dem Ende des Stützes dauert durch ein gestrecktes Knie beim Bodenfassen ja länger, da es länger dauern würde einen (entscheidenden) spitzen Kniewinkel in der Rückholphase zu produzieren. Ist der Kniewinkel in der Rückholphase zu groß, vergrößert sich doch das Drehmoment um die Hüfte durch den längeren Hebel, was am Ende in einem Zeitverlust resultieren würde.


RE: S p r i n t t e c h n. - Zutritt nur für Wissbegierige! - icheinfachma - 25.11.2015

Mir ist bekannt, dass sich das Knie vor der Landung schon wieder beugt. Nur sollte man nicht, wie in der linken Abbildung, weit vor dem Körper mit stark gebeugtem Knie landen. Dieses Fehlerbild habe ich bisher aber nur bei einigen Fußballern im Freizeitbereich gesehen.

Der Grund für die Kniebeugung vor der Landung ist, dass die Streckung des Knies beim Ausgreifen einen Dehnungsreiz für die Ischios darstellt, welche dann stark kontrahieren. Sind die Ischios recht schwach, können sie den Unterschenkel nicht schneller nach hinten bewegen, als die Gesäßmuskeln den Oberschenkel nach hinten bewegen. Der Unterschenkel kann quasi den Oberschenkel nicht "überholen", um das Knie zu beugen. Sind die Ischios aber stark genug, können sie das. Bei Verena Sailer war das gut zu sehen.


RE: S p r i n t t e c h n. - Zutritt nur für Wissbegierige! - lor-olli - 25.11.2015

@ icheinfachma (und etwas off-topic),

deine Ausführungen in allen Ehren, bedenke bitte, hier wird "ordentlich mitgelesen" und einiges kopiert (Textpassagen sogar wörtlich übernommen / Gutenberg hat die Vervielfältigung erfunden K.T. zu Guttenberg sie optimiert Wink) .
Solltest Du also Texte von Dir hier verwenden, die Du für spätere Arbeiten verwenden möchtest, sei gewarnt - es gibt sogar Dozenten, die sich nicht zu schade sind bei Studenten zu "klauen" (wie ich aus persönlicher Erfahrung weiß!). Ich möchte den Enthusiasmus und die Tiefe des Themas nicht ausbremsen, die reale Gefahr aber bitte nicht aus den Augen verlieren (ist doch doof wenn man seine eigenen Texte als Zitat eines anderen einfügen muss…). Die Antwort auf die "Frage" von V.B. etwa hielt ich für rhetorisch, deine Antwort dazu aber recht ausführlich (Dir ist bekannt wer hinter dem Kürzel steht?)
Gertrud hat sicher auch ihre Gründe, weswegen sie hier nicht alles preisgibt…

lor-olli hört schon auf den "Spielverderber" zu geben, aber ich muss häufig genau diesen Fragen (Kopie oder nicht?) nachgehen. Wenn man die richtigen Frageroutinen entwickelt, kann man nahezu alles zusammenkopieren. (Geschickte Kontrolle auf Rechtschreibfehler überführte z.B. einige Male sogar die "Autoren")


RE: Sprinttechnik - Zutritt nur für Wissbegierige! - dominikk85 - 25.11.2015

(24.11.2015, 23:04)icheinfachma schrieb:
(24.11.2015, 22:58)dominikk85 schrieb:
(24.11.2015, 11:41)icheinfachma schrieb: Den Text kann ich aufgrund von Formatierungsproblemen nicht hier schreiben, darum als Pdf. Bei Abb. 7 muss man sich die Kreisbögen, auf denen sich Knie und Fuß jeweils bewegen, dazu denken, sie wurden nicht gut eingescannt.
kannst du erklären warum die bahn des knies "steiler" ist, und warum der "anstieg" eher gerade ist und nach unten eher kreisförmig?



Ist die linke kreisbahn das Knie und die Rechte der Fuß?



Genau, sowohl das Knie als auch der Fuß bewegen sich auf einer jeweils eigenen Kreisbahn. Der Mittelpunkt dieser Kreisbahnen ist das Hüftgelenk.



RE: S p r i n t t e c h n. - Zutritt nur für Wissbegierige! - Gertrud - 26.11.2015

Hier ein Bild von Usain Bolt beim Bodenkontakt vorne.
[attachment=316]


RE: S p r i n t t e c h n. - Zutritt nur für Wissbegierige! - Rolli - 26.11.2015

(24.11.2015, 23:03)icheinfachma schrieb:  Beim Sprint landet der Fuß meist mit leicht adduziertem Bein, näher am Körperschwerpunkt (siehe auch das Foto der 2 Sprinterinnen). Das bewirkt einen schiefen Unterschenkel. Eine Überpronation wird begünstigt. Diese verursacht eine peitschende Bewegung der Achillessehne, der Hauptgrund für Achillessehnenprobleme. Stellt man, und das geht nur bei beidbeinigen Sprüngen, die Beine senkrecht zum Boden oder noch besser leicht gespreizt, so wird die Überpronation verringert, bei leichtem Spreizen der Beine rein anatomisch sogar völlig verhindert.

Also auch Prellsprünge eher mit leicht (schulterbreit) gespreitzen Beinen durchführen?
Gestern habe ich mir 3 Trainer (in der Halle sind wir mit mehreren Gruppen) angeschaut. Keiner achtet auf die gespreitzte Beine beim Kasten-, Prell- oder Mattenspungen.